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69. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. AG gegen Z. AG (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_197/2011 vom 15. August 2011 |
Art. 686 Abs. 4, Art. 701 und 706b OR; Aktienbuch; Nichtigkeit eines Universalversammlungsbeschlusses. |
Der Beschluss einer Universalversammlung, an welcher nicht alle Aktionäre teilgenommen haben oder vertreten waren, ist nichtig. Der Beschluss kann auch nicht als solcher einer normalen Generalversammlung gelten, wenn nicht alle Aktionäre eingeladen wurden. Es kommt nicht darauf an, ob der übergangene Aktionär den Beschluss mit seiner Stimmkraft hätte verhindern können (E. 3.3). |
Art. 190 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG; Konkursgrund der Zahlungseinstellung. | |
Sachverhalt | |
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A.a Die X. AG ist aus einer Einzelgesellschaft hervorgegangen. Nach dem Tod ihres Inhabers wurde die Einzelfirma in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Es war vorgesehen, dass der Geschäftsführer S. die Firma schrittweise übernehmen sollte. Die Transaktion wurde beratend von der V. AG - einer von W. beherrschten Gesellschaft - begleitet und W. wurde zum Verwaltungsratspräsidenten der X. AG gewählt. Die Witwe des früheren Inhabers (T.) blieb am Aktienkapital beteiligt. U. vertrat ihre Interessen im Verwaltungsrat. Mit Kaufvertrag vom 18. Mai 2005 und Übertragungserklärung vom 9. Januar 2006 erwarb die V. AG von S. ein Aktienpaket an der X. AG. U. löste W. am 17. März 2006 als Verwaltungsratspräsident ab.
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A.b Mit Schreiben vom 7. Juni 2007 lud U. zur ordentlichen Generalversammlung der X. AG am 29. Juni 2007. Diese Einladung wurde auch an W. verschickt. In einem zweiten Schreiben vom 20. Juni 2007 wurde die Traktandenliste mit dem Geschäft "Sitzverlegung" ergänzt. Auch dieses Schreiben ging an W. Die auf den 29. Juni 2007 anberaumte Versammlung fand nicht statt. Stattdessen wurde gemäss öffentlicher Urkunde des Notariats Y. am 24. Juli 2007 eine Universalversammlung durchgeführt, an welcher die Sitzverlegung der X. AG von B. (BE) nach C. (TI) beschlossen wurde. Weder die V. AG noch W. waren zu dieser Versammlung eingeladen worden noch waren sie anwesend oder vertreten.
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Die Sitzverlegung wurde am 2. August 2007 im Handelsregister des Kantons Tessin eingetragen. Die Löschung im Handelsregister Emmental-Oberaargau erfolgte am 8. August 2007. Die Publikation der ![]() | 4 |
B. Mit Eingabe vom 2. August 2007 ersuchte die Z. AG beim Gerichtskreis V Burgdorf-Fraubrunnen um Konkurseröffnung ohne vorgängige Betreibung über die X. AG und um Aufnahme eines Güterverzeichnisses. Die Z. AG machte geltend, die X. AG habe ihre Zahlungen eingestellt. Die X. AG bestritt unter Hinweis auf die Sitzverlegung die örtliche Zuständigkeit der Berner Gerichte. Am 23. August 2007 eröffnete der Gerichtspräsident 3 des Gerichtskreises V Burgdorf-Fraubrunnen über die X. AG den Konkurs. Nachdem die Appellation der X. AG an das Obergericht des Kantons Bern erfolglos geblieben war, hiess das Bundesgericht am 8. April 2008 eine Beschwerde der X. AG gut und wies die Sache an das Obergericht zurück (Urteil 5A_617/2007, teilweise publ. in: BGE 134 III 417). Mit Entscheid vom 17. Februar 2011 eröffnete das Obergericht über die X. AG den Konkurs. Es stellte fest, dass die V. AG zum Zeitpunkt der Universalversammlung noch Aktionärin der X. AG gewesen sei. Da an der Universalversammlung nicht alle Aktionäre anwesend oder vertreten gewesen seien, sei der an ihr gefasste Sitzverlegungsbeschluss nichtig.
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C. Am 21. März 2011 hat die X. AG (Beschwerdeführerin) Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Sie beantragt die Aufhebung des obergerichtlichen Entscheids und die Zurückweisung, allenfalls Abweisung des Gesuchs der Z. AG (Beschwerdegegnerin) um Konkurseröffnung. Das Obergericht hat auf Stellungnahme verzichtet. Die Beschwerdegegnerin ersucht um Abweisung der Beschwerde und Bestätigung des angefochtenen Entscheids.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
3. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Tatsachenfeststellungen des Obergerichts über die Zusammensetzung ihres Aktionariats (unten E. 3.1), hält das von ihr vorgelegte Aktienbuch für massgeblich (unten E. 3.2), bestreitet die Nichtigkeit des Universalversammlungsbeschlusses vom 24. Juli 2007 (unten E. 3.3) und ![]() | 9 |
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Entgegen dieser Darstellung hat die Vorinstanz nicht offengelassen, ob die V. AG oder W. Aktionär gewesen sind. Sie hat sich vielmehr mit der Feststellung begnügt, dass jedenfalls die V. AG Aktionärin gewesen ist und in der Folge einzig offengelassen, ob zusätzlich W. auch noch Aktionär gewesen sei. Diese Rüge geht demnach fehl.
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Erwägung 3.2 | |
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Nach dem bereits Gesagten (E. 3.1 und nicht publ. E. 2.1.1) waren an der Versammlung vom 24. Juli 2007 nicht alle Aktionäre anwesend oder vertreten. Um eine Universalversammlung konnte es sich trotz gegenteiliger Bezeichnung im damals gefassten Beschluss demnach nicht handeln, denn die Universalversammlung ist eine besondere Form der Generalversammlung, die von den Eigentümern oder Vertretern sämtlicher Aktien gebildet wird und die ohne Einhaltung der für die Einberufung vorgeschriebenen Formvorschriften abgehalten werden kann (Art. 701 OR; BGE 120 IV 199 E. 1 S. 201; Urteil 4P.331/2006 vom 5. Juni 2007 E. 4.2). Eine Universalversammlung in Abwesenheit auch nur eines Aktionärs oder seiner ![]() | 17 |
Fragen kann sich allerdings unter den gegebenen Umständen, ob die an einer derart fehlerhaften Universalversammlung gefassten Beschlüsse als solche einer normalen Generalversammlung gelten können (vgl. DUBS/TRUFFER, a.a.O., N. 18 zu Art. 706a [recte: Art. 706b] OR). Die Vorinstanz hat festgestellt, dass zur Versammlung vom 24. Juli 2007 zumindest ein Aktionär nicht eingeladen worden ist. Sie hat sich nicht dazu geäussert, ob eine form- und fristgerechte Einladung der anderen Aktionäre stattgefunden hat. Zur Annahme von Nichtigkeit genügt jedoch, dass ein Teil der Aktionäre nicht eingeladen wurde (BGE 115 II 468 E. 3b S. 473; Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 15. Juli 1968, in: Die schweizerische Aktiengesellschaft [SAG] 41/1969 S. 212 ff.; F. WOLFHART BÜRGI, Zürcher Kommentar, 1969, N. 11 zu Art. 706 OR; FORSTMOSER UND ANDERE, a.a.O., § 25 Rz. 124; TANNER, a.a.O., N. 121 zu Art. 706b OR; STUDER, a.a.O, S. 124; vgl. auch HANS MICHAEL RIEMER, Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage im schweizerischen Gesellschaftsrecht, 1998, Rz. 269; a.A. DUBS/TRUFFER, a.a.O., N. 20 zu Art. 706a [recte: Art. 706b] OR). Diese Rechtsfolge ist angemessen. Durch die Nichteinladung entgeht dem übergangenen Aktionär die Möglichkeit zur Teilnahme an der Generalversammlung. Auch wenn sein Aktienpaket nicht gross genug ist, um Mehrheitsbeschlüsse zu verhindern, ![]() | 18 |
Zwischen der Nichteinladung eines Aktionärs und den auf der mangelhaften Versammlung gefällten Beschlüssen braucht ausserdem entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin kein Kausalzusammenhang insofern zu bestehen, als dass der Nichteingeladene die Beschlüsse mit seiner Stimmkraft hätte verhindern können. Dies gilt zunächst bei der mangelhaften Durchführung der Universalversammlung, denn wenn die Universalversammlung mangels Teilnahme eines Aktionärs gar nicht mehr als Universalversammlung beschliessen kann, spielt keine Rolle, ob der übergangene Aktionär ihre Beschlüsse hätte verhindern können (BRIGITTE TANNER, Quoren für die Beschlussfassung in der Aktiengesellschaft, 1987, S. 310). Aber auch im Rahmen der Konversion in eine normale Generalversammlung spielt keine Rolle, ob der übergangene Aktionär mit seinem Stimmengewicht den fraglichen Beschluss hätte verhindern können. Wie gesagt, kann eine Generalversammlung auch durch blosse Diskussionsbeiträge beeinflusst werden. Kommt hinzu, dass die Nichteinladung teilnahmeberechtigter Personen einen grundlegenden Verfahrensmangel darstellt, bei welchem das Kausalitätserfordernis fehl am Platz ist. In der Lehre wird denn auch davon gesprochen, in einem solchen Fall liege gar keine Mitgliederversammlung im Rechtssinne vor (RIEMER, a.a.O., Rz. 262 ff.; STUDER, a.a.O., S. 124). Die Rechtsfolge einer Nichteinladung nach dem Stimmengewicht der übergangenen Aktionäre zu bestimmen, liefe schliesslich darauf hinaus, dem die Generalversammlung einberufenden Verwaltungsrat im Ergebnis eine Ungleichbehandlung der Aktionäre (Art. 717 Abs. 2 OR) zu erlauben, und dies erst noch beim zentralen Mitwirkungsrecht auf Teilnahme an der Generalversammlung.
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Damit erweist sich der Sitzverlegungsbeschluss vom 24. Juli 2007 im Ergebnis als nichtig. Liegt kein gültiger Beschluss über die Sitzverlegung vor, so hat die Beschwerdeführerin ihren Sitz nicht nach C. verlegen können, sondern ist nach wie vor in B. ansässig. Die bernischen Gerichte sind somit zur Konkurseröffnung zuständig.
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3.4.2 Die Vorinstanz hat aus dem Zirkularschreiben vom 27. Juli 2007 und dem Schreiben vom 9. August 2007 auf Zahlungseinstellung geschlossen. Die Beschwerdeführerin kritisiert, dass die Vorinstanz einzig auf das Zirkularschreiben abgestellt habe, und übergeht ![]() | 23 |
3.5 Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die aufschiebende Wirkung wurde vor Bundesgericht einzig hinsichtlich weiterer Vollstreckungsmassnahmen gewährt. Es bleibt folglich bei der vom Obergericht auf Donnerstag, 17. Februar 2011, 11.00 Uhr, über die Beschwerdeführerin ausgesprochenen Konkurseröffnung.
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