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24. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. B. gegen K. (Berufung) |
5C.53/2004 vom 2. Dezember 2004 | |
Regeste |
Art. 138 Abs. 1 ZGB; neue Rechtsbegehren in der Anschlussberufungsantwort. | |
Sachverhalt | |
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Aus den Erwägungen: | |
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Art. 138 Abs. 1 ZGB - so die Botschaft - schreibe vor, dass das kantonale Recht auch in der zweiten Instanz bis zu einem bestimmten Zeitpunkt neue Tatsachen und Beweismittel zulassen müsse. Dabei werde nicht zwischen echten und unechten Noven unterschieden, d.h. ob die Tatsachen und Beweismittel bereits vor oder nach dem erstinstanzlichen Urteil existiert hätten. In der Festlegung des massgeblichen Zeitpunkts für die Geltendmachung von Noven in der zweiten Instanz sei der kantonale Gesetzgeber frei. Zumindest in der Berufung (Appellation) und in der Berufungsantwort (Appellationsbeantwortung) müssten Noven zugelassen werden.
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Das Stellen neuer Rechtsbegehren bedeutet gemäss der bundesrätlichen Botschaft eine Änderung der ursprünglichen Klage und geht von der Sache her weiter als das blosse Vorbringen von neuen Tatsachen und Beweismitteln, die bereits vorhandene Rechtsbegehren zusätzlich unterstützen sollen. Es sei deshalb gerechtfertigt, an die Zulässigkeit der Klageänderung höhere Anforderungen zu stellen. Neue Rechtsbegehren müssten vor der zweiten Instanz nur dann von Bundesrechts wegen zugelassen werden, wenn sie durch neue Tatsachen oder Beweismittel veranlasst worden seien (BBl 1996 I 1, S. 138 f. Ziff. 234.5).
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2.1.3 Im Ständerat stellte eine Kommissionsminderheit zunächst klar, dass bezüglich der Zulässigkeit neuer Rechtsbegehren - entgegen der Botschaft - keine Einschränkung im Verhältnis zum ![]() | 8 |
Der Nationalrat hielt an Art. 138 Abs. 1 im Sinne des bundesrätlichen Entwurfs fest (vgl. das Votum Jutzet; AB 1997 N 2724 f. und 2726).
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Auf Antrag seiner Kommission schloss sich der Ständerat daraufhin dem Nationalrat an. Gemäss der Erklärung des Berichterstatters sind neue Rechtsbegehren nicht uneingeschränkt zulässig, sondern können nur nach Massgabe des kantonalen Prozessrechtes dann gestellt werden, wenn sie sich aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel aufdrängen. Es sei auch möglich, dass neue Tatsachen geltend gemacht würden, ohne dass man neue Rechtsbegehren stelle, z.B. weil man dadurch bereits Verlangtes im Nachhinein besser belegen könne. Es gehe also um einen bundesrechtlichen Minimalstandard, dass man mindestens in der zweiten Instanz zu irgendeinem Zeitpunkt, d.h. mindestens in der ersten Rechtsschrift, neue Tatsachen geltend machen und allenfalls neue Rechtsbegehren stellen könne (vgl. das Votum Küchler; AB 1998 S 328).
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2.2 Nach Verabschiedung des Gesetzes durch die eidgenössischen Räte am 26. Juni 1998 erstellte das Bundesamt für Justiz am 20. Juli 1998 "Hinweise und Anregungen für die Vorbereitung der kantonalen Einführungsbestimmungen zur Änderung des ZGB (exkl. Zivilstandswesen)". Darin heisst es "Zur bundesrechtlichen Einschränkung der Eventualmaxime" (S. 7), dass jeder Partei mindestens das Recht zustehe, in ihrem ersten Parteivortrag oder in ihrer ersten Rechtsschrift im oberinstanzlichen Verfahren neue Tatsachen und Beweismittel vorzubringen, unabhängig davon, ob es ![]() | 11 |
An kantonalen Regelungen besteht heute eine grosse Vielfalt. Vereinzelte Kantone haben einfach auf die Art. 135 ff. ZGB verwiesen (z.B. Art. 267 ZPO/GL), Art. 138 Abs. 1 ZGB ausdrücklich vorbehalten (z.B. Art. 242 ZPO/NW; Art. 374c CPC/VD) oder inhaltlich mit der Botschaft des Bundesrats übereinstimmend festgelegt, dass neue Tatsachen und Beweismittel in der Appellation und der Appellationsantwort vorgebracht werden können und darauf gestützte neue Rechtsbegehren zulässig sind (z.B. Art. 398 CPC/NE; Art. 274 ZPO/OW; Art. 423b CPC/TI). Andere Kantone konnten auf ihre Zivilprozessbestimmungen über das Novenrecht und die Klageänderung verweisen und diese Regelung in der Berufungsinstanz für anwendbar erklären (z.B. Art. 49 EGzZGB/FR). Eine ganze Reihe von Kantonen haben weit über den bundesrechtlichen Minimalstandard hinausgehende Lösungen getroffen, wonach neue Tatsachen und Beweismittel und dadurch veranlasste neue Rechtsbegehren vorgebracht werden können bis zum Abschluss des Schriftenwechsels (z.B. Art. 218 ZPO/AI) oder in der schriftlichen Begründung der Appellation und Anschlussappellation sowie in der Antwort auf diese (z.B. § 321 Abs. 4 ZPO/AG; Art. 246a ZPO/ UR; Art. 223bis ZPO/VS; vgl. FREIBURGHAUS/LEUENBERGER/SUTTER, Übersicht über die kantonale Einführungsgesetzgebung zum neuen Scheidungsrecht, FamPra.ch 2000 S. 379 ff., S. 396 f., mit - wenigen überholten, hier teilweise nachgetragenen - Hinweisen).
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Die Zivilprozessordnung des Kantons Schwyz behält im Prozess über Ungültigkeit, Scheidung oder Trennung der Ehe die bundesrechtlichen Bestimmungen über das Rechtsmittelverfahren vor (§ 199 ZPO/SZ). Für das Berufungsverfahren gilt, dass neue Tatsachen und Beweismittel - unbesehen darum, ob es sich um echte oder unechte Noven handelt - bis zum Abschluss des ersten Schriftenwechsels, d.h. in der Berufungsbegründung und der ![]() | 13 |
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2.4 In seiner Rechtsprechung hat das Bundesgericht gestützt auf die Materialien und die Lehre wiederholt ausgeführt, mit Rücksicht auf die existenzielle Bedeutung, die eine Scheidung in wirtschaftlicher Hinsicht für die Ehegatten habe, stelle Art. 138 Abs. 1 ZGB in prozessrechtlicher Hinsicht sicher, dass im Bereich des Ehegüterrechts und des Ehegattenunterhalts der zweiten Instanz echte und unechte Noven vorgebracht werden könnten. Der kantonale ![]() | 15 |
In Einzelfällen hat sich das Bundesgericht zum bundesrechtlichen Minimalstandard in zeitlicher Hinsicht geäussert und dargelegt, zumindest in der Berufung (Appellation) und in der Berufungsantwort (Appellationsbeantwortung) müssten Noven zugelassen werden. Eine kantonale Regelung verstiesse deshalb gegen Art. 138 Abs. 1 ZGB, wenn sie für das Urteil den Sachverhalt zur Zeit der Klageeinreichung für massgebend erklärte (Urteil 5C.197/2003 vom 30. April 2004, E. 3.1.1). Aus Art. 138 Abs. 1 ZGB folgt vielmehr, dass schwerwiegende Gründe im Sinne von Art. 115 ZGB nicht bereits im Zeitpunkt der Klageeinreichung vorliegen müssen, sondern später eintreten und selbst in der oberen kantonalen Instanz noch vorgetragen werden können (Urteil 5C.281/2001 vom 6. Dezember 2001, E. 2d, in: SJ 2002 I S. 233). Allein das kantonale Recht beantwortet dagegen die Frage, ob ein geändertes Begehren zulässig ist, das sich auf nach Einreichung der Appellationsantwort eingetretene Tatsachen stützt (Urteil 5C.171/2003 vom 11. November 2003, E. 2).
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Schliesslich musste das Bundesgericht daran erinnern, dass die Novenrechtsregelung gemäss Art. 138 Abs. 1 ZGB insgesamt, d.h. das Vorbringen neuer Tatsachen und Beweismittel sowie damit in Zusammenhang stehender neuer Rechtsbegehren, im Verfahren der ![]() | 17 |
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Art. 138 Abs. 1 ZGB beschränkt das Novenverbot und das Verbot der Klageänderung in der oberen kantonalen Instanz. Der Gesetzgeber hat damit das Ziel der Wahrheitsfindung und der materiellen Richtigkeit des Urteils im Scheidungsprozess höher gewichtet als die beförderliche Prozesserledigung und die Vermeidung unsorgfältigen Prozessierens in erster Instanz. Die Regelung versteht sich als bundesrechtlicher Minimalstandard. In Art. 138 Abs. 1 ZGB wird lediglich der Grundsatz des Novenrechts festgelegt ("können vorgebracht werden"; "peuvent être invoqués"; "possono essere invocati"), die nähere Ausgestaltung aber dem kantonalen Recht überlassen. Gewährleistet ist, dass in der oberen kantonalen Instanz ![]() | 20 |
Unter dem Blickwinkel eines blossen Minimalstandards hat das Kantonsgericht kein Bundesrecht verletzt, indem es die neuen Rechtsbegehren des Beklagten in der Anschlussberufungsantwort nicht mehr zugelassen hat. Der Beklagte hatte als Berufungskläger im kantonalen Verfahren die Möglichkeit, Begehren zum Unterhalt, gegebenenfalls in der Form von Eventualanträgen, in seiner eigenen Berufung zu stellen. Die Folgen seiner Säumnis werden durch Bundesrecht nicht behoben.
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2.7.2 Der Beklagte beruft sich auf den zweiten Halbsatz von Art. 138 Abs. 1 ZGB, wonach neue Rechtsbegehren zugelassen werden müssen, sofern sie durch neue Tatsachen oder Beweismittel veranlasst worden sind. Könnten gemäss kantonalem Recht neue Tatsachen und Beweismittel in der Anschlussberufungsantwort noch vorgebracht werden, müssten darauf gestützte neue Rechtsbegehren kraft Bundesrechts ebenfalls noch in der Anschlussberufungsantwort zulässig sein. Der Einwand ist nicht stichhaltig. Die Regelung will das Vorbringen neuer Rechtsbegehren von strengeren Voraussetzungen abhängig machen als das ![]() | 24 |
2.7.3 Erst die Anschlussberufung der Klägerin hat den nachehelichen Unterhalt zum Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens vor Kantonsgericht gemacht. Die Anschlussberufung ist nach dem Prozessrecht des Kantons Schwyz somit nicht beschränkt auf den Gegenstand der Hauptberufung und kann sich gleich einer eigentlichen Berufung auf einen beliebigen, mit jenem nicht notwendig in Zusammenhang stehenden Teil des angefochtenen Urteils beziehen. Diesfalls hemmt die Anschlussberufung den Eintritt der Rechtskraft für den Teil des Urteils, gegen den sie sich allein richtet, und erst durch die Anschlussberufung wird der von ihr allein erfasste Teil des Urteils zum Gegenstand des Verfahrens vor der oberen kantonalen Instanz. Der Anschlussberufung kommt Suspensiv- und Devolutiveffekt zu, wiewohl sie in ihrem Bestand insofern von der Hauptberufung abhängig bleibt, als deren Rückweisung oder deren Rückzug sie grundsätzlich dahinfallen lässt (§ 197 Abs. 3 ZPO/SZ; vgl. die damit übereinstimmenden Art. 54 Abs. 2 OG und Art. 59 Abs. 2-5 OG). Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei dieser (sog. abhängigen oder unselbstständigen) Anschlussberufung um ein Rechtsmittel handelt und ob - bejahendenfalls - die Bestimmungen über Noven und Klageänderung wie bei der Hauptberufung anwendbar wären. Denn der Sache nach ist die Anschliessung an eine Anschlussberufung nichts anderes als eine nachträgliche Erweiterung der Hauptberufung. Es stellt sich damit wiederum die gleiche - vom kantonalen Recht zu beantwortende (E. 2.6 soeben) - Frage, ob nach dem ersten Schriftenwechsel die Rechtsbegehren noch geändert werden können. Die ![]() | 25 |
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Die Herabsetzung, Aufhebung oder Einstellung der Rente im Sinne von Art. 129 Abs. 1 ZGB setzt voraus, dass sich die Verhältnisse erheblich, dauernd und unvorhersehbar verändert haben (Urteil 5C.197/2003 vom 30. April 2004, E. 2.1, in: FamPra.ch 2004 S. 689 f.). Die Abänderungsklage bezweckt keine Revision des Scheidungsurteils, sondern die Anpassung der rechtskräftig festgelegten Unterhaltsrente an Veränderungen, die nicht schon im Scheidungsurteil zum Voraus berücksichtigt worden sind. Das ist gemeint, wenn die Rechtsprechung über den Gesetzestext hinaus eine unvorhersehbare Veränderung der Verhältnisse fordert. Es kommt mit anderen Worten nicht entscheidend auf die Vorhersehbarkeit der Veränderung an, sondern ausschliesslich darauf, ob die Rente mit Blick auf diese vorhersehbare Veränderung festgelegt worden ist (LÜCHINGER/GEISER, Basler Kommentar, 1996, N. 12 zu aArt. 153 ZGB; vgl. auch SPYCHER/GLOOR, Basler Kommentar, 2002, N. 9, und SCHWENZER, Praxiskommentar Scheidungsrecht, Basel 2000, N. 7 zu Art. 129 ZGB; seither: Urteile 5C.243/2001 vom 16. November 2001, E. 2c, und 5C.322/2001 vom 9. Juli 2002, E. 3; für den Kindesunterhalt: BGE 128 III 305 E. 5b S. 310 f.).
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Können die vom Beklagten behaupteten Veränderungen hier aus prozessualen Gründen - Noven- bzw. Klageänderungsverbot - bei ![]() | 28 |
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