BGE 136 III 401 | |||
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59. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y. (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_827/2009 vom 27. Mai 2010 | |
Regeste |
Persönlichkeitsschutz; Recht am eigenen Bild; vertraglich vereinbarte Veröffentlichung von erotischen Fotos im Internet. | |
Sachverhalt | |
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A.a X. führt das Einzelunternehmen "X. Informatik" und betreibt unter dieser Firma u.a. einen Begleitservice (A.-Escort-Service) sowie die B.-Production, welche Filme und Fotos herstellt und vertreibt.
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A.b Am 23. Oktober 2006 schloss Y. mit X. einen Vermittlungsvertrag für den A.-Escort-Service, einen Model-Vertrag sowie einen Vertrag über die Produktion und den Vertrieb von Filmen und Fotos. Im Vermittlungsvertrag verpflichtete sich X. unter anderem, die diskrete Vermittlungsarbeit zwischen den Kunden und Y. zu übernehmen, für sie im Internet eine persönliche Homepage bzw. "Setcard" aufzuschalten und um die Werbung besorgt zu sein. Die Agentur verpflichtete sich ferner dazu, Y. Hilfe bei ihren Fotos anzubieten und von ihr gegen Vorauszahlung von Fr. 220.- resp. Fr. 200.- einen ganzen Satz digitaler Bilder zu schiessen, wobei das Fotoshooting bzw. die Filmerstellung kostenlos angeboten wurde, falls Y. ihrerseits die Dienstleistung "Erotikfilme" anbot. Y. erklärte sich unter anderem dazu bereit, Model-Dienste sowohl für Fotos als auch für Filme anzubieten. Betreffend die Veröffentlichung der Fotos im Internet gab sie folgendes Einverständnis ab: "Meine Bilder können im Original ins Internet, wenn man das Gesicht fast nicht erkennt".
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Durch den Vermittlungs- und den Model-Vertrag übertrug Y. die Rechte am Bild bzw. Film für die Veröffentlichung und den Vertrieb der Foto- und/oder Filmaufnahmen unwiderruflich der Agentur und willigte überdies ein, dass im Falle einer Veröffentlichung keine Ansprüche, auch nicht gegen Dritte, geltend gemacht werden können. Ferner berechtigten diese Verträge die Agentur zu einer uneingeschränkten, zeitlich und örtlich unbegrenzten Nutzung, Speicherung und Verwertung der Bilder.
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Ein Rückkauf der Rechte war gegen Bezahlung einer Entschädigung möglich, deren Höhe sich nach den bereits erledigten Arbeiten und den bestehenden Film- und Fotoaufträgen richtete. Weiter vereinbarten die Parteien einen jederzeit möglichen Rücktritt, wobei sich Y. verpflichtete, der Agentur bei einem Rücktritt vor Ablauf von sechs Monaten eine Umtriebsentschädigung von Fr. 390.- für entgangenen Umsatz zu zahlen.
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A.c In der Folge wurde unter einem Pseudonym im Internet eine "Setcard" mit einer Bildgalerie von Y. aufgeschaltet. Über diese Homepage konnte auch ein Pornofilm, in welchem sie mitwirkte, bestellt werden.
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A.d Am 5. Januar 2007 vereinbarten die Parteien den "sofortigen Rücktritt bei A.-Escort resp. Studio". Y. verpflichtete sich zur Bezahlung einer "Rücktrittsgebühr" von Fr. 390.-. In der Rücktrittsbestätigung wurde sodann festgehalten, dass der Film weiterhin verkauft werde, aber keine Provisionszahlungen erfolgen würden, der Verkauf aber gegen Zahlung von Fr. 4'500.- gestoppt werden könne.
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B.
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B.a Y. erhob am 2. April 2008 beim Bezirksgericht Baden Klage gegen X. mit dem Begehren, es sei diesem unter Androhung der Straffolgen von Art. 292 StGB im Widerhandlungsfall gerichtlich zu verbieten, Fotos und DVDs, auf welchen sie abgelichtet sei, der Öffentlichkeit auf dem Internet (generell und insbesondere unter der Internetadresse x) zugänglich zu machen. Zuvor hatte die Gerichtspräsidentin 4 des Bezirksgerichtes Baden X. unter Androhung des polizeilichen Vollzugs und einer Bestrafung gemäss Art. 292 StGB vorsorglich verboten, Fotos und DVDs, auf welchen Y. abgelichtet sei, der Öffentlichkeit auf dem Internet zugänglich zu machen.
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C. Mit Beschwerde vom 8. Dezember 2009 beantragt X. (nachfolgend: Beschwerdeführer) dem Bundesgericht, es sei das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 27. Oktober 2009 aufzuheben und die Klage von Y. (nachfolgend: Beschwerdegegnerin) abzuweisen.
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Nach öffentlicher Beratung heisst das Bundesgericht die Beschwerde gut und weist die Klage ab.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
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Erwägung 5.2 | |
5.2.1 Das sogenannte "Recht am eigenen Bild" ist eine Unterart des allgemeinen Persönlichkeitsrechts von Art. 28 ZGB (statt vieler ANDREAS MEILI, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I, 3. Aufl. 2006, N. 17 zu Art. 28 ZGB). Grundsätzlich darf niemand ohne seine (vorgängige oder nachträgliche) Zustimmung abgebildet werden, sei es durch Zeichnung, Gemälde, Fotografie, Film oder ähnliche Verfahren (BGE 127 III 481 E. 3 a/aa S. 492; MEILI, a.a.O., N. 19 zu Art. 28 ZGB; MARC BÄCHLI, Das Recht am eigenen Bild, 2002, S. 89). Nach Auffassung verschiedener Autoren ist die Einwilligung kein Rechtfertigungsgrund, sondern schliesst schon den Tatbestand der Persönlichkeitsverletzung aus (vgl. etwa BÄCHLI, a.a.O., S. 86). Sie muss gültig sein, also ein Rechtsgut betreffen, über welches der Träger verfügungsberechtigt ist; ausnahmsweise kann sie auch stillschweigend erteilt bzw. angenommen werden. So willigt der Schauspieler, der sich für eine Mitwirkung in einem Film verpflichtet, selbstredend auch in die Veröffentlichung des Films und in die Verwendung von Ausschnitten daraus zu Werbezwecken ein (BÄCHLI, a.a.O., S. 89 ff.). Zudem muss die Einwilligung rechtswirksam, insbesondere frei von Willensmängeln sein. Sodann ist sie sowohl hinsichtlich des zu veröffentlichenden Bildes als auch des Verwendungszwecks des Bildes genügend zu konkretisieren, sodass sie nicht für eine andere als die vorgesehene Verwendung eines bestimmten Bildes gilt (BÄCHLI, a.a.O., S. 87 und 90).
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Stehen bei der fraglichen Verpflichtung wirtschaftliche Interessen im Vordergrund, ist der letztgenannten Lehrmeinung der Vorrang zu geben. Angesichts der Bedeutung, welche die Vermarktung des eigenen Bildes, des Namens oder der Stimme in den letzten Jahrzehnten erreicht hat, ist es lebensfremd (BÜCHLER, a.a.O., S. 187), weiterhin die Einwilligung zur Abtretung der Rechte am eigenen Bild als einer rechtlich bindenden Verpflichtung nicht zugängliches Geschäft anzusehen, das jederzeit und frei widerrufbar sein soll. Dies gilt grundsätzlich nicht nur für bekannte Persönlichkeiten, die ihren Namen oder ihr Bild mit Lizenzverträgen für kommerzielle Zwecke zur Verfügung stellen, sondern auch für diejenigen, die sich nur gelegentlich bzw. ein Mal im Leben öffentlich zur Schau stellen, namentlich auch für Teilnehmer an neuen Sendeformaten in der Art der "reality shows" (vgl. dazu AEBI-MÜLLER, a.a.O., Rz. 222). Es muss aber auch für Personen gelten, die sich wie hier an bescheideneren Produktionen beteiligen: Denn obwohl nur der Veranstalter beruflich handelt, sind derartige Produktionen professionell organisiert. Zudem verfolgen auch Gelegenheitsteilnehmer in aller Regel eigene wirtschaftliche Interessen (BÜCHLER, a.a.O., S. 187) in der Form von Werbung und/oder unmittelbarer Entschädigung. Mit der hier aufgezeigten Lösung wird sichergestellt, dass vertragliche Beziehungen der vorliegenden Art nicht im rechtsfreien Raum belassen werden.
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Dem liesse sich entgegenhalten, eine bindende vertragliche Verpflichtung mit Rücktrittsentschädigung und eine jederzeit widerrufbare Einwilligung, verbunden mit Schadenersatzpflicht gestützt auf Art. 404 Abs. 2 OR, laufe im Ergebnis auf dasselbe hinaus. Es bestehen jedoch gewichtige prozessuale Unterschiede: Einerseits ist ein gerichtliches Verfahren zur Feststellung des allfälligen Schadens mit einem viel grösseren Aufwand verbunden als die blosse Einklagung einer vertraglich vereinbarten Rücktrittsentschädigung; die Verbreitung derartiger Geschäfte vor allem dank Internet ruft geradezu nach möglichst einfachen Lösungen. Andererseits verlagert sich die Behauptungs- und Beweislast: Nicht mehr der angebliche Störer der Persönlichkeit des Ansprechers muss den zufolge Widerrufs der erteilten Einwilligung erlittenen Schaden als rechtsbegründende Tatsache behaupten und nachweisen; vielmehr obliegt dem Ansprecher, der sich von der eingegangenen Verpflichtung lösen will, ausserordentliche Gründe im Sinne rechtshemmender Tatsachen darzulegen und nachzuweisen, die ihn ausnahmsweise zum Rücktritt berechtigen und von der Entrichtung der vereinbarten Rücktrittsentschädigung (bzw. Konventionalstrafe) befreien. Diese Lösung scheint sachgerecht, zumal der Ansprecher auf seine ursprüngliche Abmachung zurückkommen will.
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Erwägung 5.3 | |
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Davon zu unterscheiden ist eine dritte Kategorie von nicht durchsetzbaren Verträgen, bei welchen die Verwerflichkeit (Sittenwidrigkeit) in deren Inhalt liegt, d.h. in dem tatsächlichen Verhalten, zu dem sich die Parteien vertraglich verpflichten. Einer rechtlichen Verbindlichkeit solcher Verträge stehen objektive Gesichtspunkte der Moral und der guten Sitten entgegen. Die Gültigkeit dieser Verträge richtet sich nach Art. 20 OR (BUCHER, a.a.O.; AEBI-MÜLLER, a.a.O., Rz. 221; zur Abgrenzung zwischen den Tatbeständen des nichtigen Geschäftes im Sinn von Art. 20 OR und des übermässig bindenden gemäss Art. 27 Abs. 2 ZGB sowie zu den jeweiligen Rechtsfolgen: vgl. BGE 129 III 209 E. 2.2 S. 213 f.).
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Während die erste Instanz eine anfängliche Nichtigkeit der vertraglichen Abmachung zwischen den Parteien betreffend die Veröffentlichung der fraglichen Bilder im Internet angenommen hatte, hat das Obergericht die Frage ausdrücklich offengelassen. Es hat berücksichtigt, dass der Beschwerdegegnerin bereits dadurch gedient sei, wenn ihr erlaubt werde, die eingegangene Verpflichtung für die Zukunft zu widerrufen; auf der anderen Seite habe der Beschwerdeführer keine Forderung aus dem Vermittlungsvertrag widerklageweise geltend gemacht. Aus diesen Gründen erübrige sich die Klärung der Frage, ob der Vertrag gegen die guten Sitten verstosse und folglich anfänglich nichtig sei. Weil aber die Einwilligung jederzeit und voraussetzungslos widerrufen werden könne, sei eine mit dem Widerruf vertraglich verabredete Entschädigung unzulässig.
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5.4.2 Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen: Daraus wird nicht ersichtlich, in welcher Hinsicht die mit dem Beschwerdeführer eingegangene Bindung übermässig wäre. Sodann ist daran zu erinnern, dass es vorliegend nicht um die Einwilligung der Beschwerdegegnerin in Handlungen geht, die allenfalls in die eigene Intimsphäre eingreifen würden, sondern lediglich um die Veröffentlichung von Bildern, welche derartige Handlungen wiedergeben. Dadurch wird der Kernbereich der Persönlichkeit der Beschwerdegegnerin nicht betroffen (dazu vorne E. 5.2.2; BRÜCKNER, a.a.O., Rz. 449). Überhaupt erscheint fraglich, ob die Einwilligung in eine Veröffentlichung derartiger Bilder gegen Art. 27 ZGB verstösst. Auch kann im Lichte der heutigen Moralvorstellungen und der Verbreitung pornografischen Materials im Internet nicht behauptet werden, ein solches Rechtsgeschäft verstosse an sich inhaltlich gegen Art. 20 OR und sei folglich nichtig (HAAS, a.a.O., Rz. 840; BRÜCKNER, a.a.O., Rz. 449). Ebenso wenig besticht das Argument des Obergerichts, der Beschwerdeführer habe keine Forderung aus dem Vermittlungsvertrag widerklageweise geltend gemacht. Dieses ist einerseits sachfremd, anderseits aber auch mit der hier unbestrittenermassen anwendbaren Dispositionsmaxime unvereinbar, die dem Träger eines Rechtsanspruches den Entscheid überlässt, ob bzw. wann er diesen Anspruch gerichtlich durchsetzen will.
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Wie bereits dargelegt (E. 5.2.2) können Persönlichkeitsgüter, die nicht zum Kernbereich der menschlichen Existenz gehören, Gegenstand von vertraglichen und unwiderruflichen Verpflichtungen sein. In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdegegnerin ihre Bildrechte entgeltlich abgetreten hat: Von ihr wurden unentgeltlich Bilder geschossen (vorne, Sachverhalt lit. A.b); auch war sie an dem aus dem Verkauf des Pornofilms und den Escort-Verabredungen erzielten Umsatz beteiligt; schliesslich waren die Bilder bzw. ihre Aufschaltung ins Internet eine unverzichtbare Voraussetzung für die von der Beschwerdegegnerin angebotenen Escort-Dienste. Die Beschwerdegegnerin hat also aus rein finanziellen Interessen gehandelt und hat auch genau gewusst, worauf sie sich einliess; sie hat auch frei entscheiden können, wie weit sie in der Offenbarung ihres eigenen Bildes gehen wollte, indem sie z.B. den Grad der Unkenntlichmachung ihres Gesichtes auf den Fotos wählen konnte und sich für einen Pornofilm zur Verfügung stellte.
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5.6 Damit sind keine Umstände nachgewiesen worden bzw. ersichtlich, die es rechtfertigten, die Beschwerdegegnerin ausnahmsweise zum bedingungslosen Rücktritt zuzulassen und sie von der eingegangenen Verpflichtung zur Zahlung einer Rücktrittsentschädigung zu befreien. Auch hat die Beschwerdegegnerin zu keinem Zeitpunkt die Höhe der Entschädigung beanstandet. Zu Recht hat sich der Beschwerdeführer deshalb geweigert, die fraglichen Bilder ohne Entschädigung aus dem Internet zu entfernen. Nicht strittig ist hingegen, dass er diese Bilder nach der Bezahlung der Rücktrittsentschädigung entfernt hätte.
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5.7 Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die Beschwerdegegnerin rechtsgültig ihre Bildrechte an den Beschwerdeführer abgetreten und keinen Grund behauptet bzw. bewiesen hat, der sie zu einem ausnahmsweise entschädigungslosen Rücktritt berechtigt. Unter diesen Umständen kann die Rüge unbeantwortet bleiben, die Beschwerdegegnerin habe auch noch rechtsmissbräuchlich gehandelt.
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