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51. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. A. gegen B. und C. (Berufung) |
5C.212/2002 vom 24. April 2003 | |
Regeste |
Behandlung der Vorsorge- und Freizügigkeitsleistungen im Erbfall. | |
Sachverhalt | |
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Am 31. Oktober 1997 teilte die Freizügigkeitsstiftung X. den beiden Töchtern aus erster Ehe mit, gestützt auf ihr Reglement erfülle ![]() | 2 |
B.- Die beiden Töchter aus erster Ehe stellten sich auf den Standpunkt, die Freizügigkeitsleistung, jedenfalls soweit sie aus der überobligatorischen Vorsorge stamme, gehöre in die Erbmasse, und sie verlangten mit Klage vom 12. November 1999 die Verurteilung der Beklagten zur Bezahlung von Fr. 74'791.60, unter Nachklagevorbehalt für Fr. 82'858.90.
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Das Kantonsgericht Schaffhausen erwog, Leistungen aus der obligatorischen beruflichen Vorsorge (Säule 2a) seien nicht zum Nachlass zu rechnen; ebenso wenig sei es auf Grund des Vorsorgezweckes das entsprechende Freizügigkeitskapital. Anders verhalte es sich mit der Austrittsleistung der überobligatorischen beruflichen Vorsorge (Säule 2b), weil die Vorsorgevereinbarung hier als privatrechtlicher Vertrag zu qualifizieren sei. Des Weiteren befand das Kantonsgericht, die Ausschlagung des Erbes durch die Beklagte sei irrtümlich erfolgt und deshalb unbeachtlich. Ausgehend von diesen Erwägungen verurteilte es die Beklagte zur Bezahlung von Fr. 46'895.80 (von den Klägerinnen bezahlte Nachlassschulden von Fr. 19'000.- zuzüglich je ein Viertel des Nettonachlasses von Fr. 55'791.60 als Pflichtteil).
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Das Obergericht des Kantons Schaffhausen schloss sich dieser Auffassung an und verurteilte die Beklagte mit Urteil vom 30. August 2002 zur Bezahlung von Fr. 46'895.80 an die Klägerinnen. Es erwog dabei im Wesentlichen, die aus der überobligatorischen Vorsorge herrührenden Leistungen seien in (zumindest analoger) Anwendung von Art. 476 ZGB herabzusetzen, umso mehr als die vom Erbrecht abweichende Begünstigtenordnung gemäss Art. 15 der Verordnung vom 3. Oktober 1994 über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (Freizügigkeitsverordnung, FZV; SR 831.425) auf keiner genügenden gesetzlichen Grundlage basiere, nicht self-executing sei und auf einem elementaren Wertungsfehler beruhe.
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C.- Dagegen hat die Beklagte am 3. Oktober 2002 Berufung eingereicht mit den Begehren um Aufhebung des angefochtenen Urteils und um Abweisung der Herabsetzungs- und Erbteilungsklage. Mit Berufungsantwort vom 3. Januar 2003 haben die Klägerinnen auf Abweisung der Berufung geschlossen.
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Erwägung 2 | |
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2.2 Im Bereich der freiwilligen, der vor- und der vorliegend interessierenden überobligatorischen beruflichen Vorsorge (Säule 2b) wird das Rechtsverhältnis zwischen der Vorsorgeeinrichtung und dem Vorsorgenehmer durch einen privatrechtlichen Vorsorgevertrag begründet, der rechtsdogmatisch den Innominatverträgen zuzuordnen ist (BGE 118 V 229 E. 4b S. 232; BGE 122 V 142 E. 4b S. 145). Der Vorsorgevertrag ist funktional verwandt mit dem Lebensversicherungsvertrag im Sinne des VVG (SR 221.229.1). So wie die Begünstigten ihren Anspruch gegenüber einer Lebensversicherungsgesellschaft aus eigenem Recht (iure proprio) und nicht aus Erbrecht (iure hereditatis) erwerben (Art. 78 VVG; BGE 112 II 157 E. 1a S. 159 f.), haben die Anspruchsberechtigten auch bei der Säule 2b einen eigenen Anspruch gegen die Vorsorgeeinrichtung. Dieser basiert auf Art. 112 Abs. 2 OR, und entsprechend fallen die Leistungen der Vorsorgeeinrichtung nicht in die Erbmasse (BGE 112 II 38 E. 3 S. 39; BGE 116 V 218 E. 2 S. 222). Indes ist in der Lehre umstritten, ob die Leistungen aus der überobligatorischen Vorsorge oder jedenfalls die theoretische Austrittsleistung per Todestag in sinngemässer Anwendung von Art. 476 und 529 ZGB für die Berechnung der verfügbaren Quote zum Nachlass hinzuzurechnen seien (dafür: PIOTET, Prestations des institutions de prévoyance et droit successoral, in: ZBJV 117/1981 S. 292 ff., insb. S. 298 f.; ders., Stipulations pour autrui, prévoyance professionnelle et droit successoral, in: AJP 1997 S. 538; RIEMER, Das Recht der beruflichen Vorsorge in der Schweiz, Bern 1985, S. 122; REBER/MEILI, Todesfallleistungen aus über- und ausserobligatorischer beruflicher Vorsorge und ![]() | 8 |
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Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Vorsorgevertrag in der Praxis allenfalls bei höheren Kadern und gegebenenfalls beim Unternehmer individuell ausgestaltet wird (dazu E. 2.7).
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2.4 Hinsichtlich der praktischen Durchführung gilt es zu bedenken, dass die Berechnung der zukünftigen Rentenleistung namentlich beim überlebenden Ehegatten, aber auch bei Kindern, deren Ausbildungsdauer noch ungewiss ist, mit grossen Schwierigkeiten verbunden wäre. Mit einem Teil der Lehre statt die Rentenleistungen die rechnerische Austrittsleistung per Todestag der Herabsetzung zu unterstellen (so namentlich REBER/MEILI, a.a.O., S. 121 f.), wäre kein gangbarer Ausweg: Die Austrittsleistung richtet sich nach dem angesparten Vorsorgekapital (Beitragsprimat) und gegebenenfalls nach der Beitragsdauer (Leistungsprimat), während sich die Höhe der insgesamt ausbezahlten Rentensumme massgeblich aus der Dauer der Bezüge ergibt. Dieser Mechanismus würde beispielsweise ![]() | 12 |
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Ebenso wenig besteht zwischen den Säulen 2a und 2b ein funktionaler Unterschied: Während die AHV/IV-Leistungen (Säule 1a) sowie die Ergänzungsleistungen (Säule 1b) der Existenzsicherung im Alter dienen, will die berufliche Vorsorge in ihrer Gesamtheit die Fortführung der bisherigen Lebenshaltung nach Aufgabe der Erwerbstätigkeit garantieren. So ist denn die Bevorzugung der Witwe (und je nach Reglement des Witwers) sowie der unterhaltsberechtigten Waisen gegenüber den anderen Pflichtteilsberechtigten auch im überobligatorischen Bereich ein wesentliches Merkmal des Vorsorgevertrages (WEIMAR, a.a.O., N. 45 zu Art. 476 ZGB). Eben dieser Vorsorgezweck könnte ernsthaft in Frage gestellt sein, wenn die vom Vorsorgenehmer unterstützten Personen nach dessen Tod gegenüber den anderen gesetzlichen und den testamentarischen Erben herabsetzungspflichtig wären (vgl. etwa KOLLER, recht, a.a.O., S. 24).
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2.6 Die bisherigen Erwägungen stehen denn auch in Einklang mit den Grundgedanken des erbrechtlichen Pflichtteilsschutzes: Die "Überschreitung der Verfügungsbefugnis durch den Erblasser" bzw. eine "unentgeltliche Zuwendung" setzt einerseits Verfügungsfreiheit des Erblassers, andererseits willentliche Bevorzugung gewisser Personen und einen animus donandi voraus. Dies ist bei der Säule 2b ebenso wenig der Fall wie bei der Säule 2a: Wie vorstehend ausgeführt, ![]() | 15 |
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Erwägung 3 | |
3.1 Versicherte, welche die Vorsorgeeinrichtung verlassen, bevor ein Vorsorgefall eingetreten ist (Freizügigkeitsfall), haben Anspruch auf eine Austrittsleistung (Art. 2 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 17. Dezember 1993 über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [Freizügigkeitsgesetz, FZG; SR 831.42]). Kann diese nicht an eine neue Vorsorgeeinrichtung überwiesen werden und ist auch kein Barzahlungstatbestand gemäss Art. 5 FZG gegeben, muss der Vorsorgeschutz in anderer Form erhalten werden (Art. 4 Abs. 1 FZG), sei es mit einer Freizügigkeitspolice, sei es mit einem Freizügigkeitskonto (Art. 10 Abs. 1 FZV). Tritt der Versicherte wieder in ein Vorsorgeverhältnis ein, hat die Freizügigkeitseinrichtung das Vorsorgekapital an die neue Vorsorgeeinrichtung zu überweisen (Art. 4 Abs. 2bis FZG), ![]() | 17 |
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Hinterlässt der Versicherte einen Ehegatten oder unmündige Kinder, aber auch andere Personen, für die er aufgekommen ist, löst sein Ableben in der Regel eine klassische Vorsorgesituation aus. Es erscheint unbillig, den bedürftig gewordenen Hinterbliebenen die Vorsorge zu entziehen, die ihnen zu Teil geworden wäre, wenn das Vorsorgekapital nicht infolge Arbeitslosigkeit des Vorsorgenehmers oder aus anderen Gründen an eine Freizügigkeitseinrichtung überwiesen worden wäre. Es drängt sich deshalb auf, dieses für die Zeit, während der der Versicherte keiner Vorsorgeeinrichtung angehört, nicht anders zu behandeln, als wenn ein Vorsorgeverhältnis bestünde (GEISER, a.a.O., S. 102; AEBI-MÜLLER, Begünstigung, a.a.O., S. 41; dies., ZBJV, a.a.O., S. 513; IZZO, a.a.O., S. 333; a.M.: KOLLER, recht, a.a.O., S. 25).
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Es ist nicht zu übersehen, dass sich dabei Konstellationen ergeben können, die auf den ersten Blick stossend wirken. So könnte - wie im vorliegenden Fall - ein kurz vor der Volljährigkeit stehendes Kind bei einem Freizügigkeitskonto die ganze Leistung für sich beanspruchen, während seine volljährigen Geschwister leer ausgingen. Umgekehrt würde jedoch ein Kind, das noch über Jahre ![]() | 21 |
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Art. 29 Abs. 3 BVG bestimmte in der ursprünglichen Fassung vom 25. Juni 1982, dass der Vorsorgeschutz durch eine Freizügigkeitspolice oder in anderer gleichwertiger Form zu erhalten sei, wenn die Austrittsleistung weder einer neuen Vorsorgeeinrichtung überwiesen noch bei der alten belassen werden könne (AS 1983 S. 803). Der damalige Art. 29 Abs. 4 BVG ermächtigte den Bundesrat, die Errichtung, den Inhalt und die Rechtswirkungen der Freizügigkeitspolicen und der anderen Erhaltungsformen zu regeln. Gestützt auf diese Ermächtigungsnorm hat der Bundesrat am 12. November 1986 die Verordnung über die Erhaltung des Vorsorgeschutzes und die Freizügigkeit erlassen (AS 1986 S. 2008). Art. 6 Abs. 1 lit. b dieser Verordnung erklärte als Begünstigte für den Todesfall die Hinterlassenen nach Art. 18-22 BVG (Ziff. 1), die übrigen Kinder, den Witwer und die Personen, die vom Vorsorgenehmer in erheblichem Masse unterstützt worden sind (Ziff. 2) sowie die übrigen Erben (Ziff. 3).
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Mit dem Freizügigkeitsgesetz ist der seinerzeitige Art. 29 BVG ersatzlos aufgehoben worden (Anhang zum FZG, Ziff. 3). Dafür bestimmt nunmehr Art. 26 Abs. 1 FZG, dass der Bundesrat die Ausführungsvorschriften erlasse und die zulässigen Formen der ![]() | 24 |
Wenn auch die Delegationsnorm von Art. 26 Abs. 1 FZG allgemein gehalten ist, muss sie vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte des Freizügigkeitsrechts gelesen werden. Diese lässt keinen anderen Schluss zu, als dass der Gesetzgeber des FZG, der die Begünstigtenregelung der früheren Verordnung kannte, davon ausgehen durfte und musste, diese würde durch Überführung in die neue Verordnung gleich oder jedenfalls nicht wesentlich anders ausfallen. Indem der Gesetzgeber auf eine eigene Regelung im FZG verzichtet hat, billigte er konkludent die seit 1987 auf Verordnungsstufe bestehende. Als dergestalt vom Gesetzgeber sanktionierte Spezialregelung geht sie den älteren und allgemeinen Bestimmungen des Erbrechts vor. Ausser Zweifel steht schliesslich, dass die Vorschriften des FZG auf alle beruflichen Vorsorgeverhältnisse anwendbar sind und insbesondere auch den überobligatorischen Bereich umfassen (BBl 1992 III 570). Nichts anderes gilt für die vom Bundesrat erlassene FZV (Bericht der Arbeitsgruppe Freizügigkeit in der beruflichen Vorsorge, Bern 1990, S. 126 Fn. 17).
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4.1 Die Vorinstanz hat diesbezüglich ausgeführt, die blossen Meinungsäusserungen der Klägerinnen hätten die massgebliche Rechtslage nicht verbindlich zu klären vermocht und die Beklagte habe sich angesichts der kontroversen Lehre auf die von der Freizügigkeitsstiftung vertretene Auffassung verlassen dürfen, dass das ![]() | 28 |
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Hingegen befürworten die Kommentatoren, die Ausschlagungserklärung in sinngemässer Anwendung von Art. 23 ff. OR der Anfechtung zu unterstellen (TUOR/PICENONI, a.a.O., N. 6 zu Art. 570 ZGB; ESCHER, a.a.O., N. 8 zu Art. 570 ZGB; SCHWANDER, a.a.O., N. 4 zu Art. 566 ZGB). Wie es sich damit im Einzelnen verhält, kann vorliegend offen gelassen werden: Angesichts der Kontroverse über die Frage, wie die überobligatorische Vorsorge und die Freizügigkeitsleistung erbrechtlich zu behandeln seien, musste die Beklagte über die Vor- und Nachteile der Ausschlagung abwägen. Indem sie sich für die Ausschlagung entschied, nahm sie das Risiko in Kauf, die Freizügigkeitsleistung oder jedenfalls den aus der überobligatorischen Vorsorge stammenden Teil im Klagefall herausgeben zu müssen.
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