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13. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. K. gegen B. (Berufung) |
5C.236/2005 vom 22. Dezember 2005 | |
Regeste |
Art. 328 f. ZGB; Verwandtenunterstützung und Sozialhilfe. | |
Sachverhalt | |
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B. Im Sommer/Herbst 2004 leitete die Klägerin ein Verfahren auf Leistung von Verwandtenunterstützung ein. Sie beantragte, den Beklagten gerichtlich zur Zahlung von monatlich Fr. 5'500.- zu verurteilen. Die Einzelrichterin am Bezirksgericht Zürich setzte die monatlichen Unterstützungsleistungen des Beklagten auf Fr. 5'000.- bis zum 31. Dezember 2008 fest. Der Beklagte legte dagegen Berufung ein und schloss auf Abweisung der Klage, soweit darin mehr als Fr. 2'250.-, eventualiter mehr als Fr. 2'400.- begehrt würden. Das Obergericht des Kantons Zürich hiess die Berufung gut und verpflichtete den Beklagten, der Klägerin Unterstützungsleistungen von Fr. 2'250.- pro Monat zu bezahlen, zahlbar ab Rechtskraft des Urteils längstens bis zum 31. Dezember 2008. Im Mehrbetrag wies es die Klage ab.
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C. Mit eidgenössischer Berufung beantragt die Klägerin zur Hauptsache die Bestätigung des bezirksgerichtlichen Urteils. Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen zur Berufung verzichtet. Es ist ![]() | 3 |
Aus den Erwägungen: | |
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Unterstützungsleistungen setzen "günstige Verhältnisse" auf Seiten des Pflichtigen und eine "Not" des Berechtigten voraus und sollen "erforderlich" und "angemessen" sein. Über all diese Fragen hat das Sachgericht - wie bei der Unterhaltsfestsetzung allgemein - nach Recht und Billigkeit im Sinne von Art. 4 ZGB zu entscheiden. Es obliegt ihm, sämtliche Umstände des konkreten Einzelfalls zu berücksichtigen und eine den besonderen Verhältnissen angepasste Lösung zu finden (vgl. HONSELL, Basler Kommentar, 2002, N. 6 und N. 8 f. zu Art. 4 ZGB, mit Hinweisen). Derartige Ermessensentscheide überprüft das Bundesgericht im Berufungsverfahren zwar grundsätzlich frei. Es übt aber Zurückhaltung und schreitet nur ein, wenn die Vorinstanz grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgewichen ist, wenn sie Tatsachen berücksichtigt hat, die für den Entscheid im Einzelfall keine Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn sie umgekehrt Umstände ausser Betracht gelassen hat, die zwingend hätten beachtet werden müssen. Ausserdem greift das Bundesgericht in Ermessensentscheide ein, falls sich diese als offensichtlich unbillig, als in stossender Weise ungerecht erweisen (BGE 128 III 161 E. 2c/aa S. 162; BGE 131 III 12 E. 4.2 S. 15).
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Strittig ist auf Seiten der Klägerin die Berechnung ihres Bedarfs (E. 2) und auf Seiten des Beklagten, inwieweit er sein Vermögen angreifen muss (E. 3 hiernach). Das Verwandtschaftsverhältnis als dritte Anspruchsvoraussetzung ist gegeben zwischen dem Beklagten (Vater) und der Klägerin (Tochter) wie auch zwischen dem Beklagten (Grossvater) und den vier Kindern der Klägerin (Enkel).
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2. Zusätzlich zum unbestrittenen Bedarf der Familie hat die Klägerin im kantonalen Verfahren monatliche Auslagen von Fr. ![]() | 7 |
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Da die Beurteilung der Not und des zum Lebensunterhalt Erforderlichen ausgesprochen auf Ermessen beruht, hat sich das Bundesgericht lediglich mit den Grenzen des jeweilen angelegten ![]() | 10 |
Lehre und kantonale Praxis beantworten die Frage unterschiedlich, ob der betreibungsrechtliche Notbedarf - in Analogie zur Bedürftigkeitsrente bisherigen Rechts (aArt. 152 ZGB) - zu erweitern und um einen Zuschlag von bis zu 20 % zu erhöhen sei (vgl. TH. KOLLER, Basler Kommentar, 2002, N. 10 zu Art. 328/329 ZGB; WIDMER, Verhältnis der Verwandtenunterstützungspflicht zur Sozialhilfe in Theorie und Praxis, Diss. Zürich 2000, S. 46 ff., je mit Hinweisen).
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2.3 Ob und inwieweit ein bundesrechtlicher Anspruch auf mehr als den betreibungsrechtlichen Notbedarf besteht, muss zunächst vom System des Unterhaltsrechts her beantwortet werden. Die Frage hat das Bundesgericht immer wieder im Zusammenhang mit der Leistungskraft des zu Unterhalts- bzw. Unterstützungszahlungen Pflichtigen beschäftigt. Für den Berechtigten stellt sie sich denn auch regelmässig nicht in gleicher Weise. Reichen die Mittel des Pflichtigen nämlich aus, hat der Berechtigte Anspruch auf Deckung mindestens des tatsächlich angemessenen oder weitergehend eines der bisherigen oder früheren Lebenshaltung entsprechenden Bedarfs; in Mangelfällen hat der Berechtigte Anspruch auf das, was übrig bleibt, und den Fehlbetrag zu tragen (grundlegend: BGE 123 III 1). Nur die Rente gemäss aArt. 152 ZGB des Scheidungsrechts von 1907/12 hatte den Zweck, einen minimalen Bedarf des Berechtigten zu decken. Die "grosse Bedürftigkeit" des ![]() | 12 |
Die Bedürftigkeitsrente beruhte auf dem Gedanken der nachehelichen Solidarität (BGE 121 I 150 E. 1c/bb S. 153; BGE 119 II 12 E. 2c/bb S. 15). Die Rechtsprechung ging davon aus, die grosse Bedürftigkeit dürfe nicht einfach anhand der Richtlinien für die Bemessung der Sozialhilfe - d.h. der Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) bzw. für öffentliche Fürsorge (SKöF) - bestimmt werden, die im Gegensatz zum betreibungsrechtlichen Notbedarf verschiedene weitere Ausgaben berücksichtigten. Von Bedürftigkeit im Sinne von aArt. 152 ZGB sei grundsätzlich dann zu sprechen, wenn das Einkommen des betreffenden Ehegatten nicht mehr als 20 % über dem - um die laufende Steuerlast erweiterten - betreibungsrechtlichen Notbedarf liege (BGE 121 III 49). Nacheheliche Solidarität geht nun aber weiter als verwandtschaftliche Solidarität, so dass es sich rechtfertigt, an die Verpflichtung zu Unterstützungsleistungen einen strengeren Massstab anzulegen als an die Verpflichtung zur Leistung von nachehelichem Unterhalt (vgl. HAUSHEER/BRUNNER, Handbuch des Unterhaltsrechts, Bern 1997, N. 07.24 S. 399 f.). Auf dieser Überlegung beruht auch die Rechtsprechung, dass dem Unterstützungsberechtigten mit Kinderbetreuungspflichten viel eher die Aufnahme einer eigenen Erwerbstätigkeit zugemutet wird als dem geschiedenen Ehegatten in der gleichen Situation (BGE 121 III 441 E. 3b/aa S. 443 f.). Noch weitergehend abgeschwächt ist der Solidaritätsgedanke im Verhältnis zwischen Eltern und mündigem Kind, wo er nur mehr - unter beschränkten Voraussetzungen - als Ausbildungsunterhalt zum Ausdruck kommt (Art. 277 Abs. 2 ZGB).
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Unter diesem Blickwinkel ist die eingangs gestellte Frage zu verneinen. Es kann keinen Ermessensfehler bedeuten, dass das Obergericht den verlangten Prozentzuschlag auf dem Notbedarf nicht zugelassen hat.
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2.4 Das Ergebnis wird durch die ZGB-Revision von 1998/2000 gestützt. Der Gesetzgeber hat die Unterstützungspflicht der Geschwister in Art. 328 ZGB abgeschafft und nur mehr diejenige der ![]() | 15 |
Der Entscheid des Gesetzgebers, an der Unterstützungspflicht wenigstens für Verwandte in auf- und absteigender Linie festzuhalten, ist zu beachten. Gleichwohl darf den Bedenken gegen das Institut der Verwandtenunterstützung Rechnung getragen werden. Auch mit Blick auf den Ausbau des Sozialversicherungssystems kann es sich nicht rechtfertigen, Leistungen der Verwandten an weniger strenge Voraussetzungen zu knüpfen als Leistungen der Sozialhilfe. Es ist - wie dies das Obergericht zu Recht hervorgehoben hat - nicht ersichtlich, weshalb sich der zu Unterstützungszahlungen gemäss Art. 328 ZGB Verpflichtete einen höheren Bedarf des Berechtigten anrechnen lassen muss als das Gemeinwesen. An der - jedenfalls vom Wortlaut her - abweichenden Rechtsprechung gemäss BGE 81 II 427, wonach die Verwandtenunterstützung weiter geht als die Sozialhilfe, kann insoweit nicht festgehalten werden. Die Richtlinien für die Bemessung der Sozialhilfe sind für die Zivilgerichte dabei nicht etwa verbindlich oder im Bereich der Verwandtenunterstützung unmittelbar anwendbar, dürfen jedoch in der Rechtsanwendung berücksichtigt und im konkreten Einzelfall ![]() | 16 |
Nach den Feststellungen des Obergerichts werden im Rahmen der Sozialhilfegesetzgebung einzig die konkreten finanziellen Bedürfnisse des Berechtigten berücksichtigt. Es kann deshalb keinen Ermessensfehler bedeuten, dass das Obergericht einen Zuschlag für behauptete, aber nicht belegte Auslagen verweigert hat.
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3.1 Das Bezirksgericht hat dafürgehalten, in Anbetracht des Verkehrswerts seiner Liegenschaft von rund 3,5 Mio. Franken könne der Beklagte die bestehenden Hypotheken von gut 1 Mio. Franken um Fr. 200'000.- erhöhen. Dieses Barvermögen erlaube es ihm, ohne Schmälerung seiner eigenen Lebenshaltung die Klägerin zumindest für eine beschränkte Zeit - bis zum 31. Dezember 2008 - zu unterstützen. Das Obergericht ist davon ausgegangen, ein Vermögensverzehr sei dem Beklagten nicht zumutbar. Der Verbrauch von Vermögen tangiere nicht nur fortlaufend die Substanz, sondern auch den Ertrag und führe insoweit stetig zu geringeren Einkünften. Der Beklagte sei offenkundig nicht erwerbstätig, erziele neben dem Liegenschaftsertrag kein weiteres Einkommen und habe entsprechend keine Möglichkeit der beruflichen Altersvorsorge. Er sei daher nebst der AHV auf eine private Altersvorsorge angewiesen, die nur gewährleistet sei, wenn er seine Vermögenswerte auch in Zukunft erhalten könne. Eine höhere Schuldverpflichtung führe bei ihm langfristig und über die Dauer der Unterstützungspflicht hinaus zu geringeren Einkünften. Ein derartiger Eingriff tangiere ![]() | 20 |
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Der Beklagte ist bevormundet und benötigt zur Deckung seines Bedarfs monatlich rund Fr. 8'600.- (einschliesslich Taschengeld von Fr. 1'600.- und Feriengeld von Fr. 200.-). Mit seinem durchschnittlichen Einkommen von - je nach Parteistandpunkt - Fr. 10'200.- (Beklagter) bzw. Fr. 11'500.- (Klägerin) vermag er die geforderten Unterstützungsleistungen von monatlich Fr. 5'500.- nicht zu bezahlen. Nach seiner Darstellung muss er selbst für die von ihm anerkannten Unterstützungsleistungen von Fr. 2'250.- pro Monat auf sein Vermögen zurückgreifen. Sein steuerbares Vermögen hat er in der Steuererklärung 2004 mit rund 2,4 Mio. Franken angegeben.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts beurteilt sich die Leistungsfähigkeit des Pflichtigen nicht nur auf Grund seines Einkommens, sondern auch des Vermögens. Ein Anspruch auf ungeschmälerte Erhaltung des Vermögens besteht nur dann, wenn die ![]() | 23 |
3.3 Im Rahmen der - hier zum Vergleich geeigneten - Bedürftigkeitsrente gemäss aArt. 152 ZGB nahm das Bundesgericht regelmässig an, dass der Pflichtige sein Vermögen zur Bezahlung einer Rente nur einsetzen muss, soweit es nicht zur Sicherung seiner weiteren Existenz intakt bleiben muss (Urteil 5C.39/2000 vom 30. März 2000, E. 4 Abs. 3, mit Hinweis auf HINDERLING/STECK, a.a.O., S. 303/304 bei/in Anm. 12a). Zu beachten ist auch in diesem Zusammenhang, dass vom Verwandten, dessen Unterstützungspflicht der Verpflichtung zur Zahlung einer ![]() | 24 |
Auf Grund der gewandelten Anschauungen und der geänderten Verhältnisse, namentlich der Lebensdauer (E. 2.4 Abs. 1 hiervor) muss insbesondere die wirtschaftliche Sicherheit des Pflichtigen im Alter berücksichtigt werden (TH. KOLLER, a.a.O., N. 16 zu Art. 328/ 329 ZGB). An die Stelle einer kurzfristigen Betrachtung tritt damit eine Beurteilung auf längere Sicht. Insoweit kann an der Rechtsprechung nur eingeschränkt festgehalten werden, wonach Unterstützungsleistungen nur dann ausgeschlossen sein sollten, wenn deren Bezahlung das Auskommen des Pflichtigen schon in naher Zukunft gefährdet (E. 3.2 Abs. 3 soeben).
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Die SKOS-Richtlinien, die das Zivilgericht im Rahmen seiner Ermessensausübung heranziehen darf (E. 2.4 Abs. 2 hiervor), erlauben dem veränderten Umfeld angepasste Lösungen. Danach wird allgemein empfohlen, auf die Verwertung von Grundeigentum zu verzichten, wenn der Immobilienbesitz (bei selbstständig Erwerbenden ohne berufliche Vorsorge) einer nötigen Alterssicherung gleichkommt (Kapitel E.2-4). In diesem Sinne sind spezielle Vereinbarungen zu treffen (Fälligkeit des Betrages nach Verkauf der Vermögenswerte oder nach Ableben des Pflichtigen, gegebenenfalls mit grundpfandrechtlicher Sicherstellung), wenn unterstützungspflichtige Verwandte in erheblichem Umfang Grundeigentum oder andere Vermögenswerte haben, deren (teilweise) Verwertung im Moment nicht möglich oder zumutbar ist (Kapitel F.4-3).
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3.4 Das Obergericht hat die massgebenden Kriterien für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Beklagten richtig wiedergegeben, indem es entscheidend auf dessen wirtschaftliche Sicherheit im Alter abgestellt hat. Das Einkommen des Beklagten besteht - abgesehen (Art. 64 Abs. 2 OG) von einem geringfügigen Wertschriftenertrag (knapp Fr. 500.- im Jahr) - aus dem Ertrag, den sein Mehrfamilienhaus in Zürich abwirft. Er ist nicht erwerbstätig und verfügt über keine berufliche Vorsorge. Zusätzlich zu den Leistungen der AHV wird er somit auch im Alter auf den Vermögensertrag angewiesen sein. Der Ertrag wird zudem einseitig aus einem einzigen Vermögensgegenstand erwirtschaftet. Zu dessen Erhaltung rechtfertigen sich deshalb besondere Vorkehren. Es genügt nicht, dass der laufende Unterhalt gedeckt werden kann, wie das ![]() | 27 |
Entgegen ihrer Darstellung kann die Klägerin aus den SKOS-Richtlinien nichts zu ihren Gunsten ableiten. In tatsächlicher Hinsicht steht fest, dass die zuständigen Behörden in ihrer Vereinbarung über den Rückgriff auf den Beklagten für Sozialhilfeleistungen an die Klägerin nur auf das Einkommen des Beklagten gemäss SKOS-Richtlinien, hingegen nicht auf sein Vermögen abgestellt haben. Es kann weiter ergänzt werden (Art. 64 Abs. 2 OG), dass die zuständigen Behörden der künftigen Erbschaft der Klägerin Rechnung getragen und ihr bezogen darauf eine Schuldanerkennung für erbrachte Leistungen gemäss § 27 des Sozialhilfegesetzes - Rückerstattungspflicht bei Erbschaft - zur Unterzeichnung vorgelegt haben. Die Lösung gestattet, den künftigen Erbanfall auf Seiten der Klägerin einzubeziehen und gleichzeitig die Bedürfnisse des Beklagten nach einem gleichbleibenden und gesicherten Vermögensertrag bis zu seinem Tod zu gewährleisten.
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Insgesamt vermag die Klägerin mit ihren Vorbringen keinen Ermessensfehler des Obergerichts darzutun. Eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu Unterhaltspflichtigen, deren Vermögen nicht einseitig aus Immobilien besteht, liegt nicht vor. Im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens hatte das Obergericht vielmehr sämtliche Umstände des konkreten Einzelfalls zu berücksichtigen und eine den besonderen Verhältnissen angepasste Lösung zu finden (E. 1 hiervor).
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