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18. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. AG gegen A. (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_601/2011 vom 21. Dezember 2011 | |
Regeste |
Art. 257 Abs. 1 ZPO; Rechtsschutz in klaren Fällen; klare Rechtslage, Zeugenbeweis. |
Im vorliegenden Fall wurde eine klare Rechtslage verneint, da die Beantwortung der Frage, ob die Geltendmachung eines Formmangels gegen das Rechtsmissbrauchsverbot verstiess, eine wertende Betrachtung der gesamten Umständen erforderte und nicht von einem eindeutigen Ergebnis ausgegangen werden konnte (E. 2.5). |
Die umstrittene Frage der Zulässigkeit des Zeugenbeweises beim Rechtsschutz in klaren Fällen wurde offengelassen (E. 2.1.1 und 2.6). | |
Sachverhalt | |
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"Bis Ende April 2010 kann der Mieter dem Vermieter schriftlich anzeigen, dass er das Mietobjekt für weitere drei Jahre mietet. Die Miete endet dann Ende April 2014."
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Am 13. März 2010 übergab der Mieter in den Büroräumlichkeiten der Vermieterin ihrem Buchhalter G. ein nicht unterzeichnetes Schreiben vom 18. Februar 2010, in welchem der Mieter erklärte, den Vertrag bis Ende April 2014 zu verlängern.
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B. Mit Eingabe vom 6. Mai 2011 beantragte die Vermieterin dem Bezirksgericht Dielsdorf im summarischen Verfahren, es sei dem Mieter unter Androhung des Zwangsvollzugs im Widerhandlungsfall zu befehlen, 188 m2 Restauranträumlichkeiten im Erdgeschoss des Centers Y. unverzüglich zu räumen und ordnungsgemäss zurückzugeben. Anlässlich der Gerichtsverhandlung vom 27. Juni 2011 machte die Vermieterin geltend, das Mietverhältnis habe mit Ablauf der festen Vertragsdauer am 30. April 2011 geendet, da die Verlängerungserklärung im Schreiben vom 18. Februar 2010 mangels Unterschrift nicht formgültig erfolgt sei. Ihr Buchhalter, G., habe dem Mieter bereits bei der Übergabe des Schreibens am 13. März 2010 seine Bedenken bezüglich der Einhaltung der Formvorschrift geäussert, da die Unterschrift gefehlt habe. Der Mieter bestritt, von G. auf die fehlende Unterschrift hingewiesen worden zu sein. Das Bezirksgericht vernahm zu dieser Frage den von der Vermieterin an die Verhandlung mitgebrachten G. als Zeugen und hiess das Ausweisungsbegehren der Vermieterin mit Urteil vom 27. Juni 2011 gut. In Gutheissung einer dagegen gerichteten Berufung des Mieters hob das Obergericht des Kantons Zürich das erstinstanzliche Urteil am 8. September 2011 auf und trat auf das Ausweisungsbegehren nicht ein.
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Der Mieter (Beschwerdegegner) schliesst auf Abweisung der Beschwerde und auf Bestätigung des angefochtenen Urteils. Die Vorinstanz hat sich nicht vernehmen lassen.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
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2.1.1 Ein klarer Fall setzt demnach zum einen voraus, dass der Sachverhalt unbestritten oder sofort beweisbar ist (Art. 257 Abs. 1 lit. a ZPO). In der Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung wird dazu dem Sinne nach ausgeführt, ein bestrittener Sachverhalt sei nur dann sofort beweisbar bzw. liquid, wenn er durch Urkunden oder allenfalls einen Augenschein an einem mitgebrachten Objekt bewiesen werden könne. Dagegen fielen Beweise durch Expertisen, Zeugen- sowie auch Parteiaussagen grundsätzlich ausser Betracht, da im Zweifel die Angelegenheit in einem einlässlichen Prozess auszutragen sei (BBl 2006 7352 Ziff. 5.18). Diese Beweismittelbeschränkung wird von einem Teil der Lehre befürwortet (TARKAN GÖKSU, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Kommentar, Alexander Brunner und andere [Hrsg.], 2010, N. 8 zu Art. 257 ZPO, der die sofortige Beweisbarkeit bei einer anspruchsvollen Beweiswürdigung verneint; SUTTER-SOMM/LÖTSCHER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2010, N. 5 ![]() | 10 |
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2.2 Die Vorinstanz folgte der Lehrmeinung, wonach beim Rechtsschutz in klaren Fällen Zeugenbefragungen grundsätzlich ausgeschlossen sind. Sie kam zum Ergebnis, die Liquidität bzw. sofortige Beweisbarkeit des Sachverhalts fehle in Bezug auf die bestrittene Behauptung der Beschwerdeführerin, ihr Buchhalter habe den Beschwerdegegner am 13. März 2010 auf das Fehlen der Unterschrift auf dem ihm übergebenen Schreiben vom 18. Februar 2010 hingewiesen, zumal die erste Instanz insoweit eine eingehende Würdigung der Zeugenaussage und eine Abwägung gegen die Angaben des Beschwerdegegners habe vornehmen müssen. Zur ![]() | 12 |
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Erwägung 2.4 | |
2.4.1 Ein Vertrag, für den die schriftliche Form vorgeschrieben ist, muss die Unterschrift aller Personen tragen, die durch ihn verpflichtet werden sollen (Art. 13 Abs. 1 OR). Die Anbringung der Unterschrift dient dazu, die Person des Erklärenden zu identifizieren und ![]() | 14 |
2.4.2 Das Bundesgericht hält die Berufung auf die Formungültigkeit eines Vertrages für unstatthaft, wenn sie - etwa wegen widersprüchlichen Verhaltens - gegen Treu und Glauben verstösst und damit einen offenbaren Rechtsmissbrauch gemäss Art. 2 Abs. 2 ZGB darstellt. Ob dies zutrifft, hat das Gericht in Würdigung aller Umstände des konkreten Falles zu prüfen, wobei namentlich das Verhalten der Parteien bei und nach Abschluss des Vertrags zu würdigen ist (BGE 116 II 700 E. 3b; BGE 112 II 107 E. 3b S. 111 f., BGE 112 II 330 E. 2a S. 333 f.; vgl. auch BGE 127 III 506 E. 4a S. 513). Zu berücksichtigen ist auch, ob der Schutzzweck einer Formvorschrift bezüglich der Partei verletzt wurde, die sich auf den Formmangel beruft (BGE 112 II 330 E. 3b S. 336 f. mit Hinweisen). Zwar darf nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts der Mieter nach dem Erhalt einer unwirksamen Kündigung schweigen und sich nachträglich auf deren Unwirksamkeit berufen. Er handelt jedoch rechtsmissbräuchlich, wenn er durch sein Schweigen bei seinem Vertragspartner den Eindruck erweckt, er anerkenne die Gültigkeit der Kündigung (BGE 121 III 156 E. 1c/bb S. 161 f. mit Hinweis).
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2.6 Die Vorinstanz hat daher bereits aus diesem Grund kein Bundesrecht verletzt, wenn sie den Rechtsschutz in klaren Fällen verweigerte. Daraus folgt, dass ihre Verneinung der liquiden tatsächlichen Verhältnisse im Sinne von Art. 257 Abs. 1 lit. a ZPO nicht entscheiderheblich ist, weshalb auf die dagegen gerichtete Kritik der Beschwerdeführerin nicht einzutreten ist und eine Auseinandersetzung mit der Frage der Zulässigkeit des Zeugenbeweises unterbleiben kann.
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