![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
31. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. AG gegen Z. und Z. gegen X. AG (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_288/2011 / 4A_290/2011 vom 13. Februar 2012 | |
Regeste |
Kapitalschnitt auf Null mit anschliessender Wiedererhöhung des Aktienkapitals zum Zwecke der Sanierung ("Harmonika"; Art. 732a Abs. 1 OR). | |
Sachverhalt | |
1 | |
A.a Am 5. November 2004 wurde die X. Holding AG (nunmehr X. AG, Beklagte) als Auffanggesellschaft eines konkursiten Unternehmens gegründet. Das Aktienkapital der X. Holding AG von Fr. 500'000.- wurde bei der Gründung von Z. (Kläger) und zwei weiteren Aktionären im Umfang von jeweils 10 % und von Y. in der Höhe von 70 % aufgebracht. Seit der Gründung bildeten diese vier Aktionäre den Verwaltungsrat der Beklagten. Y. amtete als Verwaltungsratspräsident.
| 2 |
Ende 2006 drohte der Beklagten wegen Überschuldung die Benachrichtigung des Richters gemäss Art. 725 Abs. 2 OR. Dies konnte dank eines von Y. erklärten Rangrücktritts für ein Aktionärsdarlehen in der Höhe von Fr. 4'900'000.- vermieden werden.
| 3 |
![]() | 4 |
A.c Mit Schreiben vom 1. Februar 2008 verlangte der Kläger vom Verwaltungsratspräsidenten die Beantwortung diverser Fragen betreffend den Bestand, die Ursachen und den Umfang des Sanierungsbedarfs sowie Einsicht in Geschäftsdokumente der Beklagten. Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 antwortete der Verwaltungsratspräsident auf die Fragen des Beschwerdeführers, indem er mehrfach auf den Geschäftsbericht 2007 verwies und die Rechtmässigkeit des Rangrücktritts, die Funktion des Klägers als Controller und dessen damit einhergehende Kenntnisse über die Finanzlage der Holding betonte.
| 5 |
A.d Am 18. Februar 2008 fand die ausserordentliche Generalversammlung der Beklagten statt. Gemäss Protokoll waren alle Aktienstimmen anwesend oder vertreten. Der Generalversammlung lag der erst am 7. Januar 2008 erstellte provisorische Abschluss des Geschäftsjahres 2007 vor. Gemäss den Ausführungen der Beklagten ergab sich für das Geschäftsjahr 2007 vor Wertberichtigungen ein negatives Ergebnis von rund Fr. 184'000.- sowie ein Kapitalverlust von Fr. 4'509'352.-. Ein Antrag des Klägers auf Beantwortung seiner im Schreiben vom 1. Februar 2008 an den Verwaltungsrat gestellten Fragen wurde unter Hinweis auf seine Position als Verantwortlicher für das Rechnungswesen und Controlling mit 450 gegen 50 Stimmen abgelehnt. Informationen über weitere beabsichtigte Massnahmen, mit denen die Gesellschaft zusammen mit dem traktandierten Kapitalschnitt saniert werden könnte, wurden der Generalversammlung nicht präsentiert.
| 6 |
Gemäss dem vom 18. Februar 2008 datierenden notariellen Protokoll fasste die ausserordentliche Generalversammlung schliesslich folgende Beschlüsse mit je 450 zu 50 Stimmen:
| 7 |
1. Herabsetzung des Aktienkapitals von bisher Fr. 500'000.-, eingeteilt in 500 Namenaktien zu nominal Fr. 1'000.-, um Fr. 500'000.- auf Fr. 0.- durch Abschreibung und Vernichtung sämtlicher Aktien;
| 8 |
2. Wiedererhöhung des Aktienkapitals auf 500 neue Namenaktien zu nominal je Fr. 1'000.-, zu liberieren durch Verrechnung mit einem Aktionärsdarlehen im Betrag von Fr. 500'000.-, wobei die neuen Aktien den bisherigen Aktionären im Verhältnis ihres bisherigen ![]() | 9 |
3. Ersatz des herabgesetzten Kapitals bis auf die bisherige Höhe durch voll einbezahltes Aktienkapital;
| 10 |
4. Beauftragung des Verwaltungsrats mit der Durchführung der Kapitalerhöhung und der entsprechenden Anmeldung beim Handelsregister innerhalb der gesetzlichen Frist von drei Monaten;
| 11 |
5. Abwahl des Klägers aus dem Verwaltungsrat.
| 12 |
Der Kapitalerhöhungsbericht des Verwaltungsrates vom 18. Februar 2008 hielt die Kapitalherabsetzung mit anschliessender Wiedererhöhung im vorerwähnten Umfang fest, erwähnte das Bezugsrecht zugunsten der bisherigen Aktionäre und stellte fest, dass ein Aktionär von seinem Bezugsrecht Gebrauch gemacht habe und die übrigen Aktionäre darauf verzichtet hätten. Gemäss notariellem Protokoll vom 18. Februar 2008 beschloss der Verwaltungsrat im Anschluss an die ausserordentliche Generalversammlung die Durchführung der Kapitalerhöhung. In der Folge verzichtete der Verwaltungsratspräsident auf eine Forderung gegenüber der Gesellschaft im Umfang von Fr. 3'750'000.-.
| 13 |
B.
| 14 |
B.a Mit Klage vom 17. April 2008 stellte der Kläger dem Bezirksgericht A. folgende Anträge: Es sei festzustellen, dass alle an der ausserordentlichen Generalversammlung der Beklagten vom 18. Februar 2008 gefassten Beschlüsse gemäss Ziffern 1 (Kapitalherabsetzung), 2 (Wiedererhöhung des Aktienkapitals), 3 (Ersatz des herabgesetzten Kapitals) und 4 (Durchführung der Kapitalerhöhung) des notariellen Protokolls vom 18. Februar 2008 nichtig sind. Eventualiter seien die genannten Beschlüsse kraft Anfechtung im Sinne von Art. 706 OR für ungültig zu erklären und rückwirkend per 18. Februar 2008 aufzuheben. Schliesslich sei festzustellen, dass alle an der Verwaltungsratssitzung der Beklagten vom 18. Februar 2008 gefassten Beschlüsse gemäss öffentlicher Urkunde vom gleichen Tag nichtig sind.
| 15 |
Mit Urteil vom 3. März 2010 wies das Bezirksgericht A. die Klage vollumfänglich ab, soweit es darauf eintrat.
| 16 |
B.b Gegen das Urteil des Bezirksgerichts legte der Kläger am 3. März 2010 beim Kantonsgericht Basel-Landschaft Appellation ein. In der Appellationsbegründung vom 27. August 2010 beantragte er, es sei das Urteil des Bezirksgerichts A. vom 3. März 2010 aufzuheben und die Klage gemäss Rechtsbegehren der Klagebegründung vom ![]() | 17 |
Mit Urteil vom 18. Januar 2011 hiess das Kantonsgericht die Appellation im Kostenpunkt teilweise gut und bestätigte im Übrigen das erstinstanzliche Urteil.
| 18 |
C.
| 19 |
C.a Beide Parteien haben gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft Beschwerde in Zivilsachen erhoben.
| 20 |
Der Kläger (Verfahren 4A_290/2011) beantragt dem Bundesgericht, es sei das Urteil des Kantonsgerichts vom 18. Januar 2011 aufzuheben und die Klage gutzuheissen, d.h. es sei festzustellen, dass die Beschlüsse der ausserordentlichen Generalversammlung der Beklagten gemäss Ziffern 1 (Kapitalherabsetzung), 2 (Wiedererhöhung des Aktienkapitals), 3 (Ersatz des herabgesetzten Kapitals) und 4 (Durchführung der Kapitalerhöhung) des notariellen Protokolls vom 18. Februar 2008 sowie alle vom Verwaltungsrat der Beklagten gefassten Beschlüsse gemäss notariellem Protokoll vom 18. Februar 2008 nichtig sind. Eventualiter seien die erwähnten Beschlüsse der Generalversammlung im Sinne von Art. 706 OR für ungültig zu erklären und rückwirkend per 18. Februar 2008 aufzuheben.
| 21 |
Die Beklagte (Verfahren 4A_288/2011) beantragt dem Bundesgericht, es sei das Urteil des Kantonsgerichts vom 18. Januar 2011 aufzuheben, das Urteil des Bezirksgerichts A. vom 3. März 2010 zu bestätigen und dem Kläger die Gerichtskosten des kantonsgerichtlichen Verfahrens von Fr. 25'230.- sowie eine Parteientschädigung zugunsten der Beklagten von Fr. 36'863.65 aufzuerlegen. Eventualiter sei die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
| 22 |
C.b Die Beklagte beantragt in ihrer Vernehmlassung zur Beschwerde des Klägers deren Abweisung. Der Kläger beantragt die Vereinigung der Beschwerden sowie die Abschreibung der Beschwerde der Beklagten wegen Gegenstandslosigkeit zufolge Gutheissung der klägerischen Beschwerde. Eventualiter sei die Beschwerde der Beklagten abzuweisen.
| 23 |
Die Vorinstanz beantragt die Abweisung beider Beschwerden. Die Parteien haben im Verfahren 4A_290/2011 repliziert und dupliziert.
| 24 |
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde des Klägers gut.
| 25 |
(Zusammenfassung)
| 26 |
![]() | |
27 | |
28 | |
Wird das Aktienkapital im Rahmen einer Kapitalherabsetzung bis auf Null herabgesetzt und anschliessend wieder um den gleichen Betrag erhöht, spricht man von einem "Kapitalschnitt auf Null" (vgl. PETER BÖCKLI, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl. 2009, § 2 N. 381a, 385). Mit dem auf 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Art. 732a OR hat der Gesetzgeber die Zulässigkeit eines solchen Kapitalschnitts auf Null mit anschliessender Wiedererhöhung zum Zwecke der Sanierung ausdrücklich anerkannt. Dabei gehen gemäss Art. 732a Abs. 1 OR die bisherigen Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre unter und ausgegebene Aktien müssen vernichtet werden. Mit dieser Norm hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die Gesellschafterstellung in der Kapitalgesellschaft zwingend mit einer Beteiligung am Risikokapital verbunden ist. Geht dieses Risikokapital verloren, muss auch die damit verbundene Beteiligung ein Ende finden (Botschaft vom 23. April 2002 zur Revision des Obligationenrechts [GmbH-Recht sowie Anpassungen im Aktien-, Genossenschafts-, Handelsregister- und Firmenrecht], BBl 2002 3148, 3233; anders noch für das frühere Recht BGE 121 III 420 E. 4 S. 427 ff.). Der grundsätzlich nicht entziehbaren Mitgliedschaftsstellung des Aktionärs im Falle eines gänzlichen Kapitalverlusts trägt der Gesetzgeber dadurch Rechnung, dass dem Aktionär ein unbedingtes und unentziehbares Recht zugestanden wird, sich im Ausmass seines bisherigen Aktienbesitzes am wieder erhöhten Aktienkapital zu beteiligen (Art. 732a Abs. 2 OR; Botschaft, a.a.O., 3234).
| 29 |
3.2 Die Möglichkeit eines Kapitalschnitts auf Null ist gemäss Art. 732a Abs. 1 OR auf Fälle beschränkt, in denen die Kombination einer Kapitalherabsetzung mit einer Kapitalerhöhung dem Zwecke der ![]() | 30 |
Gemäss den Feststellungen der Vorinstanz wies die Jahresrechnung 2006 der Beklagten einen Bilanzverlust von Fr. 4'899'177.- und ein negatives Eigenkapital von Fr. 4'399'177.- aus. Im Jahr 2007 erzielte die Beklagte zwar einen Gewinn von Fr. 390'000.-, was aber nichts daran änderte, dass sie im Februar 2008 nach wie vor eine Überschuldung i.S. von Art. 725 Abs. 2 OR aufwies. Die Sanierungsbedürftigkeit der Beklagten war im Zeitpunkt der ausserordentlichen Generalversammlung vom 18. Februar 2008 damit ausgewiesen.
| 31 |
32 | |
3.3.1 Der Begriff des Sanierungszwecks i.S. von Art. 732a Abs. 1 OR wird im Gesetz nicht näher definiert. Die Lehre knüpft an den Sanierungsbegriff des Art. 725 OR an und verlangt, dass eine "Harmonika" im Zuge einer echten Sanierung im Sinne des Art. 725 OR durchgeführt wird (BÖCKLI, a.a.O., § 2 N. 388). Unter Sanierung werden sämtliche Massnahmen verstanden, die auf die finanzielle Gesundung der Gesellschaft (BGE 121 III 420 E. 2b S. 424), d.h. auf den Fortbestand der Gesellschaft und die Verhinderung der Liquidation abzielen (CHRISTOPH B. BÜHLER, Sanierung der Aktiengesellschaft, in: Entwicklungen im Gesellschaftsrecht, a.a.O., S. 39 f.). Im Falle einer Überschuldung ist das kurzfristige Ziel von Sanierungsmassnahmen, die Gesellschaft mindestens in einen Zustand zu versetzen, dass die ![]() | 33 |
34 | |
35 | |
Für die Beschlussfassung über einen Kapitalschnitt auf Null mit anschliessender Wiedererhöhung des Aktienkapitals ist die Generalversammlung zuständig (Art. 732 Abs. 1 OR). Soll eine "Harmonika" zum Zwecke der Sanierung durchgeführt werden, die als isolierte Massnahme die Überschuldung nicht beseitigt, muss der ![]() | 36 |
37 | |
Mangels Bekanntgabe von weiteren Massnahmen, welche zusammen mit der Kapitalerhöhung vernünftige Aussichten auf eine nachhaltige Sanierung gaben, konnte die ausserordentliche Generalversammlung vom 18. Februar 2008 nicht beurteilen, ob die beantragte "Harmonika" einen Sanierungszweck aufweisen sollte. Ohne Kenntnis eines Sanierungskonzepts konnten die Aktionäre schliesslich auch keinen informierten Entscheid darüber fällen, ob sie durch Ausübung des Bezugsrechts nach Art. 732a Abs. 2 OR weiterhin an der Gesellschaft partizipieren wollten. Die Voraussetzungen eines Kapitalschnitts auf Null gemäss Art. 732a Abs. 1 OR waren nicht gegeben, womit sich die beschlossene "Harmonika" als rechtswidrig erweist.
| 38 |
Erwägung 4 | |
4.1 Gemäss Art. 706 OR können der Verwaltungsrat und jeder Aktionär Beschlüsse der Generalversammlung, die gegen das Gesetz oder die Statuten verstossen, beim Richter mit Klage gegen die Gesellschaft anfechten (Abs. 1). Anfechtbar sind insbesondere Beschlüsse, die unter Verletzung von Gesetz oder Statuten oder in unsachlicher Weise Rechte von Aktionären entziehen oder beschränken (Abs. 2 Ziff. 1 und 2). Das Urteil, das einen Beschluss der ![]() | 39 |
Die vorliegend angefochtene "Harmonika" erweist sich aufgrund des Verstosses gegen Art. 732a Abs. 1 OR zwar nicht als nichtig i.S. von Art. 706b OR, wohl aber als gesetzeswidrig i.S. von Art. 706 Abs. 1 OR. Die angefochtenen Beschlüsse der ausserordentlichen Generalversammlung der Beklagten vom 18. Februar 2008 gemäss Ziffern 1 (Kapitalherabsetzung), 2 (Wiedererhöhung des Aktienkapitals), 3 (Ersatz des herabgesetzten Kapitals) und 4 (Durchführung der Kapitalerhöhung) sind damit in Gutheissung der fristgerecht innert zwei Monaten nach der Generalversammlung angehobenen Anfechtungsklage rückwirkend aufzuheben.
| 40 |
41 | |
Gemäss Art. 714 OR gelten für Beschlüsse des Verwaltungsrats sinngemäss die gleichen Nichtigkeitsgründe wie für Generalversammlungsbeschlüsse. Nichtig sind namentlich Verwaltungsratsbeschlüsse, die in schwerwiegender Weise gegen zwingende und grundlegende Normen des Aktienrechts verstossen (BGE 133 III 77 E. 5 S. 79; BGE 115 II 468 E. 3b S. 473 f.). Gegen einen nichtigen Beschluss kann eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit erhoben werden. Das Feststellungsurteil, das die Nichtigkeit feststellt, wirkt gegenüber jedermann (WERNLI, in: Basler Kommentar, ![]() | 42 |
Nachdem sich die von der Generalversammlung getroffenen Beschlüsse über die "Harmonika" vorliegend als ungültig erweisen, ist dem Durchführungsbeschluss des Verwaltungsrats vom 18. Februar 2008 die Grundlage entzogen. Mangels einer entsprechenden Ermächtigung durch einen gültigen Erhöhungsbeschluss der GV leidet der vorliegend angefochtene Durchführungsbeschluss des Verwaltungsrats der Beklagten an einem schwerwiegenden Mangel und erweist sich als nichtig gemäss Art. 714 OR.
| 43 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |