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67. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Bank X. (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_678/2011 vom 2. Mai 2012 | |
Regeste |
Art. 121, Art. 492 Abs. 4, Art. 493 Abs. 2 und Art. 502 Abs. 2 OR; Einreden des Bürgen, wenn der Hauptschuldner gegenüber dem Gläubiger auf die Verrechnung verzichtet hat. |
Art. 492 Abs. 4 OR hindert den Bürgen nicht daran, die Erfüllung einer Schuld sicherzustellen, bezüglich welcher der Hauptschuldner auf Einwendungen oder Einreden verzichtet hat. Ein Verrechnungsverzicht des Hauptschuldners unterliegt nicht dem Formerfordernis von Art. 493 Abs. 2 OR (E. 2.3). | |
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Erwägung 2 | |
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Die Vorinstanz stellte fest, der Beschwerdeführer habe bei Abschluss der Bürgschaft vom Verrechnungsverzicht der Hauptschuldnerin gegenüber der Beschwerdegegnerin Kenntnis gehabt. Der Auffassung der Beschwerdegegnerin folgend, erwog sie, der Beschwerdeführer müsse sich als Bürge den entsprechenden Verzicht entgegenhalten lassen, und es sei ihm demzufolge nach sachgerechter Auslegung von Art. 502 Abs. 2 OR verwehrt, seine Bürgschaftsschuld gegenüber der Beschwerdegegnerin mit angeblichen Forderungen der Hauptschuldnerin gegenüber der Beschwerdegegnerin "zu verrechnen". Daraus schloss sie, die Verrechnungseinrede des Beschwerdeführers sei unzulässig.
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2.2.1 Durch den Bürgschaftsvertrag übernimmt der Bürge gegenüber dem Gläubiger die Pflicht, für die Erfüllung der Schuld eines Dritten, des Hauptschuldners, einzustehen (Art. 492 Abs. 1 OR). Die Bürgschaftsverpflichtung setzt den Bestand der sicherzustellenden Verpflichtung voraus. Sie ist dieser beigeordnet und hängt in Bestand und ![]() | 4 |
Entsprechend dem Grundsatz der Akzessorietät stehen dem Bürgen die Einreden des Hauptschuldners zu, die sich nicht auf dessen Zahlungsunfähigkeit stützen (Art. 502 Abs. 1 OR). Art. 502 Abs. 2 OR erweitert diesen Schutz, indem er den Bürgen ermächtigt, eine Einrede des Hauptschuldners auch geltend zu machen, wenn dieser darauf verzichtet hat.
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Gemäss Art. 121 OR kann der Bürge die Befriedigung des Gläubigers verweigern, soweit dem Hauptschuldner das Recht zur Verrechnung zusteht. Diese Bestimmung schützt den Bürgen dann, wenn der Hauptschuldner die Verrechnung erklären könnte, dies aber nicht tut. Diesfalls fehlt es an der Gestaltungserklärung des Hauptschuldners für die Tilgung der Hauptschuld durch Verrechnung, und nach dem Akzessorietätsprinzip müsste auch der Bürge weiterhaften. Denn dieser kann nicht selbst eine Forderung des Hauptschuldners gegenüber dem Gläubiger zur Verrechnung bringen und damit den Untergang seiner Bürgschaftsschuld bewirken (BGE 126 III 25 E. 3b). Hier greift Art. 121 OR, der dem Bürgen in derartigen Konstellationen eine aufschiebende Einrede gegen die Durchsetzung der Bürgschaftsschuld gewährt (AEPLI, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 1991, N. 45 zu Art. 121 OR; KILLIAS, in: Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 2007, N. 7 zu Art. 121 OR; MÜLLER, Der Schutz des Bürgen im schweizerischen Privatrecht, 2010, S. 171 f.; OSER/SCHÖNENBERGER, Zürcher Kommentar, 2. Aufl. 1945, N. 11 zu Art. 502 OR; PETER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 5. Aufl. 2011, N. 1 f. zu Art. 121 OR; SCHWENZER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2009, S. 508; SCYBOZ, Garantievertrag und Bürgschaft, in: Obligationenrecht, Besondere Vertragsverhältnisse, SPR Bd. VII/2, 1979, S. 384; vgl. auch ENGEL, Contrats de droit suisse, 2. Aufl. 2000, S. 651). Im Gegensatz zur Verrechnungserklärung des Hauptschuldners lässt die auf Art. 121 OR gestützte Einrede des Bürgen den Bestand von Haupt- und Bürgschaftsforderung unberührt (AEPLI, a.a.O., N. 45 zu Art. 121 OR).
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2.2.2 Bislang vom Bundesgericht noch nicht entschieden ist die Frage, welche Rechtsfolgen es für den Bürgen nach sich zieht, wenn der Hauptschuldner auf seinen Verrechnungsanspruch verzichtet und damit sein Recht verliert, durch Verrechnungserklärung die ![]() | 7 |
In BGE 126 III 25 liess das Bundesgericht die Frage offen, ob der Bürge seine Leistung in analoger Anwendung von Art. 502 Abs. 2 und Art. 121 OR verweigern kann, wenn der Hauptschuldner, nach Abschluss des Bürgschaftsvertrags und ohne Zustimmung des Bürgen, auf eine Verrechnungsforderung verzichtet hat, da der Bürge im zu beurteilenden Fall dem Verzicht des Hauptschuldners zugestimmt hatte (E. 3b). Das Bundesgericht wies in diesem Entscheid aber immerhin auf die Lehrmeinung hin, gemäss der sich der Bürge gestützt auf Art. 502 Abs. 2 OR einen nach Abschluss der Bürgschaft und ohne seine Zustimmung ergangenen Verrechnungsverzicht nicht entgenhalten lassen müsse (AEPLI, a.a.O., N. 29 zu Art. 121 OR; BECKER, Berner Kommentar, 2. Aufl. 1941, N. 3 zu Art. 121 OR; GIOVANOLI, in: Berner Kommentar, 2. Aufl. 1978, N. 5b zu Art. 502 OR; PETER, a.a.O., N. 3 zu Art. 121 OR; SCYBOZ, a.a.O., S. 384). Die entsprechende Auffassung machte sich vorliegend die Vorinstanz zu eigen.
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Die zitierte Lehrmeinung geht von der Prämisse aus, dass Art. 502 Abs. 2 OR - obwohl die Bestimmung den Verzicht des Hauptschuldners auf Einreden und nicht den Verzicht auf Gestaltungsrechte zum Gegenstand hat - auch auf den Fall von Art. 121 OR Anwendung findet. Für diese Ansicht bestehen denn auch gute Gründe, da Art. 121 OR die akzessorischen Einredemöglichkeiten gemäss Art. 502 Abs. 1 OR ergänzt und beide Normen den Bürgen schützen, indem sie ihm ein im Verhältnis zwischen Gläubiger und Hauptschuldner begründetes Leistungsverweigerungsrecht einräumen. Es rechtfertigt sich daher, Art. 502 Abs. 2 OR, der den Schutz des Bürgen im Falle eines Verzichts des Hauptschuldners auf eine ihm zustehende Einrede erweitert, auf den von Art. 121 OR erfassten Verrechnungstatbestand anzuwenden. Dem Bürgen verbleibt somit in analoger Anwendung von Art. 502 Abs. 2 OR die Einrede gemäss Art. 121 OR, auch wenn der Hauptschuldner auf das ihm zustehende Verrechnungsrecht verzichtet.
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Noch nicht beantwortet ist damit allerdings die Frage nach der inhaltlichen Tragweite von Art. 502 Abs. 2 OR. Diese Bestimmung beruht auf dem Grundgedanken, dass die Stellung des Bürgen nicht einseitig durch eine nachträgliche Vereinbarung zwischen dem Gläubiger und dem Hauptschuldner soll verschlechtert werden können (AEPLI, ![]() | 10 |
Daraus folgt, dass sich der Bürge jedenfalls dann nicht auf Art. 502 Abs. 2 OR berufen kann, wenn er die Bürgschaft im Wissen darum eingegangen ist, dass der Hauptschuldner gegenüber dem Gläubiger auf die Verrechnung verzichtet hat. Dieser Fall ist wertungsmässig ähnlich gelagert wie der in BGE 126 III 25 entschiedene. Verzichtet der Hauptschuldner demgegenüber nach Abschluss des Bürgschaftsvertrages und ohne Zustimmung des Bürgen auf die Verrechnung, so ist dem Bürgen mit der insofern einhelligen Lehre ein Leistungsverweigerungsrecht zuzugestehen (AEPLI, a.a.O., N. 29 zu Art. 121 OR; BECKER, a.a.O., N. 3 zu Art. 121 OR; GIOVANOLI, a.a.O., N. 5b zu Art. 502 OR; JEANDIN, in: Commentaire romand, Code des obligations, Bd. I, 2003, N. 2 zu Art. 121 OR; MEIER, in: Commentaire romand, Code des obligations, Bd. I, 2003, N. 11 zu Art. 502 OR; PETER, a.a.O., N. 3 zu Art. 121 OR; vgl. auch HONSELL, Schweizerisches Obligationenrecht, Besonderer Teil, 9. Aufl. 2010, S. 418).
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2.3 Der Beschwerdeführer sieht durch die vorinstanzliche Rechtsauffassung, er könne der Bürgschaftsforderung der Beschwerdegegnerin die behaupteten Verrechnungsansprüche der ![]() | 13 |
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Diese Bestimmung verbietet lediglich, dass der Bürge auf eigene Rechte , d.h. auf die seinem Schutze dienenden gesetzlichen Regeln, im Voraus verzichtet (vgl. BECK, a.a.O., N. 134 f. zu Art. 492 OR; PESTALOZZI, a.a.O., N. 8 zu Art. 493 OR). Mit anderen Worten untersagt sie ausschliesslich den Vorausverzicht des Bürgen selbst auf die ihm von Gesetzes wegen im Verhältnis zum Gläubiger und zum Hauptschuldner zustehenden Rechte. Der Bürge kann demnach zwar nicht im Voraus darauf verzichten, dem Gläubiger die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden und Einwendungen entgegenzusetzen. Diese Befugnis ergibt sich bereits aus der Akzessorietät der Bürgschaft, der es grundsätzlich widersprechen würde, wenn der ![]() | 16 |
Dieses Ergebnis ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass der Zwanzigste Titel des Obligationenrechts keine Regeln zum möglichen Inhalt der zu sichernden Hauptforderung respektive zu den Einwendungen und Einreden des Hauptschuldners enthält, sondern lediglich in Art. 492 Abs. 2 OR festhält, dass die Bürgschaft eine zu Recht bestehende Hauptschuld voraussetzt. Damit fehlt es an einer Bestimmung im Zwanzigsten Titel des Obligationenrechts, die es dem Hauptschuldner zum Schutz des Bürgen verbietet, im Rahmen des Hauptschuldverhältnisses auf Einreden und Einwendungen gegen die verbürgte Forderung zu verzichten, weil dadurch indirekt auch der Bürge betroffen wäre, oder die es dem Bürgen selbst untersagt, für eine mit einem solchen Verzicht belastete Schuld einzustehen. Dieses Verständnis steht denn auch im Einklang mit dem durch Art. 492 Abs. 4 OR verfolgten Zweck: Mit dieser Bestimmung, die auf die Revision des Bürgschaftsrechts von 1941 zurückgeht, sollte verhindert werden, dass Bürgen durch die Unterzeichnung von vorgedruckten Formularen auf ihre gesetzlichen Rechte verzichten und später von der Tragweite dieses Verzichts überrascht werden (Botschaft vom 20. Dezember 1939 zur Revision des Bürgschaftsrechts, BBl 1939 II 873 f.; vgl. auch BECK, a.a.O., N. 134 zu Art. 492 OR). Mit anderen Worten wollte der Gesetzgeber mit dem Verbot des Vorausverzichts verhindern, dass der Bürge in der Bürgschaftsvereinbarung auf die zu seinem Schutz eingeräumten bürgschaftsrechtlichen Einreden verzichtet; es war hingegen nicht seine Absicht, den Inhalt und die Modalitäten der zu verbürgenden Hauptforderung festzulegen. Dies ist auch nachvollziehbar: Hätte der Gesetzgeber dem Bürgen nämlich verboten, für eine mit einem Einrede- oder Einwendungsverzicht belastete Schuld einzustehen, hätte er in Kauf nehmen müssen, dass mit der ![]() | 17 |
Es bleibt somit insofern beim Grundsatz, dass der Bürge für die Verpflichtung einsteht, so wie sie der Hauptschuldner eingegangen ist (vgl. E. 2.2.1). Ein Verrechnungsverzicht des Hauptschuldners wie der vorliegende, der das Schuldverhältnis zwischen diesem und dem Gläubiger betrifft, gilt demnach auch für den Bürgen. Ob die - das Verhältnis zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger betreffende - Einrede gemäss Art. 121 OR zu den gemäss Art. 492 Abs. 4 OR unverzichtbaren Rechten des Bürgen gehört, obwohl sie nicht im Zwanzigsten Titel des Obligationenrechts eingeräumt wird, braucht unter diesen Umständen nicht beurteilt zu werden (zu dieser Frage AEPLI, a.a.O., N. 10 zu Art. 121 OR; BECKER, a.a.O., N. 3 zu Art. 121 OR). Soweit die Argumentation des Beschwerdeführers auf der Prämisse aufbaut, dass er sich als Bürge nicht für eine durch einen Verrechnungsverzicht der Hauptschuldnerin erschwerte Hauptpflicht verbürgen konnte, kann ihr demnach nicht gefolgt werden.
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