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85. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. A.R. gegen B.R. (Berufung) |
4C.22/2003 vom 16. Mai 2003 | |
Regeste |
Schiedsgutachten; Fälligkeit einer Kaufpreisforderung; Inverzugsetzung durch Mahnung. |
Anforderungen an die Mahnung, den Kaufpreis zu zahlen, wenn dessen Höhe im Zeitpunkt der Fälligkeit noch nicht bestimmt ist (E. 3). |
Ergänzung eines lückenhaften Kaufvertrages (E. 4). | |
Sachverhalt | |
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"Die Beschenkten haben ein gegenseitiges Vorkaufsrecht im Verhältnis ihres bisherigen Besitzes auf die Aktien der J.R. AG. Der Preis richtet sich nach der letzten vor dem Verkaufsdatum geschlossenen Bilanz, ergänzt durch stille und offene Reserven sowie latente Steuern, sinngemäss berechnet wie per 31. Dez. 1982. Bei Meinungsverschiedenheiten ist der Preis endgültig durch die Kontrollstelle festzulegen."
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Unter Ziffer 11 des Vertrages wurde sodann festgehalten:
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"Scheidet ein Beschenkter als Verwaltungsrat resp. Mitarbeiter aus der J.R. AG aus, hat er seine Aktien gemäss Ziff. 7 (recte Ziff. 9) zu verkaufen und die Mitaktionäre sind verpflichtet, diese käuflich zu übernehmen. Vorbehalten bleiben die Bestimmungen des Erbrechts."
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B.- Im März 1990 schied C.R. aus der J.R. AG Bauunternehmung aus und verkaufte im Einverständnis mit seinem Bruder B. sein Aktienpaket an A. Gemäss Kaufvertrag vom 15. März 1990 betrug der Kaufpreis für die 60 Namenaktien Fr. 1'450'000.-.
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Im Oktober 1992 trat auch B.R. als Verwaltungsrat zurück. Sein Arbeitsverhältnis mit der Gesellschaft wurde auf Ende 1992 aufgelöst. In der Folge forderte B.R. seinen Bruder A. unter Hinweis auf die Regelung im Schenkungsvertrag vom 22. Dezember 1983 auf, ihm die 60 Namenaktien der J.R. AG abzukaufen. Nachdem sich die beiden Brüder nicht über den Preis der Aktien einigen konnten, leitete B.R. ein gerichtliches Befehlsverfahren ein, das mit Entscheid des Obergerichts des Kantons Luzern vom 17. Januar 1996 abgeschlossen wurde. Damit wurde A.R. befohlen, der Revisionsstelle der J.R. AG, der D. Treuhand AG in G., den Auftrag zur Festlegung des Kaufpreises der Namenaktien zu erteilen.
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Die D. Treuhand AG kam in ihrem schriftlichen Gutachten vom 29. Januar 1997 zum Ergebnis, das für die Preisbestimmung massgebende Eigenkapital der Gesellschaft betrage Fr. 3'842'775.-, was einen Wert von Fr. 19'214.- pro Aktie ergebe. Mit einem solchen Kaufpreis waren weder B. noch A. einverstanden.
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C.- B.R. reichte am 17. Dezember 1997 beim Amtsgericht Luzern-Land Klage gegen A.R. ein. Der Kläger verlangte unter anderem, der Beklagte habe ihm im Gegenzug zur Übertragung von 60 Namenaktien der J.R. AG Fr. 1'800'000.- nebst 5% Zins seit ![]() | 8 |
Mit Urteil vom 5. September 2001 stellte das Amtsgericht Luzern-Land fest, dass das Schiedsgutachten der D. Treuhand AG vom 29. Januar 1997 weiterhin zwischen den Parteien Recht mache. Es verpflichtete den Beklagten, dem Kläger im Gegenzug zur Übertragung von 60 Namenaktien der J.R. AG den Betrag von je Fr. 19'214.- pro Aktie, somit total Fr. 1'152'840.- nebst 5% Zins seit 4. Februar 1993 zu zahlen.
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Der Beklagte appellierte an das Obergericht des Kantons Luzern. Dieses wies das Rechtsmittel mit Urteil vom 21. November 2002 ab und bestätigte den Entscheid des Amtsgerichts.
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D.- Mit Berufung beantragt der Beklagte dem Bundesgericht, das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 21. November 2002 aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen; eventuell das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als es den Beklagten zur Zahlung eines Zinses von 5% seit 4. Februar 1993 verpflichte.
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Das Bundesgericht weist die Berufung ab, soweit es auf sie eintritt.
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Aus den Erwägungen: | |
2. Die Parteien haben im Schenkungsvertrag vom 22. Dezember 1983 vereinbart, dass der Wert der Aktien durch die Kontrollstelle als Schiedsgutachterin zu bestimmen sei, falls sie sich nicht darüber einigen könnten. Damit haben sie sich zum Abschluss eines Schiedsgutachtervertrages verpflichtet für den Fall, dass die Höhe des Kaufpreises für die Aktien streitig bleiben würde. Als Schiedsgutachtervertrag wird eine Vereinbarung bezeichnet, mit der ein Dritter beauftragt wird, für die Parteien eines Rechtsverhältnisses verbindlich bestimmte tatsächliche Feststellungen zu treffen oder bestimmte Rechtsfragen zu beantworten (BGE 117 Ia 365 E. 5 und 6; Urteil C.239/1986 vom 14. November 1986, E. 1, publ. in: SJ 1987 S. 223 f.; STEIN/JONAS/SCHLOSSER, Kommentar zur Zivilprozessordnung, Bd. 9, 22. Aufl., Tübingen 2002, Rz. 21 vor § 1025). In der Lehre ist umstritten, ob es sich um ein Rechtsinstitut des materiellen Privatrechts oder des Prozessrechts handelt (vgl. FRANK/STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, ![]() | 13 |
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Diese Meinung, der sich auch die beiden kantonalen Gerichte angeschlossen haben, orientiert sich weitgehend an der deutschen Lehre und Rechtsprechung zu § 64 Abs. 1 des deutschen VVG bzw. § 319 BGB. Danach gelten Bewertungsgutachten als offenbar unrichtig bzw. unbillig, wenn sie um mehr als 25% von dem auf objektiver Grundlage ermittelten Wert abweichen (STEIN/JONAS/SCHLOSSER, a.a.O., Rz. 24 vor § 1025; STAUDINGER/RIEBLE, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Neubearbeitung 2001, Rz. 14 zu § 319; RÖMER/LANGHEID, Versicherungsvertragsgesetz VVG, 2. Aufl., München 2003, Rz. 16 ff. zu § 64).
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Massgebend ist nicht der Vergleich des Schiedsgutachtens mit einem anderen Gutachten zum gleichen Thema, sondern der Vergleich des Schiedsgutachtens mit dem objektiv ermittelten Sachverhalt. Das kommt bei HÖNGER/SÜSSKIND (a.a.O., N. 17 zu Art. 67 VVG) deutlich zum Ausdruck, während die Äusserungen der in der Berufungsschrift ebenfalls zitierten ROELLI/JAEGER (Kommentar zum Schweizerischen Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag vom 2. April 1908, 2. Bd., Bern 1932) weniger eindeutig zu sein scheinen. Diese Autoren schliessen sich einerseits der damaligen deutschen Rechtsprechung an (N. 44 und 45 zu Art. 67 VVG), führen dagegen an anderer Stelle aus, der Vergleich mit dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen könne unter bestimmten Umständen ![]() | 17 |
Festzuhalten ist somit, dass die Äusserungen von ROELLI/JAEGER in N. 46 zu Art. 67 VVG für den vorliegenden Fall nicht einschlägig sind, weil sie sich auf einen Sachverhalt beziehen - die Schätzung von Sachschaden -, der hier nicht vorliegt. Im Übrigen erschöpfen sich die Äusserungen dieser Autoren genau besehen im Hinweis darauf, dass ein Vergleich zwischen Schiedsgutachten und gerichtlichem Gutachten ein Indiz für allfällige grobe Fehler des Schiedsgutachters in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht bilden kann. Diese Erkenntnis hat das Obergericht aber berücksichtigt, indem es die beiden Gutachten miteinander verglichen und zu den Abweichungen, die vor allem hinsichtlich der Bewertung der Liegenschaften bestehen, Stellung genommen hat. Das Obergericht ist jedoch zum Ergebnis gekommen, dass der Schiedsgutachterin keine gravierenden Fehler unterlaufen sind. Soweit es bei der Prüfung des Schiedsgutachtens tatsächliche Feststellungen getroffen hat, sind diese für das Bundesgericht verbindlich (Art. 63 Abs. 2 OG). Die mit der Berufung gegen diese Feststellungen oder die Beweiswürdigung des Obergerichts erhobene, allgemein gehaltene Kritik ist nicht zu hören.
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2.3 Unbegründet ist sodann der Vorwurf des Beklagten, das Obergericht hätte die Aktienwertberechnung der Schiedsgutachterin nicht "einzelpositionsweise" mit jener des gerichtlichen Experten vergleichen dürfen. Wie bereits festgehalten wurde, hatte das Obergericht zu beurteilen, wie weit die Feststellungen und Schätzungen der Schiedsgutachterin mit dem objektiv ermittelten Sachverhalt übereinstimmen bzw. davon abweichen. Dabei ist es richtigerweise so vorgegangen, dass es die einzelnen streitigen Positionen unter Auseinandersetzung mit den Parteivorbringen mit jenen im gerichtlichen ![]() | 19 |
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Für den Kaufvertrag bestimmt Art. 213 Abs. 1 OR, dass der Kaufpreis mit dem Übergang des Kaufgegenstandes in den Besitz des Käufers fällig wird, falls kein anderer Zeitpunkt vereinbart ist. Diese Bestimmung ist richtig ausgelegt als Bestätigung des Grundsatzes zu verstehen, dass Verkäufer und Käufer ihre Leistungen gleichzeitig - Zug um Zug - zu erfüllen haben (Art. 184 Abs. 2 OR; CAVIN, Schweizerisches Privatrecht, Bd. VII/1, Basel 1977, S. 18). Der Verkäufer ist somit nicht zur Vorleistung verpflichtet, um die Fälligkeit des Kaufpreises zu bewirken. Es genügt, wenn er seine Leistung anbietet (ALFRED KOLLER, Basler Kommentar, Obligationenrecht I, 2. Aufl., Basel 1996, N. 1 zu Art. 213 OR). Daraus ergibt sich, dass das Obergericht entgegen der Rüge des Beklagten weder Art. 82 noch Art. 184 Abs. 2 OR verletzt hat, indem es entschied, dass der Kläger die Aktien nicht hinterlegen musste, um den Beklagten in Verzug zu setzen. Es genügte, dass der Kläger jederzeit über die Aktien verfügen konnte und er die Möglichkeit hatte, sie dem Beklagten Zug um Zug gegen Zahlung des Kaufpreises auszuhändigen. Was der Kläger in diesem Zusammenhang gegen das angefochtene Urteil einwendet, beruht auf einer Verkennung des Begriffs des Leistungsangebots und ist nicht zu hören.
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Auf diesem Hintergrund ist das Schreiben des Rechtsanwalts des Klägers vom 3. Februar 1993 und die schriftliche Antwort des Rechtsanwalts des Beklagten vom 17. Februar 1993 zu würdigen. Im Brief vom 3. Februar 1993 wird namentlich festgehalten, dass der Beklagte zur Übernahme der Aktien des Klägers verpflichtet und die Festsetzung des Preises in Ziffer 9 des Schenkungsvertrages eindeutig geordnet sei. Es wird sodann ausgeführt, der Beklagte und sein Anwalt seien wiederholt auf die Aktienübernahme aufmerksam gemacht worden, und festgestellt, dass sich der Beklagte der Nichterfüllung des Schenkungsvertrages schuldig mache; der Beklagte werde ausdrücklich in Verzug gesetzt, wobei zum Übernahmepreis ein Zins geschuldet sei. Schliesslich wird der Beklagte aufgefordert, bis zum 27. Februar 1993 eine Offerte für die Übernahme der Aktien zu unterbreiten.
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Dieses Schreiben erfüllt die Anforderungen an eine Mahnung, die zur Inverzugsetzung des Schuldners geeignet ist. Damit wird deutlich zum Ausdruck gebracht, dass der Beklagte seine Verpflichtungen aus dem Kaufvertrag erfüllen soll, wobei dazu nicht ![]() | 33 |
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