BGE 131 III 243 | |||
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32. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. X. gegen Y. AG (Berufung) |
4C.340/2004 vom 2. Dezember 2004 | |
Regeste |
Vorrang des Bundesrechts; Pflicht zur Bezifferung des Rechtsbegehrens. | |
Sachverhalt | |
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B. Mit Klage vom 11. Dezember 2002 beantragte der Kläger bei der Gewerbekammer des Bezirksgerichts der Sense, die Beklagte sei teilklageweise zu verurteilen, ihm einen gerichtlich zu bestimmenden, Fr. 30'000.- nicht erreichenden Betrag zuzüglich Zins zu zahlen und ein Arbeitszeugnis auszustellen. Mit Urteil vom 13. August 2003 wies die Gewerbekammer die Klage ab und auferlegte die Parteikosten dem Kläger.
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Eine dagegen gerichtete kantonalrechtliche Berufung des Klägers wies das Kantonsgericht Freiburg am 27. Juli 2004 ab, soweit sie sich gegen die Parteikostenverlegung der Gewerbekammer richtete. Im Übrigen trat das Gericht auf das Rechtsmittel nicht ein, weil der Kläger den begehrten Betrag im Berufungsverfahren nicht ausreichend beziffert habe, und bestätigte den erstinstanzlichen Entscheid.
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C. Der Kläger gelangt gegen dieses Urteil mit Berufung an das Bundesgericht. Er beantragt in erster Linie, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, das von ihr gestellte Rechtsbegehren zu beurteilen. Die Y. AG beantragt die Abweisung des Rechtsmittels.
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Das Bundesgericht weist die Berufung ab, soweit es darauf eintritt.
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Aus den Erwägungen: | |
5. Der Kläger bringt schliesslich vor, die Bestimmung von Art. 336a Abs. 2 OR stelle die Festsetzung der vorliegend unter anderem eingeklagten Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung in das Ermessen des Richters. In diesem Fall dürfe von Bundesrechts wegen nicht verlangt werden, dass der Kläger seine Forderung im kantonalen Verfahren genau beziffere. Damit würde die derogatorische Kraft des Bundesrechts missachtet. Er verweist diesbezüglich auf BGE 116 II 215 E. 4a S. 219.
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5.1 Das Bundesgericht hatte in diesem Entscheid einen Verstoss gegen Bundesrecht bejaht, weil die Vorinstanz von einem Kläger, der seinen Mäklerlohn eingeklagt hatte, gestützt auf das kantonale Prozessrecht ein genau beziffertes Rechtsbegehren verlangte, obgleich er den Kaufpreis, auf dem sich der Lohn berechnete, nicht kannte und nicht kennen konnte. Es ging dabei davon aus, dass eine Prozessvorschrift, wonach die Rechtsbegehren der Parteien klar und deutlich zu formulieren sind und hinreichend bestimmt lauten müssen, nicht zu beanstanden ist; den Kantonen sei es im Grundsatz nicht verwehrt, in Forderungsstreitigkeiten die genaue Bezifferung des geforderten Betrages zu verlangen (vgl. zu den Gründen, die in der Literatur dafür angeführt werden, eine genaue Bezifferung des Rechtsbegehrens zu verlangen: GULDENER, Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Zürich 1979, S. 193; derselbe, Bundesprivatrecht und kantonales Zivilprozessrecht, ZSR 80/1961 II S. 60; VOGEL/SPÜHLER, Zivilprozessrecht, 7. Aufl., Bern 2003, S. 188; VOGEL, Die Stufenklage und die dienende Funktion des Zivilprozessrechts, recht 10/1992 S. 58 f.; kritisch zu den von diesen Autoren vertretenen Gründen: PETER LOOSLI, Die unbezifferte Forderungsklage, Diss. Zürich 1977, S. 74 ff.). Wie das Bundesgericht weiter festhielt, gilt dieser Grundsatz indessen nicht ohne Ausnahmen. So muss das kantonale Prozessrecht unbezifferte Rechtsbegehren zunächst dort zulassen, wo das Bundesprivatrecht sie ausdrücklich vorsieht; überdies dürfe ein genau beziffertes Begehren auch nicht verlangt werden, wenn das Bundesrecht das Gericht auf sein Ermessen verweise, wie beispielsweise in Art. 42 Abs. 2 OR. In den Fällen richterlichen Ermessens begrenze das Bundesrecht insoweit allerdings lediglich die Anforderungen an die materielle Substanziierung der Forderung, nehme dagegen den Kantonen nicht auch die Möglichkeit, aus formellen Gründen eine rahmenmässige Bezifferung der Klageforderung zu verlangen. Ferner führte das Gericht aus, dass es das bundesprivatrechtliche Verwirklichungsverbot (recte: Verwirklichungsgebot) nicht zulasse, eine Bezifferung der Klageforderung zu verlangen, wo der Kläger nicht in der Lage sei, die Höhe seines Anspruchs genau anzugeben, oder diese Angabe unzumutbar erscheine. Unzumutbar erscheine die genaue Bezifferung, wenn erst das Beweisverfahren die Grundlage für die Berechnung der Forderung abgebe. In entsprechenden Fällen sei dem Kläger zu gestatten, die Präzisierung erst nach Abschluss des Beweisverfahrens vorzunehmen (vgl. zum Ganzen BGE 116 II 215 E. 4a S. 219 mit zahlreichen Hinweisen; VOGEL, a.a.O., recht 10/1992 S. 58 ff.).
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Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass das Bundesrecht den Kantonen die Zulassung unbezifferter Rechtsbegehren in Ermessensfällen nur vorschreibt, wenn dem Gericht bei der Feststellung des erheblichen Sachverhalts ein Ermessen zukommt und sich die bezifferbare Forderung erst aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt (vgl. für Art. 42 Abs. 2 OR: BGE 122 III 219 E. 3b S. 222 mit Hinweisen). Das Urteil BGE 116 II 215 ff. wurde in der Lehre denn auch zutreffend in diesem Sinne verstanden (vgl. VOGEL, a.a.O., recht 10/1992 S. 61). Nur dann drängt es sich auf, mit der genauen Bezifferung der Forderung bis zum Ende des Beweisverfahrens zuzuwarten. Demgegenüber kann das kantonale Prozessrecht eine genaue Bezifferung ohne weiteres verlangen, wenn das materielle Recht dem Gericht nicht bezüglich der Feststellung des erheblichen Sachverhalts ein Ermessen einräumt, sondern bloss bezüglich der Rechtsfolge. Diesfalls besteht kein besonderer Zusammenhang zwischen den durch das Ermessen bedingten Unsicherheiten und dem ausstehenden Beweisergebnis (vgl. dazu FRANK/ STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl., Zürich 1997, N. 2a zu § 264 ZPO und N. 29 zu § 61 ZPO, wo es als bundesrechtlich zulässig bezeichnet wird, dass das kantonale Prozessrecht den Kläger verpflichtet, die Bezifferung des Anspruchs spätestens nach Durchführung des Beweisverfahrens nachzuholen; ebenso GULDENER, Zivilprozessrecht, a.a.O., S. 193 Ziff. 2 und Fn. 8; derselbe, ZSR, a.a.O., S. 59 f. sowie VOGEL/ SPÜHLER, a.a.O., S. 188 f.; zu weitgehend dagegen LOOSLI, a.a.O., S. 62 ff., der die hier befürwortete Differenzierung nach Fällen mit Rechtsfolgeermessen und solchen mit Tatbestandsermessen ablehnt). Den Kantonen auch in solchen Fällen zu verbieten, ein beziffertes Rechtsbegehren zu verlangen, lässt sich mit dem Gebot, dem materiellen Bundesrecht zum Durchbruch zu verhelfen, nicht rechtfertigen.
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5.2 Art. 336a Abs. 2 OR räumt dem Gericht ein Rechtsfolgeermessen ein (Art. 4 ZGB; BGE 123 III 391 E. 3c; vgl. dazu auch MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, N. 28 ff. zu Art. 4 ZGB; DÜRR, Zürcher Kommentar, N. 53 ff., 59 zu Art. 4 ZGB; REHBINDER, Berner Kommentar, N. 4 zu Art. 336a OG; BRÜHWILER, Kommentar zum Einzelarbeitsvertrag, 2. Aufl., Bern 1996, N. 2 zu Art. 336a OG; STREIFF/VON KAENEL, Arbeitsvertrag, 5. Aufl., Zürich 1992, N. 3 zu Art. 336a OR; WYLER, Droit du travail, Bern 2002, S. 408 f.). Es geht nicht um ein Ermessen bezüglich der Sachverhaltsfeststellung wie bei Art. 42 Abs. 2 OR (vgl. dazu BGE 122 II 219 E. 3b S. 222). In der Literatur wird allerdings teilweise auch für diesen Fall die Forderung aufgestellt, vom Erfordernis der Bestimmtheit des Rechtsbegehrens abzusehen. Müsse der Kläger das Rechtsbegehren genau beziffern, trage er wegen des richterlichen Ermessens ein unzumutbares Prozessrisiko (STREIFF/VON KAENEL, a.a.O., N. 6 zu Art. 336a OR; VISCHER, Der Arbeitsvertrag, in: Schweizerisches Privatrecht, Bd. VII/1, III, S. 171 Fn. 69; vgl. dazu auch LOOSLI, a.a.O., S. 17 mit Hinweisen sowie S. 78 ff.).
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Es lässt sich in der Tat nicht von der Hand weisen, dass der Kläger das Risiko trägt, den richterlichen Ermessensentscheid falsch eingeschätzt zu haben, und damit entweder Parteikosten tragen zu müssen, weil er überklagt hat, oder weniger zu erhalten, als das Gericht eigentlich angemessen findet, weil er zu wenig gefordert hat. Das trifft aber auf alle Rechtsstreitigkeiten zu, bei denen dem Gericht ein Rechtsfolgeermessen zusteht. Auch in Bereichen, in denen das Gesetz dem Gericht kein Ermessen einräumt, die Rechtslage aber unklar ist, so dass unterschiedliche Rechtsstandpunkte in guten Treuen vertreten werden können, tragen die Parteien das Risiko bei einem in guten Treuen geführten Prozess ganz oder teilweise zu unterliegen. Es handelt sich bei solchen Unsicherheiten somit um ein übliches Prozessrisiko, das dem Erfordernis einer genauen Bezifferung des Rechtsbegehrens nicht entgegen stehen kann, soweit daran überhaupt festgehalten werden soll. Solchen Risiken kann ohne weiteres bei der Kostenregelung Rechnung getragen werden. Diese erfolgt bei teilweisem Obsiegen einer Partei regelmässig nicht mathematisch genau im Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens. Vielmehr kann sehr wohl der Umstand berücksichtigt werden, dass eine Partei bloss dem Betrag nach unterlegen ist, jedoch im Grundsatz obsiegt hat (vgl. dazu beispielsweise LEUCH/MARBACH/KELLERHALS/STERCHI, Kommentar zur Zivilprozessordnung des Kantons Bern, 5. Aufl., Bern 2000, N. 7a zu Art. 58 ZPO; FRANK/STRÄULI/MESSMER, a.a.O., N. 16 und 19 zu § 64 ZPO).
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5.3 Entsprechend ist es bundesrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz im vorliegenden Fall auf Grund des kantonalen Prozessrechts eine genaue Bezifferung des eingeklagten Betrages verlangt hat, und auf das Rechtsmittel des Klägers materiell nicht eingetreten ist, weil er sein Rechtsbegehren nur dem Rahmen nach beziffert hat.
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