BGE 138 III 193 | |||
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30. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y. (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_636/2011 vom 10. Februar 2012 | |
Regeste |
Art. 212 ZGB; Bewertung eines landwirtschaftlichen Gewerbes im Eigengut eines Ehegatten; Ersatzforderungen der Errungenschaft auf Unternehmensertrag. | |
Sachverhalt | |
X. (Ehefrau und Beschwerdeführerin), Jahrgang 1943, und Y. (Ehemann und Beschwerdegegner), Jahrgang 1948, heirateten im Juni 1969. Sie wurden Eltern dreier Kinder, geboren in den Jahren 1969, 1972 und 1973. Der Beschwerdegegner führte den familieneigenen Weinbaubetrieb. Die Beschwerdeführerin besorgte den Haushalt der Familie, betreute die Kinder und arbeitete zusätzlich im Familienbetrieb mit. Die Ehegatten trennten sich Ende Februar 2003. Am 1. März 2007 reichte die Beschwerdeführerin die Scheidungsklage ein. Auf Veranlassung der Beschwerdeführerin und des ältesten Sohnes der Parteien war dem Beschwerdegegner im Rahmen vormundschaftlicher Anordnungen vom September 2004 bis Juni 2006 und aufgrund vorsorglicher Massnahmen vom Juni 2007 bis Mai 2010 die Führung des Weinbaubetriebes ganz oder teilweise entzogen. Die Geschäfte besorgten während dieser Zeit die Beschwerdeführerin und der älteste Sohn der Parteien, der selber als Winzer und Küfer ausgebildet ist.
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Das Bezirksgericht schied die Ehe. Es verpflichtete den Beschwerdegegner, einen Unterhaltsbeitrag und aus Güterrecht Fr. 845'554.- an die Beschwerdeführerin zu bezahlen. Auf Berufungen beider Parteien hin verpflichtete das Kantonsgericht den Beschwerdegegner, der Beschwerdeführerin einen Unterhaltsbeitrag und in güterrechtlicher Hinsicht eine Ausgleichszahlung von Fr. 289'423.- auszurichten.
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Die Beschwerdeführerin beantragt vor Bundesgericht eine güterrechtliche Ausgleichszahlung von Fr. 723'694.-. Der Beschwerdegegner schliesst auf Abweisung. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
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2.3 Auf die vorstehenden, in der Beschwerde unangefochten gebliebenen Schritte in der Abwicklung des güterrechtlichen Verhältnisses zwischen den Parteien ist heute nicht zurückzukommen. Das Bundesgericht hat keine güterrechtliche Auseinandersetzung neu durchzuführen, sondern das angefochtene Urteil einzig aufgrund der Beschwerdebegründung und in deren Rahmen zu beurteilen (vgl. BGE 135 III 397 E. 1.4 S. 400; BGE 137 III 241 E. 5 S. 243). Streitig und zu prüfen sind die Fragen, wie die selbst produzierten Vorräte und das Inventar des Weinbaubetriebs bewertet werden müssen und ob im Zusammenhang mit dem Erwerb einzelner Rebparzellen für den Weinbaubetrieb Ersatzforderungen der Errungenschaft des Beschwerdegegners gegen dessen Eigengut bestehen.
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3.1 Im Zeitpunkt seines Inkrafttretens am 1. Januar 1988 (AS 1986 122, 153) betraf die Verweisung in Art. 212 Abs. 3 ZGB unter anderem die erbrechtlichen Bestimmungen, wonach die Feststellung des Anrechnungswertes des landwirtschaftlichen Gewerbes nach dem Bundesgesetz vom 12. Dezember 1940 über die Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen (LEG; BS 9 80) erfolgt (aArt. 620 Abs. 3 ZGB von 1972/73) und der Übernehmer des landwirtschaftlichen Gewerbes die Zuweisung der dem Betriebe dienenden Gerätschaften, Vorräte und Viehbestände zu ihrem Nutzwerte beanspruchen kann (aArt. 620bis ZGB von 1972/73; AS 1973 93). Die Verweisung betrifft heute Art. 619 ZGB, der für die Übernahme und Anrechnung von landwirtschaftlichen Gewerben und Grundstücken auf das Bundesgesetz vom 4. Oktober 1991 über das bäuerliche Bodenrecht (BGBB; SR 211.412.11) weiterverweist. Danach kann der Erbe, der die Zuweisung des landwirtschaftlichen Gewerbes zur Selbstbewirtschaftung geltend macht, zudem verlangen, dass ihm das Betriebsinventar (Vieh, Gerätschaften, Vorräte usw.) zugewiesen wird (Art. 15 Abs. 1 BGBB). Gemäss Art. 17 BGBB wird das landwirtschaftliche Gewerbe dem selbstbewirtschaftenden Erben zum Ertragswert an den Erbteil angerechnet (Abs. 1), während das Betriebsinventar zum Nutzwert anzurechnen ist (Abs. 2).
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3.2.2 Die behördliche Schätzung umfasst nach dem Gesetzeswortlaut den Ertragswert (Art. 87 Abs. 1 BGBB) und seit der BGBB-Revision von 2003/04 auf Antrag des Berechtigten auch den Nutzwert des Inventars (Art. 87 Abs. 1bis BGBB). Das geltende bäuerliche Bodenrecht kennt - im Gegensatz zum früheren Recht - keine Vorschrift, die die Feststellung des Verkehrswertes der kantonalen Schätzungsbehörde vorbehält und eine Verkehrswertermittlung durch ein gewöhnliches Gutachten ausschliesst (vgl. THOMAS MEYER, Der Gewinnanspruch der Miterben im bäuerlichen Bodenrecht [Art. 28 ff. BGBB], 2004, S. 140 N. 393; zum früheren Recht: BGE 87 II 74 E. 3b S. 80 ff., mit Hinweis auf Art. 38 Abs. 2 der Verordnung vom 16. November 1945 über die Verhütung der Überschuldung landwirtschaftlicher Liegenschaften, BS 9 145, 154).
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4.1 Da der Weinbaubetrieb dem Eigengut des Beschwerdegegners zuzuordnen ist (E. 2.2), stellen die zum Betrieb gehörenden Vorräte an Wein und Schnaps rechtlich Erträge des Eigenguts dar, die - mangels abweichender Vereinbarung (Art. 199 Abs. 2 ZGB) - in die Errungenschaft des Beschwerdegegners fallen (Art. 197 Abs. 2 Ziff. 4 ZGB). Vorräte sind Teil des Betriebsinventars und zum Nutzwert anzurechnen (Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 17 Abs. 2 BGBB). Das Nutzwertprinzip erfasst allerdings nur selbst produzierte Vorräte, die für eine normale Bewirtschaftung des landwirtschaftlichen Gewerbes erforderlich sind, hingegen nicht die für den Verkauf bestimmten Vorräte, die zum Verkehrswert einzusetzen sind (vgl. BENNO STUDER, in: Das bäuerliche Bodenrecht, Kommentar, 2. Aufl. 2011, N. 2 zu Art. 15 BGBB; YVES DONZALLAZ, Commentaire de la loi fédérale du 4 octobre 1991 sur le nouveau droit foncier rural, 1993, N. 219 zu Art. 17 LDFR).
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4.3.1 Das Kantonsgericht hat nicht auf das Schätzungsgutachten abgestellt, sondern die Wertermittlung anhand der Bilanzen und Steuererklärungen des Weinbaubetriebs selber vorgenommen. Die Beschwerdeführerin wendet ein, das Schätzungsgutachten sei verbindlich. Der Einwand ist unbegründet. Soweit das behördliche Schätzungsgutachten den Verkehrswert der Lagerbestände betrifft, ist es für die Zivilgerichte nicht verbindlich und unterliegt der freien Beweiswürdigung (E. 3 hiervor), die das Bundesgericht auf Willkür hin überprüft (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 134 V 53 E. 4.3 S. 62; BGE 137 III 226 E. 4.2 S. 234). In Fachfragen darf das Gericht nur aus triftigen Gründen von einem Gerichtsgutachten abweichen. Es hat zu prüfen, ob sich auf Grund der übrigen Beweismittel und der Vorbringen der Parteien ernsthafte Einwände gegen die Schlüssigkeit der gutachterlichen Darlegungen aufdrängen. Erscheint ihm die Schlüssigkeit eines Gutachtens in wesentlichen Punkten als zweifelhaft, hat das Gericht nötigenfalls ergänzende Beweise zur Klärung dieser Zweifel zu erheben. Das Abstellen auf eine nicht schlüssige Expertise bzw. der Verzicht auf die gebotenen zusätzlichen Beweiserhebungen kann gegen das Verbot willkürlicher Beweiswürdigung verstossen (vgl. BGE 136 II 539 E. 3.2 S. 547 f.).
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4.3.2 An triftigen Gründen für sein Abweichen vom Gutachten hat das Kantonsgericht angeführt, dass der Gutachter selber einen Vorbehalt angebracht und darauf hingewiesen habe, dem Bewertungsdatum sei in Bezug auf die Werte der Lagerbestände besondere Beachtung zu schenken, entstünden doch enorme Wertunterschiede je nach dem, ob die Bewertung vor oder nach der Traubenlese stattfinde. Wäre die Bewertung statt auf den 6. November 2008 im September 2008 und damit vor der Lese erfolgt, reduzierte sich der Lagerbestand um den Wert der gepressten und in Fässer abgefüllten Trauben von rund Fr. 400'000.-. Das Gutachten geht insoweit selbst von einem durch die Wahl des Stichtages zufallsbedingten Schätzwert aus. Entscheidend kommt hinzu, dass die selbst produzierten Vorräte nicht zum Weinbaubetrieb gehören, der zum Ertragswert einzusetzen ist, sondern als gleichsam betriebsfremder, einzelner Vermögensgegenstand separat zum Verkehrswert geschätzt werden mussten (vgl. E. 4.1 und 4.2 soeben). Für die selbst produzierten Vorräte gilt deshalb der Grundsatz, dass nach Auflösung des Güterstandes, d.h. hier am 1. März 2007, dem Tag der Einreichung des Scheidungsbegehrens (Art. 204 Abs. 2 ZGB), keine Errungenschaft mehr entsteht, die unter den Ehegatten zu teilen wäre (vgl. BGE 136 III 209 E. 5.2 S. 211 f.). Das Schätzungsgutachten hätte deshalb den Bestand der Vorräte am 1. März 2007 bewerten müssen und die Produktion der Jahre 2007 und 2008 nicht miteinbeziehen dürfen. Schliesslich fällt auf, dass der Gutachter im Lager einfach Flaschen und Fässer bzw. Tanks an Wein und Schnaps gezählt und mit dem je nach Sorten und Jahrgängen massgebenden Verkaufspreis ohne Mehrwertsteuer multipliziert hat. Davon wurden der Aufwand für den Verkauf und Vertrieb sowie die Kosten für Arbeit und Material der Etikettierung und Kapselung von Weinflaschen abgezogen und schliesslich der erhaltene Betrag im Hinblick auf die länger andauernde Lagerung der Weine mit 3.5 % abgezinst. Nicht berücksichtigt sind im Schätzungsgutachten damit Risiken, die zu einer Wertreduktion führen können wie Verderbnis des gelagerten Weins (Korkgeschmack usw.), Änderungen im Konsumverhalten oder sonstige Absatzschwierigkeiten. Erkennbare Risiken aber sind zu ermitteln und in der Warenlagerbewertung zu berücksichtigen (vgl. ARNOLD H. LANZ, Die Finanzbuchhaltung, 2. Aufl. 2002, S. 125 f.; für die Einzelheiten der Bewertung: KÄFER, Berner Kommentar, 1981, N. 216 ff. zu Art. 960 OR).
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5.2 Das Kantonsgericht hat das behördliche Schätzungsgutachten in diesem Punkt als verbindlich angesehen und das Betriebsinventar zum gutachterlich geschätzten Wert von Fr. 339'800.- zu den Aktiven des Weinbaubetriebs gerechnet. Es hat in diesem Zusammenhang festgestellt, dass der Beschwerdegegner von seinem Vater 1978 mit dem Weinbaubetrieb auch das Betriebsinventar im Wert von Fr. 58'109.- übernommen hat, das ebenfalls zu seinem Eigengut gehört. Wie die Beschwerdeführerin einräumt, wurde das gesamte Betriebsinventar nach der Geschäftsübernahme aus Betriebserträgen sukzessive "erneuert". Dem Schätzungsgutachten lässt sich denn auch entnehmen, dass kein Gegenstand des Betriebsinventars aus der Zeit der tatsächlichen Übernahme stammt. Unter diesen Umständen besteht zu Gunsten der Errungenschaft des Beschwerdegegners keine Forderung gegen das Eigengut unter dem Titel "Eigengutsertrag". Als "Erträge seines Eigengutes" (Art. 197 Abs. 2 Ziff. 4 ZGB) erfasst das Gesetz zwar grundsätzlich den Bruttoertrag, d.h. alles, was die Substanz an Ertrag abwirft. Daraus darf jedoch nicht geschlossen werden, dass der Ertrag produktiver Vermögenswerte des Eigenguts nicht auch für deren Substanzerhaltung bzw. Substanzerneuerung, wie sie insbesondere das wirtschaftliche Unternehmen kennzeichnet, herangezogen werden dürfte. Vielmehr stehen die Erträge des Eigenguts nur insoweit der Errungenschaft zu, als sie nicht der Erhaltung und Erneuerung von betriebsnotwenigen Vermögenswerten dienen, die der Alterung und Abnutzung unterliegen. Der Errungenschaft verbleibt unter dieser Voraussetzung der Nettoertrag des wirtschaftlichen Unternehmens (vgl. HAUSHEER/REUSSER/GEISER, a.a.O., N. 99 ff., STECK, a.a.O., N. 38, und STEINAUER, a.a.O., N. 16, je zu Art. 197 ZGB, mit Hinweisen).
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6.1 Das Kantonsgericht hat festgestellt, im Jahre 1997 habe der Beschwerdegegner die Liegenschaft "A." für Fr. 910'000.- verkauft und den Erlös zur Tilgung weiterer Hypothekardarlehen verwendet, was mit dem Rückgang der Passiven im Vergleich zu den Vorjahren in der Jahresrechnung 1998 des Weinbaubetriebs bestätigt werde. Da das Kantonsgericht die entsprechende Behauptung des Beschwerdegegners als durch Beweisurkunden belegt anerkannt hat und insoweit zu einem Beweisergebnis gelangt ist, erweist sich die von der Beschwerdeführerin angerufene Beweislastverteilung gemäss Art. 8 ZGB als gegenstandslos (vgl. BGE 137 III 226 E. 4.3 S. 235 und 268 E. 3 S. 282). Inwiefern das kantonsgerichtliche Beweisergebnis willkürlich sein könnte, legt die Beschwerdeführerin nicht dar (Art. 106 Abs. 2 BGG). Entgegen ihrer Ansicht sind dem Betrieb wertmässig sowohl die Beiträge anzurechnen, die die Aktiven vermehren, als auch die Beiträge, die die Passiven vermindern und damit ebenfalls der Erhaltung des Betriebs dienen (vgl. zur Schuldentilgung: Urteil 5P.82/2004 vom 7. Oktober 2004 E. 2.5.2, in: FamPra. ch 2005 S. 319 f.). Es ist deshalb nicht zu beanstanden, dass das Kantonsgericht die Eigengutsliegenschaft "A." mit ihrem späteren Verkaufserlös (abzüglich der darauf lastenden Hypothek) als Eigengutsanteil in die Bewertung des Weinbaubetriebs einbezogen hat.
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