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59. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Pensionskasse X. gegen Y. AG (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_266/2010 vom 29. August 2011 | |
Regeste |
Art. 400 Abs. 1 OR; Vermögensverwaltungsvertrag; Herausgabe von Retrozessionen; Verzicht auf Herausgabeanspruch. | |
Sachverhalt | |
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A.a Die Y. AG (Beschwerdegegnerin) ist eine Vermögensverwaltungsgesellschaft.
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In der Zeit vom 2. Mai 1996 bis zum 12. Oktober 2006 war die Beschwerdegegnerin für die Pensionskasse X. (Beschwerdeführerin) als externe Vermögensverwalterin tätig.
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"7. Der Auftraggeber ersetzt der (Beschwerdegegnerin) sämtliche Courtagen, Abgaben und übrigen Auslagen, die bei der Erfüllung dieses Vertrages anfallen. Allfällige Retrozessionen stehen vollumfänglich der (Beschwerdegegnerin) zu.
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8. Der Auftraggeber zahlt der (Beschwerdegegnerin) eine allgemeine Administrativkommission von 0.5 % p.a. des Depotwertes. Die Administrativkommission wird vierteljährlich erhoben. Als Berechnungsgrundlage dient jeweils der Depotwert per Ende des Vorquartals. Die Berechnung der Administrativkommission erfolgt pro rata temporis."
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In Ziffer 17 wird ein als "Vereinbarung betreffend der Transaktionskosten sowie der zugelassenen Portfoliomanagement Aktivitäten" bezeichnetes Schreiben vom 2. Mai 1996 als integrierender Vertragsbestandteil erklärt. Nach diesem "betragen die Transaktionskosten (Courtage) jeweils 0.5 % pro Abrechnung".
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A.c Der Beschwerdegegnerin wurden von der Depotbank M. keine Courtagen belastet, die ihr von der Auftraggeberin nach Ziffer 7 Satz 1 zurückzuerstatten gewesen wären. Die Bank M. rechnete als Depotbank die Börsenaufträge jeweils netto ab, d.h. die Courtage von 0.5 % wurde in den Aktienkurs integriert. Sie vergütete der Beschwerdegegnerin aus vereinnahmten Transaktionsgebühren insgesamt Fr. 3'513'932.65 sowie Fr. 118'673.66 aus vereinnahmten Depotgebühren.
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B.
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B.a Mit Eingabe vom 13. April 2007 klagte die Beschwerdeführerin beim Kantonsgericht Zug gegen die Beschwerdegegnerin auf Rechnungslegung sowie Bezahlung von Fr. 118'673.66 zuzüglich Zins. Mit Replik vom 4. Oktober 2007 ergänzte die Beschwerdeführerin ihr Rechtsbegehren mit einer zusätzlichen Forderung über Fr. 3'513'932.65 zuzüglich Zins. Sie stellte sich auf den Standpunkt, die Beschwerdegegnerin habe ihr die Retrozessionen zu vergüten, die dieser von der Depotbank zugeflossen seien.
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Mit Urteil vom 19. Februar 2009 hiess das Kantonsgericht Zug die Klage im Umfang von Fr. 118'673.66 sowie Fr. 3'513'932.65, jeweils zuzüglich Zins, gut. Die Rechtsbegehren der Beschwerdeführerin betreffend Rechenschaftsablegung und Befreiung vom Bankgeheimnis wies es ab, soweit diese nicht gegenstandslos geworden seien.
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C. Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht im Wesentlichen, es sei das Urteil des Obergerichts des Kantons Zug vom 23. März 2010 aufzuheben und die Beschwerdegegnerin zur Zahlung von Fr. 118'673.66 sowie Fr. 3'513'932.65, jeweils zuzüglich Zins, zu verurteilen. Eventualiter sei das angefochtene Urteil aufzuheben und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut, es hebt das angefochtene Urteil des Obergerichts des Kantons Zug auf und weist die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurück.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
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Zu den indirekten Vorteilen des Beauftragten gehören unter anderem sogenannte Retrozessionen bzw. Rückvergütungen. Darunter werden namentlich Zahlungen verstanden, die dem Vermögensverwalter gestützt auf eine entsprechende Vereinbarung mit der ![]() | 18 |
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Darüber, welche konkreten Anforderungen an die Information des Auftraggebers zu stellen sind, damit der von ihm ausgesprochene Verzicht auf die Ablieferung gültig ist, herrscht in der Lehre Uneinigkeit. Während einzelne Autoren davon ausgehen, dass der Auftraggeber die genaue Höhe der Retrozessionen kennen müsse (BRETTON-CHEVALLIER, Le gérant de fortune indépendant, 2002, S. 164; vgl. auch BELLINA BORER-BENZ, Die Herausgabepflicht des Beauftragten gemäss Art. 400 Abs. 1 OR, 2006, S. 161), verlangt eine zweite Gruppe Informationen zur Berechnungsgrundlage und zur Grössenordnung der zu erwartenden Retrozessionen (NÄNNI/VON DER CRONE, Rückvergütungen im Recht der unabhängigen Vermögensverwaltung, SZW 2006 S. 383; SUSAN EMMENEGGER, Anlagekosten: Retrozessionen im Lichte der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, in: Anlagerecht, Emmenegger [Hrsg.], 2007, S. 84; FABIAN SCHMID, Retrozessionen an externe Vermögensverwalter, 2009, S. 188 ff.; REIMANN/KUHN, Nach dem Retrozessionsentscheid: Konsequenzen für Vermögensverwalter, Der Schweizer Treuhänder 80/2006 S. 690; MONIKA ROTH, Das Dreiecksverhältnis Kunde - Bank - Vermögensverwalter, 2007, Rz. 181; ROLF KUHN, Retrozessionszahlungen an externe Vermögensverwalter, AJP 2006 S. 1054; JEAN-YVES DE BOTH, La saga des rétrocessions, in: Transparence et secret dans l'ordre juridique, liber amicorum pour Me Vincent Jeanneret, 2010, S. 125 f.; vgl. auch WERNER DE CAPITANI, Retrozessionen an externe ![]() | 20 |
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Geht man davon aus, dass im Vermögensverwaltungsgeschäft ohne Rückvergütungen anstelle der indirekten Kosten höhere direkte Kosten in Form von Honoraren anfallen würden und sich der Ertrag somit letztlich gleich bleibt, verzichtet der (informierte) Auftraggeber mit der Preisgabe seines Herausgabeanspruchs letztlich nicht auf Geld, sondern insbesondere auf das gesetzlich vorgegebene System zur Vermeidung von Interessenkonflikten (vgl. NÄNNI/VON DER CRONE, a.a.O., S. 383; BRETTON-CHEVALLIER, a.a.O., S. 164 f.; MÜLLER/MADER, Développements récents de la jurisprudence en matière des contrats spéciaux, in: Actualité du droit des contrats, Jean-Marc Rapp und andere [Hrsg.], 2008, S. 166; vgl. aber auch ROTH, Dreiecksverhältnis, a.a.O., Rz. 169, die im Falle der Weitergabe der Rückvergütungen an den Kunden eher von einer für den Anleger vorteilhafteren Kostenbilanz ausgeht). Der Auftraggeber muss daher wissen, welche Verwaltungshandlungen und in welchem Ausmass diese von ![]() | 24 |
Damit ein Vorausverzicht auf die Ablieferung gültig ist, muss der Auftraggeber demnach die Parameter kennen, die zur Berechnung des Gesamtbetrags der Retrozessionen notwendig sind und einen Vergleich mit dem vereinbarten Vermögensverwaltungshonorar erlauben. Eine genaue Bezifferung ist bei einem vorgängigen Verzicht nicht möglich, da sich der Gesamtbetrag des verwalteten Vermögens laufend verändert und die genaue Anzahl bzw. der Umfang der durchzuführenden Transaktionen im Zeitpunkt des Verzichts unbekannt ist (vgl. ABEGGLEN, a.a.O., S. 195; EMMENEGGER, a.a.O., S. 84; SCHMID, a.a.O., S. 189; BRETTON-CHEVALLIER, gérant de fortune, a.a.O., S. 164; GUTZWILLER, a.a.O., S. 202; ROTH, Dreiecksverhältnis, a.a.O., Rz. 181). Damit der Kunde den Umfang der zu erwartenden Retrozessionen erfassen und dem vereinbarten Honorar gegenüberstellen kann, muss er zumindest die Eckwerte der bestehenden Retrozessionsvereinbarungen mit Dritten sowie die Grössenordnung der zu erwartenden Rückvergütungen kennen (vgl. NÄNNI/VON DER CRONE, a.a.O., S. 383; SCHMID, a.a.O., S. 189; ROTH, Dreiecksverhältnis, a.a.O., Rz. 195; REIMANN/KUHN, a.a.O., S. 690). Letzterem Erfordernis wird beim Vorausverzicht Genüge getan, wenn die Höhe der erwarteten Rückvergütungen in einer Prozentbandbreite des verwalteten Vermögens angegeben wird (vgl. HSU/STUPP, a.a.O., S. 206; HSU, a.a.O., S. 36; EMMENEGGER, a.a.O., S. 84; SCHMID, a.a.O., S. 190; REIMANN/KUHN, a.a.O., S. 690). Das Zusammenspiel dieser beiden Elemente ermöglicht es dem Auftraggeber, im Hinblick auf einen ![]() | 25 |
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Während ein gänzlich unerfahrener und unwissender Kunde vom Vermögensverwalter über sämtliche erwähnten Punkte aufzuklären und auf die entsprechenden Zusammenhänge im Einzelnen aufmerksam zu machen ist, aus denen sich angesichts des Empfangs von Leistungen Dritter Interessenkonflikte ergeben können, reicht beim erfahrenen und in finanziellen Angelegenheiten sachkundigen Vermögensträger ein Hinweis auf die technischen Eckwerte der bestehenden Retrozessionsvereinbarungen mit Dritten sowie auf das zu erwartende Transaktionsvolumen bzw. die Angabe der erwarteten Rückvergütungen als Prozentbandbreite des verwalteten Vermögens aus. Die Aufklärung muss dabei weder im einen noch im anderen Fall in einer besonderen Form erfolgen.
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Hat der Auftraggeber hingegen - etwa aufgrund einer vorbestehenden Geschäftsbeziehung oder infolge Information durch Dritte - im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits Kenntnis der massgebenden Berechnungsgrundlagen, besteht kein Informationsbedarf und der erklärte Verzicht ist auch ohne besondere Aufklärung durch den ![]() | 28 |
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Die Beschwerdegegnerin vermochte weder nachzuweisen, dass sie der Beschwerdeführerin gegenüber die massgebenden Berechnungsparameter offengelegt, noch dass sie sich konkret zur Grössenordnung der (aufgrund der ungefähren Häufigkeit der massgebenden Transaktionen) zu erwartenden Rückvergütungen geäussert hätte. Dem angefochtenen Entscheid lässt sich auch nicht entnehmen, dass der Beschwerdeführerin die entsprechenden ![]() | 30 |
Entgegen dem angefochtenen Entscheid reichte für einen gültigen Vorausverzicht auch der Umstand nicht aus, dass die Beschwerdeführerin hätte annehmen müssen, dass Retrozessionen aus den Transaktionskosten fliessen würden und diese "in ihrer Höhe rein mathematisch begrenzt waren durch die maximale Höhe der vereinnahmten Transaktionskosten, also 0.5 % auf dem Gesamtvolumen aller Transaktionen". Diese allgemeinen Angaben, über die der Auftraggeber regelmässig verfügt, lassen ebenso wenig auf die im Einzelfall tatsächlich entrichteten Rückvergütungen schliessen wie die von der Vorinstanz unter Berufung auf den Verband Schweizerischer Vermögensverwalter angeführten durchschnittlich erzielbaren Bruttomargen im Vermögensverwaltungsgeschäft. Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführerin die konkreten Ansätze der von der Bank M. ausgerichteten Rückvergütungen unbekannt waren, lässt sich den Sachverhaltsfeststellungen des angefochtenen Entscheids auch nicht entnehmen, dass sie über das zu erwartende Transaktionsvolumen informiert gewesen wäre.
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Das von der Vorinstanz festgestellte Wissen der Beschwerdeführerin über die von der Beschwerdegegnerin vereinnahmten Rückvergütungen reichte für einen rechtswirksamen Verzicht auf den auftragsrechtlichen Herausgabeanspruch (Art. 400 Abs. 1 OR) nicht aus.
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