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10. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. X. A/S gegen Y. AG (Berufung) |
4C.172/2004 vom 4. Oktober 2004 |
Art. 1 Abs. 1 GestG, Art. 1 Abs. 1 lit. a IPRG; Internationales Verhältnis. |
Art. 5 Ziff. 3 LugÜ; Gerichtsstand am Ort des schädigenden Ereignisses. |
Art. 3 Abs. 1 TRIPS-Übereinkommen; Art. 2 Abs. 3 der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums; Ausnahme vom Prinzip der Inländerbehandlung bezüglich des Gerichtsstands. | |
Sachverhalt | |
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B. Am 1. September 2003 erhob die X. A/S beim Handelsgericht des Kantons Bern gegen die Y. AG eine Klage auf Unterlassung einer Patentverletzung und auf Leistung von Schadenersatz.
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Zur Begründung der Zuständigkeit führte die Klägerin an, da ein internationaler Sachverhalt vorliege, sei das Lugano Übereinkommen anwendbar. Dieses sehe in Art. 5 Ziff. 3 vor, dass Klagen aus unerlaubter Handlung vor den Gerichten des Ortes erhoben werden könnten, an dem das schädigende Ereignis eingetreten sei. Dies sei im vorliegenden Fall Bern, da die Beklagte in einer Apotheke in Bern ein Produkt verkauft habe, welches das Patent der Klägerin verletze. Damit liege der Handlungs- und Erfolgsort der Patentverletzung in Bern.
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Die Beklagte wendete ein, das Berner Handelsgericht sei örtlich nicht zuständig.
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Mit Verfügung vom 24. November 2003 beschränkte der Instruktionsrichter das Verfahren auf die Frage der Zuständigkeit des Berner Handelsgerichts. Dieses verneinte seine Zuständigkeit und trat daher mit Urteil vom 1. April 2004 auf die Klage nicht ein.
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C. Die Klägerin erhebt eidgenössische Berufung mit den Anträgen, das Urteil des Handelsgerichts vom 1. April 2004 sei aufzuheben, die Unzuständigkeitseinrede der Beklagten sei abzuweisen und die Streitsache sei zur materiellen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Die Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung.
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Das Bundesgericht weist die Berufung ab.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
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2.3 Das Gerichtsstandsgesetz kommt nur zur Anwendung, wenn kein internationales Verhältnis vorliegt (Art. 1 Abs. 1 GestG; vgl. auch der spiegelbildliche Art. 1 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht [IPRG]). Ein internationales Verhältnis setzt einen über den schweizerischen Rechtsraum hinausreichenden Bezug voraus. Welcher Art und Intensität der Auslandsbezug sein muss, wird gesetzlich nicht definiert. Demnach ist im Einzelfall unter Berücksichtigung des Sachbereichs zu prüfen, ob ein genügender Auslandsbezug vorliegt (VOLKEN, in: Zürcher Kommentar zum IPRG, 2. Aufl. 2004, N. 17 zu Art. 1 IPRG; SCHNYDER, in: Basler Kommentar, N. 2 zu Art. 1 IPRG, m.w.H.; Urteil des Bundesgerichts 5C.184/1995 vom 10. Januar 1996, E. 5a). So begründet ![]() | 11 |
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3.2 Die Klägerin rügt, das Handelsgericht gehe mit der herrschenden Lehre von einer zu wortlautbezogenen Auslegung von Art. 5 LugÜ aus und lasse den Sinn und Zweck der besonderen Zuständigkeiten ausser Acht. Dieser bestehe darin, der Sach- bzw. Beweisnähe und der Prozessökonomie Rechnung zu tragen. Wenn demnach in Art. 5 Ziff. 1 LugÜ wahlweise der Gerichtsstand des Erfüllungsortes zur Verfügung stehe, so habe dies gemäss der zutreffenden Meinung von STEFAN AUER (in: Der internationale Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, hrsg. von Böckenstiegel/ Geimer/Schütze, München 2003, Bd. II, S. 77 ff.) unabhängig davon zu gelten, ob der Erfüllungsort sich zufällig im Land befindet, in ![]() | 15 |
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3.5 Nach dem Gesagten ist das Handelsgericht zu Recht davon ausgegangen, Art. 5 Ziff. 3 LugÜ komme im vorliegenden Fall nicht ![]() | 18 |
Erwägung 4 | |
4.1 Gemäss Art. 25 GestG können Klagen aus unerlaubter Handlung - wozu auch Verletzungen von Patentrechten gehören - unter anderem am Handlungs- oder Erfolgsort erhoben werden (vgl. FLAVIO ROMERIO, in: Gerichtsstandsgesetz, Kommentar zum Bundesgesetz über den Gerichtsstand in Zivilsachen, Hrsg. Müller/Wirth, N. 12 zu Art. 25 GestG). Dieser Gerichtsstand steht der Klägerin nicht offen, da sie als Gesellschaft mit Sitz im Ausland gemäss Art. 109 IPRG alleine bei den Gerichten am (Wohn-)Sitz der Beklagten klagen kann. Das Handelsgericht kam zum Ergebnis, diese Einschränkung der Wahlmöglichkeit des Gerichtsstandes für ausländische Gesellschaften verstosse nicht gegen das Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum vom 15. April 1994 (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, TRIPS-Übereinkommen; SR 0.632.20 Anhang 1C zum Abkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation). Zur Begründung führte das Handelsgericht zusammengefasst an, das Prinzip der Inländerbehandlung gemäss Art. 3 Abs. 1 TRIPS-Übereinkommen erfasse gemäss Fn. 214 auch die Durchsetzung der Rechte an geistigem Eigentum und damit auch die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit. Jedoch behalte Art. 3 Abs. 1 TRIPS-Übereinkommen gewisse Übereinkommen vor. Dazu gehöre die Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums, revidiert in Stockholm am 14. Juli 1967 (PVUe; SR 0.232.04), welche in Art. 2 Abs. 3 vorsehe, dass unter anderem Rechtsvorschriften jeder der Verbandsländer über das gerichtliche und das Verwaltungsverfahren und die Zuständigkeit dem Grundsatz der Inländerbehandlung vorgehen würden. Daraus folge, dass von diesem Grundsatz in Zuständigkeitsfragen eine Ausnahme grundsätzlich zulässig sei. Zu beachten sei jedoch, dass gemäss Art. 3 Abs. 2 TRIPS-Übereinkommen Ausnahmen von der Inländerbehandlung nur zulässig seien, wenn diese mit Bestimmungen dieses Übereinkommens vereinbar sind und wenn sie nicht so angewandt werden, dass sie versteckte Handelsbeschränkungen darstellen. Eine Unvereinbarkeit mit den Bestimmungen des TRIPS-Übereinkommens sei zu verneinen, da dieses lediglich verlange, dass die Verfahren zur Durchsetzung von Rechten am geistigen Eigentum recht und billig, weder unnötig kompliziert noch kostspielig seien und keine ![]() | 19 |
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4.3 Das Lugano Übereinkommen lässt Übereinkommen unberührt, denen die Vertragsstaaten angehören oder angehören werden und die für besondere Rechtsgebiete die gerichtliche Zuständigkeit, die ![]() | 21 |
"Die Mitglieder gewähren den Staatsangehörigen der anderen Mitglieder eine Behandlung, die diese gegenüber ihren eigenen Staatsangehörigen in Bezug auf den Schutz214 des geistigen Eigentums nicht benachteiligt, vorbehaltlich der bereits in der Pariser Verbandsübereinkunft (1967), der Berner Übereinkunft (1971), dem Rom-Abkommen oder dem Vertrag über den Schutz des geistigen Eigentums an integrierten Schaltkreisen vorgesehenen Ausnahmen. [...]"
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In der Fussnote 214 wird zum Begriff Schutz festgehalten:
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"Im Sinne der Artikel 3 und 4 schliesst 'Schutz' die Angelegenheiten ein, welche die Verfügbarkeit, den Erwerb, den Umfang, die Aufrechterhaltung und die Durchsetzung der Rechte an geistigem Eigentum betreffen, sowie diejenigen Angelegenheiten, welche die Ausübung der in diesem Abkommen ausdrücklich behandelten Rechte an geistigem Eigentum betreffen."
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Die Pariser Verbandsübereinkunft sieht in Art. 2 Abs. 3 folgende Ausnahme von der Inländerbehandlung vor:
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"Ausdrücklich bleiben vorbehalten die Rechtsvorschriften jedes der Verbandsländer über das gerichtliche und das Verwaltungsverfahren und die Zuständigkeit sowie über die Wahl des Wohnsitzes oder die Bestellung eines Vertreters, die etwa nach den Gesetzen über das gewerbliche Eigentum erforderlich sind."
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Diese Ausnahme erfasst die Zuständigkeit bzw. nach dem französischen Originaltext (Art. 29 Abs. 1 PVUe) "la compétence", worunter namentlich die Zuständigkeit im Prozess bezüglich Rechte am geistigen Eigentum zu verstehen ist (vgl. KARL-HEINZ FEZER, in: Markenrecht, Kommentar zum Markengesetz, zur Pariser Verbandsübereinkunft und zum Madrider Markenabkommen, 3. Aufl., München 2001, N. 6 zu Art. 3 PVUe). Demnach ist bezüglich der Zuständigkeit eine Ausnahme von der Inländerbehandlung im Rahmen von Art. 3 Abs. 2 TRIPS-Übereinkommen zulässig. Diese Bestimmung schreibt vor:
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"Die Mitglieder dürfen in Bezug auf Gerichts- und Verwaltungsverfahren, einschliesslich der Bestimmung einer Zustellungsanschrift und der Bestellung eines Vertreters im Hoheitsbereich eines Mitglieds, von den nach Absatz 1 zulässigen Ausnahmen nur Gebrauch machen, wenn diese notwendig sind, um die Einhaltung von Gesetzen und sonstigen Vorschriften sicherzustellen, die mit den Bestimmungen dieses Abkommens nicht ![]() | 28 |
Bei der Prüfung der Vereinbarkeit einer Ausnahme mit den Bestimmungen des TRIPS-Übereinkommen ist zu beachten, dass dieses insbesondere bezweckt, einen wirksamen und ausreichenden Schutz der Rechte am geistigen Eigentum zu fördern, bzw. sicherzustellen und diesbezüglich in Art. 41 und Art. 42 Minimalanforderungen stellt (vgl. Präambel zum TRIPS-Übereinkommen; vgl. DANIEL GERVAIS, The TRIPS Agreement, Drafting History ans Analysis, 2. Aufl., London 2003, S. 101). Bezüglich der Zuständigkeit in der Schweiz ist zu beachten, dass Art. 76 des Bundesgesetzes über Erfindungspatente (SR. 232.14) den Kantonen vorschreibt, für die in diesem Gesetz vorgesehenen Zivilklagen eine Gerichtsstelle zu bezeichnen, welche für das ganze Kantonsgebiet als einzige kantonale Instanz entscheidet.
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4.4 Wie das Handelsgericht zu Recht anführt, steht die für die Klägerin gegenüber inländischen Gesellschaften eingeschränkte Wahlmöglichkeit bezüglich des Gerichtsstandes im Widerspruch zum Prinzip der Inländerbehandlung gemäss Art. 3 Abs. 1 TRIPS-Übereinkommen. Dieser Widerspruch ist jedoch durch den Vorbehalt der Ausnahmen in der Pariser Verbandsübereinkunft gedeckt, da diese ein Abweichen von der Inländerbehandlung im Bereich der Zuständigkeit zulässt. Mit dieser Ausnahme wird im vorliegenden Fall nicht gegen die Bestimmungen des TRIPS-Übereinkommens verstossen, da mit dem Handelsgericht davon auszugehen ist, dass in der Schweiz unabhängig vom kantonalen Gerichtsstand ein dem TRIPS-Übereinkommen entsprechender Schutz der Rechte am geistigen Eigentum gewährleistet ist. Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, dass gewisse kantonale Gerichte mit Patentprozessen wenig Erfahrung haben (vgl. dazu die Kritik von WERNER Stieger, Unklares, Ungereimtes und Unvollendetes beim internationalen Patentprozess [in der Schweiz], in: Internationales Zivilprozess- und Verfahrensrecht III, Hrsg. Karl Spühler, S. 57 ff., S. 65 f). Alsdann ist nicht erkennbar und wird von der Klägerin auch nicht geltend gemacht, dass die fehlende Wahlmöglichkeit bezüglich des Gerichtsstandes zu einer versteckten Handelsbeschränkung führen würde. Demnach liegt die Ausnahme vom Prinzip der Inländerbehandlung bezüglich der örtlichen Zuständigkeit der staatlichen Gerichte in den von Art. 3 Abs. 2 TRIPS-Übereinkommen gezogenen Grenzen und ist damit zulässig. Der Einwand der Klägerin, eine ![]() | 30 |
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