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84. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. Tamedia AG und Hasler gegen Kraska (Berufung) |
5C.104/2003 vom 8. August 2003 | |
Regeste |
Art. 28 ZGB; Persönlichkeitsverletzung durch Gerichtsberichterstattung. | |
Sachverhalt | |
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Während des seit 30. Januar 1998 pendenten ersten Berufungsverfahrens erschien im Tages-Anzeiger vom 20. März 1998 unter dem Titel "Klage gegen den TA abgewiesen" eine kleine, von Thomas Hasler verfasste Notiz, umfassend 27 Zeilen bei einer Breite von einer Spalte, mit folgendem Wortlaut:
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Die 3. Abteilung des Bezirksgerichts Zürich hat eine Klage des Zürcher Arztes Martin Kraska gegen die TA-Media AG und eine TA-Journalistin wegen Persönlichkeitsverletzung vollumfänglich abgewiesen. Im August 1995 hatte der "Tages-Anzeiger" unter dem Titel "Die seltsamen Methoden des Dr. Martin Kraska" über die von Kraska geführten Prozesse, seinen Privatkonkurs und den Versuch, sich der Zwangsvollstreckung zu entziehen, aber auch über seine unsaubere Rechnungsstellung, sein hartes Vorgehen bei der Eintreibung der entsprechenden Beträge und seinen Umgang mit Patienten berichtet. Laut Gericht sind die beanstandeten Behauptungen "wahrheitsgetreu"; allfällige Ungenauigkeiten oder Wertungen liessen den Kläger nicht in einem falschen Licht erscheinen. Die Berichterstattung sei auch verhältnis- und rechtmässig, weil das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit "deutlich grösser" sei als ein allfälliges Schutzbedürfnis des Klägers. Kraska akzeptiert das Urteil nicht und hat Berufung erklärt.
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B.- Diese Notiz nahm Martin Kraska zum Anlass, erneut Klage auf Feststellung einer Persönlichkeitsverletzung zu erheben. Des Weiteren verlangte er die Urteilspublikation, eine Genugtuung sowie die Unterlassung weiterer Berichterstattung. In teilweiser Gutheissung dieser Begehren stellte das Bezirksgericht Zürich, 3. Abteilung, in seinem Urteil vom 13. Oktober 2000 fest, dass der Kläger durch die Notiz im Tages-Anzeiger in seiner Persönlichkeit insoweit widerrechtlich verletzt sei, als er darin namentlich erwähnt worden sei. Des Weiteren sprach es ihm eine Genugtuung von Fr. 1'000.- zu und verbot den Beklagten, das Urteil des Bezirksgerichts vom 19. Dezember 1997 vor rechtskräftiger Erledigung der Sache so zu kommentieren, dass der Kläger als Beteiligter identifizierbar ist. Mit ![]() | 4 |
C.- Gegen das Urteil des Obergerichts haben die Beklagten Berufung erhoben, im Wesentlichen mit dem Begehren um Aufhebung des angefochtenen Urteils und um Klageabweisung. Mit seiner Berufungsantwort und Anschlussberufung vom 2. Juli 2003 verlangt der Kläger die Abweisung der Berufung und eine Genugtuung von Fr. 1'000.-.
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Das Bundesgericht heisst die Berufung gut.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 3 | |
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In jedem Fall ist aber das Interesse des Individuums auf Unversehrtheit seiner Person sorgfältig gegen dasjenige der Presse auf Information der Öffentlichkeit abzuwägen. Bei diesem Vorgang steht dem Richter ein Ermessen zu (Art. 4 ZGB; BGE 122 III 449 E. 3b und 3c S. 456 f.; BGE 126 III 209 E. 3a S. 212). Dabei kann die Rechtfertigung stets nur so weit reichen, als ein Informationsbedürfnis besteht. Soweit ein solches zu verneinen ist, bleibt es bei der Widerrechtlichkeit ![]() | 8 |
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In der schweizerischen Tradition sind die Gerichtsverhandlungen im Grundsatz öffentlich. Dabei erstreckt sich die Publikumsöffentlichkeit regelmässig auf die mündlichen Verhandlungen sowie die Urteilsverkündung und -begründung, vor Bundesgericht und in einigen Kantonen teilweise auch auf die Urteilsberatung; Garantien für die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung sind in Art. 4 Abs. 1 aBV bzw. Art. 30 Abs. 3 BV und in Art. 6 Abs. 1 EMRK enthalten. Für den Bürger soll ersichtlich sein, wie der Richter die ihm vom jeweiligen Wahlkörper übertragene Verantwortung wahrnimmt, und der Grundsatz der publikumsöffentlichen Verhandlung dient ganz allgemein einer transparenten Justiztätigkeit und Rechtsfindung. Da nicht jedermann jederzeit an beliebigen Gerichtsverhandlungen teilnehmen kann, übernehmen die Medien mit ihrer Gerichtsberichterstattung insofern eine wichtige Brückenfunktion, als sie die richterliche Tätigkeit einem grösseren Publikum zugänglich machen. Die Gerichtsberichterstattung dient damit einer verlängerten bzw. mittelbaren Gerichtsöffentlichkeit (GUIGNARD, Die Gerichtsberichterstattung, in: 50 Jahre aargauischer Juristenverein, Aarau 1986, S. 60), und in diesem Sinn besteht an ihr ein erhebliches öffentliches Interesse. Entgegen den sinngemässen Ausführungen der Vorinstanzen beschränkt sich dieses keineswegs auf letztinstanzliche Urteile, da die richterliche Tätigkeit überwiegend von unterinstanzlichen Gerichten wahrgenommen wird und auch diese der Kontrolle durch die Öffentlichkeit unterliegen.
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Bei der Gerichtsberichterstattung stehen sich demnach das sich aus der Gerichtsöffentlichkeit ergebende Informationsinteresse der Allgemeinheit und das Schutzinteresse der Prozessbeteiligten gegenüber (GUIGNARD, a.a.O., S. 67). Namentlich im Strafprozess kann die detaillierte Ausbreitung der persönlichen Verhältnisse in die Privat- oder gar Geheimsphäre des Angeschuldigten eingreifen, und sie ist im Übrigen auch geeignet, die Unschuldsvermutung zu verletzen. Deshalb erfolgt die Gerichtsberichterstattung hier normalerweise ![]() | 11 |
Erwägung 4 | |
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4.2 Im vorliegenden Fall ist die besondere Konstellation gegeben, dass der Tages-Anzeiger Partei des Verfahrens ist, über das er Bericht erstattet hat. Damit hat er gleichsam in eigener Sache berichtet, was heikel sein kann. Die Vorinstanzen weisen jedenfalls zu Recht darauf hin, dass der Tages-Anzeiger im Ergebnis einen Etappensieg ![]() | 13 |
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Die vorliegend zu beurteilende Berichterstattung trug nicht über ein abstraktes Rechtsproblem, sondern es ging um die Frage, ob ein bestimmter Zeitungsartikel, in dem klar definierte Vorwürfe an eine namentlich genannte Einzelperson erhoben worden sind, deren Persönlichkeit verletzt hat. Diese Frage ist vom konkreten Sachverhalt nicht zu lösen und insofern ist eine für den Durchschnittsleser nachvollziehbare Berichterstattung ohne Namensnennung nur schwer denkbar. Dazu kommt, dass es sich beim Kläger um eine relativ prominente Person handelt und er deshalb eine Berichterstattung mit Nennung seines Namens eher in Kauf nehmen muss (BGE 126 III 305 E. 4b/aa S. 307; BGE 127 III 481 E. 2c/aa S. 489). So hat denn auch das Bundesgericht im bereits mehrmals zitierten BGE 126 III 209, in dem es um seinerzeit vom Sonntagsblick erhobene, ebenfalls die Geschäftspraktiken des Klägers betreffende Vorwürfe ging, von einer Anonymisierung des Entscheides abgesehen und den Kläger im amtlich publizierten Urteil mit vollem Namen genannt.
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