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84. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. A. AG gegen B.C. und C.C. (Berufung) |
4C.165/2006 vom 3. August 2006 | |
Regeste |
Wahl eines Prozessbeistandes für die Gesellschaft im Hinblick auf die Anhebung einer Verantwortlichkeitsklage gegen Gesellschaftsorgane. | |
Sachverhalt | |
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Die Generalversammlung der Beklagten beschloss im Dezember 2001 mit der Kapitalmehrheit, aber ohne Stimmenmehrheit, gegen die Verwaltungsratsmitglieder D.C. und E.C. Verantwortlichkeitsklage zu erheben. Am 10. April 2003 wurde von der ausserordentlichen Generalversammlung mit Kapitalmehrheit beschlossen, gegen sämtliche Mitglieder des Verwaltungsrates eine Verantwortlichkeitsklage anzustrengen. Als Grund wurde angegeben, die Beklagte sei durch Vermögensverschiebungen zugunsten von D.C. und E.C. sowie durch die Kosten eines Schiedsverfahrens geschädigt worden.
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In der Folge beschloss die Versammlung über die Bestellung eines Prozessbeistandes bzw. unabhängigen Vertreters zur Führung der Verantwortlichkeitsprozesse. Der Antrag, Rechtsanwältin Y. als Beistand zu wählen, wurde von der Kapitalmehrheit gutgeheissen, von der Stimmenmehrheit jedoch abgelehnt. Der die Versammlung leitende Verwaltungsratspräsident vertrat die Ansicht, dass für diesen Beschluss die Stimmenmehrheit massgeblich sei. Daraufhin bestimmte die Generalversammlung mit Stimmenmehrheit Rechtsanwalt Z. als Prozessbeistand der Beklagten zu deren Vertretung in den Verantwortlichkeitsprozessen.
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Gegen diesen Beschluss gelangten die Kläger an das Handelsgericht des Kantons Aargau und beantragten im Wesentlichen, die Wahl von Rechtsanwalt Z. sei aufzuheben und es sei die Wahl von Rechtsanwältin Y. als Beistand zur Führung des Verantwortlichkeitsprozesses festzustellen bzw. zu bestätigen. Mit Urteil vom 15. März 2006 hiess das Handelsgericht die Klage teilweise gut und hob die Generalversammlungsbeschlüsse insoweit auf, als Rechtsanwalt Z. als Prozessbeistand zur Führung der Verantwortlichkeitsprozesse gegen die Mitglieder des Verwaltungsrates bestimmt wurde. Insoweit die Kläger mehr oder etwas anderes verlangt hatten, wurde die Klage abgewiesen.
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Gegen dieses Urteil erhob die Beklagte Berufung ans Bundesgericht. Das Bundesgericht weist die Berufung ab.
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2. Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zu Grunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Die Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung ![]() | 10 |
Eine echte Gesetzeslücke liegt nach der Rechtsprechung dann vor, wenn der Gesetzgeber etwas zu regeln unterlassen hat, was er hätte regeln sollen, und dem Gesetz weder nach seinem Wortlaut noch nach dem durch Auslegung ermittelten Inhalt eine Vorschrift entnommen werden kann. Von einer unechten oder rechtspolitischen Lücke ist demgegenüber die Rede, wenn dem Gesetz zwar eine Antwort, aber keine befriedigende, zu entnehmen ist, namentlich wenn die vom klaren Wortlaut geforderte Subsumtion eines Sachverhaltes in der Rechtsanwendung teleologisch als unhaltbar erscheint. Echte Lücken zu füllen, ist dem Richter aufgegeben, unechte zu korrigieren, ist ihm nach traditioneller Auffassung grundsätzlich verwehrt, es sei denn, die Berufung auf den als massgeblich erachteten Wortsinn der Norm stelle einen Rechtsmissbrauch dar. Zu beachten ist indessen, dass mit dem Lückenbegriff in seiner heutigen schillernden Bedeutungsvielfalt leicht die Grenze zwischen zulässiger richterlicher Rechtsfindung gegen den Wortlaut, aber nach der ratio legis, und grundsätzlich unzulässiger richterlicher Gesetzeskorrektur verwischt wird (BGE 128 I 34 E. 3b S. 42; BGE 121 III 219 E. 1d/aa S. 225 f.).
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3. Art. 693 Abs. 3 OR zählt vier Anwendungsfälle auf, bei welchen die Bemessung des Stimmrechts nach der Zahl der Aktien nicht anwendbar ist. Neben der Wahl der Revisionsstelle (Ziff. 1), der Ernennung von Sachverständigen zur Prüfung der Geschäftsführung oder einzelner Teile (Ziff. 2) und der Beschlussfassung über die Einleitung einer Sonderprüfung (Ziff. 3) wird in dieser Bestimmung auch die "Beschlussfassung über die Anhebung einer Verantwortlichkeitsklage" erwähnt (Ziff. 4). Entscheidend sind somit nicht die Stimmrechtsaktien (Art. 693 OR), sondern die Stammaktien (Art. 692 OR). Mit dieser zwingenden Gesetzesbestimmung soll eine wirksame Kontrolle der Verwaltung im Interesse der nicht privilegierten Aktionäre sichergestellt und die Position der Stammaktionäre bei Beschlüssen, die unter dem Gesichtspunkt des ![]() | 12 |
3.1 Soweit sich die Lehre darüber ausgesprochen hat, wird für die Wahl des Prozessbeistandes mehrheitlich auf das Stimmrechtsprivileg abgestellt und damit die Anwendung von Art. 693 Abs. 3 OR ausgeschlossen, allerdings ohne nähere Begründung (LUKAS GLANZMANN, Die Verantwortlichkeitsklage unter Corporate-Governance-Aspekten, ZSR 119/2000 II S. 171; PETER FORSTMOSER, Die aktienrechtliche Verantwortlichkeit, 2. Aufl., Zürich 1987, S. 39 Rz. 15; BÜRGI/NORDMANN, Zürcher Kommentar, Zürich 1979, N. 101 zu Art. 753/754 OR). Für den Ausschluss des Stimmrechtsprivilegs hat sich dagegen LUKAS HANDSCHIN ausgesprochen (Die Verantwortlichkeit des Verwaltungsrates ausserhalb des Konkurses seiner Gesellschaft, Festschrift 100 Jahre Aargauischer Anwaltsverband, Zürich/ Basel/Genf 2005, S. 246). Noch weiter gehend halten WATTER/DUBS dafür, dass auch die Déchargeerteilung an den Verwaltungsrat unter die Beschlussfassung über die Anhebung einer Verantwortlichkeitsklage zu subsumieren ist. Zur Begründung wird ausgeführt, die Verweigerung der Décharge bzw. die Beschlussfassung über die Décharge sei als Teilaspekt der Beschlussfassung über die Anhebung einer Verantwortlichkeitsklage zu verstehen. Mit der Déchargeerteilung werde gleichzeitig eine Verantwortlichkeitsklage ![]() | 13 |
3.2 Es ist offensichtlich, dass der Beschluss, mit dem eine Verantwortlichkeitsklage angehoben werden soll, und die Wahl des dazu nötigen Prozessbeistandes sachlich eng zusammenhängen. Hat sich die Generalversammlung - mit der Kapitalmehrheit - entschieden, den Verwaltungsrat gerichtlich zur Verantwortung zu ziehen, so bedeutet dies, dass die Gesellschaft den folgenden Prozess als Klägerin zu führen hat. Sie ist dabei darauf angewiesen, dass ihr Prozessvertreter alle Obliegenheiten erfüllt, welche in einem von der Verhandlungs- und Dispositionsmaxime beherrschten Zivilprozess anfallen. Der Prozessvertreter hat sich uneingeschränkt für die Interessen seines Auftraggebers einzusetzen. Weshalb er dabei von den Stammaktionären instrumentalisiert werden kann, wie von der Beklagten eingewendet wird, ist nicht nachvollziehbar. Kommt es aufgrund seines Einsatzes zu einem Urteil gegen den Verwaltungsrat, so ist dies zum Vorteil der Gesellschaft. Erfüllt der Prozessvertreter seinen Auftrag dagegen ungenügend und wird die Klage deshalb abgewiesen, so sind die Stimmrechtsaktionäre nicht benachteiligt, weil das Ergebnis ihrer bei der Wahl vertretenen Auffassung entspricht. Würde der Prozessvertreter dagegen durch diejenigen Stimmrechtsaktionäre gewählt, die gegen eine Verantwortlichkeitsklage waren, läge die Möglichkeit einer Instrumentalisierung auf der Hand. In diesem Fall bestünde die Gefahr, dass die von der Kapitalmehrheit angestrebte Verurteilung des Verwaltungsrates verhindert oder zumindest erschwert würde, indem sich der Prozessvertreter an den Interessen der Stimmrechtsaktionäre, die ihn ernannt haben, ausrichtet. Damit könnte der Beschluss der Generalversammlung, eine Verantwortlichkeitsklage zu erheben, unterlaufen und letztlich das vom Gesetzgeber der Kapitalmehrheit zugewiesene Recht, über die rechtliche Kontrolle und Verantwortlichkeit der Gesellschaft zu entscheiden, in Frage gestellt werden. Das würde dem Sinn und Zweck der Bestimmung von Art. 693 Abs. 3 Ziff. 4 OR widersprechen. Wenn der Gesetzgeber von der "Beschlussfassung über die ![]() | 14 |
3.3 Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass die Vorinstanz mit ihrer Auffassung kein Bundesrecht verletzt hat, dass Art. 693 Abs. 3 Ziff. 4 OR nicht nur für die Beschlussfassung über die Anhebung einer Verantwortlichkeitsklage, sondern auch für die Wahl des Prozessbeistandes anwendbar ist. Bei diesem Ergebnis ist nicht weiter auf die Frage einzugehen, ob nötigenfalls wegen des Interessenkonfliktes der Vertreter vom Richter bestimmt werden könnte. Im Übrigen wäre auch in diesem Fall zu entscheiden, welches Mehr für den Beschluss, den Richter um Bestellung eines Vertreters anzugehen, erforderlich wäre.
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