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55. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. A. gegen B. Unfallversicherungs-Gesellschaft (Berufung) |
4C.14/2005 vom 25. April 2005 | |
Regeste |
Art. 60 OR und Art. 83 Abs. 1 SVG, Art. 2 ZGB. Verjährung von zivilrechtlichen Ansprüchen aus strafbarer Handlung. Rechtsmissbräuchliche Verjährungseinrede. |
Rechtsmissbräuchliche Berufung auf die Verjährung (E. 2)? | |
Sachverhalt | |
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In den Jahren 1979 bis zum 27. November 1989 leistete die Beklagte Teilzahlungen an den Kläger. Mit Schreiben vom 21. August 1989 erklärte sie Verzicht auf die Einrede der Verjährung bis 6. September 1994, soweit nicht schon die Verjährung eingetreten sei.
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Mit Klage vom 22. Juli 1994 beantragte der Kläger dem Bezirksgericht Lenzburg, die Beklagte sei zur Zahlung von Schadenersatz und Genugtuung von Fr. 2'589'875.- zuzüglich Zins zu 5 % seit 1. Juni 1994 zu verurteilen. Die Beklagte schloss auf vollumfängliche Abweisung der Klage. Am 25. Mai 1999 erliess der Präsident des Bezirksgerichts die Beweisverfügung und setzte dem Kläger Frist zur Stellungnahme.
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Dieser liess indessen mit Eingabe seines Vertreters vom 11. Januar 2000 um Sistierung des Verfahrens ersuchen. Am 14. Januar 2000 traf der Präsident des Bezirksgerichts folgende Verfügung:
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"1. Das Verfahren wird vorläufig sistiert.
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2. Der Vertreter des Klägers wird um Mitteilung ersucht, sobald der Gesundheitszustand des Klägers die Fortsetzung des Verfahrens erlaubt.
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3. ... (Mitteilung)."
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Zur Begründung wurde ausgeführt, der Vertreter des Klägers habe mitgeteilt, dieser habe im Dezember 1999 einen Herzinfarkt erlitten und sei gegenwärtig bis auf weiteres hospitalisiert. Dem Begehren um Sistierung des Verfahrens könne unter den gegebenen Umständen stattgegeben werden.
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In der Folge meldete sich der Kläger bzw. sein Vertreter über drei Jahre nicht. Mit einer als "Begehren um Fortsetzung des Verfahrens/Stellungnahme zur vorgesehenen ![]() | 9 |
Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage als Folge der in der Klagantwort erhobenen Verjährungseinrede bzw. der seit Abschluss des Schriftenwechsels in der Zeit zwischen dem 14. Januar 2000 (Sistierungsverfügung) und 5. Februar 2003 (klägerisches Begehren um Fortsetzung des Verfahrens) eingetretenen Verjährung.
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Mit Entscheid vom 18. Dezember 2003 wies das Bezirksgericht Lenzburg die Verjährungseinrede ab.
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Am 10. November 2004 hob das Obergericht des Kantons Aargau, 2. Zivilkammer, diesen Entscheid in Gutheissung einer Appellation der Beklagten auf und wies die Klage ab, weil die klägerische Forderung seit Klageinreichung verjährt sei. Dazu erkannte es, dass die Verjährung letztmals durch die Sistierungsverfügung vom 14. Januar 2000 unterbrochen worden und in der Folge bis zur Spitalentlassung des Klägers am 18. Januar 2000 still gestanden sei. Nachdem am 14. Januar 2000 die strafrechtliche Verfolgungsverjährung bereits abgelaufen sei, habe nach der Unterbrechung nur noch die zweijährige Verjährungsfrist gemäss Art. 83 Abs. 1 Satz 1 SVG und nicht die längere strafrechtliche Verjährungsfrist nach Art. 83 Abs. 1 Satz 2 SVG zu laufen begonnen. Jene sei im Zeitpunkt des klägerischen Begehrens vom 5. Februar 2003 um Fortsetzung des Verfahrens bereits abgelaufen, womit die Verjährung eingetreten sei.
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Der Kläger beantragt dem Bundesgericht mit eidgenössischer Berufung, das Urteil des Obergerichts aufzuheben, die Verjährungseinrede der Beklagten abzuweisen und die Sache zur Fortsetzung des Beweisverfahrens an das Bezirksgericht Lenzburg zurückzuweisen. Eventualiter sei die Sache zur Durchführung eines Beweisverfahrens an das Obergericht zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht weist die Berufung ab, soweit es darauf eintritt.
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Uneinigkeit herrscht dagegen darüber, ob mit der Unterbrechung am 14. Januar 2000 eine strafrechtliche Verjährungsfrist von fünf Jahren nach Art. 83 Abs. 1 Satz 2 SVG zu laufen begann oder die zweijährige Verjährungsfrist nach Art. 83 Abs. 1 Satz 1 SVG. Der Kläger rügt, die Vorinstanz habe die bundesrechtlichen Verjährungsregeln nach Art. 83 SVG in Verbindung mit Art. 60 Abs. 2 OR sowie Art. 137 Abs. 1 OR unrichtig angewendet, indem sie entschieden habe, dass durch die Sistierungsverfügung vom 14. Januar 2000 bloss eine zivilrechtliche Verjährungsfrist von zwei Jahren ausgelöst worden sei.
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"c. Die Regel von Art. 60 Abs. 2 OR soll die zivilrechtliche Verjährung mit der strafrechtlichen harmonisieren. Es wäre stossend, wenn der Täter zwar noch bestraft werden könnte, die Wiedergutmachung des zugefügten Schadens aber nicht mehr verlangt werden dürfte (BGE 122 III 225 E. 5 mit Hinweisen). Diesem Sinn und Zweck entspräche, die Verjährungseinrede im Zivilrecht dann ![]() | 19 |
d. Es ist daher an der mehrmals bestätigten Auslegung festzuhalten, dass die Unterbrechung der Verjährung im Sinne von Art. 135 OR eine neue Frist in Höhe der ursprünglichen längeren Dauer auslöst, sofern die Forderung aus einer strafbaren Handlung abgeleitet wird, für die Art. 70 StGB eine längere Verjährungsfrist vorsieht. Dies gilt jedenfalls solange, als die verjährungsunterbrechende Handlung im Sinne von Art. 135 OR noch vor Eintritt der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung erfolgt. In diesem Falle verlängert sich die zivilrechtliche Verjährungsfrist um die volle ursprüngliche Dauer unabhängig davon, ob die strafrechtliche Verfolgungsverjährung während des Laufes der neuen Frist eintritt. Der Schuldner weiss in diesem Fall, dass gegen ihn Ansprüche erhoben werden und kann nicht nur entsprechende Beweise sichern, sondern - wie der vorliegende Fall zeigt - die Rechtslage mit einer negativen Feststellungsklage klären. Dagegen würde es wohl zu weit führen, erst nach Ablauf der strafrechtlichen Verjährungsfrist vorgenommenen verjährungsunterbrechenden Handlungen dieselbe Wirkung ![]() | 20 |
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Art. 60 Abs. 2 OR bestimmt, dass eine längere strafrechtliche Verjährungsfrist auch für den Zivilanspruch gilt, wenn die Klage aus einer strafbaren Handlung abgeleitet wird. Dem Wortlaut der genannten Bestimmung ist nicht zu entnehmen, mit welcher Dauer die Verjährungsfrist nach einer (zivilrechtlichen) Unterbrechung, die erst nach Ablauf der strafrechtlichen Verfolgungsfrist erfolgt, neu zu laufen beginnt. Ein Widerspruch der vorinstanzlichen Auslegung von Art. 60 Abs. 2 OR bzw. von Art. 83 SVG mit dessen Wortlaut ist nicht auszumachen und wird vom Kläger auch nicht aufgezeigt.
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Ebenso wenig stehen dieser Auslegung Gründe der Rechtssicherheit entgegen, zumal das Bundesgericht in BGE 127 III 538 klar ![]() | 27 |
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Auch dieser - im Übrigen vor Bundesgericht erstmals erhobenen - Einwendung kann nicht gefolgt werden. Die Einrede der Verjährung stellt einen Rechtsmissbrauch im Sinne von Art. 2 Abs. 2 ZGB dar und ist nicht zu schützen, wenn sie gegen erwecktes Vertrauen verstösst, der Schuldner insbesondere ein Verhalten gezeigt hat, das den Gläubiger bewogen hat, während der Verjährungsfrist rechtliche Schritte zu unterlassen, und das seine Säumnis auch bei objektiver Betrachtungsweise als verständlich erscheinen lässt. Ein arglistiges Verhalten ist dabei nicht erforderlich (BGE 128 V 236 E. 4a S. 241; BGE 113 II 264 E. 2e S. 269, je mit Hinweisen; MERZ, Berner Kommentar, N. 410 ff. zu Art. 2 ZGB; BAUMANN, Zürcher Kommentar, N. 393 zu Art. 2 ZGB).
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Soweit der Kläger mit seinen Vorbringen geltend machen will, die Beklagte habe Zahlungen geleistet, um die Verjährung jeweils um weitere fünf Jahre zu unterbrechen, ist zunächst nicht nachvollziehbar, weshalb die Beklagte mit einem solchen Verhalten berechtigtes Vertrauen des Klägers erweckt haben sollte, dass während des Prozesses die fünfjährige Frist gelten und die Beklagte diese weiterhin akzeptieren würde. Überdies beruft er sich damit auf ein Sachverhaltselement, das im angefochtenen Urteil keine Stütze findet. Damit kann er im Berufungsverfahren nicht gehört ![]() | 31 |
Auch aus dem Umstand, dass die Beklagte mit Schreiben vom 21. August 1989 für fünf Jahre den Verzicht auf die Verjährungseinrede erklärte, durfte der Kläger vernünftigerweise nicht ableiten, sie werde für alle Zukunft bei verjährungsunterbrechenden Handlungen eine Verlängerung der Verjährungsfrist um diese Dauer akzeptieren. Er durfte aufgrund dieses Schreibens nicht darauf vertrauen, dass die hier in Frage stehende Unterbrechungshandlung, die im Prozess, rund 13 Jahre nach Ablauf der (abstrakten) absoluten strafrechtlichen Verfolgungsverjährung erfolgte, eine neue fünfjährige Verjährungsfrist auslösen würde.
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