BGE 132 III 242 | |||
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28. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. A.C. gegen Genossenschaft X. (Berufung) |
4C.325/2005 vom 23. November 2005 | |
Regeste |
Art. 320 Abs. 3 OR; Gutgläubigkeit als Voraussetzung für ein faktisches Arbeitsverhältnis. | |
Sachverhalt | |
A. A.C. (Kläger) arbeitete zunächst von 1976 bis 1986 für die Einzelfirma A.C. und anschliessend bis zum 31. März 2001 für die Nachfolgefirma C. AG, wo er über 30 Mitarbeiter leitete. Unter anderem war er bis ins Jahr 1999 auch für die Unterzeichnung der Arbeitszeugnisse zuständig. Von diesem Zeitpunkt an stellte sein Bruder D.C. die Zeugnisse aus. Als der Kläger die C. AG verliess, stellten ihm seine Brüder P.C. und D.C ein vom 1. Juni 2000 datiertes Arbeitszeugnis aus, mit welchem Zeugnis der Kläger jedoch nicht einverstanden war. Er verlangte deshalb auf dem Rechtsweg ein besseres Arbeitszeugnis.
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Als sich der Kläger um die Stelle als Geschäftsführer der Genossenschaft X. (Beklagte) bewarb, lag das Urteil des Arbeitsgerichts, mit dem die C. AG zur Ausstellung eines besseren Arbeitszeugnisses verpflichtet werden sollte, noch nicht vor. Der Kläger reichte mit seinen Bewerbungsunterlagen dennoch nicht das von seinen Brüdern ausgestellte Arbeitszeugnis vom 1. Juni 2000 ein, sondern ein von ihm selbst verfasstes und von seiner Frau unterzeichnetes Arbeitszeugnis vom 8. Mai 2000. Darin wurden dem Kläger hervorragende Eigenschaften attestiert, welche diesem weder in dem von der Firma C. AG ausgestellten Arbeitszeugnis vom 1. Juni 2000 noch in dem durch Urteil des Arbeitsgerichts des Kantons Luzern vom 9. Dezember 2002 angeordneten Zeugnis bescheinigt wurden.
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Mit Vertrag vom 7. August 2000 wurde der Kläger von der Beklagten als Geschäftsführer angestellt. Mit Schreiben vom 29. Juni 2001 wurde ihm von der Beklagten unter sofortiger Freistellung ordentlich gekündigt. Anfangs August 2001 erhielt die Beklagte Kenntnis vom Arbeitszeugnis der C. AG vom 1. Juni 2000 und stellte die Abweichungen von dem ihr vorgelegten Zeugnis vom 8. Mai 2000 fest. Mit Schreiben vom 13. September 2001 erklärte die Beklagte dem Kläger die Unverbindlichkeit des gekündigten Arbeitsvertrages.
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B. Am 24. Juni 2002 belangte der Kläger die Beklagte beim zuständigen Arbeitsgericht auf Zahlung von Fr. 21'443.-. Die Zahlung setzt sich zusammen aus dem Nettolohn für die Monate August bis November und dem entsprechenden Anteil am 13. Monatslohn, abzüglich die von der Arbeitslosenkasse ausbezahlten Beträge. Das Arbeitsgericht erwog, die Beklagte hätte den Arbeitsvertrag nicht abgeschlossen, wenn sie nicht durch das falsche Arbeitszeugnis getäuscht worden wäre, weshalb sie den Vertrag zu Recht wegen Willensmangels angefochten habe. Nach Art. 320 Abs. 3 OR hätten aber beide Parteien die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis in gleicher Weise wie aus gültigem Vertrag zu erfüllen, bis der Vertrag von der einen oder anderen Partei wegen Ungültigkeit aufgehoben werde. Demgemäss hat das Arbeitsgericht den Lohnanspruch des Klägers für die Monate August und September (bis zur Unverbindlicherklärung des Vertrages vom 13. September 2001) inklusive Anteil 13. Monatslohn berechnet und in teilweiser Gutheissung der Klage die Beklagte verpflichtet, dem Kläger Fr. 14'741.20 zu bezahlen.
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Das Obergericht des Kantons Aargau ging in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht davon aus, dass die Beklagte durch Täuschung des Klägers - mit Hilfe eines Arbeitszeugnisses, das entgegen seinem Anschein keine Drittbeurteilung darstellte - zum Abschluss des Arbeitsvertrages vom 7. August 2000 verleitet worden sei. Der Vertrag sei daher zufolge Täuschung für die Beklagte unverbindlich. Im Gegensatz zum Arbeitsgericht, das die Anwendung von Art. 320 Abs. 3 OR befürwortet und insbesondere auch angenommen hatte, der Kläger habe in gutem Glauben Arbeit im Dienste der Beklagten geleistet, hielt das Obergericht diese Voraussetzung für nicht erfüllt, weshalb es die Anwendung von Art. 320 Abs. 3 OR ablehnte. Indem der Kläger den Abschluss des Arbeitsvertrages durch Täuschung im Sinne von Art. 28 OR erwirkt habe, habe er mindestens eventualvorsätzlich gehandelt. Deshalb habe er bei der Aufmerksamkeit, wie sie nach den Umständen von ihm verlangt werden könne, nicht gutgläubig davon ausgehen dürfen, dass der von ihm erschlichene Vertrag vor einer allfälligen Genehmigung durch den getäuschten Arbeitgeber Verbindlichkeit erlange. Mit der Nichtanwendung von Art. 320 Abs. 3 OR falle auch die Vertragsanfechtung ex nunc dahin, von der das Arbeitsgericht ausgegangen sei. Die Anfechtung habe vielmehr Wirkung ex tunc, was zur Rückabwicklung des Arbeitsvertrages und zur Verrechnung der beidseitigen Bereicherungsansprüche führe.
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C. Mit Berufung vom 21. September 2005 beantragt der Kläger dem Bundesgericht, das Urteil des Obergerichtes des Kantons Aargau vom 30. Juni 2005 sei aufzuheben und die Beklagte sei zu verpflichten, dem Kläger Fr. 20'875.- zu bezahlen; eventualiter sei die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Fr. 14'741.20 zu bezahlen. Die Beklagte beantragt die Abweisung der Berufung, soweit darauf einzutreten sei.
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Aus den Erwägungen: | |
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4.1 Grundsätzlich ist ein Vertrag, der wegen Vorliegens eines Willensmangels von der betroffenen Partei angefochten wird, von Anfang an - ex tunc - ungültig. Bereits erbrachte Leistungen sind zurückzuerstatten. In Bezug auf Sachleistungen sind die Grundsätze der Vindikation, im Übrigen die Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung anwendbar. Dabei ist - wie im Fall des verzugsbedingten Rücktritts vom Vertrag nach Art. 109 OR (BGE 114 II 152 E. 2c S. 157 mit Hinweisen) - von einem vertraglichen Rückabwicklungsverhältnis auszugehen. Dies zeigt sich etwa darin, dass die Rückerstattung empfangener Leistungen trotz Ungültigkeit des Vertrages in Beachtung dessen Synallagmas Zug um Zug zu erfolgen hat (BGE 129 III 320 E. 7.1.1 S. 327 f. mit Hinweisen).
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4.2.2 Das Obergericht hat die Voraussetzung der Gutgläubigkeit im Wesentlichen mit der Begründung verneint, dass ein Arbeitnehmer, der die Auflösung des Vertrages durch Täuschung im Sinn von Art. 28 OR verursacht habe, nicht in den Genuss von Art. 320 Abs. 3 OR kommen könne. Dagegen wendet der Kläger im Wesentlichen ein, dass die Formulierung "in gutem Glauben Arbeit leisten" nur bedeute, dass eine Berufung auf Art. 320 Abs. 3 OR einzig dann ausgeschlossen sei, wenn der Arbeitnehmer nicht nur um den Mangel beim Zustandekommen des Vertrages, sondern auch um die rechtliche Unverbindlichkeit des Vertrages als Rechtsfolge dieses Mangels gewusst habe.
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4.2.4 Bei der Auslegung von Art. 320 Abs. 3 OR ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit dieser Bestimmung die Rückabwicklung von faktischen Arbeitsverhältnissen erleichtern wollte. Wie bereits erwähnt, würde die Ungültigkeit eines Arbeitsverhältnisses mit Wirkung ex tunc dazu führen, dass eine Rückabwicklung des Vertrags nach Vindikations- und Bereicherungsgrundsätzen erforderlich wäre, was regelmässig grosse Schwierigkeiten verursacht oder sogar unmöglich ist (E. 4.2). Die ratio legis von Art. 320 Abs. 3 OR besteht aber gerade darin, dass ein von beiden Parteien erfüllter Arbeitsvertrag grundsätzlich bis zur Geltendmachung der Ungültigkeit seine vollen Wirkungen entfaltet. Die Folgen der Ungültigkeit des Einzelarbeitsvertrages treten erst ex nunc ein, d.h. im Zeitpunkt, da sich eine Partei auf die Ungültigkeit beruft. Anstelle der oft schwer durchsetzbaren Bereicherungs- und Vindikationsansprüche stünden beiden Parteien bis zum Zeitpunkt der Berufung auf die Ungültigkeit die klar definierten vertraglichen Erfüllungsansprüche zu. Bereits im Interesse einer vereinfachten Rückabwicklung eines faktischen Arbeitsverhältnisses rechtfertigt es sich daher, die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 320 Abs. 3 OR nicht allzu eng zu fassen und an die Gutgläubigkeit keine allzu hohen Anforderungen zu stellen.
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Zu beachten ist sodann, dass die Anwendung von Art. 3 Abs. 2 ZGB auf die Frage, ob der Arbeitnehmer "in gutem Glauben gearbeitet" habe, zu unbilligen Ergebnissen führen könnte. In vielen Fällen der Nichtigkeit oder Unverbindlichkeit des gesamten Arbeitsvertrages - beispielsweise bei fehlender Handlungsfähigkeit des Arbeitnehmers oder bei Verstoss gegen ein gesetzliches Beschäftigungsverbot - wäre in der Regel davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer um den Mangel des Arbeitsvertrages weiss oder bei gebotener Aufmerksamkeit wenigstens hätte wissen müssen. In der Lehre herrscht aber Einigkeit darin, dass beispielsweise ein Jugendlicher, der die von ihm übernommene Arbeit gar nicht verrichten darf (Art. 30 ArG [SR 822.11]), oder ein Ausländer, der ohne gültige Arbeitsbewilligung arbeitet, auch dann in den Genuss von Art. 320 Abs. 3 OR gelangen, wenn sie um den Mangel des Arbeitsvertrages wussten oder hätten wissen müssen (STREIFF/VON KAENEL, a.a.O., N. 11 zu Art. 320 OR; STAEHELIN, a.a.O., N. 35 zu Art. 320 OR; VISCHER, a.a.O., S. 83; BRÜHWILER, a.a.O., N. 13 zu Art. 320 OR). Auch unter Berücksichtigung solcher Fälle rechtfertigt es sich, Art. 320 Abs. 3 OR in dem Sinn zu interpretieren, dass die gesetzlich verlangte Gutgläubigkeit des Arbeitnehmers nur dann zu verneinen ist, wenn dem Arbeitnehmer nicht nur die Kenntnis vom Mangel beim Zustandekommen des Vertrages, sondern das positive Wissen um die rechtliche Unverbindlichkeit des Vertrages als Rechtsfolge dieses Mangels nachgewiesen werden kann.
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Schliesslich deutet auch die Entstehungsgeschichte von Art. 320 Abs. 3 OR in die gleiche Richtung. Wie PELLEGRINI nachweist, standen die beiden Fragen im Vordergrund, wie ein gegen das Gesetz verstossendes Arbeitsverhältnis für die Vergangenheit rechtlichen Bestand haben könne und wie - unabhängig vom Bestand eines gültigen Arbeitsverhältnisses - ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Lohn anstatt eines blossen Bereicherungsanspruchs verwirklicht werden könne. Hinter der Verwendung der Formel "in gutem Glauben" sei überhaupt keine relevante Absicht gestanden (a.a.O., S. 162 ff.). Daraus folgert PELLEGRINI zu Recht, dass der zum Gesetz gewordene Wendung "in gutem Glauben Arbeit leisten" einzig der Sinn beizumessen ist, dass sich ein Arbeitnehmer dann nicht auf Art. 320 Abs. 3 OR zu berufen vermag, wenn positiv nachgewiesen ist, dass er um die Ungültigkeit des Vertrages wusste (a.a.O., S. 165).
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4.3 Im vorliegenden Fall ist zwar erstellt, dass der Kläger bewusst ein von ihm selbst verfasstes und von seiner Frau unterschriebenes Zeugnis verwendet und dadurch die Beklagte zum Vertragsabschluss verleitet hat (Art. 28 Abs. 1 OR). Hingegen sind dem angefochtenen Urteil keine Feststellungen zu entnehmen, welche auf die Kenntnis des Klägers in Bezug auf die Rechtsfolgen der ihm anzulastenden Täuschung schliessen liessen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger bekannt gewesen sein könnte, dass der von beiden Parteien während Monaten erfüllte Arbeitsvertrag von Anfang an ungültig sein sollte. Da dem nicht rechtskundigen Kläger keine Kenntnis in Bezug auf die Rechtsfolge seiner Täuschung nachgewiesen werden kann, ist seine Gutgläubigkeit mit Bezug und mit Beschränkung auf seine Vorstellung, dass er seine Arbeit gegen den vertraglich vereinbarten Lohn geleistet habe, zu unterstellen. Das Obergericht verstösst damit gegen Art. 320 Abs. 3 OR, indem es einen Lohnanspruch des Klägers bis am 13. September 2001, als die Beklagte die Unverbindlichkeit des Arbeitsvertrages erklärte, verneinte. Die Berufung ist daher teilweise gutzuheissen, und die Beklagte ist entsprechend dem Urteil des Arbeitsgerichtes vom 27. Juni 2003 zu verpflichten, dem Kläger Fr. 14'741.20 zu bezahlen.
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