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46. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. A. gegen Bank X. (Berufung) |
4C.269/2002 vom 17. Dezember 2002 | |
Regeste |
Art. 322 und 322d OR. Freiwillige Gratifikation, vereinbarte Gratifikation oder Lohn? |
Art. 328 OR. Gleichbehandlungsgrundsatz. Stillschweigende Vertragsänderung. |
Zur Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Arbeitsvertragsrecht. Unter Umständen kann aus der Begünstigung einzelner Arbeitnehmer auf eine stillschweigende Vertragsänderung hinsichtlich einer Gratifikation geschlossen werden (E. 3). | |
Sachverhalt | |
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B.- Mit Teilklage vom 26. September 2001 belangte der Kläger die Beklagte beim Gewerblichen Schiedsgericht von Basel-Stadt auf Zahlung von Fr. 30'000.- als Gratifikation für das Jahr 2000 nebst Zins. Das Gewerbliche Schiedsgericht hiess die Klage am 3. Dezember 2001 im Umfang von Fr. 21'333.- netto nebst Zins gut. Die Mehrforderung wies es ab.
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Diesen Entscheid hob das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt am 7. Juni 2002 auf kantonalrechtliche Beschwerde der Beklagten hin auf und wies die Klage vollumfänglich ab.
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C.- Der Kläger beantragt mit eidgenössischer Berufung, das Urteil des Appellationsgerichts vom 7. Juni 2002 sei aufzuheben und die Klage im gleichen Umfang wie vom Gewerblichen Schiedsgericht gutzuheissen. Die Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung, soweit darauf eingetreten werden könne.
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Eine vom Kläger in gleicher Angelegenheit erhobene staatsrechtliche Beschwerde hat das Bundesgericht mit Urteil vom heutigen Tag abgewiesen.
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Das Bundesgericht weist die Berufung ab.
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Ob es sich bei einer Gratifikation um eine vollständig freiwillige Leistung des Arbeitgebers handelt oder ob auf deren Ausrichtung ein Anspruch besteht, hängt von den Umständen ab. Die Verpflichtung zur Ausrichtung kann im schriftlichen oder mündlichen Arbeitsvertrag ausdrücklich vereinbart worden sein. Sie kann aber auch während des laufenden Arbeitsverhältnisses durch konkludentes Verhalten entstehen, wie beispielsweise durch die regelmässige und vorbehaltlose Ausrichtung eines entsprechenden Betrages (Urteil des Bundesgerichts 4C.263/2001 vom 22. Januar 2002, E. 4b; BRÜHWILER, a.a.O., N. 3 zu Art. 322d OR; BRUNNER/BÜHLER/WAEBER, Kommentar zum Arbeitsvertragsrecht, 2. Aufl., Basel 1997, N. 5 zu Art. 322d OR; TERCIER, a.a.O., Rz. 3142; VISCHER, Der Arbeitsvertrag, in: Schweizerisches Privatrecht VII/1,III, Basel 1994, S. 114; STREIFF/VON KAENEL, a.a.O., N. 4 zu Art. 322d OR; vgl. auch GOTTLIEB DELBRÜCK, Die Gratifikation im schweizerischen Einzelarbeitsvertrag, Diss. Basel 1981, S. 57 ff.). Lehre und Rechtsprechung nehmen an, dass eine Gratifikation nach dem Vertrauensprinzip als vereinbart gilt, wenn sie vorbehaltlos während mindestens drei aufeinander folgenden Jahren ausgerichtet worden ist (Urteil des Bundesgerichts 4C.359/1995 vom 6. Dezember 1995, E. 2, JAR 1997 S. 124; STAEHELIN, Zürcher Kommentar, N. 9 zu Art. 322d OR; REHBINDER, Berner Kommentar, N. 6 f. zu Art. 322d ![]() | 8 |
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Es ist in der Tat mit dem Charakter der ganzen oder teilweisen Freiwilligkeit der Gratifikation nicht vereinbar, dass bei einem Arbeitsvertrag die Entschädigung ausschliesslich in einer Gratifikation besteht. Der Arbeitsvertrag ist definitionsgemäss entgeltlich. Die Arbeitgeberin muss sich somit zu einem Entgelt verpflichtet haben. Eine bloss freiwillige Entschädigung genügt nicht. Entsprechend ist die Gratifikation eine Sondervergütung, die zum Lohn hinzutritt (STAEHELIN, Zürcher Kommentar, N. 3 zu Art. 322d OR). Die Lehre folgert richtig, dass es auch nicht genügen kann, wenn ein kleiner Lohn vereinbart ist und dafür eine grosse Gratifikation ausgerichtet wird (STAEHELIN, Zürcher Kommentar, N. 4 zu Art. 322d OR). Diesfalls erweist sich die Gratifikation trotz der vereinbarten Freiwilligkeit als das eigentliche Entgelt für die Arbeit und wird dadurch zumindest teilweise zum Lohn im Rechtssinn. Fraglich erscheint allerdings, wo die entsprechende Grenze zu ziehen ist. Diese kann nicht einfach in einer festen Verhältniszahl zwischen dem vereinbarten Lohn und der freiwilligen Gratifikation liegen. Es liegt auf der Hand, dass bei einem niedrigen Einkommen schon ein (auch relativ) kleiner Einkommensunterschied sehr viel mehr Bedeutung haben wird, als bei einem hohen Einkommen. Entsprechend kann bei einem hohen Einkommen der als Gratifikation ausgerichtete Teil der Leistung prozentual zum Lohn grösser sein, als bei einem niedrigen Einkommen (DELBRÜCK, a.a.O., S. 76 f.). Ob die fragliche Leistung für die Parteien zur entscheidenden Entschädigung ![]() | 10 |
Wie der Kläger selber festhält, waren die im vorliegenden Fall als Gratifikation ausbezahlten Beträge durchwegs wesentlich geringer. Sie erreichten bis zu einem Viertel des Jahresgehalts. Dieses lag seinerseits ab dem vierten Dienstjahr über Fr. 100'000.- und kann damit nicht als bescheiden bezeichnet werden. Die Höhe der ausgerichteten Beträge spricht somit nicht gegen eine Gratifikation.
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Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 63 Abs. 2 OG) richtete die Beklagte während der zwölfjährigen Dauer des Arbeitsverhältnisses zwar immer eine Gratifikation aus, wenn auch in unterschiedlicher Höhe. Die Ausrichtung erfolgte indessen nicht vorbehaltlos. Mit Ausnahme des Jahres 1988 brachte die Beklagte immer den Vorbehalt an, dass die Ausrichtung freiwillig erfolge. Aus dem einmaligen Unterlassen des Freiwilligkeitsvorbehalts kann der Kläger nichts für seinen Standpunkt ableiten. Wie beide kantonalen Instanzen zu Recht festhalten, kann eine einmalige, versehentliche Unterlassung des Vorbehalts noch nicht zu einer stillschweigenden Vereinbarung führen.
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Es trifft zu, dass es für den Inhalt eines Vertrages auf den tatsächlichen oder den objektiv übereinstimmenden Parteiwillen und nicht auf die von den Parteien gewählte unrichtige Bezeichnung oder Ausdrucksweise ankommt (Art. 18 Abs. 1 OR; BGE 128 III 265 E. 3a; BGE 127 III 444 E. 1b S. 445; BGE 126 III 119 E. 2a). Ein Vorbehalt der Freiwilligkeit ist unbehelflich, wenn er als nicht ernst gemeinte, leere Floskel angebracht wird, und die Arbeitgeberin durch ihr ganzes Verhalten zeigt, dass sie sich zur Auszahlung einer Gratifikation ![]() | 15 |
Vorliegend ist zwar nachgewiesen, dass die Gratifikation während des zwölf Jahre dauernden Arbeitsverhältnisses immer ausgerichtet worden ist. Der Kläger hat aber in keiner Weise dargetan, warum die Arbeitgeberin in dieser Zeit bei einer freiwilligen Leistung einen Grund hätte haben sollen, auf eine Ausrichtung zu verzichten. Auch insofern sind somit die Voraussetzungen für die Annahme einer stillschweigenden Vereinbarung nicht gegeben.
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In der Lehre wird aus der Pflicht des Arbeitgebers, die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu schützen (Art. 328 OR), und aus dem Persönlichkeitsschutz (Art. 28 ff. ZGB) auf einen allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz geschlossen (REHBINDER, a.a.O., N. 8 zu Art. 328 OR; DUC/SUBILIA, a.a.O., N. 23 zu Art. 322d OR; BRUNNER/BÜHLER/WAEBER, a.a.O., N. 6 zu Art. 322d OR; STREIFF/VON KAENEL, a.a.O., N. 20 zu Art. 322 OR und N. 12 zu Art. 328 OR; WYLER, a.a.O., S. 560; DANIEL MEYER, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im schweizerischen Arbeitsrecht, Diss. Zürich 1976, S. 109 ff., 127 f., 299). Zu beachten ist allerdings, dass auch eine unsachliche und willkürliche Entscheidung des Arbeitgebers nur dann eine Persönlichkeitsverletzung und damit einen Verstoss gegen das individuelle Diskriminierungsverbot darstellen kann, wenn darin eine den Arbeitnehmer verletzende Geringschätzung seiner Persönlichkeit zum Ausdruck kommt (GEISER, a.a.O, S. 45; vgl. auch DELBRÜCK, a.a.O., S. 73). Eine solche kann von vornherein nur gegeben ![]() | 21 |
3.2 Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz haben von weit über hundert in den Jahren 2000 und 2001 durch Kündigung aus den Diensten der Beklagten ausgetretenen Mitarbeitern nur einzelne im gekündigten Arbeitsverhältnis noch eine Gratifikation erhalten. Damit liegt kein Fall einer Benachteiligung eines Mitarbeiters gegenüber den anderen Mitarbeitern der Beklagten vor, sondern eine Begünstigung einzelner Arbeitnehmer, die ohne weiteres zulässig ist. Der Kläger macht nicht geltend und es ist auch nicht zu sehen, dass er aus der Ausrichtung von Gratifikationen oder Abgangsentschädigungen an andere Arbeitnehmer im gekündigten Arbeitsverhältnis auf eine entsprechende Vertragsänderung hätte schliessen dürfen. Dem angefochtenen Entscheid lässt sich nicht entnehmen, dass der Kläger vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses von der Ausrichtung einer Gratifikation an einzelne Arbeitnehmer nach der Kündigung Kenntnis gehabt hätte. Schon insoweit fehlen die Voraussetzungen dafür, dass er nach Treu und Glauben auf eine entsprechende Vertragsänderung hätte vertrauen dürfen.
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