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26. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. und Mitb. gegen W. (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_652/2010 vom 4. März 2011 | |
Regeste |
Art. 738 und 737 Abs. 2 und 3 ZGB; Ermittlung von Inhalt und Umfang eines Wegrechts, Gebot der schonenden Ausübung einer Dienstbarkeit. | |
Sachverhalt | |
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A.a X., Y. und Z. (nachfolgend Beschwerdeführer) sind Stockwerkeigentümer des Grundstücks Nr. 61 (zuvor Nr. 432) auf dem Gebiet der Gemeinde V. In südlicher Richtung daran angrenzend befindet sich das im Eigentum von W. (nachfolgend Beschwerdegegner) stehende Grundstück Nr. 60 (zuvor Nr. 629). An der jeweils westlichen Grenze der beiden Grundstücke verläuft die öffentliche Strasse.
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A.b Mit Grunddienstbarkeitsvertrag vom 8. Mai 1957 räumten sich die damaligen Eigentümer A. (Grundstück Nr. 60) und B. (Grundstück Nr. 61) "gegenseitig zwischen den beiden Häusern, soweit die Grenzlinie GBNr. 432 (heute Nr. 61) B. verläuft, das Fuss- und Fahrwegrecht mit allen Fahrzeugen ein" (Hervorhebung im Original).
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Entsprechend wurde diese Dienstbarkeit im Grundbuch mit dem Wortlaut "Fuss- und Fahrwegrecht mit allen Fahrzeugen" (nachfolgend als "Wegrecht" bezeichnet) sowohl als Recht und Last gegenseitig auf den Grundstücken Nr. 60 und 61 eingetragen. Dieser Weg befindet sich auf der Fläche zwischen der südlichen Hausfassade auf Grundstück Nr. 61 und der nördlichen Hausfassade auf Grundstück Nr. 60 und dient auf der westlichen Seite dem Zugang zur öffentlichen Strasse.
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A.c Im Juli 2006 erteilte der Gemeinderat den Beschwerdeführern die Baubewilligung für einen Erweiterungsbau und wies darin die vom Beschwerdegegner erhobene Einsprache ab. Die Beschwerdeführer errichteten daraufhin auf der südlichen Seite ihres Hauses auf ![]() | 5 |
A.d Mit Klage vom 7. September 2007 verlangte der Beschwerdegegner, die Beschwerdeführer seien zu verpflichten, sämtliche Bauteile auf ihrem Grundstück Nr. 61, die in eine (mit Koordinaten bestimmte) Fläche von 0,75 m2 "hineinragen und das Strassenterrain überragen", zu entfernen, da sie damit das vereinbarte Wegrecht verletzten. Mit Urteil vom 8. Juni 2009 wies das Bezirksgericht C. die Klage ab.
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B. Auf Berufung des Beschwerdegegners hiess das Kantonsgericht Schwyz die Klage mit Urteil vom 19. Mai 2010 gut und verpflichtete die Beschwerdeführer, sämtliche Bauteile auf ihrem Grundstück Nr. 61, die in die fragliche Fläche hineinragen und die Strassenlinie überragen, ersatzlos und auf eigene Kosten, unter solidarischer Haftung, zu entfernen.
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C. Dem Bundesgericht beantragen die Beschwerdeführer in ihrer Beschwerde in Zivilsachen die Aufhebung des kantonsgerichtlichen Urteils im Umfang der Gutheissung der Berufung und sinngemäss die Abweisung der Klage. Sowohl das Kantonsgericht als auch der Beschwerdegegner schliessen auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 3 | |
3.1 Für die Ermittlung von Inhalt und Umfang einer Dienstbarkeit gibt Art. 738 ZGB eine Stufenordnung vor. Ausgangspunkt ist der Grundbucheintrag. Soweit sich Rechte und Pflichten aus dem Eintrag deutlich ergeben, ist dieser für den Inhalt der Dienstbarkeit massgebend (Art. 738 Abs. 1 ZGB). Nur wenn sein Wortlaut unklar ist, darf im Rahmen des Eintrags auf den Erwerbsgrund, das heisst den Begründungsakt, zurückgegriffen werden. Ist auch der Erwerbsgrund ![]() | 10 |
Erwägung 3.2 | |
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Erwägung 3.3 | |
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Der öffentliche Glaube des Grundbuchs bedeutet nicht nur, dass der Inhalt des Grundbuchs als richtig fingiert wird (positive Seite des Publizitätsprinzips). Der Grundbucheintrag gilt vielmehr auch als vollständig (negative Seite des Publizitätsprinzips; Urteile 5C.232/2003 vom 2. März 2004 E. 2.1, nicht publ. in: BGE 130 III 306, aber in: ZBGR 86/2005 S. 41; 5C.301/2005 vom 17. Februar 2006 E. 3, in: ZBGR 89/2008 S. 292).
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Für Wegrechte bedeutet dies insbesondere, dass dort, wo für die Ausübung der Dienstbarkeit bauliche Anlagen erforderlich sind, diese in der Regel auch den Inhalt und den Umfang der Dienstbarkeit bestimmen, und zwar mit voller Wirkung gegenüber dem Dritterwerber, der sich grundsätzlich alles entgegenhalten lassen muss, was sich aus der Lage und der nach aussen in Erscheinung tretenden Beschaffenheit der Grundstücke ergibt (vgl. LIVER, Zürcher Kommentar, 2. Aufl. 1980, N. 31, 33 und 55 zu Art. 738 ZGB; SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, Sachenrecht, 3. Aufl. 2009, N. 1275c; allgemein zu baulichen Anlagen vgl. auch Urteile 5C.27/2006 vom 3. August 2006 E. 3.2; 5C.257/2001 vom 3. Dezember 2001 E. 2b/aa und 2b/bb).
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In diesem Sinn hat das Bundesgericht festgehalten, dass nach allgemeiner Lebenserfahrung niemand ein wegrechtsberechtigtes Grundstück kaufe, ohne es vorher zu besichtigen, und dass - Ausnahmefälle vorbehalten - kein Dritterwerber in gutem Glauben geltend machen könne, er habe die im Grundbucheintrag (wozu wie erwähnt auch der Dienstbarkeitsvertrag zählt) nicht erwähnten Besonderheiten des Wegrechts nicht gekannt, die für ihn bei einer Besichtigung erkennbar gewesen wären. Wird folglich der Inhalt und Umfang des Wegrechts durch die örtlichen Gegebenheiten für jedermann sichtbar beschränkt, hat sich der Erwerber dies grundsätzlich entgegenhalten zu lassen (vgl. Urteil 5C.71/2006 vom 19. Juli 2006 E. 2.3, in: ZBGR 88/2007 S. 467 ff.; BGE 137 III 153 E. 4.2.3 S. 157; ähnlich Urteil 5A_846/2009 vom 12. März 2010 E. 4.2, in: ZBGR 92/2011 S. 116 f.; HOHL, a.a.O., S. 79; PIOTET, Le contenu d'une servitude, sa ![]() | 18 |
Erwägung 4 | |
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Das Kantonsgericht hat insoweit zutreffend erwogen (was die Beschwerdeführer zudem nicht bestreiten), dass sich aus dem Grundbucheintrag (Art. 738 Abs. 1 ZGB) keine Einzelheiten zum Inhalt und Umfang der Dienstbarkeit entnehmen lassen, so dass gemäss Art. 738 Abs. 2 ZGB der Erwerbsgrund zu befragen ist.
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Erwägung 4.2 | |
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Sowohl das Bezirksgericht wie implizit auch das Kantonsgericht haben anhand der Fotografien des Beschwerdegegners vom April 1980 (Klagebeilagen 37 und 38) festgestellt, dass die strittige Fläche zwischen den beiden Häusern jedenfalls ab dem Jahr 1980 asphaltiert war und dieser Strassenbelag auf dem Grundstück der Beschwerdeführer durch einen Randstein (in Form von Pflastersteinen) abgegrenzt war und auch heute noch ist. Gegen diese Tatsachenfeststellungen erheben die Beschwerdeführer keine Rügen.
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Im Ergebnis (BGE 136 III 449 E. 4.2 S. 452) ist damit der kantonsgerichtliche Schluss, das Wegrecht erstrecke sich in der Breite auf der Seite der Beschwerdeführer bis zum Randstein, nicht zu beanstanden. Die fragliche Fläche von 0,75 m2 des Stegs der Beschwerdeführer befindet sich auf der Dienstbarkeitsfläche.
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Erwägung 5 | |
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5.5 Durch den Grundsatz "servitus civiliter exercenda" wird nicht der Umfang oder Inhalt der Dienstbarkeit eingeschränkt, sondern lediglich deren missbräuchliche Ausübung untersagt (BGE 113 II 151 E. 4 S. 153; Urteile 5C.232/2003 vom 2. März 2004 E. 5.3, nicht publ. in: BGE 130 III 306, aber in: ZBGR 86/2005 S. 48 f.; 5A_833/2009 vom 11. März 2010 E. 4.3.1; 5A_617/2009 vom 26. Januar 2010 E. 2.3; a.M. und mit Hinweis auf die unterschiedlichen Lehrmeinungen ESCHMANN, a.a.O., S. 12 f.). Mit anderen Worten darf das Gebot der schonenden Ausübung (beziehungsweise der Duldung vernachlässigbarer Beeinträchtigungen) nicht zu einer inhaltlichen Verengung des Dienstbarkeitsrechts führen. Wer die Beseitigung von Bauten verlangt, welche die Dienstbarkeit verletzen, handelt ![]() | 33 |
Wenn der Beschwerdegegner vorliegend gestützt auf Art. 737 Abs. 3 ZGB die Beseitigung eines Teils des Stegs der Beschwerdeführer (auf einer Fläche von 0,75 m2, die in die Dienstbarkeitsfläche hineinragt und damit deren Inhalt verletzt) verlangt, handelt er deshalb nicht treuwidrig, zumal er sich dem Ausbauprojekt der Beschwerdeführer von Anfang an widersetzt hat (BGE 83 II 201 E. 2 und 3 S. 204 ff.; Urteil 5C.307/2005 vom 19. Mai 2006 E. 7.2 f. mit Hinweisen, in: ZBGR 88/2007 S. 134).
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Die Beschwerdeführer sind damit verpflichtet, die mit der Dienstbarkeit unvereinbare Baute zu beseitigen (vgl. BGE 83 II 201 E. 2 S. 204 f.). Das kantonsgerichtliche Urteil ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
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5.6 Stellt sich die Frage nach der Missbräuchlichkeit der Ausübung gemäss Art. 737 ZGB gar nicht, erübrigen sich weitere Bemerkungen zu den von den Beschwerdeführern gerügten Sachverhaltsfeststellungen, die dieser Rechtsfrage zugrunde liegen würden. Damit kann ebenfalls offenbleiben, inwieweit die Vorbringen der Beschwerdeführer neue Tatsachen gemäss Art. 99 Abs. 1 BGG enthalten.
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