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28. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. A.C. gegen Genossenschaft X. (Berufung) |
4C.325/2005 vom 23. November 2005 | |
Regeste |
Art. 320 Abs. 3 OR; Gutgläubigkeit als Voraussetzung für ein faktisches Arbeitsverhältnis. | |
Sachverhalt | |
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Als sich der Kläger um die Stelle als Geschäftsführer der Genossenschaft X. (Beklagte) bewarb, lag das Urteil des Arbeitsgerichts, mit dem die C. AG zur Ausstellung eines besseren Arbeitszeugnisses verpflichtet werden sollte, noch nicht vor. Der Kläger reichte mit ![]() | 2 |
Mit Vertrag vom 7. August 2000 wurde der Kläger von der Beklagten als Geschäftsführer angestellt. Mit Schreiben vom 29. Juni 2001 wurde ihm von der Beklagten unter sofortiger Freistellung ordentlich gekündigt. Anfangs August 2001 erhielt die Beklagte Kenntnis vom Arbeitszeugnis der C. AG vom 1. Juni 2000 und stellte die Abweichungen von dem ihr vorgelegten Zeugnis vom 8. Mai 2000 fest. Mit Schreiben vom 13. September 2001 erklärte die Beklagte dem Kläger die Unverbindlichkeit des gekündigten Arbeitsvertrages.
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B. Am 24. Juni 2002 belangte der Kläger die Beklagte beim zuständigen Arbeitsgericht auf Zahlung von Fr. 21'443.-. Die Zahlung setzt sich zusammen aus dem Nettolohn für die Monate August bis November und dem entsprechenden Anteil am 13. Monatslohn, abzüglich die von der Arbeitslosenkasse ausbezahlten Beträge. Das Arbeitsgericht erwog, die Beklagte hätte den Arbeitsvertrag nicht abgeschlossen, wenn sie nicht durch das falsche Arbeitszeugnis getäuscht worden wäre, weshalb sie den Vertrag zu Recht wegen Willensmangels angefochten habe. Nach Art. 320 Abs. 3 OR hätten aber beide Parteien die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis in gleicher Weise wie aus gültigem Vertrag zu erfüllen, bis der Vertrag von der einen oder anderen Partei wegen Ungültigkeit aufgehoben werde. Demgemäss hat das Arbeitsgericht den Lohnanspruch des Klägers für die Monate August und September (bis zur Unverbindlicherklärung des Vertrages vom 13. September 2001) inklusive Anteil 13. Monatslohn berechnet und in teilweiser Gutheissung der Klage die Beklagte verpflichtet, dem Kläger Fr. 14'741.20 zu bezahlen.
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Das Obergericht des Kantons Aargau ging in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht davon aus, dass die Beklagte durch Täuschung des Klägers - mit Hilfe eines Arbeitszeugnisses, das entgegen seinem Anschein keine Drittbeurteilung darstellte - zum Abschluss des Arbeitsvertrages vom 7. August 2000 verleitet worden sei. Der ![]() | 5 |
C. Mit Berufung vom 21. September 2005 beantragt der Kläger dem Bundesgericht, das Urteil des Obergerichtes des Kantons Aargau vom 30. Juni 2005 sei aufzuheben und die Beklagte sei zu verpflichten, dem Kläger Fr. 20'875.- zu bezahlen; eventualiter sei die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Fr. 14'741.20 zu bezahlen. Die Beklagte beantragt die Abweisung der Berufung, soweit darauf einzutreten sei.
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Aus den Erwägungen: | |
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4.1 Grundsätzlich ist ein Vertrag, der wegen Vorliegens eines Willensmangels von der betroffenen Partei angefochten wird, von Anfang an - ex tunc - ungültig. Bereits erbrachte Leistungen sind zurückzuerstatten. In Bezug auf Sachleistungen sind die Grundsätze der Vindikation, im Übrigen die Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung anwendbar. Dabei ist - wie im Fall des verzugsbedingten Rücktritts vom Vertrag nach Art. 109 OR (BGE 114 II 152 E. 2c S. 157 mit Hinweisen) - von einem vertraglichen Rückabwicklungsverhältnis auszugehen. Dies zeigt sich etwa darin, dass ![]() | 8 |
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4.2.2 Das Obergericht hat die Voraussetzung der Gutgläubigkeit im Wesentlichen mit der Begründung verneint, dass ein Arbeitnehmer, der die Auflösung des Vertrages durch Täuschung im Sinn von Art. 28 OR verursacht habe, nicht in den Genuss von Art. 320 Abs. 3 OR kommen könne. Dagegen wendet der Kläger im ![]() | 11 |
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Zu beachten ist sodann, dass die Anwendung von Art. 3 Abs. 2 ZGB auf die Frage, ob der Arbeitnehmer "in gutem Glauben gearbeitet" habe, zu unbilligen Ergebnissen führen könnte. In vielen Fällen der Nichtigkeit oder Unverbindlichkeit des gesamten Arbeitsvertrages - beispielsweise bei fehlender Handlungsfähigkeit des Arbeitnehmers oder bei Verstoss gegen ein gesetzliches Beschäftigungsverbot - wäre in der Regel davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer um den Mangel des Arbeitsvertrages weiss oder bei gebotener Aufmerksamkeit wenigstens hätte wissen müssen. In der Lehre herrscht aber Einigkeit darin, dass beispielsweise ein Jugendlicher, der die von ihm übernommene Arbeit gar nicht verrichten darf (Art. 30 ArG [SR 822.11]), oder ein Ausländer, der ohne gültige Arbeitsbewilligung arbeitet, auch dann in den Genuss von Art. 320 Abs. 3 OR gelangen, wenn sie um den Mangel des Arbeitsvertrages wussten oder hätten wissen müssen (STREIFF/VON KAENEL, a.a.O., N. 11 zu Art. 320 OR; STAEHELIN, a.a.O., N. 35 zu Art. 320 OR; VISCHER, a.a.O., S. 83; BRÜHWILER, a.a.O., N. 13 zu Art. 320 OR). Auch unter Berücksichtigung solcher Fälle rechtfertigt es sich, Art. 320 Abs. 3 OR in dem Sinn zu interpretieren, dass die gesetzlich verlangte ![]() | 14 |
Schliesslich deutet auch die Entstehungsgeschichte von Art. 320 Abs. 3 OR in die gleiche Richtung. Wie PELLEGRINI nachweist, standen die beiden Fragen im Vordergrund, wie ein gegen das Gesetz verstossendes Arbeitsverhältnis für die Vergangenheit rechtlichen Bestand haben könne und wie - unabhängig vom Bestand eines gültigen Arbeitsverhältnisses - ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Lohn anstatt eines blossen Bereicherungsanspruchs verwirklicht werden könne. Hinter der Verwendung der Formel "in gutem Glauben" sei überhaupt keine relevante Absicht gestanden (a.a.O., S. 162 ff.). Daraus folgert PELLEGRINI zu Recht, dass der zum Gesetz gewordene Wendung "in gutem Glauben Arbeit leisten" einzig der Sinn beizumessen ist, dass sich ein Arbeitnehmer dann nicht auf Art. 320 Abs. 3 OR zu berufen vermag, wenn positiv nachgewiesen ist, dass er um die Ungültigkeit des Vertrages wusste (a.a.O., S. 165).
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4.3 Im vorliegenden Fall ist zwar erstellt, dass der Kläger bewusst ein von ihm selbst verfasstes und von seiner Frau unterschriebenes Zeugnis verwendet und dadurch die Beklagte zum Vertragsabschluss verleitet hat (Art. 28 Abs. 1 OR). Hingegen sind dem angefochtenen Urteil keine Feststellungen zu entnehmen, welche auf die Kenntnis des Klägers in Bezug auf die Rechtsfolgen der ihm anzulastenden Täuschung schliessen liessen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger bekannt gewesen sein könnte, dass der von beiden Parteien während Monaten erfüllte Arbeitsvertrag von Anfang an ungültig sein sollte. Da dem nicht rechtskundigen Kläger keine ![]() | 17 |
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