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72. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. K. gegen B. (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_153/2009 vom 29. Mai 2009 | |
Regeste |
Art. 75 ZGB; Monatsfrist zur Anfechtung eines Vereinsbeschlusses; Verwirkung. | |
Sachverhalt | |
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
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Misslingt der Aussöhnungsversuch, so ist dem Kläger die Klagebewilligung zu erteilen.
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Die Klagebewilligung berechtigt zur Anhebung der Klage während der Klagefrist.
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Die ordentliche Klagefrist beträgt sechs Monate.
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Nach dem Wortlaut von Art. 153 ZPO/BE muss innert sechs Monaten die Klage eingereicht werden (Abs. 3), es sei denn, der Streit betreffe Ansprüche, für welche eine kürzere als die ordentliche sechsmonatige Klagefrist vorgesehen ist (Abs. 4). Die Bedeutung der Regelung ist auf Grund ihres Wortlauts klar und lässt sich auch veröffentlichten und nicht veröffentlichten Urteilen des Bundesgerichts, Grundrissen, Handbüchern und Aufsätzen entnehmen. Beträgt z.B. die Klagefrist gemäss Art. 706a Abs. 1 OR zwei Monate, ist das Ladungsgesuch zum Aussöhnungsversuch binnen zwei Monaten zu stellen und die Klage zwei Monate nach Erhalt der Klagebewilligung bei Gericht einzureichen (vgl. KUMMER, a.a.O., S. 171 f.; z.B. BGE 91 II 153 E. 4 S. 158; Urteil 7B.177/1999 vom 24. August 1999 E. 2, betreffend Frist zur Kollokationsklage). Die ordentliche Klagefrist von sechs Monaten gemäss Art. 153 Abs. 3 ZPO/BE verkürzt sich somit gemäss Art. 153 Abs. 4 ZPO/BE auf die Dauer der gesetzlich vorgesehenen, weniger als sechs Monate betragenden Klagefristen (vgl. GIGER, Handbuch der schweizerischen Zivilrechtspflege, Zürich 1990, S. 250 bei/in Anm. 31 mit dem Beispiel der zehn - heute: zwanzig - Tage für Aberkennungsklagen gemäss Art. 83 SchKG) oder - noch einfacher gesagt - die Klagefrist beträgt ordentlich sechs Monate und bei kürzerer Verwirkungsfrist gleich viel wie diese (vgl. VOGEL, Eintritt der Rechtshängigkeit mit Klageanhebung, recht 18/2000 S. 109; z.B. ZBJV 104/1968 S. 484 f.). Die Kommentierungen stimmen damit überein. Als kürzer denn die sechsmonatige Klagefrist bezeichnen sie "die Monatsfrist des Art. 75 ZGB" (LEUCH, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 3. Aufl. 1956, N. 3 zu Art. 153 ZPO/BE), oder sie verweisen ausdrücklich auf Art. 75 ZGB als Beispiel einer vorbehaltenen kürzeren Verwirkungsfrist (LEUCH/MARBACH/KELLERHALS/STERCHI, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 5. Aufl. 2000, N. 4 zu Art. 153 ZPO/BE; KELLERHALS/GÜNGERICH/BERGER, Bernisches Zivilprozessrecht, 2002, S. 134).
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3.5 Die Beschwerdeführerin hat die Klagebewilligung am 7. Juni 2006 erhalten und hätte die Klage gemäss Art. 75 ZGB binnen Monatsfrist einreichen müssen. Mit ihrer Klage vom 6. Dezember 2006 hat sie die Verwirkungsfrist gemäss Art. 75 ZGB nicht wahren können. Die Klage durfte insoweit abgewiesen werden. Die kantonalen Gerichte haben somit weder den bundesrechtlichen ![]() | 13 |
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4.3 Die Beschwerdeführerin macht eine derartige Auskunftserteilung geltend und behauptet, die Gerichtspräsidentin habe an der ![]() | 17 |
4.4 Nur derjenige kann Vertrauensschutz geltend machen, der die Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung nicht kennt und sie auch bei gebührender Aufmerksamkeit nicht hätte erkennen können. Rechtsuchende geniessen keinen Vertrauensschutz, wenn der Mangel für sie bzw. ihren Rechtsvertreter allein schon durch Konsultierung der massgeblichen Verfahrensbestimmung ersichtlich ist. Dagegen wird nicht verlangt, neben den Gesetzestexten auch noch die einschlägige Rechtsprechung oder Literatur nachzuschlagen (vgl. BGE 134 I 199 E. 1.3.1 S. 202 f.). Auch gegenüber behördlichen Auskünften kann keinen Vertrauensschutz anrufen, wer die Unrichtigkeit des Bescheides ohne weiteres hat erkennen können (vgl. BGE 131 V 472 E. 5 S. 480; BGE 131 II 627 E. 6.1 S. 637).
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4.5 In verfahrensmässiger Hinsicht ist davon auszugehen, dass die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin die Monatsfrist gemäss Art. 75 ZGB gekannt und am 17. November 2005 ihre Klage gestützt auf Art. 75 ZGB bei Gericht eingereicht hat. Sie hat sodann der Entgegennahme ihrer Klageschrift als Ladungsgesuch zum Aussöhnungsversuch nicht opponiert, an der Verhandlung im Aussöhnungsverfahren teilgenommen und den Empfang der Klagebewilligung am 7. Juni 2006 unterschriftlich bestätigt (E. 3.3 hiervor). Spätestens nach deren Erhalt hätte der Anwalt der Beschwerdeführerin sich über Wirkung und Geltungsdauer der Klagebewilligung vergewissern können und müssen, und zwar um so mehr, als er in einem Kanton als Anwalt aufgetreten ist, dessen Prozessrecht ihm angeblich nicht geläufig war. Die sich stellenden Fragen hätten mit einem einfachen Lesen von Art. 153 ZPO/BE beantwortet werden können, wonach die Klagefrist sechs Monate beträgt (Abs. 3), ausser es gelte eine kürzere als die sechsmonatige Verwirkungsfrist (Abs. 4). Dass letztere Voraussetzung im Fall des Art. 75 ZGB erfüllt ist, kann und muss einem an Gerichten zugelassenen Anwalt klar gewesen sein. Dass das Obergericht die Berufung der ![]() | 19 |
(...)
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6.2 Eine Überraschungsklausel im Sinne einer regelrechten Prozessfalle (z.B. BGE 95 I 1 E. 2b S. 5) kann nicht angenommen werden. Zwar ist der Begriff der Klageanhebung ein solcher des Bundesrechts, doch wird ihre Form durch das kantonale Prozessrecht bestimmt (E. 3.1 hiervor). Wo der Aussöhnungsversuch hierzu genügt, besteht in den verschiedenen Kantonen eine Vielzahl unterschiedlicher Bestimmungen über die Gültigkeitsdauer der Klagebewilligung (vgl. für eine Übersicht: BERTI, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 2002, N. 71 zu Art. 135 OR). Hinzu kommen die Kantone, die einen Aussöhnungsversuch für innert Verwirkungsfrist anzuhebende Klagen ausschliessen und für nichtig erklären, wenn er gleichwohl durchgeführt wird (z.B. Art. 113 Abs. 1 lit. e und Abs. 2 ZPO/VS [SGS 270.1]). Praktisch wörtlich gleiche Regelungen wie Art. 153 Abs. 4 ZPO/BE enthalten die Zivilprozessordnungen der Kantone Solothurn (§ 122 Abs. 2 ZPO/SO [BGS 221.1]) und Jura (Art. 151 Abs. 4 CPC/JU [RSJU 271.1]) sowie die von der Bundesversammlung beschlossene, aber noch nicht in Kraft getretene Schweizerische Zivilprozessordnung (Art. 209 Abs. 4 ZPO; BBl 2009 21, 67). Von Überraschungen kann im fraglichen Bereich nicht die Rede sein. Auf Grund der bekannten Vielfalt an kantonalen Lösungen darf von einem Anwalt um so mehr verlangt werden, dass er sich kundig macht, ist es doch eine seiner wesentlichsten Aufgaben, Fristen richtig zu berechnen (vgl. ![]() | 23 |
6.3 Aus den dargelegten Gründen erweist sich das angefochtene Urteil insgesamt weder als willkürlich (Art. 9 BV; vgl. BGE 134 I 140 E. 5.4 S. 148; BGE 134 II 124 E. 4.1 S. 133) noch als überspitzt formalistisch (Art. 29 Abs. 1 BV; vgl. BGE 132 I 249 E. 5 S. 253; BGE 135 I 6 E. 2.1 S. 9).
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