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25. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. AG gegen Y. (Berufung) |
4C.401/2006 vom 12. Februar 2007 | |
Regeste |
Rechtsnatur und Auslegung eines Sozialplans. | |
Sachverhalt | |
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Am 30. Januar 2002 unterzeichneten die Betriebskommission und die Angestelltenvertretung der B. AG auf der einen und die B. AG auf der anderen Seite im Zusammenhang mit der Schliessung der Walzerei einen Sozialplan. Gestützt darauf machte der Kläger am 4. Mai 2005 Ansprüche geltend.
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B. Mit Weisung des Friedensrichteramts Kreuzlingen vom 20. August 2005 erhob der Kläger gegen die Rechtsnachfolgerin der B. AG, die X. AG (Beklagte und Berufungsklägerin) Klage auf Bezahlung von Fr. 30'000.- unter Vorbehalt des Nachklagerechts. Mit Urteil vom 26. Oktober 2005 wies die Bezirksgerichtliche Kommission Kreuzlingen die Klage ab.
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Gegen dieses Urteil erhob der Kläger Berufung und beantragte dem Obergericht des Kantons Thurgau im Wesentlichen, unter ![]() | 4 |
Das Bundesgericht weist die gegen das Urteil des Obergerichts erhobene Berufung der Beklagten ab.
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Aus den Erwägungen: | |
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4.2 Die Frage, wie ein Sozialplan auszulegen ist, hängt von dessen Rechtsnatur ab: Ist er als Gesamtarbeitsvertrag zu ![]() | 8 |
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4.3.1 Vereinbart der Arbeitgeber mit einem Arbeitnehmerverband einen Sozialplan, liegt nach der in der amtlichen Sammlung publizierten Rechtsprechung des Bundesgerichts eine besondere Art des Gesamtarbeitsvertrags nach Art. 356 OR vor. Die Arbeitnehmer können sich direkt auf die darin zu ihren Gunsten festgeschriebenen Rechte berufen; der Sozialplan wirkt insofern normativ (BGE 132 III 32 E. 6.1 S. 44; BGE 130 V 18 E. 2.3 S. 26; vgl. auch die Urteile des Bundesgerichts 4C.115/2002 vom 2. Juli 2002, E. 2.1, publ. in: ARV 2002 S. 216 f., und 4C.264/1998 vom 5. Januar 1999, E. 6a). Daran ändert auch nichts, dass sich ein Sozialplan auf ein ganz bestimmtes Ereignis bezieht, das unter Umständen nur eine begrenzte Zahl der Mitarbeiter eines Betriebs betrifft. Die Bestimmungen des Sozialplans regeln die Auswirkungen des Ereignisses ![]() | 10 |
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Nach dem Gesagten ist der Sozialplan, der in Form einer Betriebsordnung vereinbart wird, wie ein Gesamtarbeitsvertrag zu behandeln.
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4.3.3 Stellt der Arbeitgeber von sich aus, also freiwillig und einseitig einen Sozialplan auf, handelt es sich lediglich um eine ![]() | 13 |
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5.1 Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf eine Austrittsentschädigung nach Ziff. 17 des Sozialplans hat, obwohl er während der Geltungsdauer des Sozialplans Leistungen der Kurzzeit-Erwerbsausfalls-Versicherung (KEV) bezog. Das Obergericht hat dies gestützt auf den Wortlaut der Bestimmung, die Systematik und die Ratio des Sozialplans bejaht. Die Beklagte bringt dagegen vor, die einhellige Meinung der an den Verhandlungen beteiligten Personen sei dahin gegangen, die Bezüger von KEV-Leistungen von der Austrittsentschädigung auszuschliessen, auch wenn sich dies nicht ausdrücklich aus dem Sozialplan ergebe. Es liege insofern eine Lücke im Sozialplan vor. Die Tatsache, dass der zweite Sozialplan der Beklagten vom 26. September 2003 die KEV-Empfänger ausdrücklich vom Bezug der ![]() | 16 |
5.2 Erweisen sich die normativen Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrags als lückenhaft, sind grundsätzlich die gleichen Prinzipien wie im Gesetzesbereich anzuwenden (Urteil des Bundesgerichts 4C.10/1998 vom 19. März 1998, E. 2a; VISCHER/ALBRECHT, a.a.O., N. 126 zu Art. 356 OR). Eine echte Gesetzeslücke liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts dann vor, wenn der Gesetzgeber etwas zu regeln unterlassen hat, was er hätte regeln sollen, und dem Gesetz weder nach seinem Wortlaut noch nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt eine Vorschrift entnommen werden kann (BGE 128 I 34 E. 3b S. 42; BGE 121 III 219 E. 1d/aa S. 225, je mit Hinweisen).
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Hat ein Sozialplan normativen Charakter, ist er nach dem Gesagten wie ein Gesetz auszulegen (vgl. dazu BGE 131 III 314 E. 2.2, BGE 131 III 623 E. 2.4.4; BGE 127 III 418 E. 2b, je mit Hinweisen). Immerhin ist im Rahmen der Anwendung von normativen Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrags die Bedeutung der Unterscheidung zwischen der Auslegung nach den für Verträge geltenden Grundsätzen und nach denjenigen für Gesetze nicht zu überschätzen. So haben die normativen Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrags zwar eine gesetzesähnliche Funktion. Sie gründen aber dennoch in einem Vertrag, so dass der Wille der am Abschluss des Gesamtarbeitsvertrags beteiligten Parteien ein gewichtigeres Auslegungselement ist als derjenige des Gesetzgebers bei der Gesetzesinterpretation (VISCHER/ALBRECHT, a.a.O., N. 122 zu Art. 356 OR; Urteile des Bundesgerichts 4C.216/2005 vom 12. Juli 2006 ![]() | 18 |
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5.3.3 Der Sozialplan soll nach seiner Ziff. 3 menschliche und wirtschaftliche Härten gegenüber den von der Schliessung der Walzerei betroffenen Mitarbeitern nach Möglichkeit vermindern oder vermeiden. Er basiert auf dem Grundsatz "Hilfe zur Selbsthilfe". Allen betroffenen Mitarbeitern wird gemäss Ziff. 17.1 eine ![]() | 22 |
5.4 Nach dem Gesagten besteht kein Grund, vom klaren Wortlaut der Ziff. 17.1 des Sozialplans abzuweichen. Das Obergericht kam zu Recht zum Schluss, dass eine objektive Auslegung den Ausschluss der KEV-Empfänger von der Austrittsentschädigung nicht zulässt. Da ein anderslautender Vertragswille damit keine Berücksichtigung finden würde, hat das Obergericht kein Bundesrecht verletzt, als es den Anspruch des Klägers auf eine Austrittsentschädigung bejahte, ohne den tatsächlichen Willen der an der Ausarbeitung des Sozialplans beteiligten Parteien festzustellen. Da die KEV-Empfänger unter Art. 17.1 des Sozialplans fallen, kann in dieser Hinsicht von vorneherein keine Lücke vorliegen. Die Rüge ist damit unbegründet.
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