VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGE 132 III 726  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 2
Erwägung 3
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
86. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. X. gegen Versicherung Y. (Berufung)
 
 
5C.153/2006 vom 24. August 2006
 
 
Regeste
 
Art. 9 Abs. 1 der Verordnung über die Rechtsschutzversicherung vom 18. November 1992; Art. 169 Abs. 1 der Verordnung vom 9. November 2005 über die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen; Anwendungsbereich des in diesen Bestimmungen erwähnten Verfahrens.  
 
Sachverhalt
 
BGE 132 III, 726 (726)Am 25. August 2003 unterzeichnete X. (Kläger) ein Gesuch um Benützung der alten Turnhalle A. für eine Halloween-Party am 31. Oktober 2003, wobei auf dem Gesuchsformular als Gesuchsteller der Einlegerverein Restaurant Z. genannt wurde. Die Schulpflege A. BGE 132 III, 726 (727)bewilligte das Gesuch am 9. September 2003. Die Einwohnergemeinde A. stellte dem Einlegerverein am 13. August 2004 für verschiedene Verluste und Schäden Rechnung über Fr. 11'969.15. Der Kläger bezeichnete sich selber in einem Schreiben vom 4. November 2004 als Veranstalter des Anlasses; der Einlegerverein sei in keiner Weise beteiligt gewesen. Gleichzeitig fragte er die Versicherung Y. (Beklagte) als seine Rechtsschutzversicherung an, ob und in welchem Umfang Versicherungsdeckung bestehe und ob sie die Angelegenheit gegebenenfalls zur weiteren Regelung übernehmen wolle. Mit Schreiben vom 5. November 2004 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass kein Versicherungsschutz bestehe.
1
Mit Klage vom 21. Februar 2005 stellte der Kläger im Wesentlichen die Begehren, die Beklagte sei zu verpflichten, Deckungszusicherung zur Vertretung durch den unterzeichneten Anwalt gegenüber der Forderung der Einwohnergemeinde A. aus Mietvertrag vom 31. Oktober 2003 zu erteilen, eventuell sei festzustellen, dass der Kläger gegenüber der Beklagten Anspruch auf Deckungszusicherung habe. Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage. Am 17. November 2005 verpflichtete der Präsident I des Bezirksgerichts Lenzburg die Beklagte, dem Kläger Deckungszusicherung zu erteilen.
2
Am 27. April 2006 wies das Obergericht des Kantons Aargau die Klage in Gutheissung der Appellation der Beklagten und nach Aufhebung des angefochtenen Entscheids ab. Das Bundesgericht weist die vom Kläger gegen dieses Urteil erhobene Berufung ab.
3
 
Aus den Erwägungen:
 
 
Erwägung 2
 
2.1 Der Kläger beruft sich auf Art. 9 der Verordnung über die Rechtsschutzversicherung vom 18. November 1992 (RSV-VO; AS 1992 III 2355). Diese Verordnung wurde zwar mit Art. 217 Ziff. 7 der Verordnung über die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen vom 9. November 2005 (Aufsichtsverordnung, AVO; SR 961.011) per 31. Dezember 2005 aufgehoben. Es ist aber allseits mit Recht unbestritten, dass die RSV-VO auf den vorliegenden Fall noch anwendbar ist, weil sich der Vorfall im Jahre 2003 ereignete, die Schadenersatzforderung vom 13. August 2004 datiert und die erste Schadenmeldung an die Beklagte am 4. November 2004 erfolgte. Im Übrigen fand Art. 9 RSV-VO fast wörtlich Eingang in den neuen Art. 169 AVO. Art. 169 Abs. 1 AVO sieht das Schiedsverfahren bei Meinungsverschiedenheiten "hinsichtlich der Massnahmen zur Schadenerledigung" vor.
4
BGE 132 III, 726 (728)2.2 Der Kläger macht geltend, gestützt auf Art. 9 Abs. 1 RSV-VO wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, ihn auf das für Streitigkeiten zwischen den Parteien vorgesehene Schiedsverfahren aufmerksam zu machen. Da sie dies nicht getan, sondern vielmehr die Durchführung eines Schiedsverfahrens ausdrücklich abgelehnt habe, gelte das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers von Gesetzes wegen als anerkannt und die Beklagte sei zu verpflichten, dem Kläger Deckungszusicherung zu erteilen. Das Obergericht gelangte im angefochtenen Entscheid zum Schluss, dass diese Bestimmung nur anwendbar sei für Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der zur Regelung des Schadenfalls zu ergreifenden Massnahmen und demnach nicht, wenn umstritten sei, ob überhaupt eine Versicherungsdeckung vorliege.
5
6
7
2.5 Die wörtliche Auslegung entspricht der Entstehungsgeschichte der Vorschrift: Im Nachgang zum Abschluss eines Abkommens der Schweiz mit der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft betreffend die Direktversicherung (Botschaft vom 14. August 1991, BBl 1991 IV 1 ff.) sah sich die Schweiz unter anderem veranlasst, Schutzvorschriften für die Versicherten zu erlassen. So schreibt Art. 6 Abs. 1 der europäischen Richtlinie den Mitgliedstaaten vor, alle BGE 132 III, 726 (729)zweckdienlichen Massnahmen zu treffen, damit im Fall von Meinungsverschiedenheiten "über das Vorgehen im Schadenfall" ("quant à l'attitude à adopter pour régler le différend") ein gerechtes und effizientes für Neutralität und Objektivität garantierendes Schiedsverfahren eingeleitet wird. Aus diesem Grund wurde Art. 9 RSV-VO geschaffen (vgl. dazu ausführlich: Urteil 5C.148/2000 vom 14. September 2000, E. 3b/aa mit zahlreichen Hinweisen). Auch aus dem Rückbezug auf diese europäische Richtlinie ergibt sich, dass das Schiedsverfahren für Streitigkeiten über das Vorgehen im Schadenfall vorgesehen ist und nicht zur Beurteilung der Frage, ob überhaupt Deckung besteht.
8
2.6 Entsprechend diesem Konzept hat das Bundesgericht in dem von den Parteien angerufenen und vom Obergericht berücksichtigten Entscheid 5C.148/2000 zunächst geprüft, ob der dortige Streitgegenstand unter die Deckung der Rechtsschutzversicherung falle, und es hat diese Frage selbständig und verbindlich bejaht (E. 2). Bezüglich der Frage der Deckung besteht nämlich ein gerichtlich durchsetzbarer Feststellungsanspruch (so bereits BGE 119 II 368). In jenem Fall 5C.148/2000 war aber nicht nur streitig, ob es an einer versicherungsvertraglichen Deckung mangle, sondern es bestand auch eine Meinungsverschiedenheit über das Vorgehen im Schadenfall, indem die Versicherung im Gegensatz zum Versicherten die Meinung vertrat, es solle kein Prozess geführt werden, weil dieser keine Erfolgschancen habe (Sachverhalt B). Da zur Beurteilung dieser Frage das Schiedsgericht zuständig ist, hat sich das Bundesgericht mit Art. 9 RSV-VO befasst und ist - nach Prüfung der gesetzlichen Grundlage von Art. 9 RSV-VO (E. 3) - zum Schluss gelangt, dass die Versicherungsgesellschaft den Versicherten über das Schiedsverfahren zu spät informiert habe. Das Gericht hat aus diesem Grund das Rechtsschutzbedürfnis des Versicherten ungeachtet darum anerkannt, ob tatsächlich Erfolgsaussichten bestanden oder nicht (E. 4 und 5). Diesem Entscheid ist daher zu entnehmen, dass zur Beurteilung der Deckung entsprechend dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte der Norm kein Schiedsverfahren durchzuführen ist.
9
2.7 Diese Auslegung entspricht - soweit ersichtlich - auch der einhelligen Lehre. So wird als unabdingbare Voraussetzung für ein Schiedsverfahren verlangt, dass ein versicherungsvertraglich gedeckter Schadenfall eingetreten sei; die Frage der Deckung sei keine Frage, die im Schiedsverfahren zu klären sei; allenfalls könne BGE 132 III, 726 (730)eine diesbezügliche Einrede vom Schiedsrichter vorfrageweise beurteilt werden, wenn sie zusammen mit einem unter den Anwendungsbereich von Art. 9 RSV-VO fallenden Streit geltend gemacht werde (POLTERA, Der Rechtsschutzversicherungsvertrag und das Verfahren bei Meinungsverschiedenheiten in der Schadenabwicklung, Diss. St. Gallen 1999, S. 127 ff.). Weiter wird auf Art. 6 der europäischen Richtlinie hingewiesen und ausgeführt, das Schiedsverfahren sei "pour les divergences d'opinion en matière de gestion des sinistres" vorgesehen und dürfe nicht vorgeschrieben werden "pour les différends entre assureurs et assurés qui portent sur d'autres objets (par exemple application d'une clause d'exclusion, interprétation d'une disposition des conditions générales, etc.)" (DUTOIT, Ordonnance sur l'assurance de la protection juridique du 18 novembre 1992, in: SVZ 62/1994 S. 43/44 N. 115). Das Schiedsverfahren sei vorgesehen zur Bereinigung des Vorgehens zur Beilegung eines Streitfalles (Inanspruchnahme eines Anwalts, Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens, Kosten für ein Beweisverfahren, Einlegung eines Rechtsmittels usw.), dagegen nicht zur Bereinigung von Deckungsfragen, welche von den ordentlichen Gerichten zu entscheiden seien (SÜSSKIND, Die Rechtsschutzversicherung, in: Plädoyer 1992 3 S. 40).
10
11
 
Erwägung 3
 
12
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).