![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
45. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 4. April 2001 i.S. A. Rapold & Co. KG gegen Werner Bleiker und Mitb. (Berufung) | |
Regeste |
Schädigung einer Nachbarliegenschaft durch Grabungen und Bauten; Verjährung; Art. 679/685 ZGB, Art. 51 und Art. 60 Abs. 1 OR. |
Solidarische Haftung von Grundeigentümern (E. 4b). |
Tragweite der solidarischen Haftung (E. 5a). |
Keine Haftungsreduktion bei fehlender Durchsetzbarkeit des Ausgleichsanspruches gegen solidarisch Mithaftende (E. 6b). |
Ausgleichsanspruch des Belangten gegen die in unechter Solidarität Mihaftenden bei Verjährung konkurrierender Ersatzansprüche des Geschädigten (E. 6c). | |
Sachverhalt | |
![]() | 1 |
Mit Schreiben vom 25. März 1988 und vom 10. Juni 1988 teilte die Klägerin den Beklagten 1 und 3 mit, dass an ihrem Gebäude Schäden aufgetreten seien, die mit den Bauarbeiten auf den Nachbargrundstücken in Zusammenhang stünden. Am 16. Juni 1993 betrieb die Klägerin die Beklagten 1, 2 und 3 je für den Betrag von Fr. 1'000'000.-, worauf alle drei Beklagten Rechtsvorschlag erhoben.
| 2 |
B.- Die Klägerin erhob am 17. November 1993 beim Bezirksgericht Zürich Klage und beantragte, die Beklagten 1, 2 und 3 solidarisch zur Zahlung von Fr. 1'689'330.35 nebst 5% Zins seit dem ![]() | 3 |
C.- Gegen das Urteil des Obergerichts haben sowohl die Klägerin als auch die Beklagte 3 Berufung an das Bundesgericht erhoben. Die Klägerin verlangt die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die solidarische Verurteilung der Beklagten 1-3 zur Bezahlung von Fr. 665'511.10 nebst 5% Zins seit dem 30. April 1993. Die drei Beklagten tragen Abweisung der Berufung an; die Beklagte 3 ersucht überdies in ihrer Berufung um teilweise Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und Abweisung der Klage, eventuell Reduktion der zu bezahlenden Summe. Die Klägerin schliesst auf Abweisung dieser Begehren; das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. Das Bundesgericht heisst beide Berufungen teilweise gut, hebt den angefochtenen Entscheid teilweise auf und weist die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
| 4 |
Aus den Erwägungen: | |
5 | |
aa) Ausservertragliche Schadenersatzansprüche unterliegen der relativen einjährigen und der absoluten zehnjährigen Verjährungsfrist gemäss Art. 60 Abs. 1 OR. Diese Verjährungsordnung gilt auch für Ansprüche aus Art. 679/685 Abs. 1 ZGB, wie die Vorinstanz zu Recht erwogen hat (BGE 109 II 418 E. 3 S. 420 mit Hinweis).
| 6 |
![]() | 7 |
bb) Damit ist es für den Lauf der absoluten Verjährung unerheblich, ob sich der Schaden auf dem Grundstück der Klägerin noch fortentwickelt. Dass die Grabungen und die bauliche Tätigkeit der Beklagten 1 und 2 mehr als zehn Jahre vor der Einleitung der Betreibung im Juni 1993 abgeschlossen waren, steht aufgrund der für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz fest (Art. 63 Abs. 2 OG). Fraglich ist nur, ob damit auch das schädigende Verhalten als abgeschlossen zu betrachten ist oder ob die auf die Sickerleitungen zurückzuführende Absenkung des Grundwasserspiegels eine fortwährende schädigende Handlung darstellt, die den Verjährungseintritt verhindert.
| 8 |
Die Klägerin beruft sich in diesem Zusammenhang zunächst auf MEIER-HAYOZ (Berner Kommentar, 3. Aufl., Bern 1974, N. 145 zu Art. 679 ZGB), der sich seinerseits auf BGE 81 II 439 E. 3 und 4 S. 445 ff. bezieht. Dort ging es um eine Haftung aus Art. 679 in Verbindung mit Art. 684 ZGB; eine Kunstseidefabrik leitete ihre Abwässer in undichte Klärbecken, wo sie versickerten und das Grundwasser mit Sulfatsalzen verunreinigten. Obwohl die letzte Benutzung der Klärbecken mehr als zehn Jahre zurücklag, erachtete das Bundesgericht die Ersatzforderung nicht als verjährt, weil die Verunreinigung des Grundwassers angedauert habe und somit von immer neuen Immissionen auszugehen sei. Ob an diesem Entscheid uneingeschränkt festzuhalten ist, kann offen bleiben, weil der vorliegende Sachverhalt mit dem dortigen nicht vergleichbar ist, wie auch die Vorinstanz zu Recht erkannt hat. Die Errichtung der Bauten einschliesslich der Sickerleitungen ist verjährungsrechtlich als einmalige, abgeschlossene Handlung zu würdigen (BGE 107 II 134 E. 4 S. 140). Schädigende Handlungen im Sinne von Art. 60 Abs. 1 OR stellen die Grab- und Bautätigkeiten der Beklagten 1 und 2 unter Einschluss der Installation der Sickerleitungen dar, während die durch die anhaltende Senkung des Grundwasserspiegels sich vergrössernden Schäden als Entwicklung des auf der ursprünglichen ![]() | 9 |
10 | |
b) aa) Die Bebauung der Grundstücke der Beklagten 1 und 2 in den Jahren 1981/1982 bzw. der Beklagten 3 in den Jahren 1984/85 bewirkte eine Senkung des Grundwasserspiegels und dadurch eine Schädigung des klägerischen Gebäudes. Während MEIER-HAYOZ anfänglich unter Bezugnahme auf BGE 68 II 369 E. 6 S. 375 f. noch die Ansicht vertrat, es bestehe keine Solidarität, wenn die schädigende Einwirkung von mehreren selbständigen Grundstücken ausgehe (a.a.O., N. 135 zu Art. 679 ZGB), hält er in der späteren Kommentierung zu Art. 684 ZGB dafür, der Schutz des geschädigten Nachbarn erheische, dass mehrere verantwortliche Störer solidarisch hafteten (Berner Kommentar, 3. Aufl., Bern 1975, N. 151 zu Art. 684 ZGB).
| 11 |
bb) In der Tat ist nicht einzusehen, weshalb für solche Fälle eine Ausnahme vom Solidaritätsprinzip gelten sollte. Im angeführten Entscheid des Bundesgerichtes aus dem Jahre 1942 ging es um die ![]() | 12 |
Der Umstand, dass im vorliegenden Fall die schädigenden Einwirkungen der Beklagten 1 und 2 sowie der Beklagten 3 von verschiedenen Grundstücken ausgingen, spricht daher nicht gegen ihre solidarische Haftung gegenüber der Klägerin. Nicht einzugehen ist in diesem Zusammenhang auf die von der Beklagten 3 aufgeworfene Problematik der sogenannten summierten Immissionen. Darunter werden Fälle verstanden, in denen die von mehreren Nachbarn ausgehenden Einwirkungen auf das Grundstück des Geschädigten erst in ihrem Zusammenwirken das zulässige Mass überschreiten (MEIER-HAYOZ, a.a.O., N. 148 zu Art. 684 ZGB). Dass dies vorliegend zuträfe, ergibt sich aus den vorinstanzlichen Feststellungen nicht.
| 13 |
14 | |
Die Verantwortlichkeit als Solidarschuldner wird durch die Reichweite der ihn treffenden Haftung beschränkt. Haftet jemand von vornherein überhaupt nicht oder nur für einen Teil des Schadens, ![]() | 15 |
b) Die Vorinstanz hat festgestellt, zwischen der Bautätigkeit der Beklagten 3 und den auf dem Grundstück der Klägerin aufgetretenen Rissschäden bestehe ein natürlicher Kausalzusammenhang, allerdings mit Ausnahme der Schäden, die vom Gutachter entweder alleine der Bautätigkeit der Beklagten 1 oder alleine jener der Beklagten 2 zugewiesen worden sind. Trotzdem hat die Vorinstanz den natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten der Beklagten 3 und offenbar allen entstandenen Rissschäden bejaht. Aus den Feststellungen und Erwägungen der Vorinstanz geht gerade nicht schlüssig hervor, ob die Bautätigkeit der Beklagten 3 in Bezug auf den ganzen Schaden kausal ist, für den sie schliesslich haftbar erklärt worden ist. Die Feststellungen der Vorinstanz liefern vielmehr Anhaltspunkte dafür, dass gewisse Schäden ausschliesslich von den Beklagten 1 und 2 verursacht worden sind und das Verhalten der Beklagten 3 darauf keinen Einfluss gezeitigt hat. Es liegt die Annahme nahe, dass nur diejenigen Schäden mit der Bautätigkeit der Beklagten 3 in kausaler Beziehung stehen, die der Experte ihrer "Einflussfläche" zugewiesen hat; denn wo kein Einfluss stattfindet, ist selbstredend keine Schadensverursachung denkbar. Ob dieser Einflussbereich mit der Gesamtheit der Schäden übereinstimmt, für welche die Vorinstanz die Beklagte 3 als solidarisch haftbar erklärt hat, bleibt letztlich unklar. Fehlen aber eindeutige Feststellungen der Vorinstanz, kann der Umfang der Haftung der Beklagten 3 vom Bundesgericht nicht abschliessend beurteilt werden. Nicht massgeblich sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen des ![]() | 16 |
Nicht zu hören ist die in diesem Zusammenhang erhobene Rüge, die Annahmen des Experten über den der Beklagten 3 zuzurechnenden Beitrag an der Schadensverursachung beruhten lediglich auf Mutmassungen. Nach Art. 55 Abs. 1 lit. c OG ist in der Berufungsschrift anzugeben, welche Bundesrechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid verletzt sind; dagegen ist appellatorische Kritik an der Beweiswürdigung im Berufungsverfahren nicht statthaft (BGE 120 II 97 E. 2b S. 99; BGE 125 III 78 E. 3a S. 79 mit Hinweisen).
| 17 |
18 | |
Dazu ist anzumerken, dass ein gemeinsames Verschulden, welches echte Solidarität im Sinne von Art. 50 Abs. 1 OR zu begründen vermöchte, nur vorläge, wenn jeder Schädiger um das pflichtwidrige Verhalten des anderen weiss oder jedenfalls wissen könnte (BGE 115 II 42 E. 1b S. 45). Da die Beklagten 1 und 2 ihre Bauprojekte bereits in den Jahren 1981/1982 begonnen hatten, konnten sie von der erst Jahre später einsetzenden Bautätigkeit der Beklagten 3 keine Kenntnis haben, geschweige denn von einer pflichtwidrigen Handlung der Beklagten 3. Ist aber kein gemeinsames Verschulden ![]() | 19 |
Ob die von der Vorinstanz zitierte Rechtsprechung den Schluss zulässt, dass bei Verjährung konkurrierender Ansprüche des Geschädigten die Durchsetzung von Ausgleichsansprüchen gegen Mitschuldner in jedem Fall ausgeschlossen ist, erscheint zumindest als fraglich (nachfolgend E. 6c). Aber selbst wenn dies der Fall sein sollte, rechtfertigte dies keine Herabsetzung.
| 20 |
b) Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist eine Herabsetzung nach Art. 43 Abs. 1 OR im externen Verhältnis der unechten Solidarität zwar nicht ausgeschlossen, doch ist dabei grosse Zurückhaltung angezeigt, weil andernfalls der Grundsatz der Solidarität, der es dem Geschädigten auszuwählen erlaubt, gegen welchen Schädiger er vorgehen will, in Frage gestellt würde (BGE 97 II 339 E. 3 S. 343 f.; BGE 112 II 138 E. 4a S. 143 f.; BREHM, a.a.O., N. 27 f. zu Art. 51 OR mit weiteren Hinweisen). Macht beispielsweise die Insolvenz eines anderen Haftpflichtigen den Rückgriff illusorisch, lehnt die Rechtsprechung eine Herabsetzung ab, da es noch unbilliger wäre, statt des belangten Haftpflichtigen den Geschädigten den Schaden tragen zu lassen (BGE 97 II 403 E. 7d S. 416; BGE 112 II 138 E. 4a S. 144). Von einer solchen Konstellation unterscheidet sich der vorliegende Fall zwar insoweit, als zwischen dem Verhalten der Klägerin, die die konkurrierenden Ansprüche gegen die Beklagten 1 und 2 verjähren liess, und der allfälligen Unmöglichkeit des Rückgriffs ein direkter Zusammenhang besteht. Dennoch würde der Zweck der Solidarität verkannt, würde man im Aussenverhältnis den Haftungsanteil der Beklagten 3 kürzen, nur weil sie gegebenenfalls ![]() | 21 |
c) Die Verjährung einer Forderung kann nicht zu laufen beginnen, bevor überhaupt die Forderung entstanden ist (vgl. VON TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Bd. II, 3. Aufl., Zürich 1974, § 80 IV S. 217 f.). Bei der unechten Solidarität tritt der rückgriffsberechtigte Mitschuldner nicht gemäss Art. 149 Abs. 1 OR in die Gläubigerrechte des Geschädigten ein, sondern es steht ihm lediglich ein Ausgleichsanspruch gegen seine Mitschuldner zu, der im Zeitpunkt der Zahlung an den Geschädigten entsteht (BGE 115 II 42 E. 2a S. 48). Ist demnach der Ausgleichsanspruch noch nicht verjährt oder hat dessen Verjährung noch nicht einmal zu laufen begonnen, während konkurrierende Forderungen des Geschädigten gegen andere Mitschuldner bereits verjährt sind, hätte dies zur Folge, dass diese im Innenverhältnis dennoch für einen Teil des Schadenersatzes aufkommen müssten. Damit gingen sie letztlich der mit der Verjährung des Hauptanspruchs einhergehenden Privilegierung verlustig, könnten sie nicht auch dem regressberechtigten Mitschuldner die Verjährungseinrede entgegenhalten. Obwohl der Ausgleichsanspruch ein selbständiges Recht ist, versagt deshalb das Bundesgericht dem Regressberechtigten bei Verjährung konkurrierender Ansprüche des Geschädigten die Durchsetzung seiner Ausgleichsforderung, wenn der Regressberechtigte von der Möglichkeit, auf einen anderen Haftpflichtigen zurückzugreifen, rechtzeitig Kenntnis erhält, aber dennoch nichts unternimmt. Dies war der Fall bei einem Regressberechtigten, der bei noch offener Verjährung des konkurrierenden Anspruchs weder im Rahmen des ![]() | 22 |
Nicht entschieden wurde damit die Frage, wie es sich verhielte, wenn der Regressberechtigte vor der Verjährung konkurrierender Forderungen des Geschädigten gegen andere Mitschuldner keinerlei Veranlassung hatte, seinen Ausgleichsanspruch zu erheben oder ihn gar nicht geltend machen konnte, weil er von der Rückgriffsmöglichkeit nicht rechtzeitig Kenntnis erlangt hat. Es kann ihm dann unter solchen Umständen kein treuwidriges Verhalten vorgehalten werden, wenn er erst nach Verjährung der anderen Ersatzforderungen seinen Ausgleichsanspruch anmeldet. Da es im vorliegenden Fall nicht um die Beurteilung eines Ausgleichsanspruchs der Beklagten 3 geht, besteht kein Anlass, zur Frage der Durchsetzbarkeit unverjährter Ausgleichsansprüche bei gleichzeitiger Verjährung konkurrierender Ansprüche des Geschädigten abschliessend Stellung zu nehmen.
| 23 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |