BGE 130 III 400 | |||
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51. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer i.S. Ausgleichskasse Z. (Beschwerde) |
7B.41/2004 vom 17. Mai 2004 | |
Regeste |
Pfändbarkeit von Taggeldern nach dem Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung, Beschwerdelegitimation (Art. 17 ff., Art. 92 Abs. 1 Ziff. 9a und Art. 93 Abs. 1 SchKG). |
Die Taggelder der Invalidenversicherung stellen keine absolut unpfändbaren Vermögenswerte, sondern beschränkt pfändbares Einkommen gemäss Art. 93 Abs. 1 SchKG dar (E. 3). | |
Sachverhalt | |
A. Das Betreibungsamt Obwalden erliess in der gegen Y. laufenden Betreibung Nr. x am 4. September 2003 die Pfändungsurkunde. Gleichentags zeigte das Betreibungsamt der Ausgleichskasse Z. an, dass von dem seit 7. Juli 2003 an den Schuldner ausgerichteten IV-Taggeld der sein Existenzminimum von Fr. 2'700.- übersteigende Betrag dem Amt abzuliefern sei. Am 1. Oktober 2003 erhob die Ausgleichskasse Z. Beschwerde gegen das Schreiben des Betreibungsamtes vom 19. September 2003, mit welchem dieses auf der Ablieferung des Betrages gemäss Anzeige bestanden hatte, und verlangte die Feststellung der Nichtigkeit der Pfändung.
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B. Die Obergerichtskommission des Kantons Obwalden als kantonale Aufsichtsbehörde in SchKG-Sachen wies mit Entscheid vom 27. Februar 2004 die Beschwerde im Wesentlichen ab und stellte fest, dass die an die Ausgleichskasse Z. gerichtete Anzeige betreffend Lohnpfändung vom 4. September 2003 sowie die ihr zugrunde liegende Pfändung der IV-Taggelder des Schuldners gültig sei (Dispositiv-Ziff. 2).
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C. Die Ausgleichskasse Z. hat den Beschluss der kantonalen Aufsichtsbehörde mit Beschwerdeschrift vom 10. März 2004 (rechtzeitig) an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts weitergezogen und beantragt, es sei Dispositiv-Ziff. 2 des angefochtenen Entscheides aufzuheben; eventuell sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Die kantonale Aufsichtsbehörde hat anlässlich der Aktenüberweisung auf Gegenbemerkungen (Art. 80 OG) verzichtet. Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.
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Aus den Erwägungen: | |
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Erwägung 3 | |
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3.2 Zu Recht ist unbestritten, dass die Pfändung von gewissen Leistungsansprüchen des Schuldners, die mit Rücksicht auf die Rechtsnatur sowie vor allem auf ihre soziale Bestimmung unpfändbar sind (Art. 92 Abs. 1 Ziff. 7-10 SchKG), nichtig im Sinne von Art. 22 SchKG ist (AMONN/WALTHER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 7. Aufl., 2003, § 23 Rz. 31 und 33). Soweit die Beschwerdeführerin die Nichtigkeit der Pfändung damit begründet, dass weder das Betreibungsamt noch die Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs, sondern das Bundesamt für Sozialversicherung in sachlicher Hinsicht zuständig sei, über die Frage der Pfändbarkeit von IV-Taggeldern zu entscheiden, geht sie fehl: Die strittige Pfändung ist als Verfügung eines Betreibungsamtes nach Art. 17 SchKG an die kantonale Aufsichtsbehörde und an das Bundesgericht wegen Verletzung von Bundesrecht weiterziehbar (Art. 19 SchKG); ebenso steht es den Aufsichtsbehörden zu, von Amtes wegen eine allfällige Nichtigkeit der Pfändung festzustellen (Art. 22 Abs. 1 SchKG).
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3.3.1 Nach dem Gesetzestext sind die "Renten" ("rentes", "rendite") der IV unpfändbar (Art. 92 Abs. 1 Ziff. 9a SchKG) bzw. ist der "Rentenanspruch" ("le droit à la rente", "il diritto alla rendita") der IV der Zwangsvollstreckung entzogen (Art. 50 Abs. 1 IVG in der am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Fassung; AS 2002 S. 3410). Der klare Wortlaut der Bestimmungen bietet an sich keinen Anlass (vgl. BGE 125 III 401 E. 2a S. 403 f.), unter dem Begriff der "Renten nach Art. 50 IVG" das IV-Taggeld ("indemnité journalière", "indennità giornaliera") zu verstehen, sondern vorab die Leistungen nach Art. 28 ff. IVG, welche entweder ein aus Invaliditätsgründen dauerhaft vermindertes oder weggefallenes Erwerbseinkommen abgelten (vgl. GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, N. 170 a.E. zu Art. 92 SchKG; zur IV-Rente: LOCHER, a.a.O., § 52 Rz. 1).
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3.3.2 Die Botschaft zur SchKG-Reform geht vom Grundsatz aus, dass die Leistungen der Sozialversicherungen beschränkt pfändbar sind, sofern ihnen der Charakter eines Erwerbssurrogates (oder einer Abgeltung für Unterhaltsansprüche) zukommt, berücksichtigt aber - als Ausnahme vom Grundsatz - die absolute Unpfändbarkeit der Leistungen der Ersten Säule (sowie der Leistungen der Familienausgleichskassen), zumal das betreibungsrechtliche Existenzminimum regelmässig höher als die Leistungen der Ersten Säule liege (BBl 1991 III 75 ff.). Diese Auffassung des Bundesrates wurde in den parlamentarischen Beratungen bestätigt (Votum Meier, AB 1994 S 1094). In der Literatur wird - mehr oder weniger deutlich in Anlehnung an die Botschaft - ebenfalls von der absoluten Unpfändbarkeit der "Leistungen" der Ersten Säule gesprochen (AMONN/WALTHER, a.a.O., § 23 Rz. 37; im Unterschied zur 5. Aufl., 1993, § 23 Rz. 36: "Renten") und weiter festgehalten, dass diese in der Regel lediglich den Grundbedarf decken und eine Diskussion über die Pfändbarkeit erübrigen würden (JAEGER/WALDER/ KULL/KOTTMANN, a.a.O., N. 57 zu Art. 92 SchKG; GILLIÉRON, a.a.O., N. 186 zu Art. 92 SchKG; VONDER MÜHLL, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, N. 37 zu Art. 92 SchKG). Gegen die Annahme, dass unter "Leistungen der Ersten Säule" auch die IV-Taggelder verstanden werden, spricht allerdings der Umstand, dass das Taggeld das betreibungsrechtliche Existenzminimum ohne weiteres erheblich übersteigen kann, weil es aus der Entschädigung gemäss Erwerbsersatzgesetz (EOG; SR 834.1) bzw. seit 1. Januar 2004 aus einer Grundentschädigung besteht, die 80 % des Erwerbseinkommens, das durch die zuletzt ohne gesundheitliche Einschränkung ausgeübte Tätigkeit erzielt wurde, beträgt (Art. 22 Abs. 2, Art. 23 Abs. 1, Art. 24 Abs. 1 IVG; AS 2003 S. 3837). Nach der Auffassung von URSPRUNG (Das Zusammenspiel des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts mit dem Sozialversicherungsrecht, BlSchK 2003 S. 155) sind denn auch nur "gewisse Leistungen der 1. Säule, d.h. Renten der AHV/IV und Ergänzungsleistungen sowie die Leistungen der Familienausgleichskassen" von der Pfändung gänzlich ausgeschlossen. Entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin weisen jedenfalls weder die SchKG-Reform noch die Lehrmeinungen eindeutig in Richtung einer absoluten Unpfändbarkeit von IV-Taggeldern.
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3.3.4 Die Beschwerdeführerin bringt schliesslich vergeblich vor, Sinn und Zweck der in Frage stehenden Normen stehe einer beschränkten Pfändbarkeit von IV-Taggeldern entgegen. Nach dem mit der SchKG-Revision eingeführten Pfändungssystem soll jedes Erwerbseinkommen, auch sämtliches Erwerbssurrogat einschliesslich desjenigen in Form von Leistungen der Sozialversicherungen, beschränkt pfändbar sein. Der Grund für die in Art. 92 Abs. 1 Ziff. 9a SchKG festgelegte Ausnahme der absoluten Unpfändbarkeit in Bezug auf AHV- und IV-Renten liegt in der Verfassung, welche verlangt, dass diese Renten den Existenzbedarf angemessen zu decken haben (Art. 112 Abs. 2 lit. b BV; Art. 34quater Abs. 2 Satz 3 aBV; BGE 121 III 285 E. 3 S. 290; GREBER, in: Aubert u.a. [Hrsg.], Kommentar zur Bundesverfassung, N. 65 zu Art. 34quater aBV). Das Gleiche gilt ohne weiteres in Bezug auf die Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, aber auch für die - im Gesetz nicht genannte - Hilflosenentschädigung nach Art. 42 ff. IVG (GILLIÉRON, a.a.O., N. 186 zu Art. 92 SchKG). Folglich erscheint verfassungskonform, die Erwerbssurrogat bildenden und grundsätzlich nach dem früheren Einkommen festgelegten IV-Taggelder insoweit als pfändbar zu betrachten, als diese den Existenzbedarf übersteigen, d.h. für den Schuldner und seine Familie nicht unbedingt notwendig im Sinne von Art. 93 Abs. 1 SchKG sind. Ebenso ist mit der in Art. 50 Abs. 1 IVG angestrebten Sicherung des Leistungszwecks der IV vereinbar, vorab die in der Regel unter dem betreibungsrechtlichen Existenzminimum liegenden Renten, nicht aber die IV-Taggelder der Zwangsvollstreckung zu entziehen. Die IV-Taggelder sind meistens höher als die in Frage kommende Rente, um die Motivation des Invaliden zur Eingliederung nicht zu schmälern (MAURER, Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, Bd. II, S. 218), zumal die Eingliederung den Vorrang vor der Rente hat (KIESER, a.a.O., N. 33 in Vorbemerkungen). Ob bereits das IV-Taggeld oder erst das nach erfolgreicher Eingliederung erworbene Einkommen beschränkt pfändbar ist, hat indessen - genauso wenig wie eine absolute Unpfändbarkeit der IV-Taggelder - keinen erheblichen Einfluss auf die Motivation des Invaliden, eine (absolut unpfändbare) IV-Rente zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund erscheint nicht gerechtfertigt, das Ersatzeinkommen in Form von IV-Taggeldern gegenüber anderen in Art. 93 SchKG aufgeführten Einkommen zu bevorzugen (vgl. BGE 119 III 15 E. 1c S. 17; BGE 120 III 71 E. 3 S. 74).
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3.4 Nach dem Dargelegten ist nicht zu beanstanden, wenn die Aufsichtsbehörde zur Auffassung gelangt ist, die IV-Taggelder seien keine absolut unpfändbaren Leistungen im Sinne von Art. 92 Abs. 1 Ziff. 9a SchKG. Insofern besteht in Bezug auf die von der Aufsichtsbehörde geschützte Verfügung des Betreibungsamtes kein Anlass zum Einschreiten von Amtes wegen (Art. 22 SchKG), und die Beschwerde erweist sich als unbegründet.
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