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40. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. X. AG gegen A., B. und C. AG (Berufung) |
4C.312/2005 vom 10. Januar 2006 | |
Regeste |
Aktienrechtliche Verantwortlichkeit; Aktivlegitimation des Abtretungsgläubigers; Verrechnungseinrede (Art. 120 und 757 OR). |
Die beklagte Partei kann im Verantwortlichkeitsprozess mit Forderungen verrechnen, die ihr im Zeitpunkt der Konkurseröffnung gegenüber der konkursiten Gesellschaft zustanden (E. 4). | |
Sachverhalt | |
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A. (Beklagter 1) und B. (Beklagter 2) waren Mitglieder des Verwaltungsrats der D. AG, die C. AG (Beklagte 3) deren Revisionsstelle. Der Beklagte 1 wurde im Konkurs der D. AG mit einer Forderung von Fr. 3'706'717.- kolloziert.
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Die X. AG (Klägerin) meldete im Konkurs der D. AG eine Forderung von Fr. 1'750'000.- an und wurde mit Fr. 750'000.- kolloziert. Sie leitet diese Forderung aus dem Verkauf einer Produktionsanlage ab. Der gesamte Verkaufspreis von Fr. 1,25 Millionen sollte von der Käuferin in drei Raten getilgt werden, nämlich 40 % bei Vertragsunterzeichnung, 40 % nach erfolgter Ablieferung und Installation der Anlage sowie nach erfolgreicher Durchführung eines Testlaufs, und die restlichen 20 % im Zeitpunkt der Aufnahme der kommerziellen Produktion. Die D. AG zahlte die erste Rate, verweigerte dann aber weitere Zahlungen mit der Begründung, die hiezu erforderliche Bedingung, nämlich ein erfolgreich durchgeführter Testlauf, sei nicht erfüllt und die Anlage sei nicht funktionstüchtig für eine industrielle Produktion.
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Nachdem die Mehrheit der Gläubiger auf die Geltendmachung von Verantwortlichkeitsansprüchen gegen die Organe der D. AG verzichtet hatte, trat die Konkursverwaltung diese Ansprüche mit Verfügung vom 6. März 1995 an die Klägerin sowie an den Erstbeklagten ab.
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Am 12. Juni 1996 gelangte die Klägerin an das Bezirksgericht Schwyz mit dem Rechtsbegehren, die Beklagten 1-3 seien zu verpflichten, ihr unter solidarischer Haftung Fr. 750'000.- zuzüglich Zins zu 5 % seit 29. Dezember 1993 zu bezahlen, unter Vorbehalt des Nachklagerechts. Sie machte im Wesentlichen geltend, dass die Beklagten 1 und 2 als Mitglieder des Verwaltungsrats Bilanzierungsvorschriften verletzt und eine zusätzliche Verschuldung der D. AG dadurch bewirkt hätten, dass der Konkurs zu spät eröffnet worden sei. Ausserdem warf sie den Beklagten 1 und 2 vor, sie hätten ihre Pflicht zur sorgfältigen Geschäftsführung verletzt und damit den ![]() | 5 |
Die Beklagten beantragten die Abweisung der Klage. Die Beklagten 1 und 2 erhoben zudem Widerklage mit dem Begehren, es sei festzustellen, dass sie für den Gläubigerausfall im Konkurs der D. AG nicht verantwortlich seien und demgemäss die Klägerin keine Forderung gegenüber ihnen habe.
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Mit Urteil vom 24. September 2003 wies das Bezirksgericht Schwyz die Klage ab und stellte in Gutheissung der Widerklage fest, dass die Beklagten 1 und 2 für den Gläubigerausfall im Konkurs der D. AG nicht haften. Das Bezirksgericht bejahte zwar die grundsätzliche Haftung der Beklagten 1 und 2 aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit, gelangte jedoch zum Ergebnis, dass der Schaden, welchen die Beklagten als Organe der Gesellschaft verursacht hatten, durch die vom Beklagten 1 der Gesellschaft gewährten Darlehen ausgeglichen worden sei.
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Das Kantonsgericht Schwyz hob mit Beschluss vom 12. April 2005 das erstinstanzliche Urteil in teilweiser Gutheissung der Berufung der Klägerin auf und trat auf Klage und Widerklage nicht ein. Das Kantonsgericht überprüfte die materielle Gläubigerstellung der rechtskräftig kollozierten Klägerin und gelangte zum Schluss, die Forderung der Klägerin aus offenen Kaufpreisraten sei vor der Eröffnung des Konkurses über die D. AG nicht fällig gewesen bzw. sie sei mangels Eintritts der vertraglichen Bedingung gar nicht entstanden, womit der Klägerin das Rechtsschutzinteresse an der Verantwortlichkeitsklage fehle. Ausserdem qualifizierte das Kantonsgericht die Verantwortlichkeitsklage wegen des Verhaltens der Klägerin als rechtsmissbräuchlich. In einer Eventualbegründung erwog das Gericht, die Klägerin könne wegen Erlöschens ihrer Forderung durch Verrechnung mit der kollozierten Forderung des Erstbeklagten keine Ansprüche mehr geltend machen. Schliesslich erklärte das Gericht die Widerklage für hinfällig, weil auf die Klage nicht einzutreten sei.
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Mit Berufung vom 14. September 2005 stellt die Klägerin den Antrag, der Beschluss des Kantonsgerichts Schwyz vom 12. April 2005 sei insofern aufzuheben, als die Vorinstanz anzuweisen sei, auf die Klage einzutreten und diese im Rahmen der bei der Vorinstanz gestellten Berufungsanträge der Klägerin materiell zu beurteilen.
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Das Bundesgericht heisst die Berufung gut.
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Aus den Erwägungen: | |
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Nach Art. 260 SchKG ist jeder Gläubiger berechtigt, die Abtretung derjenigen Rechtsansprüche der Masse zu verlangen, auf deren Geltendmachung die Gesamtheit der Gläubiger verzichtet (Abs. 1). Das Ergebnis dient nach Abzug der Kosten zur Deckung der Forderungen derjenigen Gläubiger, an welche die Abtretung stattgefunden hat, nach dem unter ihnen bestehenden Range. Der Überschuss ist an die Masse abzuliefern (Abs. 2).
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2.2 Die Aktivlegitimation des Abtretungsgläubigers nach Art. 260 SchKG beruht auf einer gesetzlichen Prozessführungsbefugnis oder Prozessstandschaft (BGE 121 III 488 E. 2b S. 492). Eingeklagt werden gestützt auf Art. 260 SchKG nicht Ansprüche, die dem Konkursgläubiger persönlich zustehen, sondern solche der Konkursitin, ![]() | 15 |
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2.2.3 Von einer Minderheitsmeinung in der Lehre ist jedoch als unbefriedigend kritisiert worden, dass das Gericht im aktienrechtlichen Verantwortlichkeitsprozess die Gläubigereigenschaft des rechtskräftig kollozierten Klägers nicht überprüfen darf (HÜTTE, ![]() | 18 |
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2.3.2 Nach der Praxis des Bundesgerichts genügt die rechtskräftige Kollokation zur Erfüllung der Voraussetzung der Aktivlegitimation im Verantwortlichkeitsprozess (BGE 122 III 195 E. 9b S. 202; vgl. auch WIDMER/BANZ, a.a.O., N. 27 zu Art. 757 OR; CORBOZ, a.a.O., N. 27 zu Art. 757 OR; BÖCKLI, a.a.O., § 18 Rz. 350). Soweit die Prüfung der Gläubigerstellung im Rahmen des Verantwortlichkeitsprozesses dennoch befürwortet wird, beruht diese Ansicht auf einer grundsätzlichen Kritik an BGE 117 II 432 ff., die insbesondere beanstandet, dass dadurch die Einreden der verantwortlichen Organe zu weitgehend beschnitten würden. Auch die früheren Lehrmeinungen, welche der Verbindlichkeit der rechtskräftigen Kollokation kritisch gegenüberstanden, gingen grundsätzlich von der Unterscheidung zwischen einem Verantwortlichkeitsanspruch der ![]() | 21 |
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2.4 Die Vorinstanz hat der Klägerin das Rechtsschutzinteresse an der vorliegenden Klage zu Unrecht abgesprochen. Selbst wenn die Klägerin mit ihrer Forderung gegenüber der Konkursitin zu Unrecht kolloziert worden wäre, ist sie aufgrund ihrer formellen Gläubigerstellung im Verantwortlichkeitsprozess nicht nur aktivlegitimiert, sondern sie hat im Falle des Obsiegens Anspruch auf Vorausbefriedigung ihrer rechtskräftig kollozierten Forderung aus dem Prozessgewinn als zusätzlichem Konkursaktivum (Art. 260 Abs. 2 SchKG; BGE 122 III 176 E. 5f S. 189 mit Hinweisen). Da im angefochtenen Entscheid Anhaltspunkte dafür fehlen, dass die rechtskräftige Kollokation ausnahmsweise widerrufen bzw. der Kollokationsplan geändert worden wäre (vgl. dazu BGE 119 II 326 E. 2f ![]() | 23 |
(...)
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4.2 Wenn zwei Personen einander Geldsummen oder andere Leistungen schulden, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, kann jede ihre Schuld, insofern beide Forderungen fällig sind, mit ihrer Forderung verrechnen (Art. 120 Abs. 1 OR; vgl. zur Rechtsnatur des ![]() | 27 |
4.3 Gegenseitigkeit im Sinne von Art. 120 Abs. 1 OR liegt vor, wenn die Gläubiger- und die Schuldnerstellungen zweier Obligationen sich derart auf zwei Personen verteilen, dass jede der beiden gleichzeitig Gläubiger der einen und Schuldner der andern ist (AEPLI, a.a.O., N. 21 zu Art. 120 OR; GAUCH/SCHLUEP/REY, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, Bd. 2, 8. Aufl., Rz. 3397; JEANDIN, Commentaire romand, N. 6 zu Art. 120 OR). Die Kollokation einer Forderung im Konkurs setzt voraus, dass der Gläubiger schon vor der Konkurseröffnung eine Forderung gegen die Konkursitin hatte. Die Gegenseitigkeit ist deshalb mit Forderungen gegeben, welche schon vor Konkurseröffnung die Gesellschaft als Gläubigerin und den Konkursgläubiger als Schuldner hatten (vgl. Art. 213 SchKG). Schuldner einer Forderung aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit ist das verantwortliche Organ der Gesellschaft (Art. 754 OR). Gläubigerin ist die Gesellschaft (Art. 756 Abs. 1 OR), womit die Gegenseitigkeit gegeben ist. Der Umstand, dass das Gesetz in diesem Zeitpunkt auch die Klage der Aktionäre zulässt, ändert nichts daran. Die Klagebefugnis der Aktionäre ist als Prozessstandschaft zu qualifizieren. In der Literatur wird zutreffend darauf hingewiesen, dass der der Gesellschaft verursachte Schaden Gegenstand der Klage bildet und dass die Klage auf Leistung an die Gesellschaft geht, während der Aktionär nicht auf Leistung an sich selbst klagen kann (BÖCKLI, a.a.O., § 18 Rz. 237; CORBOZ, a.a.O., N. 16 f. zu Art. 756 OR). Die gegenteilige Ansicht beruht auf der Kritik an der mit BGE 117 II 432 ff. eingeführten Praxis und hält an der Doppelnatur der Klageberechtigung des Aktionärs fest, die sich im Konkurs manifestiere (vgl. KUNZ, Zu den Haftungsvoraussetzungen und zu einigen weiteren Themen der aktienrechtlichen ![]() | 28 |
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4.5 Die Vorinstanz hat festgestellt, dass der Erstbeklagte im Konkurs der D. AG mit einer Darlehensforderung von Fr. 3'706'717.- kolloziert worden ist, wovon Fr. 1'540'000.- als nachrangige Darlehen, und dass er für den Fall der ganzen oder teilweisen Gutheissung der Verantwortlichkeitsklage die Verrechnung erklärte. Sie hat geschlossen, die Verrechnungserklärung sei demzufolge, jedenfalls im Umfang der nicht nachrangigen Darlehen, als rechtswirksam zu betrachten und habe den Untergang einer allfälligen Forderung aus Verantwortlichkeit von maximal Fr. 750'000.- bewirkt. Die Klägerin rügt insofern zu Recht, dass die Vorinstanz mit dieser Argumentation verkennt, dass der kollozierten Forderung des beklagten Organs nicht der eingeklagte Betrag verrechenbar ![]() | 30 |
4.6 Die Vorinstanz hat die Voraussetzungen der aktienrechtlichen Haftung der Beklagten nicht beurteilt und insbesondere keine Feststellungen zum Schaden getroffen, welcher der konkursiten Gesellschaft durch allfällige schuldhafte und pflichtwidrige Handlungen der Beklagten entstanden ist. Die Sache ist daher zur Ergänzung dieser Feststellungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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