BGE 138 III 407 | |||
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60. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Genossenschaft X. gegen B. und C. (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_729/2011 vom 25. Mai 2012 | |
Regeste |
Genossenschaft des Obligationenrechts (Art. 828 ff. OR); Unterschreiten der Mindestmitgliederzahl (Art. 831 Abs. 2 OR); Rechtsfolgen nach Art. 731b OR. | |
Aus den Erwägungen: | |
2. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 831 Abs. 2 OR i.V.m. Art. 731b Abs. 1 OR. Die von der Vorinstanz angeordnete Auflösung der Genossenschaft allein aufgrund des Unterschreitens der Mindestzahl der Mitglieder sei unverhältnismässig. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin hätte die Vorinstanz gestützt auf Art. 731b Abs. 1 OR vielmehr Massnahmen treffen müssen, um die Zahl der Genossenschafter wieder auf sieben zu erhöhen, namentlich durch Ernennung von vier Personen als Genossenschafter.
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Mit dieser Norm hat der Gesetzgeber eine einheitliche Ordnung für die Behebung und Sanktionierung organisatorischer Mängel innerhalb einer Gesellschaft geschaffen (BGE 136 III 369 E. 11.4.1 mit Hinweisen). Die Bestimmung erfasst diejenigen Fälle, in denen eine zwingende gesetzliche Vorgabe hinsichtlich der Organisation der Gesellschaft nicht oder nicht mehr eingehalten wird. Sie bezieht sich sowohl auf das Fehlen als auch die nicht rechtsgenügende Zusammensetzung obligatorischer Gesellschaftsorgane (BGE 138 III 294 E. 3.1.2 S. 297 f.).
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2.3 Die Behebung von Organisationsmängeln steht im Interesse eines funktionierenden Rechtsverkehrs und kann die Interessen von Anspruchsgruppen (Stakeholder) berühren, die sich am Verfahren nach Art. 731b OR nicht beteiligen (Arbeitnehmer, Gläubiger, Aktionäre). Aufgrund der Interessen Dritter sowie der Öffentlichkeit ist der Richter an spezifizierte Anträge der Parteien nicht gebunden (BGE 138 III 294 E. 3.1.3 S. 298, BGE 138 III 166 E. 3.5 S.170). Das im Summarium durchzuführende Organisationsmängelverfahren (BGE 138 III 166 E. 3.9 S. 172) ist mithin vom Offizialgrundsatz beherrscht (Art. 58 Abs. 2 ZPO [SR 272]): Die Parteien haben keine Verfügungsbefugnis über den Streitgegenstand und können sich namentlich auch nicht vergleichen (BGE 138 III 294 E. 3.1.3 S. 298).
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Erwägung 2.5 | |
2.5.1 Die Genossenschaft des Obligationenrechts ist eine personenbezogene Körperschaft. Das personale Element dieser Rechtsform kommt namentlich darin zum Ausdruck, dass der Genossenschaftszweck gemäss Art. 828 Abs. 1 OR hauptsächlich in gemeinsamer Selbsthilfe der Genossenschafter verfolgt werden muss (MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, Schweizerisches Gesellschaftsrecht, 10. Aufl. 2007, § 19 N. 8; FRANCO TAISCH, Genossenschaftsgruppen und deren Steuerung, 2009, S. 27). Dabei handelt es sich um ein eigentliches Kennzeichen der Genossenschaft (Botschaft vom 19. Dezember 2001 zur Revision des Obligationenrechts [GmbH-Recht sowie Anpassungen im Aktien-, Genossenschafts-, Handelsregister- und Firmenrecht], BBl 2002 3235). In der Genossenschaft soll nicht wie in der Aktiengesellschaft lediglich "ein Stück Vermögen" des Aktionärs, sonderngleichsam "ein Stück der wirtschaftlichen Persönlichkeit" des Genossenschafters selbst aufgehen (MAX GERWIG, Die Genossenschaft, in: Sieben Vorträge über das neue Obligationenrecht, 1937, S. 152). Der Körperschaftszweck ist unter persönlicher Mitwirkung der Genossenschafter zu erreichen. Diese Betonung des persönlichen Substrats findet unter anderem Ausdruck darin, dass der Gesetzgeber für die Errichtung einer Genossenschaft die Beteiligung von mindestens sieben Mitgliedern verlangt (Art. 831 Abs. 1 OR; MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, a.a.O., § 19 N. 12; ROLAND RUEDIN, in: Commentaire romand, Code des obligations, Bd. II, 2008, N. 1 zu Art. 831 OR). Im Unterschied zur Aktiengesellschaft und der Gesellschaft mit beschränkter Haftung hat es der Gesetzgeber im Rahmen der Revision des GmbH- Rechts denn auch ausdrücklich abgelehnt, die Genossenschaft als Einpersonenkörperschaft zuzulassen, da der Zweck der gemeinsamen Selbsthilfe "wesensnotwendigerweise eine Mehrzahl von Personen" voraussetze (Botschaft, a.a.O., S. 3235). Anders als etwa der bundesdeutsche Gesetzgeber, welcher anlässlich der Reform von 2006 die Mindestanzahl der Genossenschafter von sieben auf drei gesenkt hat (§ 4 des deutschen Genossenschaftsgesetzes [GenG]; dazu VOLKER BEUTHIEN, Genossenschaftsgesetz, 15. Aufl. 2011, N. 1 zu § 4), behielt der eidgenössische Gesetzgeber zudem das Erfordernis von mindestens sieben Genossenschaftern bei.
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2.5.2 Daraus ist zu schliessen dass es sich bei der Mindestzahl von sieben Genossenschaftern nach der gegenwärtigen Gesetzeslage um ein begriffsbestimmendes Element der Genossenschaft handelt (vgl. auch RUEDIN, a.a.O., N. 16 zu Art. 831 OR). Sinkt die Mitgliederzahl auf unter sieben, liegt damit nicht lediglich eine mangelhafte Organisation der Körperschaft vor, sondern ist der Tatbestand der Genossenschaft als solcher nicht mehr gegeben. Die Körperschaft existiert nur noch formal im Handelsregister, hat aber materiell ihre Existenz verloren und kann auch durch eine richterliche Massnahme nicht wieder hergestellt werden. In der Lehre wird daher zu Recht vertreten, dass für den Fall des Unterschreitens der Mindestzahl von sieben Genossenschaftern von den in Art. 731b Abs. 1 OR beispielhaft aufgeführten Massnahmen nur die in Ziff. 1 und 3 aufgeführten Handlungen, also die Ansetzung einer Frist zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes sowie die Auflösung der Gesellschaft, in Frage kommen (CARL BAUDENBACHER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. II, 3. Aufl. 2008, N. 14 zu Art. 831 OR; MAURICE COURVOISIER, in: Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 2007, N. 5 zu Art. 831 OR; vgl. auch die Regeln des deutschen und italienischen Rechts [§ 80 Abs. 1 GenG sowie Art. 2522 Abs. 3 Codice civile], welche bei Absinken unter die Mindestzahl ebenfalls die Auflösung der Genossenschaft vorsehen). Da die Beschwerdeführerin selbst der Auffassung ist, dass eine Fristansetzung gemäss Art. 731b Abs. 1 Ziff. 1 OR unzweckmässig wäre, hat die Vorinstanz zu Recht die Auflösung der Genossenschaft angeordnet.
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