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113. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. X. SA gegen Y. AG (Berufung) |
4C.132/2003 vom 15. September 2003 | |
Regeste |
Art. 43 OG; Art. 4, 5 und 7 des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und aussergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen (HZÜ; SR 0.274.131). |
Wenn das Zustellungsersuchen mangelhaft ist, die ersuchte Behörde die Zustellung aber dennoch vornimmt, kann nicht wegen mangelhaftem Ersuchen auf eine ungültige Zustellung geschlossen werden (E. 3.1). Wenn das zuzustellende Schriftstück von der ersuchten Behörde in der Form der einfachen Übergabe zugestellt wird, ist eine Übersetzung dieses Schriftstückes nicht erforderlich (E. 3.2). | |
Sachverhalt | |
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B.- Da die Beklagte auch die erstreckte Nachfrist unbenutzt verstreichen liess, wurde der Schriftenwechsel abgeschlossen und die Parteien zunächst auf den 22. April 2002 und anschliessend wegen Zustellproblemen auf den 26. November 2002 zur Hauptverhandlung vorgeladen. Da sich die Beklagte zwischenzeitlich von einem Anwalt vertreten liess, musste die Verhandlung auf den 11. Februar 2003 verschoben werden. Am 17. Dezember 2002 legte der von der Beklagten beigezogene Anwalt sein Mandat nieder. Eine Eingabe, welche die Beklagte dem Handelsgericht am 10. Februar 2003 per Fax zugesandt hatte, wurde aus dem Recht gewiesen. Zur Hauptverhandlung vom 11. Februar 2003 erschien die Beklagte nicht, worauf die Verhandlung in Abwesenheit der Beklagten durchgeführt wurde. Mit Entscheid vom 11. Februar 2003 verpflichtete das Handelsgericht des Kantons St. Gallen die Beklagte, der Klägerin Euro 27'501.80 nebst Zins zu bezahlen.
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C.- Mit Berufung vom 5. Mai 2003 beantragt die Beklagte dem Bundesgericht, den Entscheid des Handelsgerichts des Kantons St. Gallen vom 11. Februar 2003 aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht weist die Berufung ab, soweit darauf einzutreten ist.
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Aus den Erwägungen: | |
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2.2 Gemäss Art. 43 Abs. 1 Satz 1 OG kann mit Berufung geltend gemacht werden, der angefochtene Entscheid beruhe auf Verletzung des Bundesrechts mit Einschluss der durch den Bund abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge. Liegt eine Zivilrechtsstreitigkeit vor, kann in der Berufung jede Norm des Bundesrechts - mit Ausnahme der verfassungsmässigen Grundrechte (Art. 43 Abs. 1 Satz 2 OG) - ungeachtet ihrer privat- oder öffentlichrechtlichen Natur als verletzt gerügt werden. Insbesondere kann in der Berufung auch die Verletzung bundesrechtlicher Prozessvorschriften beanstandet werden ![]() | 10 |
2.3 Daran ändert auch der Einwand der Klägerin nichts, dass die Frage, ob die Vorinstanz zu Recht im Säumnisverfahren entschieden habe, nach kantonalem Recht zu beurteilen sei und insoweit eine Berufung ausser Betracht falle. Richtig ist zwar, dass sich die Regelung des Säumnisverfahrens nach kantonalem Recht richtet, welches nicht Gegenstand einer Berufung sein kann. Ebenso wenig kann mit Berufung die Verletzung von bundesrechtlichen Vorschriften gerügt werden, die im freien Rechtsetzungsbereich der Kantone in deren Recht integriert und damit zu kantonalem Recht wurden (BGE 127 III 248 E. 1b S. 251; BGE 126 III 370 E. 5 S. 371 f., je mit Hinweisen; POUDRET/SANDOZ-MONOD, a.a.O., N. 1.4.1 zu Art. 43 OG, S. 130 sprechen von "droit cantonal supplétif"). Demgegenüber gelten bundesrechtliche oder staatsvertragliche Vorfragen zu kantonalem Prozessrecht als berufungsfähig, wenn das eidgenössische Recht bzw. das Staatsvertragsrecht dem kantonalen Recht gebietet, dem Entscheid über die Vorfrage Rechnung zu tragen (BGE 125 III 461 E. 2 S. 463; BGE 115 II 237 E. 1c S. 241, je mit Hinweisen; POUDRET/SANDOZ-MONOD, a.a.O., N. 1.4.1 zu Art. 43 OG, S. 129 f.). Im vorliegenden Fall ist für die Beurteilung der Frage, ob das Handelsgericht berechtigt war, im Säumnisverfahren zu entscheiden, zunächst zu prüfen, ob die Fristansetzungen und Vorladungen entsprechend den Bestimmungen des HZÜ zugestellt worden sind. Dabei ist den Bestimmungen des Zustellungsübereinkommens zwingend Rechnung zu tragen. Andernfalls wäre insbesondere nicht sichergestellt, dass das Säumnisurteil anerkannt und vollstreckt werden kann (vgl. Art. 27 Ziff. 2 LugÜ [SR 0.275.11], nach welcher Bestimmung die Anerkennung verweigert werden kann, wenn nicht feststeht, dass dem Beklagten das verfahrenseinleitende Schriftstück ordnungsgemäss ![]() | 11 |
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Nicht einzutreten ist auf die Berufung hingegen insoweit, als der Vorinstanz sinngemäss eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) vorgeworfen wird, weil im angefochtenen Entscheid nicht auf den Einwand eingegangen worden sei, die Zustellungen seien nicht formgerecht vorgenommen worden. Die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten ist mit staatsrechtlicher Beschwerde geltend zu machen (Art. 43 Abs. 1 Satz 2 und Art. 84 Abs. 1 lit. a OG). Diesbezüglich steht eine Berufung nicht zur Verfügung.
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3.1 Zunächst ist zu prüfen, ob das Zustellungsersuchen in formeller Hinsicht korrekt gestellt worden ist. Gemäss Art. 3 Abs. 1 HZÜ ist für das Zustellungsersuchen das Musterformular zu verwenden, welches dem Haager Zustellungsübereinkommen als Anhang beigefügt ist. Im vorliegenden Fall ist unbestritten und aktenkundig, dass die Vorinstanz für ihr Rechtshilfeersuchen das Musterformular ![]() | 15 |
Das formell mangelhafte Zustellungsersuchen bedeutet indessen entgegen der Darstellung der Beklagten nicht ohne weiteres, dass auch die eigentliche Zustellung unwirksam sei, wenn sie von der ersuchten Behörde trotz der formellen Mängel des Ersuchens durchgeführt wurde. Für den Fall eines Ersuchens, das nicht den Vorschriften des Übereinkommens entspricht, sieht Art. 4 HZÜ nämlich nur vor, dass die ersuchte Behörde die ersuchende Stelle unverzüglich unterrichtet und ihre Einwände im Einzelnen anführt. Demgegenüber kann dem Übereinkommen nicht entnommen werden, dass ein formell mangelhaftes Ersuchen, welchem die ersuchte Behörde trotz der Mangelhaftigkeit entspricht, zu einer unwirksamen Zustellung führt. Im Gegenteil wird in der Literatur die Meinung vertreten, dass ein Vorgehen nach Art. 4 HZÜ nur dann angezeigt sei, wenn die formellen Mängel nach Ansicht der ersuchten Behörde eine Zustellung einstweilen verunmöglichten. Demgegenüber dürfe die Anhandnahme eines Zustellungsersuchens nicht deshalb abgelehnt werden, weil nicht die zutreffende Sprache verwendet worden sei, solange der ersuchten Behörde der Inhalt des Ersuchens verständlich sei (THOMAS PIUS BISCHOF, Die Zustellung im internationalen Rechtsverkehr in Zivil- oder Handelssachen, Diss. St. Gallen 1997, S. 279 f. m.w.H.). Da der Procureur im vorliegenden Fall durch die Vornahme der Zustellung zum Ausdruck gebracht hatte, dass ihm der Inhalt des - formell an sich mangelhaften Ersuchens - verständlich gewesen war, kann insofern nicht auf eine ungültige Zustellung geschlossen werden.
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3.2 Es stellt sich damit nur die Frage, ob die von der ersuchten Behörde vorgenommene eigentliche Zustellung korrekt durchgeführt ![]() | 17 |
Weder bei einer Zustellung durch einfache Übergabe noch bei förmlicher Zustellung ist nach dem Haager Zustellungsübereinkommen eine Übersetzung vorgeschrieben. Bei einer förmlichen Zustellung nach Art. 5 Abs. 1 HZÜ hat die ersuchte Behörde jedoch das Recht, gestützt auf Art. 5 Abs. 3 HZÜ eine Übersetzung zu verlangen (BISCHOF, a.a.O., S. 305; Bundesamt für Justiz, Die internationale Rechtshilfe in Zivilsachen, Wegleitung, Ausgabe 1996, S. 9). Im Verhältnis zwischen Frankreich und der Schweiz sieht Art. 4 der Erklärung für den Fall der förmlichen Zustellung ("Zustellung ... durch öffentliche Beamte") zwingend eine Übersetzung vor, so dass die ersuchte Behörde bei einer förmlichen Zustellung nicht nur das Recht hat, eine Übersetzung zu verlangen (Art. 5 Abs. 3 HZÜ), sondern verpflichtet ist, auf einer Übersetzung zu bestehen (Art. 4 Erklärung). Anders verhält es sich demgegenüber bei einer Zustellung durch einfache Übergabe, wie sie im vorliegenden Fall durchgeführt wurde. Wie die Beklagte selbst zutreffend ausführt, erübrigt sich in diesem Fall eine Übersetzung (vgl. Bundesamt für Justiz, a.a.O., S. 9). Folglich stellt das Fehlen einer Übersetzung bei einer formlosen Zustellung durch einfache Übergabe keinen Mangel dar (BISCHOF, a.a.O., S. 306, mit zahlreichen Hinweisen auf ausländische Literatur und Rechtsprechung in Fn. 444). Die Behauptung der Beklagten, es liege ein Zustellungsmangel vor, weil die Klage, die Aufforderung zur Einreichung einer Klageantwort und die Nachfristansetzung zur Einreichung einer Klageantwort nicht übersetzt ![]() | 18 |
3.3 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Zustellungsersuchen insofern mangelhaft war, als die darauf vorgenommenen Eintragungen nicht in französischer oder englischer Sprache abgefasst waren. Da die ersuchte französische Behörde indessen die Zustellung wie verlangt vorgenommen hat, obwohl das Ersuchen in formeller Hinsicht nicht einwandfrei war, hat sie zum Ausdruck gebracht, dass für sie der Inhalt des Ersuchens verständlich war (E. 3.1). Die eigentliche Zustellung ist entgegen der Meinung der Beklagten nicht zu beanstanden. Wenn wie im vorliegenden Fall durch einfache Übergabe zugestellt wird, ist eine Übersetzung nicht erforderlich, so dass der Einwand, wegen fehlender Übersetzung der zugestellten Dokumente liege ein Zustellungsmangel vor, nicht überzeugt (E. 3.2). Damit erweist sich auch die Meinung als unzutreffend, die Vorinstanz habe Art. 15 HZÜ verletzt, weil sie das Verfahren nicht bis zur rechtswirksamen Zustellung ausgesetzt, sondern im Säumnisverfahren entschieden habe. Da die Zustellungen rechtswirksam vorgenommen wurden, bestand kein Anlass für das Handelsgericht, das Verfahren auszusetzen.
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