BGE 135 III 433 - Praxisübernahme | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: | |||
65. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_398/2007 vom 23. April 2009 | |
Regeste |
Art. 160 Abs. 1 OR; Inhalt der Konventionalstrafe; Bestimmtheit der strafbewehrten Pflichten. |
Das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot findet bei der Umschreibung der strafbewehrten Pflichten keine Anwendung; Generalklauseln, nach denen für jede Vertragsverletzung eine Strafe geschuldet ist, sind zulässig (E. 4). | |
Sachverhalt | |
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A.a B. (Beschwerdegegner) führte über Jahrzehnte eine zahnärztliche Praxis in Zürich. Im Hinblick auf die Aufgabe seiner Berufstätigkeit schloss er am 31. Dezember 1999 mit A. (Beschwerdeführerin) einen Praxisübernahmevertrag ab, mit dem er sich zur Übertragung seiner Praxis einschliesslich der gesamten Patientenkartei (Ziff. 5 Abs. 1 des Vertrags) verpflichtete.
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A.b Im Rahmen der Praxisübergabe kam es zu Differenzen zwischen den Parteien, insbesondere wegen angeblich negativer Äusserungen des Beschwerdegegners über die Beschwerdeführerin gegenüber Patienten. Infolgedessen modifizierten die Parteien am 19. Juli 2001 den ursprünglichen Praxisübernahmevertrag mit einer Änderungsvereinbarung, deren Ziffern 3.1 und 3.2 wie folgt lauten:
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"3.1 In Abänderung von Ziff. 3 des Kaufvertrages vereinbaren die Parteien als Restzahlung aus der Praxisübernahme für die Jahre 2000 und 2001 den Betrag von CHF 690'000.-, zahlbar in zwei Raten wie folgt: CHF 350'000.- bis spätestens am 30. Juli 2001; CHF 340'000.- bis spätestens 28. Februar 2002.
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3.2 Diese Zahlung steht unter der Bedingung, dass sich beide Parteien getreu und vertragsgemäss verhalten.
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Beide Parteien verpflichten sich, sich jeglicher Kritik an der Person oder an der Arbeit der anderen Partei zu enthalten.
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Dr. A. dankt Dr. B. für die geleistete Arbeit und sichert zu, die übernommenen Patienten fachgerecht weiterzubehandeln."
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Die erste Rate von Fr. 350'000.- bezahlte die Beschwerdeführerin fristgerecht am 30. Juli 2001.
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A.c In der Folge ergaben sich jedoch weitere Differenzen zwischen den Parteien, namentlich bezüglich der Frage, ob der Beschwerdegegner der Beschwerdeführerin sämtliche Patientendaten ordnungsgemäss übergeben habe. Mit Schreiben vom 9. Oktober 2001 setzte die Beschwerdeführerin dem Beschwerdegegner Frist bis am 17. Oktober 2001, um unter anderem alle Patientenkarten und alle vom Computer heruntergeladenen Dateien in die Praxis zurückzubringen. Der Beschwerdegegner brachte hierauf einen Teil der zurückbehaltenen Patientenkarten zurück, entfernte im gleichen Zug jedoch die Datenbank-Software "C." vom Computer der Beschwerdeführerin.
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Daraufhin teilte ihm die Beschwerdeführerin mit, er habe nicht getreu und vertragsgemäss gehandelt, weshalb die Bedingungen für die zweite Zahlung zur Zeit nicht erfüllt seien. Sie bestehe auf der vollständigen Rückgabe aller Sachen, namentlich der Datenbank-Software sowie noch fehlender Patientenunterlagen.
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Im Januar 2002 liess der Beschwerdegegner der Beschwerdeführerin eine Backup-Kopie der Datenbank-Software "C." zukommen.
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Die zweite Kaufpreisrate in der Höhe von Fr. 340'000.-, die gemäss der Vereinbarung vom 19. Juli 2001 am 28. Februar 2002 fällig geworden wäre, bezahlte die Beschwerdeführerin nicht.
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B.
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B.a Am 20. Juni 2002 klagte der Beschwerdegegner gegen die Beschwerdeführerin beim Bezirksgericht Zürich auf Zahlung der ausstehenden Kaufpreisrate nebst Zins sowie Betreibungskosten. Mit Urteil vom 7. April 2006 wies das Bezirksgericht die Klage ab.
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B.b Dagegen erhob der Beschwerdegegner Berufung beim Obergericht des Kantons Zürich mit dem Antrag, das Urteil des Bezirksgerichts sei aufzuheben und die Klage sei gutzuheissen. Mit Urteil vom 21. August 2007 hiess das Obergericht die Klage gut und verurteilte die Beschwerdeführerin zur Zahlung von Fr. 340'000.- nebst Zins.
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Das Obergericht kam zum Schluss, dass Ziff. 3.2 Abs. 1 der Vereinbarung vom 19. Juli 2001 entgegen der Auffassung der ersten Instanz und der Beschwerdeführerin die Pflicht zur Zahlung der letzten Kaufpreisrate nicht beeinträchtige. Diese Klausel enthalte weder eine auflösende Bedingung noch eine wirksame Vereinbarung einer Konventionalstrafe. Zudem habe der Beschwerdegegner den Vertrag mit der Beschwerdeführerin nicht verletzt.
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C. Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 1. Oktober 2007 beantragt die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht, es sei das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich aufzuheben und die Klage abzuweisen. Eventualiter sei die Sache zu neuem Entscheid an das Obergericht zurückzuweisen.
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Die Beschwerdegegnerin schliesst in ihrer Vernehmlassung auf Abweisung der Beschwerde. Das Obergericht verzichtet auf eine Vernehmlassung.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut, hebt das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 21. August 2007 auf und weist die Sache zur Ergänzung des Sachverhalts und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
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Aus den Erwägungen: | |
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3.1 Bedingt ist ein Vertrag, wenn seine Wirksamkeit oder einzelne seiner Wirkungen von einem nach den Vorstellungen der Parteien ungewissen zukünftigen Ereignis abhängen, wenn die Verpflichtung des Schuldners im Grundsatz und nicht bloss hinsichtlich des Erfüllungszeitpunkts noch ungewiss ist (Art. 151 Abs. 1 OR; vgl. BGE 122 III 10 E. 4b S. 15 f.). Zum Gegenstand der Bedingung können sowohl vom Willen der Parteien unabhängige als auch davon abhängige Ereignisse gemacht werden. Im ersten Fall spricht man von kasuellen Bedingungen, im letzteren von Potestativbedingungen (statt aller HEINRICH HONSELL, in: OR, Art. 1-529, Kurzkommentar; ders. [Hrsg.], 2008, N. 2 zu Art. 151 OR). Weist die Bedingung sowohl potestative als auch kasuelle Elemente auf, ist sie gemischt ("condition mixte"; BGE 41 II 132 E. 2 S. 135).
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Auch das vertragsgemässe Verhalten kann als willensabhängiges Ereignis zum Gegenstand einer Potestativbedingung gemacht werden. Vertragsgemässes Verhalten heisst Unterlassen vertragswidrigen Verhaltens. Ist das Leistungsversprechen des Schuldners aber vom Eintritt der ungewissen Tatsache abhängig, dass dieser die Hauptleistung nicht, schlecht oder spät erbringt, handelt es sich dabei um eine Konventionalstrafe (vgl. BGE 122 III 420 E. 2a S. 422; BERNHARD BERGER, Allgemeines Schuldrecht, 2008, Rz. 1779). Die Funktion eines solchermassen bedingten Leistungsversprechens besteht primär darin, das Interesse der Gläubigerin an der Vertragsdurchführung zu sichern (ALFRED KOLLER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2009, § 81 Rz. 15; MICHEL MOOSER, in: Commentaire romand, Code des obligations, Bd. I, 2003, N. 2 zu Art. 160 OR; PIERRE TERCIER, Le droit des obligations, 3. Aufl. 2004, Rz. 1255; vgl. auch Art. 1226 des französischen Code civil: "La clause pénale est celle par laquelle une personne, pour assurer l'exécution d'une convention, s'engage à quelque chose en cas d'inexécution"). Der Schuldner soll mithin in verstärktem Masse zur Vertragstreue angehalten werden (BERNHARD BERGER, a.a.O., Rz. 1780). Zudem verbessert die Konventionalstrafe die Rechtsstellung der Gläubigerin insofern, als sie vom Schadensnachweis befreit wird. Denn die Konventionalstrafe ist ohne gegenteilige Abrede auch dann verfallen, wenn der Gläubigerin kein Schaden entstanden ist (vgl. Art. 161 Abs. 1 OR; BGE 122 III 420 E. 2a S. 422).
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Die Beschwerdeführerin macht unter Hinweis auf BGE 80 II 123 E. 3 freilich geltend, dass Ziff. 3.2 Abs. 1 der Vereinbarung vom 19. Juli 2001, wonach die Zahlung des Restkaufpreises unter der Bedingung des getreuen und vertragsgemässen Parteiverhaltens steht, schon nur deshalb keine Konventionalstrafe regeln könne, weil darin keine Pflicht zu einer positiven Leistung vereinbart werde, sondern ein Verlust von Ansprüchen.
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3.3 Das Bundesgericht hat in dem von der Beschwerdeführerin angerufenen Entscheid die statutarisch vorgesehene Verwirkung des Rentenanspruchs gegen eine Pensionskasse bei Verletzung von Mitgliederpflichten nicht als Konventionalstrafe qualifiziert mit der Begründung, dass das Versprechen einer (positiven) Leistung für eine Konventionalstrafe begriffswesentlich sei (BGE 80 II 123 E. 3 S. 132).
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Dieser Rechtsprechung ist in der Lehre verbreitet Kritik erwachsen. Ein Teil der Lehre hält es für unerheblich, ob die Strafleistung in einem Geldtransfer oder einem Rechtsverlust besteht; entscheidend sei die wirtschaftliche Gleichwertigkeit (HANS MICHAEL RIEMER, Konventionalstrafen in Gestalt von Verfall- oder Verwirkungsklauseln, in: Hundert Jahre Schweizerisches Obligationenrecht, 1982, S. 450 f.). Wirtschaftlich entspreche das Versprechen einer bestimmten Geldsumme einem Verzicht auf die gleiche Summe (PIERRE ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, 2. Aufl. 1997, S. 862; GASPARD COUCHEPIN, La clause pénale, 2008, Rz. 984; EUGEN BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1989, S. 522 f., Fn. 6 f.). Die drohende Verwirkung von Rechten könne die Funktion der Gläubigersicherung ebenso wahrnehmen wie eine drohende Zahlungspflicht (GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 9. Aufl. 2008, Bd. II, Rz. 3790; COUCHEPIN, a.a.O. Rz. 984). Zudem spreche gerade der Zweck von Art. 163 Abs. 3 OR, wonach der Richter übermässig hohe Konventionalstrafen nach seinem Ermessen herabzusetzen hat, für eine Gleichbehandlung; denn es sei nicht einzusehen, weshalb ein Schuldner nur im Falle eines positiven Leistungsversprechens und nicht auch bei der Übernahme eines Rechtsnachteils vor unverhältnismässiger Härte geschützt sein solle (CLAIRE HUGUENIN, Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2008, Rz. 1209). Schliesslich sehen einige Autoren gerade in der Reduktion eines Kaufpreises einen Anwendungsfall einer Konventionalstrafe (ENGEL, a.a.O., S. 862; BUCHER, a.a.O., S. 523, Fn. 7; HERMANN BECKER, Berner Kommentar, 1913, N. 3 zu Art. 160 OR). Dies entspricht zudem auch der Rechtslage in benachbarten Rechtsordnungen (für das italienische Recht vgl. die Urteile der italienischen Corte di Cassazione vom 7. Juni 1966, Ziff. 1489 und vom 8. August 1962, Ziff. 2454, wonach Gegenstand einer Konventionalstrafe ein Verlust von Rechten ["decadenza di diritti"] bzw. eine Befreiung des Gläubigers von einer Schuld gegenüber dem Schuldner der Konventionalstrafe ["liberazione del creditore da un proprio debito"] sein könne; Gleiches gilt im deutschen Recht: vgl. statt aller PETER GOTTWALD, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 2, 5. Aufl. 2007, N. 27 ff. vor § 339 BGB, N. 1 zu § 343 BGB). Weiter wird in der schweizerischen Literatur auch vertreten, dass auf einen Rechtsverlust, der an einen Nichterfüllungstatbestand geknüpft ist, die Bestimmungen über die Konventionalstrafe zwar nicht direkt, aber immerhin analog Anwendung finden (KOLLER, a.a.O., § 81 Rz. 6; ROLAND BENTELE, Die Konventionalstrafe nach Art. 160-163 OR, 1994, S. 131 ff.; MEHMET ERDEM, La clause pénale, 2006, S. 42).
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4.2 Eine Konventionalstrafe ist zwar eine Sanktion für ein vertragswidriges Verhalten; mit einer Strafe für kriminelles Unrecht ist sie aber nicht vergleichbar. Das Prinzip nulla poena sine lege, das dem Strafanspruch des Staates Schranken setzt, findet auf autonom gestaltete Rechtsverhältnisse zwischen Privaten keine Anwendung. Es steht vielmehr im Belieben der Parteien, wie sie das Verhalten, welches sie mit Vertragsstrafe bewehren wollen, umschreiben. Sie können namentlich auch Generalklauseln vereinbaren, nach denen Strafe für jede vertragliche Pflichtverletzung geschuldet ist, um so einen allgemeinen Druck in Richtung vertragskonformes Verhalten zu erzeugen (vgl. BENTELE, a.a.O., S. 45; ERDEM, a.a.O., S. 63; weiter auch STAUDINGER/RIEBLE, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Stand: Mai 2004, N. 85 vor § 339 BGB). Die Auslegung solcher Generalklauseln richtet sich nach Art. 18 OR (vgl. dazu BGE 132 III 24 E. 4 S. 27 f. mit Hinweisen).
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4.4 Die Beschwerde erweist sich damit insoweit als begründet, als die Vorinstanz der Ziff. 3.2 Abs. 1 der Vereinbarung vom 19. Juli 2001 die Wirksamkeit wegen angeblich fehlender Bestimmtheit des strafauslösenden Verhaltens bzw. mangels ausdrücklicher Bezeichnung als Konventionalstrafe versagt hat.
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