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63. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. B. gegen K. (Berufung) |
5C.224/2006 vom 14. Juni 2007 | |
Regeste |
Art. 2 Abs. 2 und Art. 123 Abs. 2 ZGB; Ausschluss der Teilung der Austrittsleistungen aus beruflicher Vorsorge; Rechtsmissbrauchsverbot. | |
Sachverhalt | |
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Am 30. September 2004 leitete die Ehefrau (Klägerin) den Scheidungsprozess ein. Der Ehemann (Beklagter) trug widerklageweise ebenfalls die Scheidung an. Die Ehe wurde geschieden. Vereinbarungen über sämtliche Scheidungsfolgen mit Ausnahme der beruflichen Vorsorge konnten gerichtlich genehmigt werden. Strittig blieb die Aufteilung der während der Ehe erworbenen Austrittsleistungen von Fr. 50'710.- auf Seiten der Klägerin und von Fr. 3'025.- auf Seiten des Beklagten. Die kantonalen Instanzen verweigerten die Teilung der Austrittsleistungen, weil die Teilung auf Grund der Doppelbelastung der Klägerin fundamental gegen das Gerechtigkeitsgefühl verstossen würde.
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Das Bundesgericht heisst die Berufung des Beklagten gut.
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Aus den Erwägungen: | |
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4.3 Die Art. 123 Abs. 2 ZGB entsprechende Regelung im Vorentwurf (VE) war allgemein formuliert. Danach sollte das Gericht die Teilung ganz oder teilweise verweigern können, "wenn sie offensichtlich unbillig wäre" (Art. 127 Abs. 2 VE). Die wörtlich gleiche Bestimmung war für den nachehelichen Unterhalt vorgesehen (Art. 130 Abs. 3 VE). Auf die Analogie wird im Begleitbericht zum Vorentwurf vom 28. Januar 1992 hingewiesen (S. 57 und 60 des Berichts). Aufgrund der Anregungen im Vernehmlassungsverfahren schränkte der Bundesrat die Billigkeitsklausel sowohl beim ![]() | 7 |
In der parlamentarischen Beratung wurde der Regelung in Art. 123 Abs. 2 des Entwurfs ohne weitere Diskussion zugestimmt (AB 1996 S 761 und 1997 N 2695/2696). Der Ständerat ergänzte hingegen die Billigkeitsklausel gemäss Art. 125 Abs. 3 des Entwurfs durch das Wort "insbesondere", damit der Rechtsmissbrauch nicht mehr auf die drei Tatbestände der Ziff. 1-3 beschränkt sei (Antrag Wicki, AB 1996 S 764). Bundesrat Koller warnte zwar vor einer Öffnung in Richtung Verschulden der Ehegatten und wendete ein, das Rechtsmissbrauchsverbot stehe als allgemeines Rügeprinzip ohnehin neben dem vorgeschlagenen, auf typisierte Unbilligkeitsfälle beschränkten Art. 125 Abs. 3 des Entwurfs (vgl. AB 1996 S 765). Nach der Beratung im Erstrat lautete Art. 125 Abs. 3 jedoch antragsgemäss dahin, dass ein Beitrag ausnahmsweise sollte versagt oder gekürzt werden können, wenn er offensichtlich unbillig wäre, "insbesondere" weil die berechtigte Person einen der in den Ziff. 1-3 genannten Tatbestände erfüllt hat. Im Nationalrat war die Regelung des nachehelichen Unterhalts umstritten und Gegenstand einer Vielzahl von Anträgen (AB 1997 N 2696-2702). Mit Bezug auf Art. 125 Abs. 3 hielt der Ständerat in der Differenzbereinigung an seinem Entscheid fest (AB 1998 S 326), dem der Nationalrat schliesslich knapp zustimmte (AB 1998 N 1186-1190).
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4.4 Erste Meinungsäusserungen in der Lehre haben Art. 123 Abs. 2 ZGB ausschliesslich im Lichte der bundesrätlichen Botschaft erörtert, wonach weder die Umstände, die zur Scheidung geführt haben, noch das Verhalten der Ehegatten während der Ehe noch die Gründe, die zur Heirat geführt haben (z.B. Fälle der sog. Scheinehe), zu berücksichtigen seien. Der offenbare Rechtsmissbrauch wird als Verweigerungsgrund nicht erwähnt (GEISER, Berufliche Vorsorge im neuen Scheidungsrecht, in: Vom alten zum neuen Scheidungsrecht, Bern 1999, S. 55 ff., 90 f. N. 2.91 und N. 2.92; vgl. WALSER, Berufliche Vorsorge, in: Das neue Scheidungsrecht, Zürich 1999, S. 49 ff., 55; SCHNEIDER/BRUCHEZ, La prévoyance professionelle et le divorce, in: Le nouveau droit du divorce, Lausanne 2000, S. 193 ff., 238; HEGNAUER/BREITSCHMID, Grundriss des Eherechts, 4. Aufl., Bern 2000, S. 85 N. 11.31). Teilweise findet sich aber schon früh die Lehrmeinung, auch das allgemeine Rechtsmissbrauchsverbot sei zu beachten. Eine Verweigerung der Teilung von Austrittsleistungen komme wegen Verstosses gegen Art. 2 Abs. 2 ZGB in Frage, wenn ein Ehegatte entgegen Art. 159 ZGB gar nie die eheliche Gemeinschaft ![]() | 10 |
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Anwendungsfälle aus der nicht amtlich veröffentlichten Praxis des Bundesgerichts betrafen regelmässig die wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Scheidung. Wo im massgebenden Zeitpunkt die Ehefrau bereits rentenberechtigt war und der Ehemann kurz vor Eintritt in die Rentenberechtigung stand, die Rente der Ehefrau aber grösser war als die künftige Rente des Ehemannes, durfte die ![]() | 12 |
Im Gegensatz zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung spielt in der kantonalen Gerichtspraxis die Verweigerung des Vorsorgeausgleichs wegen Verstosses gegen das Rechtsmissbrauchsverbot offenbar eine bedeutende Rolle. Gestützt darauf wurde die Teilung der Austrittsleistungen ganz oder teilweise verweigert, z.B. weil ein Ehegatte die eheliche Gemeinschaft nie wollte (Urteil des Kantonsgerichts Freiburg vom 18. Juni 2003, E. 3, publ. in: FamPra.ch 2004 S. 382 ff.), weil die Ehegatten keine wirtschaftliche Gemeinschaft bildeten, stets getrennt lebten und je für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgten (Urteil des Obergerichts Zürich vom 25. Februar 2002, E. 2, publ. in: ZR 101/2002 Nr. 95 S. 304 ff.) oder weil ein Ehegatte die Ehe nur schloss, um an die Vorsorgegelder zu gelangen (vgl. Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen vom 6. September 2000, publ. in: FamPra.ch 2001 S. 338 ff.).
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4.6 In systematischer Hinsicht fällt zunächst auf, dass die berufliche Vorsorge durch das Einkommen der Ehegatten geäufnet wird und damit an die Erwerbstätigkeit anknüpft, gleich wie der ![]() | 14 |
Die Gesetzessystematik stimmt überein mit den Schlüssen aus der Entstehungsgeschichte, der vorherrschenden Lehre und der darauf gestützten kantonalen Praxis (E. 4.3-4.5 soeben). Kann das Gericht wegen offenbaren Rechtsmissbrauchs sowohl die Teilung des Vorschlags im Güterrecht verweigern als auch einen Unterhaltsbeitrag versagen oder kürzen, so darf das Rechtsmissbrauchsverbot auch bei der Teilung der Austrittsleistungen beachtet werden. Art. 123 Abs. 2 ZGB schliesst die selbstständige Anwendung von Art. 2 Abs. 2 ZGB somit nicht grundsätzlich aus (vgl. für einen gegenteiligen Fall: BGE 133 III 175).
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Die gesetzlichen Härteklauseln und das Verbot des offenbaren Rechtsmissbrauchs stehen im Zusammenhang (vgl. BGE 127 III 65 E. 2a S. 66 f.). Aus systematischer Sicht ist zu beachten, dass der Gesetzgeber für die einzelnen scheidungsrechtlichen Ansprüche je unterschiedliche Regelungen getroffen hat. Im Güterrecht findet sich keine Härteklausel, beim nachehelichen Unterhalt werden drei Unbilligkeitsgründe beispielhaft aufgezählt, und für den Vorsorgeausgleich ist nur ein Fall zulässiger Billigkeitsentscheidung vorgesehen. Je konkreter der Gesetzgeber insoweit umschrieben hat, was er nicht mehr billigen will, desto enger wird der gerichtliche Entscheidungsspielraum beim Heranziehen von Art. 2 Abs. 2 ZGB. Die gesetzlichen Härteklauseln konkretisieren und beschränken die Rechtsmissbrauchstatbestände, die das Gericht im konkreten Einzelfall zusätzlich berücksichtigen darf. An diese gesetzgeberischen ![]() | 16 |
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5.2 Gemäss den verbindlichen Feststellungen des Obergerichts (Art. 63 Abs. 2 OG) ist davon auszugehen, dass die Klägerin durch ihren vollzeitlichen Arbeitserwerb die finanzielle Basis der Familie sichergestellt und die Haushaltführung übernommen hat. Die Kinderbetreuung wurde von den Eltern der Klägerin übernommen; diese übernahm bei ihren Besuchen an den Wochenenden auch gewisse Betreuungsaufgaben. Der Beklagte hingegen hat sich nicht in genügendem Mass um eine Arbeitsstelle bemüht, um zumindest einen Teil der finanziellen Lasten zu tragen; für seine Untätigkeit hat ![]() | 20 |
Das Verhalten des Beklagten lässt insgesamt nicht darauf schliessen, dass er seinen Teil an Aufgaben in der Familie übernommen hat und insoweit eine partnerschaftliche Ehe hat führen wollen. Zu prüfen bleibt, ob dieses Verhalten des Beklagten den Tatbestand eines offenbaren Rechtsmissbrauchs erfüllt, bezweckt doch der Teilungsanspruch einen Ausgleich für die vorsorgerechtlichen Nachteile der während der Ehe erfolgten Aufgabenteilung und dient er der wirtschaftlichen Selbstständigkeit jedes Ehegatten nach der Scheidung (vgl. Botschaft 1996 I S. 100).
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Im Lichte der vorstehenden Grundsätze (E. 4) muss die Frage verneint werden. Die Teilung der Austrittsleistung mag vor dem Hintergrund des ehewidrigen Verhaltens des Beklagten als gegen das Gerechtigkeitsgefühl verstossend empfunden werden. Während offenbarer Rechtsmissbrauch zwar voraussetzt, dass auch der Gerechtigkeitsgedanke in grober Weise verletzt worden ist, so bedeutet umgekehrt nicht jede grobe Verletzung des Gerechtigkeitsgedankens offenbaren Rechtsmissbrauch. Im Verhältnis zwischen Privaten ist für den offenbaren Rechtsmissbrauch charakteristisch, dass eine Partei die andere zu einem bestimmten Verhalten verleitet, um daraus treuwidrig Vorteile zu ziehen, sei es durch Geltendmachung von Ansprüchen, sei es durch die Erhebung von Einreden. Im Kontext der Teilung der Austrittsleistungen gemäss Art. 122 ZGB könnte ein offenbarer Rechtsmissbrauch z.B. bei einer Scheinehe vorliegen oder wenn die Ehe gar nicht gelebt bzw. ein gemeinsamer Haushalt nie aufgenommen wurde, aber trotzdem auf der Teilung beharrt wird (siehe E. 4.4). Als Regel gilt, dass ehewidriges Verhalten den Tatbestand des offenbaren Rechtsmissbrauchs nicht erfüllt und nicht zur Verweigerung der Teilung führen kann (SUTTER/FREIBURGHAUS, a.a.O., N. 16 zu Art. 123 ZGB). Zu beachten ist insbesondere, dass der Gesetzgeber Art. 125 Abs. 3 Ziff. 1 ZGB, wonach eine grobe ![]() | 22 |
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