BGE 127 III 449 | |||
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77. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 17. Juli 2001 i.S. X. AG gegen A. (Berufung) | |
Regeste |
Agenturvertrag (Art. 418a ff. OR). | |
Sachverhalt | |
Mit Schreiben vom 25. April 1990 bewarb sich A. (Kläger) bei der X. AG in Dachsen (Beklagte) um die Stelle eines Vertreters bzw. eines "freien Agenten". Nachdem sie die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit besprochen hatten, unterbreitete die Beklagte dem Kläger einen Agenturvertrag, in dem als Entschädigung für vom Kläger abgeschlossene, fakturierte und bezahlte Geschäfte eine Provision von 10% bzw. 5% des Umsatzes nach Abzug von Rabatten, WUSt, Verpackung und Fracht vorgesehen war. Mit Schreiben vom 26. Juli 1990 machte der Kläger die Beklagte darauf aufmerksam, dass er auf Anfrage unter anderem von der Genfer Ausgleichskasse als sozialversicherungsrechtlich unselbständig Erwerbstätiger eingestuft würde, womit die Beklagte verpflichtet sei, Sozialversicherungsbeiträge vom Einkommen des Klägers abzuziehen und an die entsprechenden Versicherer zu zahlen. Dem weiteren Inhalt des Agenturvertrags ausdrücklich zustimmend sicherte er sodann seine Bereitschaft für eine einvernehmliche Lösung zu. Schliesslich unterzeichneten beide Parteien am 19. Dezember 1990 einen Agenturvertrag, der unter der Ziffer 7 eine alternative Provisionsregelung vorsah: Gemäss Ziffer 7.1 sollte die Provision abhängig von der Warenart 10% bzw. 5% des Umsatzes betragen, sofern der Kläger die Sozialleistungen direkt mit den betreffenden Stellen abrechnete. Sollte die Beklagte die Sozialversicherungsbeiträge mit den jeweiligen Stellen abrechnen müssen, so beliefe sich die Provision gemäss Ziffer 7.2 des Agenturvertrags auf lediglich 7,8% bzw. 3,9% des Umsatzes, wobei Änderungen in den Sozialleistungen sich entsprechend auf die Provisionssätze auswirken sollten. Für die genaue Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge wird dabei auf einen "Anhang B" zum Agenturvertrag verwiesen. Darin wird der "Arbeitgeberanteil" der Sozialabzüge auf 11,30%, derjenige des "Arbeitnehmers" auf 10,66% festgesetzt, was einen Abzug auf die Provisionen von total 21,96% ergibt.
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Der Kläger wurde schliesslich auf Anfrage der Beklagten bei den zuständigen Behörden als unselbständig Erwerbender eingestuft und arbeitete ab Unterzeichnung des Agenturvertrags vom 19. Dezember 1990 jeweils zu 50% für die Beklagte und für eine Drittfirma.
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Am 20. Juli 1995 bzw. am 11. September 1995 unterzeichneten die Parteien einen neuen Anhang B zum Agenturvertrag, der auf die neuen sozialversicherungsrechtlichen Beitragssätze Rücksicht nahm und denjenigen vom 19. Dezember 1990 ersetzen sollte. Darin wurde unter der Ziffer 7.2 der "Arbeitgeberbeitrag" auf 13,30%, der "Arbeitnehmerbeitrag" auf 12,35% erhöht, was zu einer Erhöhung der Einkommensabzüge auf insgesamt 25,65% führte. Die entsprechenden Provisionen entsprachen daher nach den Abzügen 7,4% bzw. 3,7%.
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In den Jahren 1990 bis zur Aufhebung des Agenturvertrags per 30. September 1997 hatte die Beklagte den Sozialversicherern und dem Versicherungsträger für die berufliche Vorsorge die gesamten für den Kläger geschuldeten Beträge auf der Grundlage der Provisionssätze von 10% bzw. 5% überwiesen.
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Mit Klage vom 1. September 1998 beantragte der Kläger von der Beklagten Rückerstattung der arbeitgeberseitigen Sozialversicherungsbeiträge. Das Bezirksgericht hiess die Klage im Umfang von Fr. 57'950.30 nebst Zins gut. Gleich entschied mit Urteil vom 2. Februar 2001 das Obergericht des Kantons Zürich.
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Das Bundesgericht heisst die Berufung der Beklagten gut, hebt das angefochtene Urteil auf und weist die Klage ab.
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Aus den Erwägungen: | |
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b) Entgegen der Ansicht des Obergerichts ergibt die Auslegung der alternativen Provisionsvereinbarung nach Treu und Glauben, dass die Parteien offensichtlich eine als angemessen befundene Netto-Einkommensregelung trafen. Dem angefochtenen Urteil lässt sich jedenfalls nicht entnehmen, dass der Kläger mit dieser Regelung nicht einverstanden gewesen wäre. Davon ausgehend durfte er die in Folge der sozialversicherungsrechtlichen Einstufung als unselbständig Erwerbender schliesslich getroffene Provisionsregelung nach dem Vertrauensprinzip nicht anders verstehen, als dass der effektive Brutto-Provisionssatz zu seinen Gunsten auf der Grundlage des Nettoeinkommens 8,9% oder 4,45%, bzw. ab September 1995 8,7% oder 4,35% betrug. Ausgehend von den vereinbarten Netto-Provisionssätzen gemäss Ziff. 7.2 des Agenturvertrags musste der Kläger seine hälftigen "Arbeitnehmer"-Sozialabzüge hinzufügen, um die Brutto-Provision zu erhalten (gerundet und aufgrund der Beitragssätze seit 1995): 7,4% netto zuzüglich 1,3% (die Hälfte von 25,65% durch 10) ergibt 8,7% brutto. Darauf mussten die "Arbeitgeber"-Sozialabzüge gemäss Ziff. 7.2 des Agenturvertrags hinzugezählt werden, was den Provisionssatz von 10% gemäss Ziff. 7.1 des Agenturvertrags und die Abrechnungsbasis für die getätigten Sozialabzüge an die Einrichtungen der Sozialversicherer ergibt. Zu prüfen ist somit lediglich, ob diese Netto-Provisionsregelung gemäss Ziff. 7.2 des Agenturvertrags rechtsgültig ist.
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c) Nach dem Grundsatz der Privatautonomie steht es den Parteien frei, den Inhalt ihres Vertrages im Rahmen der Rechtsordnung frei zu bestimmen. Dies gilt unter Vorbehalt von staatlichen oder kollektivvertraglichen Mindestlohnvorschriften namentlich auch für die Höhe der Entlöhnung von Arbeitnehmern, erst recht aber für sämtliche übrigen Dienstleistungserbringer. Das Obligationenrecht enthält jedenfalls keine Bestimmungen, die zwingend die Vereinbarung einer Bruttoentschädigung vorsehen.
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d) Die vorliegende Netto-Provisionsregelung ist auch sozialversicherungsrechtlich nicht zu beanstanden, da sich missbräuchliche oder auf Gesetzesumgehung gerichtete Absichten der Beklagten weder den Feststellungen im angefochtenen Urteil entnehmen lassen noch erkennbar sind. Gesetzesumgehung oder Missbrauchsabsicht könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn der Kläger mit der getroffenen im Vergleich zur ursprünglichen Regelung für den Fall der Qualifikation als selbständig Erwerbender gemäss Ziff. 7.1 des Agenturvertrags klar benachteiligt worden wäre. Davon kann jedoch nicht die Rede sein. Bei richtiger gesamtheitlicher Betrachtung hätte der Kläger im einen wie im anderen Fall der ungewissen sozialversicherungsrechtlichen Einordnung als selbständig oder unselbständig Erwerbender im Ergebnis das zumindest gleichwertige Einkommen nach Abzug der Sozialabgaben und der Beiträge für die eigene soziale Sicherheit erwirtschaftet, was aus folgender Berechnung ersichtlich wird:
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Ausgehend von der Brutto-Provision gemäss Ziff. 7.1 des Agenturvertrags hätte das Nettoeinkommen des Klägers als sozialversicherungsrechtlich selbständig Erwerbender sich aus folgenden Abzügen berechnet: Von der 10%-Brutto-Provision ist der obligatorische Satz für die Sozialabzüge selbständig Erwerbender für AHV/IV/EO/ALV von insgesamt 9,5% (für Einkommen über Fr. 48'300.- pro Jahr), folglich 0,95%, in Abzug zu bringen. Das ergibt eine Nettoprovision von 9,05%. Um im Ergebnis in wirtschaftlicher Hinsicht der Provisionsvariante als unselbständig Erwerbender gleichgestellt zu sein, müssen hiervon weitere Prozente abgezogen werden, die der Kläger hätte aufbringen müssen, um eine im Vergleich zur Regelung in Ziff. 7.2 des Agenturvertrags äquivalente soziale Absicherung zu geniessen, so für eine Unfallversicherung, die private Vorsorge gegen Alter, Invalidität und Tod sowie eine Krankentaggeldversicherung für den Erwerbsausfall. Dabei ist davon auszugehen, dass der Kläger - insbesondere für Beiträge der privaten Vorsorge - in jedem Fall mehr Mittel hätte aufbringen müssen als im Fall der getroffenen Provisionsvariante gemäss Ziff. 7.2 des Agenturvertrags. Aus diesem Grund fällt auch nicht ins Gewicht, dass der Beitragssatz für AHV/IV/EO/ALV bei selbständig Erwerbenden um 3,1% (im vorliegenden Fall folglich 0,31%) tiefer liegt als derjenige von Arbeitnehmer und Arbeitgeber insgesamt im Fall der unselbständigen Erwerbstätigkeit.
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e) Der Beklagten kann hierbei einzig vorgeworfen werden, sie habe die Entlöhnung für die unselbständige Erwerbstätigkeit gegenüber dem Kläger nicht mit der gebotenen Deutlichkeit als Brutto-Provision von tatsächlich 8,9% oder 4,45% (bzw. 8,7% oder 4,35%) ausgewiesen. Das ändert aber nichts daran, dass der Kläger im Ergebnis das erhielt, was ihm nach Treu und Glauben aus dem Agenturvertrag zustand. Die vom Obergericht beanstandete nominelle Abwälzung der Beiträge auf den Kläger stellt im Gegenteil bloss einen Berechnungsfaktor im Rahmen der angewendeten Methode zur Ermittlung des dem Kläger zustehenden Einkommens dar.
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f) Die von den Parteien auf der Basis des Nettoeinkommens vereinbarte und schliesslich getroffene Provisionsregelung ist daher bundesrechtlich nicht zu beanstanden, da sie jedenfalls die in BGE 107 II 430 E. 4 aufgestellten Ausnahmekriterien erfüllt. Soweit das Obergericht die von den Parteien getroffene Netto-Provisionsvereinbarung unberücksichtigt liess und statt dessen auf der Basis einer Brutto-Einkommensvereinbarung von einer im Sinne von Art. 20 OR wegen Verstosses gegen den Grundsatz der paritätischen Beitragszahlungspflicht nichtigen Lohnabrede ausging, hat es Bundesrecht verletzt.
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