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69. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. B. gegen K. (Berufung) |
5C.25/2004 vom 17. Juni 2004 | |
Regeste |
Art. 125 ZGB; gebührender Unterhalt; Aufnahme einer Erwerbstätigkeit; Grundsatz der Einheit des Scheidungsurteils. |
Voraussetzungen, unter denen ein Ehegatte verpflichtet werden kann, während des Getrenntlebens eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder auszudehnen (E. 3). |
Besteht Anspruch auf nachehelichen Unterhalt, darf die güterrechtliche Auseinandersetzung nicht vom Entscheid über den Unterhalt abgetrennt und in ein besonderes Verfahren verwiesen werden (E. 4). |
Tragweite des Grundsatzes der Einheit des Scheidungsurteils im Verhältnis zwischen Scheidung einerseits und Scheidungsfolgen andererseits (E. 5). | |
Sachverhalt | |
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Für die Dauer des Scheidungsverfahrens mussten die Gerichte des Kantons Solothurn vorsorgliche Massnahmen treffen. Was den Unterhalt angeht, sprach das Obergericht der Ehefrau lediglich bedarfsdeckende Beiträge zu. Die monatlichen Unterhaltsbeiträge von anfänglich Fr. 3'800.- wurden den Bedarfsänderungen angepasst, rückwirkend auf 1. Dezember 2000 auf Fr. 3'000.- herabgesetzt und schliesslich ganz aufgehoben. Während des Scheidungsverfahrens wurde der Ehefrau rückwirkend ab 1. Dezember 1999 eine ganze Invalidenrente zugesprochen, ausmachend ab 1. Juni 2003 Fr. 1'473.- pro Monat. Der Invaliditätsgrad beträgt 73 %. Das mit der Behinderung theoretisch noch zumutbare Erwerbseinkommen (Invalideneinkommen) wurde auf Fr. 1'831.- pro Monat beziffert.
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Am 26. November 2002 wurde die Ehe in erster Instanz geschieden. Auf Appellation beider Parteien schied das Obergericht die ![]() | 3 |
Aus den Erwägungen: | |
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2.2 Dass das Obergericht den "gebührenden Unterhalt" im Sinne von Art. 125 Abs. 1 ZGB anhand der Lebenshaltung während der Trennungszeit bestimmt hat, kann nicht beanstandet werden. Mit ihren Ausführungen übersieht die Beklagte einen wesentlichen Punkt: Im Sinne einer Ausnahme von den allgemeinen Grundsätzen ist die Lebenshaltung des anspruchsberechtigten Ehegatten während der Trennungszeit massgebend, wenn die Ehegatten vor der Scheidung bereits über eine längere Zeit hinweg getrennt gelebt haben. Diesfalls findet eine Anknüpfung an eine eheliche oder voreheliche Lebenshaltung nicht statt. Darin sind sich Lehre und Rechtsprechung ![]() | 6 |
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3. Einen nachehelichen Unterhaltsbeitrag kann nur der Ehegatte fordern, der nicht in der Lage ist, für seinen im Sinne von Art. 125 Abs. 1 ZGB gebührenden Unterhalt unter Einschluss einer ![]() | 10 |
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3.2 Unter dem Titel "Die Wirkungen der Ehe im allgemeinen" regeln die Art. 163 ff. ZGB den Unterhalt der Familie. Auch nach Aufhebung des gemeinsamen Haushalts in einem Scheidungs- oder Eheschutzverfahren behält der Unterhaltsanspruch seine Grundlage in diesen Gesetzesbestimmungen. Für entsprechende Massnahmen des Scheidungs- und des Eheschutzgerichts gelten daher im Grundsatz dieselben Regeln (statt vieler: HAUSHEER/BRUNNER, in: Handbuch des Unterhaltsrechts, Bern 1997, N. 04.93 S. 227). Die ZGB-Revision von 1998/2000 hat daran nichts geändert. Im Unterschied zum bisherigen Recht (aArt. 145 Abs. 2 ZGB) erklärt Art. 137 Abs. 2 ZGB nunmehr ausdrücklich die Bestimmungen über die Massnahmen zum Schutz der ehelichen Gemeinschaft für sinngemäss anwendbar (vgl. dazu Botschaft, BBl 1996 I 1, Ziff. 234.4 S. 137). Nach den grundsätzlich gleichen Kriterien ist somit zu prüfen, ob und in welchem Umfang dem Ehegatten, der durch das Getrenntleben der Pflicht zur Führung des gemeinsamen Haushalts enthoben ist, zugemutet werden darf, seine freigewordene Arbeitskraft ![]() | 12 |
Im Eheschutzverfahren ist eine Pflicht zur Aufnahme oder Ausdehnung einer Erwerbstätigkeit nur zu bejahen, wenn keine Möglichkeit besteht, auf eine während des gemeinsamen Haushalts gegebene Sparquote oder vorübergehend auf Vermögen zurückzugreifen, wenn die vorhandenen finanziellen Mittel - allenfalls unter Rückgriff auf Vermögen - trotz zumutbarer Einschränkungen für zwei getrennte Haushalte nicht ausreichen und wenn die Aufnahme oder Ausdehnung der Erwerbstätigkeit unter den Gesichtspunkten der persönlichen Verhältnisse des betroffenen Ehegatten (Alter, Gesundheit, Ausbildung u.ä.) und des Arbeitsmarktes zumutbar ist. Diese Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein (HAUSHEER/REUSSER/ Geiser, Berner Kommentar, 1999, N. 19a zu Art. 176 ZGB, mit Hinweisen).
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Im Scheidungsverfahren ist zusätzlich zu beachten, dass die vorsorglichen Massnahmen einen anderen Zweck verfolgen als die Eheschutzmassnahmen. Nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Scheidungsprozesses wird eine Rückkehr zur gemeinsam vereinbarten Aufgabenteilung weder angestrebt noch ist sie wahrscheinlich. Insoweit darf dem Ziel der wirtschaftlichen Selbstständigkeit des bisher nicht oder bloss in beschränktem Umfang erwerbstätigen Ehegatten bereits eine gewisse Bedeutung zugemessen werden und in stärkerem Ausmass als im Eheschutzverfahren auf die bundesgerichtlichen Richtlinien zum Scheidungsunterhalt abgestellt werden (HAUSHEER/BRUNNER, a.a.O., N. 04.98 S. 229; vgl. dazu BGE 128 III 65 E. 4a S. 67 und das die Parteien betreffende Urteil 5P.189/2002 vom 17. Juli 2002, E. 2, zusammengefasst in: FamPra.ch 2002 S. 836).
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Die erwähnten Begleitumstände der Trennung im Mai 1995 machen deutlich, dass die Beklagte bereits ab jenem Zeitpunkt nicht mehr ernsthaft mit einer Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft rechnen durfte. Insoweit hat das Obergericht zu Recht die Grundsätze für den nachehelichen Scheidungsunterhalt in die Beurteilung miteinbezogen. Es hat dabei jedoch zu wenig gewürdigt, dass der Kläger selbst erst im Dezember 2000 die ersatzlose Aufhebung seiner Unterhaltspflicht während des Scheidungsverfahrens verlangt hatte. Bei dieser Verfahrenslage erscheint es als offensichtlich treuwidrig, von der Beklagten zu verlangen, sie hätte sich bereits ab Mai 1995 um ein eigenes Erwerbseinkommen bemühen können und müssen, wenn der Kläger dergleichen erstmals im Dezember 2000 gefordert hat. Bis zu diesem Zeitpunkt hat für die Beklagte weder ein Anlass noch die Pflicht bestanden, eine Teilzeitarbeit zu suchen und aufzunehmen.
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3.4 Zu prüfen bleibt, ob es der Beklagten ab Dezember 2000 zumutbar gewesen wäre, eine eigene Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Die Beurteilung kann anhand der in Art. 125 Abs. 2 ZGB genannten Kriterien (Ziff. 1-8) erfolgen, die insbesondere zu berücksichtigen sind beim Entscheid, ob ein Beitrag zu leisten ist und gegebenenfalls in welcher Höhe und für wie lange. Für die Zumutbarkeit, wenigstens eine Teilzeitarbeit aufzunehmen, sprechen die eher kurze Dauer des ehelichen Zusammenlebens von rund fünf Jahren (Ziff. 2) und die Tatsache, dass keine Kinder (mehr) zu betreuen sind (Ziff. 6). Gegen die Zumutbarkeit sprechen indessen alle weiteren Kriterien. Die Ehegatten haben eine traditionelle Aufgabenteilung gewählt, wonach die Beklagte während der Ehe keiner Erwerbstätigkeit nachgehen musste und finanziell ausreichend vom ![]() | 18 |
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Gemäss Art. 125 Abs. 2 Ziff. 5 ZGB sind beim Entscheid, "ob ein Beitrag zu leisten sei und gegebenenfalls in welcher Höhe und wie lange", Einkommen und Vermögen der Ehegatten zu berücksichtigen. Zum Vermögen zählt das Ergebnis der güterrechtlichen Auseinandersetzung (vgl. SCHWENZER, a.a.O., N. 57, und SUTTER/ ![]() | 21 |
Da die Beklagte mangels ausreichender Eigenversorgungskapazität auf nachehelichen Unterhalt Anspruch erheben kann (E. 3 hiervor), missachtet die obergerichtliche Verweisung der güterrechtlichen Auseinandersetzung in ein separates Verfahren Art. 125 Abs. 2 Ziff. 5 ZGB. Der angerufene Grundsatz der Einheit des Scheidungsurteils spielt im Verhältnis von Güterrecht und Unterhalt insoweit keine selbstständige Rolle mehr bzw. ist mit der ZGB-Revision von 1998/2000 gesetzlich verankert worden. Die Sache ist in Gutheissung der Berufung an das Obergericht zurückzuweisen, damit es vor dem Entscheid über den nachehelichen Unterhalt die Parteien güterrechtlich auseinandersetzt.
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5.1 Nach bisherigem Recht besagt der Grundsatz der Einheit des Scheidungsurteils, dass das mit der Scheidungsklage befasste Gericht auch für die Regelung aller sich aus der Scheidung ergebenden Nebenfolgen ausschliesslich zuständig ist und hierüber im gleichen Verfahren zu entscheiden hat. Es soll damit sichergestellt werden, dass alle im Zusammenhang mit einer Scheidung zu lösenden Fragen in einheitlicher Weise beurteilt werden und die bei getrennten Verfahren bestehende Gefahr widersprechender Entscheide vermieden wird - insbesondere was die Berücksichtigung eines ![]() | 24 |
5.2 Der schon bisher kraft ungeschriebenen Bundesrechts geltende Grundsatz der Einheit des Scheidungsurteils ist auch nach der ZGB-Revision von 1998/2000 zu beachten (STECK, Basler Kommentar, 2002, N. 7 zu Art. 120 ZGB, mit Hinweisen; aus der Rechtsprechung: Urteil 5C.136/2002 vom 24. Oktober 2002, E. 3 nicht publ. in BGE 129 III 1; Urteil 5C.221/2001 vom 20. Februar 2002, E. 3a, publ. in: Pra 91/2002 Nr. 86 S. 495 f. und SJ 2002 I S. 276 f.). Seine Tragweite hat sich allerdings verändert. Das geltende Scheidungsrecht hat den Grundsatz der Teilrechtskraft in Art. 148 Abs. 1 ZGB verankert. Es ist weitgehend verschuldensunabhängig ausgestaltet (vgl. BGE 127 III 65 E. 2a S. 66/67 mit Hinweisen), so dass ein Koordinationsbedarf zwischen Scheidung einerseits und Scheidungsfolgen andererseits praktisch vollständig entfallen ist. Eine Gefahr sich widersprechender Urteile wäre höchstens noch in den seltenen Ausnahmefällen denkbar, wo die Ehe aus schwerwiegenden Gründen im Sinne von Art. 115 ZGB geschieden und der Unterhalt aus denselben Gründen gemäss Art. 125 Abs. 3 ![]() | 25 |
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