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52. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen X. Versicherung AG und X. Kranken-Versicherung AG (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_576/2010 vom 7. Juni 2011 | |
Regeste |
Art. 51 Abs. 2 OR und Art. 72 VVG; Regressrecht des Schadensversicherers gegenüber einem kausal Haftpflichtigen. | |
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4.1 Nach der Regressordnung von Art. 51 Abs. 2 OR hat im Innenverhältnis von mehreren Ersatzpflichtigen in der Regel derjenige in erster Linie den Schaden zu tragen, der ihn durch unerlaubte Handlung verschuldet hat, und in letzter Linie derjenige, der ohne eigene Schuld und ohne vertragliche Verpflichtung nach Gesetzesvorschrift (kausal) haftet. Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung ist der Versicherer, der den Ersatz des Schadens aus Vertrag übernommen hat, ein aus Vertrag Haft- bzw. Ersatzpflichtiger im Sinne von Art. 51 Abs. 2 OR und steht somit auf der zweiten Stufe der Regressordnung. Er kann somit gegenüber demjenigen, der für den Schaden ohne Verschulden aufgrund einer Gesetzesvorschrift (kausal) haftet, keinen Rückgriff nehmen bzw. muss sich selber einem allfälligen Rückgriff durch den kausal Haftenden, der Entschädigung geleistet hat, stellen (BGE 120 II 191 E. 4c; BGE 107 II 489 E. 5a S. 495; BGE 80 II 247 E. 5 S. 254 ff.; vgl. auch BGE 118 II 502 E. 2b S. 505 und E. 3; BGE 114 II 342 E. 3; BREHM, a.a.O., N. 60 f., 82b ff. zu Art. 51 OR; CHRISTOPH GRABER, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag, 2001, N. 7/9 zu Art. 72 VVG; ANTON K. SCHNYDER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 4. Aufl. 2007, N. 22 zu Art. 51 OR; FRANZ WERRO, in: Commentaire ![]() | 2 |
Der Rückgriff des Versicherers wird zudem spezialgesetzlich in der bereits in einem früheren Zeitpunkt erlassenen Bestimmung von Art. 72 VVG geregelt. Danach geht der Ersatzanspruch, der dem Anspruchsberechtigten gegenüber Dritten aus unerlaubter Handlung zusteht, insoweit auf den Versicherer über, als er Entschädigung geleistet hat. Nach der Rechtsprechung und herrschenden Lehre steht diese Bestimmung selbständig neben Art. 51 OR und ist kumulativ zu dieser anwendbar, wobei es allerdings, um sie mit dem später erlassenen Art. 51 Abs. 2 OR in Einklang zu bringen, nötig ist, die Worte "unerlaubte Handlung" in Art. 72 Abs. 1 VVG mit "schuldhaft" zu ergänzen. Dies führt dazu, dass der Versicherer gestützt auf diese Bestimmung nur auf einen ausservertraglich Haftpflichtigen Regress nehmen kann, den ein Verschulden trifft, nicht aber auf einen allein aus gesetzlicher Vorschrift, d.h. kausal Haftpflichtigen (vgl. dazu die vorstehend zitierte Rechtsprechung und Literatur).
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Die dargestellte herrschende Lehre und Rechtsprechung berücksichtigt insbesondere, dass Art. 51 OR vom historischen Gesetzgeber gerade im Hinblick auf Versicherungsgesellschaften ins Gesetz aufgenommen wurde; es erschien diesem unbillig, dass die Versicherungen Schäden auf Ersatzpflichtige abwälzen können, die bloss aufgrund einer Gesetzesvorschrift und ohne eigenes Verschulden haften, während sie selbst die Schadensmöglichkeiten in ihre Prämien einkalkulieren und sich auf diese Weise bis zu einem gewissen Grade zum Voraus für künftige Schäden bezahlt machen können; der Gesetzgeber wollte daher den Versicherer den Schaden vor dem kausal, ohne Verschulden Haftenden tragen lassen (vgl. dazu BGE 80 II 247 E. 5 S. 255; 63 II 143 E. 7 S. 155; 47 II 408 E. 4 S. 415 f.; 45 II 638 E. 4; BREHM, a.a.O., N. 82d zu Art. 51 OR; GRABER, a.a.O., N. 6 zu Art. 72 VVG; HONSELL, Schweizerisches Haftpflichtrecht, 4. Aufl. 2005, § 11 Rz. 42).
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Dieser Kritik ist das Bundesgericht in einem einzelnen, vor längerer Zeit ergangen Urteil offenbar gefolgt, indem es ausführte, es sei nicht einzusehen, wieso ein Dritter, nach Gesetz Haftender davon profitieren dürfen sollte, dass der Geschädigte oder sein Arbeitgeber Versicherungsprämien bezahlt habe (BGE 63 II 143 E. 7 S. 156; dazu STRUB, a.a.O., S. 81 f.). Daran wurde aber in späteren Entscheiden unter Nachachtung des historisch-gesetzgeberischen Willens nicht festgehalten (vgl. BGE 76 II 387 E. 2 S. 390 f.; 77 II 243 E. 2 S. 247 f.; 80 II 247 E. 5 S. 255; 103 II 330 E. 4b/dd S. 337).
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So wurde im Rahmen der einst geplanten, vom Bundesrat aber aufgegebenen (vgl. die Medienmitteilung des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements vom 21. Januar 2009 in: http://www.bj.admin.ch/bj/de/home/themen/wirtschaft/rechtsetzung/abgeschlossene_rechtsetzungsprojekte/haftpflicht.html) Gesamtrevision und Vereinheitlichung des Haftpflichtrechts ein integrales Regressrecht des Versicherers ins Auge gefasst, das diesem einen Rückgriff auf einen Dritten unabhängig davon erlauben sollte, auf welcher Grundlage dieser ersatzpflichtig ist (vgl. dazu WERRO, a.a.O., N. 25 zu Art. 51 OR). Diese unbeschränkte Subrogation wurde allerdings wieder relativiert, indem das Rückgriffsrecht bzw. dessen Umfang von der Würdigung "aller Umstände" abhängig gemacht und damit dem richterlichen Ermessen unterstellt wurde (HAUSHEER/JAUN, Regress, ZBJV 2000 S. 927 ff., 929; STRUB, a.a.O., S. 94 f.; RUMO-JUNGO, a.a.O., S. 624 f.).
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Ein integrales Regressrecht des Versicherers wird auch in der laufenden Revision des VVG vorgeschlagen. So sehen sowohl der Art. 63 Abs. 2 VE-VVG vom 31. Juli 2006 der Expertenkommission Totalrevision VVG als auch der Art. 76 Abs. 2 VE-VVG vom 21. Januar 2009 des Eidg. Finanzdepartements (EFD; Vernehmlassungsvorlage) ohne weitere Einschränkung vor, dass der Schadenversicherer für die von ihm gedeckten gleichartigen Schadensposten im Umfang und zum Zeitpunkt seiner Leistung in die Rechte der versicherten Person eintritt. Im Erläuternden Bericht der Expertenkommission zum Vorentwurf vom 31. Juli 2006 (S. 60) und ![]() | 11 |
"Der Geschädigte wird in aller Regel darauf verzichten, den beschwerlichen Weg der Anspruchsdurchsetzung gegenüber einem Ersatzpflichtigen zu beschreiten, wenn er seinen Anspruch auch gegenüber einem Versicherungsunternehmen geltend machen kann. Artikel 76 Absatz 2 E-VVG übernimmt deshalb den Grundgedanken von Artikel 72 Absatz 1 VVG und führt diesen den praktischen Bedürfnissen entsprechend weiter, indem er im Rahmen der vom leistenden Versicherungsunternehmen gedeckten gleichartigen Kategorien von Schadensposten den Eintritt (Subrogation) in die Rechte des Versicherten statuiert. Damit soll im Gegensatz zum geltenden Recht (Art. 72 Abs. 1 VVG: Rückgriff grundsätzlich nur auf den aus unerlaubter Handlung [Verschulden] Haftpflichtigen) das Versicherungsunternehmen gegen sämtliche Ersatzpflichtige vorgehen können - unabhängig davon, ob diese aus unerlaubter Handlung, Vertragsverletzung oder aus einer Kausalhaftung zum Ersatz verpflichtet sind. Ähnlich wie dem Sozialversicherer (Art. 72 Abs. 1 ATSG) soll auch dem privaten Schadensversicherungsunternehmen ein umfassendes (integrales) Regressrecht gegen sämtliche Haftpflichtige eingeräumt werden. Es gibt keine Gründe, weshalb gewisse Haftungskategorien vom Regress ausgeschlossen werden sollten, vielmehr führt die Belastung der Risikogemeinschaft des Schadensverursachers auch zu einer sinnvollen Kostenverteilung. Zudem wird mit einer Ausweitung des Regressrechts die Regressabwicklung wesentlich vereinfacht. Artikel 76 Absatz 2 E-VVG geht den allgemeinen Bestimmungen von Artikel 50 f. OR vor und lässt, im Gegensatz zum dispositiven Artikel 72 Absatz 1 VVG, aufgrund seiner zwingenden Ausgestaltung keinen Raum für Abreden, die den Versicherungsnehmer benachteiligen könnten (so ist beispielsweise die Zession zukünftiger Haftpflichtansprüche an das Versicherungsunternehmen nicht mehr zulässig)."
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Der vorgeschlagenen Regelung ist im Vernehmlassungsverfahren keine Opposition erwachsen (vgl. Bericht des EFD vom Oktober 2009 über die Vernehmlassungsergebnisse zur Revision des VVG, S. 42).
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4.4 In einem vor einigen Jahren ergangenen Urteil (BGE 126 III 521 E. 2b S. 522 f.) hatte das Bundesgericht darüber zu entscheiden, ob dem Arbeitgeber für die Lohnfortzahlungen an einen verunfallten Arbeitnehmer ein Regressrecht gegen den Unfallverursacher zustehe. Es bejahte dies, wobei es sich auf eine Argumentation stützte, die sich teilweise derjenigen annähert, welche zur Begründung der Kritik an der Praxis zum Regressrecht der Schadenversicherer angeführt wird (vgl. E. 4.2 vorne). Das Bundesgericht nahm mangels gesetzlicher Regelung bezüglich des Regressanspruchs des Arbeitgebers eine Gesetzeslücke an, die in analoger Anwendung ![]() | 14 |
In der Lehre wird dieses Urteil teilweise als Anzeichen eines "Gesinnungswandels" des Bundesgerichts verstanden, der "Hoffnungen" auf eine Praxisänderung im Sinne der Einräumung eines integralen Regresses zu Gunsten des Schadensversicherers aufkommen lasse; indem das Bundesgericht für die Auslegung auf die Subrogation des Sozial- und Schadensversicherers zurückgreife und diese Versicherer gleich behandle, gestehe es Letzterem implizit ein Regressrecht ein (so MÜLLER, Besonderheiten, a.a.O., S. 54; derselbe, Regress, a.a.O., S. 97 f.). Andere Autoren bezweifeln zwar, ob allein der Umstand, dass die Situation des Arbeitgebers vom Bundesgericht auch mit der des Schadensversicherers verglichen wird, für eine Praxisänderung spreche, und vermuten, es könnte sich dabei um ein redaktionelles Versehen handeln (HAUSHEER/JAUN, a.a.O., S. 929; so sinngemäss auch WOLFGANG PORTMANN, Die Ersatzpflicht des Schädigers eines Arbeitnehmers für Lohnfortzahlungen und Nebenleistungen des Arbeitnehmers, ARV 2001 S. 110 ff., 113; vgl. auch KOLLER, a.a.O., § 75 Rz. 190). Es wird aber von ihnen, wie auch von weiteren Autoren, betont, dass die Argumentation des Bundesgerichts für den integralen Regress des Arbeitgebers, um Widersprüche zu vermeiden, auch bei der Beurteilung der Frage, ob dem Schadensversicherer ein integraler Regress einzuräumen sei, Geltung beanspruchen können müsse (ROLAND SCHAER, Modernes Versicherungsrecht, 2007, § 22 Rz. 7 ff., 85 ff.; HAUSHEER/JAUN, a.a.O., S. 929; RUMO-JUNGO, a.a.O., S. 621; STRUB, a.a.O., S. 91 f.).
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Unter den im heutigen Zeitpunkt gegebenen Umständen rechtfertigt sich vorliegend keine Praxisänderung. Dass dem Schadensversicherer kein Rückgriffsrecht gegen Kausalhaftpflichtige zusteht, entspricht der wohl nach wie vor herrschenden Lehre und der jahrzehntealten konstanten Praxis des Bundesgerichts. Das Bundesgericht ist von dieser trotz der bereits seit dem Jahre 1922 geübten Kritik, die im Laufe der Jahre auch dogmatisch weiter untermauert wurde, nur in einem isolierten, vor langer Zeit beurteilten Fall (BGE 63 II 143 E. 7; vorstehende E. 4.2) abgewichen. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass sich die Versicherungspraxis auf die entsprechende Rechtslage eingestellt hat, so dass eine ![]() | 18 |
Mit der konstanten Rechtsprechung wird dem eindeutigen Willen des historischen Gesetzgebers nachgelebt, dass der Versicherer, der sich durch die Prämien für mögliche Schadensfälle bezahlt macht, den Schaden in der Regel vor einem ohne sein Verschulden Haftenden tragen soll. Auch wenn dieser klare gesetzgeberische Entscheid zu einer diskussionswürdigen Kostenverteilung für Schadensereignisse führen mag, ist es nicht ohne weiteres Sache der Rechtsprechung, diesen zu ändern, auch wenn seither einige Zeit verflossen ist. Dies umso weniger, wenn sich - wie im vorliegenden Fall - der Gesetzgeber selber im Rahmen einer umfassenden Gesetzesrevision der Frage angenommen hat. In diesem Fall rechtfertigt es sich nicht, der Revision vorzugreifen, auch wenn diese im fraglichen Punkt in die von der Vorinstanz eingeschlagene Richtung geht und sich vorliegend das Bestehen von geänderten Auffassungen und Verhältnissen im Gesetzgebungsverfahren erhärtet zu haben scheint (vgl. E. 4.3 vorne in fine). Vielmehr ist das Inkrafttreten der Revision abzuwarten, in deren Rahmen auch allenfalls erforderliche Abstimmungen mit anderen Vorschriften vorgenommen werden können.
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Die vorgesehene Revision zielt zudem auf eine Änderung des bisherigen Rechts ab, gehen doch auch die Expertenkommission und das EFD hinsichtlich der heutigen Rechtslage von der bestehenden Praxis aus (E. 4.3). Unter diesen Umständen kann die Revision weder bei der Auslegung des geltenden Rechts berücksichtigt werden noch die verlangte Praxisänderung rechtfertigen (vgl. in diesem Sinn auch BGE 136 III 6 E. 6 in fine).
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Eine Praxisänderung lässt sich auch aufgrund des in den Erwägungen von BGE 126 III 521 Ausgeführten nicht begründen. Zunächst ist es offensichtlich, dass das Bundesgericht mit der blossen Erwähnung der Schadensversicherer neben den subrogierenden Sozialversicherern nicht von der bestehenden Praxis zum Regressrecht der Schadensversicherer abweichen wollte; hierzu hätte es einer eingehenden Begründung bedurft. Nach der - wohl diskutablen, aber von der konstanten Praxis und herrschenden Lehre beachteten - Logik und Wertung des historischen Gesetzgebers drängt sich sodann eine Gleichbehandlung des Arbeitgebers, der dem verunfallten ![]() | 21 |
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Bei dieser Sachlage stellt sich die Frage nicht mehr, ob der Beschwerdeführer als Miteigentümer an der Liegenschaft (...) gegenüber der auf ihn regressierenden Beschwerdegegnerin 1 solidarisch für den ganzen Schaden bzw. alle Miteigentumsanteile haftbar wäre oder nur für den auf seinen Miteigentumsanteil entfallenden Teil des Schadens.
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