BGE 133 III 356 - Kreditkartenbetreibung | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: | |||
42. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen X. AG (Berufung) |
4C.437/2006 vom 13. März 2007 | |
Regeste |
Verjährung des Rückforderungsanspruchs für irrtümlich erbrachte Leistungen (Art. 67 und 127 OR). | |
Sachverhalt | |
Am 26. März 1998 schloss A. (Beklagte) mit der X. AG (Klägerin) einen Kreditkartenvertrag. Nach den allgemeinen Geschäftsbedingungen stellt die Klägerin der Kundin monatlich über die erfolgten Bezüge eine Rechnung zu, welche mit Erhalt fällig wird. Auf Wunsch der Beklagten wurden die Rechnungen im Lastschriftverfahren über ihr Bankkonto ausgeglichen. Am 25. Juli 2000 betrug die Forderung der Klägerin Fr. 34'182.20. Da das Guthaben auf dem Bankkonto zur Deckung dieses Betrages nicht ausreichte, ersuchte die Klägerin die Beklagte schriftlich um Zahlung per Einzahlungsschein. Am 18. Oktober 2000 überwies die Beklagte Fr. 30'182.20 zur Begleichung des Ausstandes, ohne die Differenz von Fr. 4'000.- zum Rechnungsbetrag zu begründen. Am 27. Dezember 2000 bezahlte die Klägerin die Fr. 30'182.20 ohne Erklärung zurück. Auf telefonische Anfrage der Beklagten vom 3. Januar 2001 antwortete ihr eine Angestellte der Klägerin, zum Zeitpunkt der Einzahlung sei keine Schuld mehr offen gewesen. Noch am selben Tag bestätigte die Beklagte den Inhalt dieses Telefongesprächs gegenüber der Klägerin schriftlich. Am 19. Dezember 2002 teilte die Klägerin der Beklagten mit, die Rücküberweisung habe auf einem Irrtum beruht. Es seien nach wie vor Fr. 34'182.20 offen. Hierauf bezahlte die Beklagte nach einem Schriftenwechsel Fr. 4'000.-.
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Die Klägerin verzichtete auf rund Fr. 350.- für Zinsen und Gebühren, setzte mit Zahlungsbefehl vom 17. März 2004 Fr. 29'830.15 in Betreibung und forderte diesen Betrag samt Betreibungskosten von der Beklagten mit einer Klage vor dem Bezirksgericht Zürich. Die Beklagte nahm den Standpunkt ein, die Klägerin habe ihr die Schuld erlassen. Überdies beruhe eine allfällige klägerische Forderung auf ungerechtfertigter Bereicherung und sei verjährt. Sowohl das Bezirksgericht wie auch das Obergericht des Kantons Zürich hiessen die Klage gut, wobei das Obergericht die Betreibungskosten nicht zusprach, da diese nicht Bestandteil der materiellen Forderung bildeten. Nach Auffassung des Obergerichts liegt kein Schulderlass vor und untersteht die Forderung der zehnjährigen Verjährungsfrist, welche bei Klageeinleitung keinesfalls abgelaufen sei.
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Das Bundesgericht heisst die von der Beklagten erhobene Berufung gut und weist die Sache an das Obergericht zurück zur Abklärung, ob die geltend gemachte Forderung nach Massgabe der bereicherungsrechtlichen Verjährungsfristen (Art. 67 Abs. 1 OR) verjährt ist.
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Aus den Erwägungen: | |
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3.1 Die Vorinstanz hielt dafür, die Klägerin mache einen vertraglichen Anspruch geltend. Zwar habe die Rückzahlung der Klägerin nicht dem Ausgleich für bezogene Waren und Dienstleistungen gedient und demnach ausserhalb der im Kartenvertrag vorgesehenen Transaktionen gelegen, was für das Vorliegen eines ausservertraglichen Anspruchs sprechen würde. Diese Betrachtungsweise greift indessen aus der Sicht der Vorinstanz zu kurz. Die Forderung der Klägerin sei aus der irrtümlichen Zahlung der Klägerin an die Beklagte entstanden, einer unvorhergesehenen, im Vertrag nicht ausdrücklich geregelten Situation. Diesbezüglich liege eine Lücke vor (Art. 2 OR), und der Vertrag sei entsprechend dem mutmasslichen Parteiwillen zu ergänzen. Dogmatisch sei davon auszugehen, dass die Vertragsparteien einer generellen Pflicht unterworfen seien, zur Rückabwicklung versehentlicher Zahlungen Hand zu bieten. Die vertraglich vereinbarte periodische Zusammenfassung der mit der Kreditkarte getätigten Bezüge in einer Rechnung komme zudem einem eigentlichen Kontokorrent nahe, in welchem nach ausdrücklicher Abrede Guthaben und Verbindlichkeiten periodisch zusammenzufassen und auszugleichen seien. Im Übrigen rechtfertige sich die Annahme der für vertragliche Ansprüche geltenden Verjährung auch im Lichte von BGE 126 III 122, dem ein ähnlicher Fall zugrunde gelegen habe. Die Rückleistungspflicht stehe in unmittelbarem Zusammenhang zu einem gültigen Vertrag, weshalb nach Auffassung der Vorinstanz selbst dann die zehnjährige Verjährung zur Anwendung gelangt, wenn keine vertragliche Pflicht zur Rückzahlung bestehen und eine ungerechtfertigte Bereicherung im Sinne von Art. 62 OR vorliegen sollte.
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3.2.1 Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung schliesst ein vertraglicher Anspruch einen Bereicherungsanspruch aus. Wird eine vertraglich geschuldete Leistung erbracht, so stellt der gültige Vertrag den Rechtsgrund dar, weshalb der Leistungsempfänger nicht ungerechtfertigt, d.h. rechtsgrundlos bereichert sein kann (BGE 130 III 504 E. 6.1 S. 510; BGE 127 III 421 E. 3 S. 424; BGE 126 III 119 E. 3b S. 121 f. mit zahlreichen Hinweisen). In BGE 114 II 152 ff. hat das Bundesgericht die Anwendung der vertraglichen Verjährungsfrist auf die Rückleistungspflicht nach Vertragsrücktritt gemäss Art. 109 OR damit begründet, dass sich das vertragliche Verhältnis in ein Liquidationsverhältnis umwandle. Das Bundesgericht hat in BGE 126 III 119 E. 3c S. 122 darauf hingewiesen, dass diese Präzisierung der Rechtsprechung in der Lehre mehrheitlich begrüsst wurde und dass sich bestimmte Autoren sogar dafür aussprechen, auch die Rückabwicklung irrtumsbehafteter Verträge nach vertraglichen Grundsätzen vorzunehmen. Dieser Auffassung ist das Bundesgericht aber nicht gefolgt. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind im Rahmen eines Vertragsverhältnisses erfolgte Zahlungen, die sich nachträglich als irrtümlich und daher als grundlos erweisen, nicht stets als vertragliche Leistungen einzustufen. Rückerstattungsansprüche können vielmehr nach der allgemeinen Unterscheidung des Gesetzes wie andere Forderungen aus Vertrag, aus unerlaubter Handlung oder aus ungerechtfertigter Bereicherung entstehen und unterliegen je nach ihrem Entstehungsgrund verschiedenen Verjährungsfristen (BGE 130 III 504 E. 6.1 S. 510; BGE 114 II 152 E. 2c/aa S. 156). Massgebend ist der Entstehungsgrund des Rückforderungsanspruchs (Urteil des Bundesgerichts 4C.300/1993 vom 25. Februar 1994, E. 4c/bb). Zunächst ist stets zu prüfen, ob die zurückverlangte Leistung eine vertragliche Grundlage hatte und, falls dies zutrifft, ob sie auch aus Vertrag zurückgefordert werden kann (BGE 127 III 421 E. 3 S. 424 f.). Wer ohne jeglichen Vorbehalt in (vermeintlicher) Erfüllung des Vertrages mehr leistet als das vertraglich Geschuldete, kann die Differenz nach wie vor nur auf der Grundlage des Bereicherungsrechts zurückfordern (BGE 130 III 504 E. 6.2 S. 510 f.; BGE 127 III 421 E. 3c/bb S. 426, je mit Hinweisen).
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3.3.1 Wollte man es bei der von der Vorinstanz vorgenommenen "Lückenfüllung" bewenden lassen, wäre jegliche im Rahmen eines Vertragsverhältnisses irrtümlich und damit ohne Rechtspflicht erfolgte Leistung eine vertragliche, namentlich auch die Pflicht zur Rückerstattung einer derartigen Leistung. Diese Sichtweise hat sich das Bundesgericht gerade nicht zu eigen gemacht. Die Vorinstanz stellt schlicht auf die irrige Annahme der Klägerin im Zeitpunkt der Erbringung der nunmehr zurückverlangten Leistung ab. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist aber bei der Qualifikation eines Rückforderungsanspruchs stets von der wahren Sachlage auszugehen. So wäre denn auch entgegen der Annahme der Vorinstanz eine Forderung der Beklagten gegenüber der Klägerin aus versehentlicher Überweisung eines höheren als des in Rechnung gestellten Betrages nach dem Gesagten keine vertragliche. Auch die Anwendung der 10-jährigen Verjährungsfrist wegen besonderer Nähe zum bestehenden Vertrag, welche die Vorinstanz für den Fall, dass keine vertragliche Rückgabepflicht besteht, befürwortet, lässt sich nach dem Gesagten im zu beurteilenden Fall nicht mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung vereinbaren.
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3.3.2 Soweit die Vorinstanz eine Analogie zu einem Abrechnungsverhältnis herstellen möchte, wie es BGE 126 III 119 zugrunde lag, übersieht sie, dass im Kreditkartenvertrag mit der monatlichen Rechnungstellung stets eine Saldoziehung verbunden war, so dass eine nachträgliche Korrektur, wie sie die Klägerin vorliegend verlangt, auf ausservertraglicher Grundlage vorzunehmen ist. Ob sich angesichts der vereinbarten monatlichen Rechnungstellung und Begleichung im Lastschriftverfahren überhaupt eine Analogie zu einem Abrechnungsverhältnis begründen lässt, mag daher dahingestellt bleiben. So oder anders erweist sich als Verstoss gegen Bundesrecht, dass die Vorinstanz die Forderung der Klägerin der zehnjährigen Verjährung unterstellte. Insoweit ist die Berufung begründet.
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