VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGE 130 III 734  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 2
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
100. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. X. gegen Verwaltungsgericht des Kantons Zug (Berufung)
 
 
5C.171/2004 vom 1. November 2004
 
 
Regeste
 
Art. 397f ZGB; fürsorgerische Freiheitsentziehung; kantonales Verfahren vor Gericht.  
 
Sachverhalt
 
BGE 130 III, 734 (734)Im Rahmen fürsorgerischer Freiheitsentziehung wurde X. am 3. Juli 2003 in die Psychiatrische Klinik A. eingewiesen. Ihr Gesuch um Entlassung vom 16. Dezember 2003 wurde am 18. Juni 2004 kantonal letztinstanzlich abgewiesen. Die von ihr dagegen erhobene staatsrechtliche Beschwerde (5P.317/2004) blieb erfolglos. Die gleichzeitig eingelegte Berufung weist das Bundesgericht ebenfalls ab, soweit es darauf eintritt.
1
 
Aus den Erwägungen:
 
 
Erwägung 2
 
2
2.2.1 Gemäss Art. 397f Abs. 1 ZGB entscheidet das Gericht in einem einfachen und raschen Verfahren. Zur Untersuchungsmaxime sagt diese Bestimmung - ihrem Wortlaut nach - nichts, doch nehmen Lehre und Rechtsprechung an, im kantonalen Verfahren der gerichtlichen Beurteilung gelte von Bundesrechts wegen die Untersuchungsmaxime, d.h. der Sachverhalt müsse von Amtes wegen festgestellt werden. Begründet - wenn überhaupt - wird diese Auffassung teils unter Hinweis auf die Materialien, teils aber auch mit dem Wesen der fürsorgerischen Freiheitsentziehung (aus der BGE 130 III, 734 (735)Rechtsprechung: BGE 107 II 314 E. 2 S. 316/317; Urteil 5P.476/2000 vom 30. Januar 2001, E. 3c; aus der Lehre: GEISER, Basler Kommentar, 2002, N. 2 Abs. 3, und SPIRIG, Zürcher Kommentar, 1995, N. 8, je zu Art. 397e ZGB; RAEMY, Verfahrensrechtliche Aspekte der fürsorgerischen Freiheitsentziehung im Kanton Freiburg, Freiburger Zeitschrift für Rechtsprechung 1993 S. 256, 262; IMHOF, Der formelle Rechtsschutz, insbesondere die gerichtliche Beurteilung, bei der fürsorgerischen Freiheitsentziehung, Diss. Freiburg i.Ue. 1999, Bern 1999, S. 210, mit Hinweisen).
3
2.2.2 Die verwiesenen Stellen in der bundesrätlichen Botschaft (BBl 1977 III 1) sind nicht schlüssig: In der Erläuterung der Bestimmung über den Rechtsbeistand wird das "Offizialprinzip" vorausgesetzt, dessen Geltung aber nicht begründet (a.a.O., S. 40 Ziff. 243.4), und im Zusammenhang mit dem einfachen und raschen Verfahren findet sich zwar ein Hinweis auf die Untersuchungsmaxime in Arbeitsstreitigkeiten (Art. 343 Abs. 4 OR), doch fehlt eine entsprechende Bestimmung im Gesetzesentwurf (a.a.O., S. 41 Ziff. 243.5). Die Untersuchungsmaxime ergibt sich dagegen zwanglos aus der Rechtsnatur der fürsorgerischen Freiheitsentziehung. Sie gehört zum Vormundschaftsrecht und tritt als vormundschaftliche Massnahme neben die Entmündigung und die Beistandschaft (vgl. SCHNYDER, Die fürsorgerische Freiheitsentziehung als Teil des schweizerischen Vormundschaftsrechtes, ZVW 1980 S. 121 ff.). Hier wie dort bezweckt die Massnahme den staatlichen Schutz von Personen, die für sich nicht mehr sorgen können. Sie ergeht in einem amtlichen, im Interesse des Schutzbedürftigen von Amtes wegen oder auf Anzeige hin eingeleiteten Verfahren, in dem die Handlungsfähigkeit als unverzichtbares Persönlichkeitsrecht (Art. 27 Abs. 1 ZGB) in Frage steht und die staatlichen Organe das Interesse des Schutzbedürftigen zu wahren haben (vgl. BGE 38 II 448 E. 2 S. 450; 124 I 40 E. 3d S. 44; SCHNYDER/MURER, Berner Kommentar, 1984, N. 117 ff. zu Art. 373 ZGB, mit Hinweisen).
4
2.2.3 Die Untersuchungsmaxime schliesst eine vorweggenommene Beweiswürdigung nicht aus. Verfügt das Gericht über genügende Grundlagen für eine sachgerechte Entscheidung, kann es auf weitere Beweiserhebungen verzichten (z.B. BGE 114 II 200 E. 2b S. 201; Urteil 5C.167/1999 vom 18. Oktober 1999, E. 1b nicht publ. in BGE 125 III 401; Urteil 5C.299/2001 vom 7. Februar 2002, E. 2b/aa nicht publ. in BGE 128 III 161; Urteil 5C.153/2002 vom 16. Oktober 2002, E. 3.1.1, zusammengefasst in: ZVW 2003 S. 153). BGE 130 III, 734 (736)Die verwaltungsgerichtliche Abweisung der von der Berufungsklägerin gestellten Editionsbegehren beruht auf vorweggenommener Beweiswürdigung. Die dagegen erhobene staatsrechtliche Beschwerde musste abgewiesen werden, soweit darauf eingetreten werden konnte (vgl. E. 3.3 des Beschwerdeurteils 5P.317/2004). Die Untersuchungsmaxime ist daher nicht verletzt.
5
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).