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27. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. SA gegen Y. AG (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_640/2009 vom 2. März 2010 |
Art. 93 OR, Art. 11 GestG; Bewilligung eines Selbsthilfeverkaufs; örtliche Zuständigkeit. |
Art. 93 OR; Voraussetzung des Annahmeverzugs bezüglich einer Sachleistung. | |
Sachverhalt | |
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B. Am 20. Februar 2009 ersuchte die Beschwerdegegnerin beim Zivilgericht Basel-Stadt um Bewilligung der öffentlichen Versteigerung des sich in Genf befindlichen Flugzeugs nach vorgängiger Androhung gegenüber der Beschwerdeführerin. Der Einzelrichter bewilligte am 3. Juni 2009 nach durchgeführter Verhandlung die öffentliche Versteigerung und setzte die Androhungsfrist auf sechs Wochen fest. Als Versteigerungsort bestimmte er Genf. Auf den weiteren Antrag auf Bestimmung des Hinterlegungsortes trat er nicht ein.
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Gegen diesen Entscheid erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde an das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt. Sie beantragte, auf das Gesuch sei mangels Zuständigkeit nicht einzutreten, eventualiter sei es abzuweisen, subeventualiter sei die Sache an die ![]() | 3 |
C. Die Beschwerdeführerin beantragt mit Beschwerde in Zivilsachen, es sei auf das Gesuch der Beschwerdegegnerin, es sei ihr zu bewilligen, nach vorgängiger Androhung gegenüber der Beschwerdeführerin in Genf das Flugzeug mit dem Kennzeichen HB-JGK des Herstellers Lockhead Aircraft Corporation, Typ 1329-25 Jetstar II, Serie Nr. 5233, zu versteigern, nicht einzutreten. Eventualiter sei dieses Gesuch der Beschwerdegegnerin abzuweisen. Subeventualiter sei der Fall zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. (...)
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
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Das Gesetz regelt die Wirkungen des Gläubigerverzugs bei Sachleistungen (Hinterlegung und Selbsthilfeverkauf, Art. 92-94 OR) und bei "anderen Leistungen" (Rücktritt vom Vertrag, Art. 95 OR). Zu Recht betont die Vorinstanz den engen Zusammenhang zwischen Hinterlegung und Selbsthilfeverkauf, bildet Letzterer doch nur eine besondere Form der Hinterlegung. Der Selbsthilfeverkauf bezweckt, eine nicht hinterlegungsfähige Sache durch eine hinterlegungsfähige zu ersetzen. Die Befreiung des Schuldners tritt dabei ![]() | 9 |
Der Schuldner muss den beabsichtigten Selbsthilfeverkauf dem Gläubiger vorgängig androhen. Zudem muss er ihn vom Richter bewilligen lassen. Der Richter bestimmt den Versteigerungsort. Er hat die Voraussetzungen des Selbsthilfeverkaufs in einem raschen, summarischen Bewilligungsverfahren zu prüfen, wie dies vorliegend denn auch erfolgte. Der Richter prüft, ob der Gesuchsteller das Vorliegen der Voraussetzungen des Gläubigerverzugs und diejenigen des Selbsthilfeverkaufs glaubhaft gemacht hat. Der Gläubiger ist nach Möglichkeit anzuhören (WEBER, a.a.O., N. 30 ff. zu Art. 93 OR; BERNET, a.a.O., N. 9 zu Art. 93 OR; SCHRANER, a.a.O., N. 29 ff. zu Art. 93 OR). Die Beurteilung des Richters im summarischen Verfahren bindet den Richter in einem späteren ordentlichen Verfahren (z.B. in einem Schadenersatzprozess) nicht. Nach einhelliger Lehre gilt dies zunächst hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen des Gläubigerverzugs (vgl. SCHRANER, a.a.O., N. 32 zu Art. 93 OR; BERNET, a.a.O., N. 9 zu Art. 93 OR). Angesichts des Umstands, dass im summarischen Bewilligungsverfahren die blosse Glaubhaftmachung genügt, muss der ordentliche Richter nach zutreffender Auffassung der herrschenden Lehre aber auch nachprüfen können, ob die besonderen Voraussetzungen des Selbsthilfeverkaufs erfüllt waren (SCHRANER, a.a.O., N. 32 zu Art. 93 OR; WEBER, a.a.O., N. 34 zu Art. 93 OR; OSER/SCHÖNENBERGER, Zürcher Kommentar, 2. Aufl. 1929, N. 5 zu Art. 93 OR; FRANK/STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 1997, N. 2a zu § 219 ZPO/ZH; BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1988, S. 323; DEMIAN STAUBER, Die Rechtsfolgen des Gläubigerverzugs, 2009, S. 173 Rz. 452; Frage offengelassen in BGE 42 II 219 E. 3 S. 224). BECKER (Berner Kommentar, 2. Aufl. 1941, N. 30 zu Art. 92/94 OR) hegt dagegen Bedenken, weil der Schuldner hinsichtlich der besonderen Voraussetzungen, insbesondere der Angemessenheit der dem Gläubiger angesetzten Frist, seine Massnahmen treffen müsse, ohne stets die individuellen ![]() | 10 |
5.2 Freiwillige (nichtstreitige) Gerichtsbarkeit meint die Mitwirkung staatlicher Organe, seien es Gerichte oder Verwaltungsbehörden, bei der Begründung, Änderung oder Aufhebung von Privatrechtsverhältnissen (MAX GULDENER, Grundzüge der freiwilligen Gerichtsbarkeit der Schweiz, 1954, S. 2; im Folgenden: Gerichtsbarkeit). Rechtsprechung und Lehre haben sich eingehend mit dem Begriff der freiwilligen Gerichtsbarkeit befasst, ohne dass sich dabei eine eindeutige Definition herauskristallisiert hätte (NICOLAS VON WERDT, in: Kommentar zum Bundesgesetz über den Gerichtsstand in Zivilsachen, Berger und andere [Hrsg.], 2005, N. 6 zu Art. 11 GestG; vgl. auch BGE 118 Ia 473 E. 2c S. 476). Meist tritt nur eine einzige Partei als Gesuchsteller auf. Mitunter handelt die Behörde von Amtes wegen. Das Vorliegen eines Ein- oder Mehrparteienverfahrens bildet nicht das entscheidende Abgrenzungsmerkmal. Zwar besteht das Wesen der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht wie bei der streitigen Gerichtsbarkeit darin, dass im Verhältnis zwischen einem Kläger und einem Beklagten entschieden wird, was rechtens ist. Doch erfolgt die Rechtsanwendung auch bei der freiwilligen Gerichtsbarkeit in einem Verfahren, in dem sich unter Umständen zwei Parteien gegenüberstehen können, aber nicht notwendig gegenüberstehen müssen (GULDENER, Gerichtsbarkeit, a.a.O., S. 2; derselbe, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979, S. 42 und 44; im Folgenden: Zivilprozessrecht). Zudem mündet ein solches Verfahren in ein (streitiges) Zweiparteienverfahren, wenn ein Betroffener gegen den Entscheid bzw. eine Amtshandlung der freiwilligen Gerichtsbarkeit Einspruch erhebt oder ein Rechtsmittel ergreift; diesfalls wird das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit sachlich zu einem Zivilprozess, der aber formell als Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit weitergeführt wird (GULDENER, Gerichtsbarkeit, a.a.O., S. 6; derselbe, Zivilprozessrecht, a.a.O., S. 44). Generell lässt sich sagen, dass im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit getroffene Entscheidungen nicht in materielle Rechtskraft erwachsen, d.h. auf sie zurückgekommen werden ![]() | 11 |
Der freiwilligen Gerichtsbarkeit im Sinne von Art. 11 GestG werden diejenigen Zivilverfahren zugeordnet, die nicht unter den Begriff der Zivilrechtsstreitigkeit fallen (VON WERDT, a.a.O., N. 10 zu Art. 11 GestG; CLAUDIA SPÜHLER, in: Bundesgesetz über den Gerichtsstand in Zivilsachen, Kommentar, Spühler/Tenchio/Infanger [Hrsg.], 2001, N. 3 zu Art. 11 GestG). Als Zivilrechtsstreitigkeit gilt ein kontradiktorisches Verfahren zwischen mindestens zwei Parteien, das auf die endgültige, dauernde Regelung zivilrechtlicher Verhältnisse im Sinne einer res iudicata abzielt (vgl. BGE 124 III 44 E. 1a; BGE 123 III 346 E. 1a S. 349). Letzteres Element fehlt bei der Bewilligung des Selbsthilfeverkaufs. Das richterliche Bewilligungsverfahren dient der Prüfung, ob die Voraussetzungen für einen Selbsthilfeverkauf erfüllt sind. Es führt aber nicht zu einem Urteil mit materieller Rechtskraftwirkung über das Rechtsverhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger (vgl. die vorstehende Erwägung 5.1). Dass der Gläubiger nach Möglichkeit anzuhören ist, ändert nichts, da wie ausgeführt auch bei der freiwilligen Gerichtsbarkeit zwei Parteien auftreten können (in diesem Sinn auch BGE 118 Ia 473 E. 2c S. 476; BGE 104 II 163 E. 3b).
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Was die Beschwerdeführerin dagegen vorbringt, verfängt nicht. Sie argumentiert, durch den Selbsthilfeverkauf werde erheblich in die Rechte des Gläubigers eingegriffen und die ursprüngliche Sachleistungsschuld in eine Geldleistungsschuld umgewandelt; der Richter befreie den Schuldner endgültig von seiner Sachleistungspflicht und ermögliche ihm die Vertragserfüllung durch Aushändigung oder Hinterlegung des Verkaufserlöses; der Selbsthilfeverkauf könne nach seiner Abwicklung nicht mehr rückgängig gemacht werden; es könne damit nicht davon gesprochen werden, dass mit dem Entscheid nach Art. 93 OR keine zivilrechtlichen Verhältnisse im Sinne einer res iudicata geregelt würden. Damit verkennt die Beschwerdeführerin, dass mit der Bewilligung des Selbsthilfeverkaufs selber noch keine Umgestaltung des Schuldverhältnisses zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner erfolgt. Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdegegnerin denn auch lediglich bewilligt, nach vorgängiger Androhung mit einer Frist von sechs Wochen das Flugzeug öffentlich versteigern zu lassen. Dem Gläubiger steht es innerhalb dieser Frist frei, die Sache entgegenzunehmen und damit den Selbsthilfeverkauf und die Umgestaltung des Rechtsverhältnisses ![]() | 13 |
Das Gesuchsverfahren zur richterlichen Bewilligung des Selbsthilfeverkaufs zählt demnach zur freiwilligen Gerichtsbarkeit im Sinne von Art. 11 GestG (so auch DONZALLAZ, Commentaire de la loi fédérale sur les fors en matière civile, 2001, N. 19 zu Art. 11 GestG; VON WERDT, a.a.O., N. 64 zu Art. 11 GestG; STAUBER, a.a.O., S. 171 Rz. 449; ohne nähere Begründung a.A.: WIRTH, in: Gerichtsstandsgesetz, Kommentar, Müller/Wirth [Hrsg.], 2001, N. 43 zu Art. 11 GestG).
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Nach Art. 11 GestG ist das Gericht am Wohnsitz bzw. Sitz der gesuchstellenden Partei zuständig, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt. Letzteres trifft für die Bewilligung des Selbsthilfeverkaufs nach Art. 93 OR nicht zu, weshalb hierfür der Richter am Wohnsitz bzw. Sitz der gesuchstellenden Partei örtlich zuständig ist (so ausdrücklich BERNET, a.a.O., N. 5 zu Art. 93 OR; SCHRANER, a.a.O., N. 29 zu Art. 93 OR; LOERTSCHER, in: Commentaire romand, Code des obligations, vol. I, 2003, N. 8 zu Art. 93 OR; STAUBER, a.a.O., S. 172 Rz. 450 in fine).
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7. Die Vorinstanz entschied, dass der Beschwerdegegnerin das Recht zum Selbsthilfeverkauf zukomme, da sie die Voraussetzungen des ![]() | 20 |
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Ist eine andere als eine Sachleistung geschuldet, zum Beispiel eine Arbeits- oder Dienstleistung, scheidet eine Hinterlegung (mit oder ohne vorausgehendem Selbsthilfeverkauf) selbstredend aus. Es gibt nichts Körperliches, das hinterlegt werden könnte. In diesem Fall greift der Rechtsbehelf des Vertragsrücktritts nach Art. 95 OR. Dieser dient insbesondere dem Unternehmer im Rahmen eines Werkvertrags, wenn der Besteller durch die Verweigerung der ihm obliegenden Vorbereitungshandlungen Beginn oder Vollendung des Werks verhindert (WEBER, a.a.O., N. 11 zu Art. 95 OR mit weiteren Hinweisen). Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, ist die Situation anders bei Werkverträgen, welche die Reparatur oder die Wartung einer Sache zum Gegenstand haben, die der Schuldner in Besitz erhalten hat und die er nach Werkvollendung dem Gläubiger zurückgeben soll. Ist dem Schuldner die Rückgabe der Sache wegen des Gläubigerverzugs verunmöglicht, muss ihm eine Hinterlegung nach den Art. 92-94 OR gestattet sein (SCHRANER, a.a.O., N. 26 zu Art. 93 OR; WEBER, a.a.O., N. 25 zu Art. 93 OR; BERNET, a.a.O., N. 4 zu Art. 93 OR; VON THUR/ESCHER, Allgemeiner Teil des schweizerischen Obligationenrechts, Bd. II, 3. Aufl. 1974, S. 82 bei Fn. 53). Die Nebenpflicht zur Rückgabe der Sache beschlägt eine Sachleistung im Sinne von Art. 93 OR. Dies hat die Vorinstanz zutreffend erkannt und demnach kein Bundesrecht verletzt.
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