BGE 138 III 650 | |||
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98. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A./B. und C./D. gegen E./F. (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_245/2012 vom 13. September 2012 | |
Regeste |
Art. 674 und 738 ZGB; Überbaurecht; Inhalt und Umfang. | |
Sachverhalt | |
Die an einem Hang gelegenen Grundstücke Nr. 4489, 4490 und 4305 sind mit einem Terrassenhaus überbaut, das in drei aneinandergebaute Häuser unterteilt ist. Da die Häuser bzw. die jeweiligen Wohngeschosse und das Dach die Grenzen der einzelnen Grundstücke überragen, errichtete der damalige Eigentümer und spätere Verkäufer ein Überbaurecht.
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Die Dienstbarkeit wurde als "Überbaurecht lt. Plan" im Grundbuch eingetragen. Die drei Häuser stehen heute je im hälftigen Miteigentum der Ehegatten E./F. (oberes Haus; 3. und 4. Wohngeschoss; Grundstück Nr. 4489), der Ehegatten A./B. (mittleres Haus;2. Wohngeschoss; Grundstück Nr. 4490) und der Ehegatten C./D. (unteres Haus; 1. Wohngeschoss; Grundstück Nr. 4305). Im Jahre 2009 erstellten die Ehegatten E./F. auf dem in die Nachbargrundstücke hinüberragenden Dach eine Fotovoltaikanlage.
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Die Ehegatten A./B. und C./D. (Beschwerdeführer) reichten eine Klage ein mit dem Hauptbegehren, die Ehegatten E./F. (Beschwerdegegner) seien zu verpflichten, die Fotovoltaikanlage zu entfernen, soweit sie die Grundstücke Nr. 4490 und 4305 tangiere. Das Amtsgericht und auf Appellation der Beschwerdeführer hin das Obergericht wiesen die Klage ab. Die Beschwerdeführer erneuern vor Bundesgericht ihr Klagebegehren. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
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3.2 Die Beschwerdegegner und die Beschwerdeführer sind Eigentümer von Terrassenhäusern mit überragenden Bauten. Die Beschwerdegegner als Eigentümer des am Abhang zuoberst gelegenen Grundstücks Nr. 4489 haben ein Überbaurecht (Grunddienstbarkeit) zulasten der hangabwärts anschliessenden Grundstücke Nr. 4490 und 4305 der Beschwerdeführer. Sie sind somit Eigentümer der überragenden Bauten und aus der Grunddienstbarkeit berechtigt, die auf die Grundstücke der Beschwerdeführer überragenden Bauten beizubehalten. Zu den überragenden Bauten gehört nebst Teilen der Wohngeschosse auch ein Teil des Daches, auf dem die Beschwerdegegner eine Fotovoltaikanlage erstellt haben.
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4.2 In der Sache wenden die Beschwerdeführer ein, Gegenstand des vereinbarten Überbaurechts sei das Dach, aber nicht die Fotovoltaikanlage als zusätzliche Dachaufbaumontage, die im Gegensatz zu Ziegeln weder eine Dachfunktion habe noch eine konstruktive Einheit mit dem Dach bilde. Das Obergericht selber gehe davon aus, dass die Fotovoltaikanlage kein "Bestandteil des Grundstückes" im Sinne von Art. 674 ZGB sein könne. Es trifft zu, dass das Obergericht angenommen hat, eine Vorrichtung - wie die fragliche Solaranlage - stelle objektiv keinen notwendigen Bestandteil des Daches dar. Das Obergericht hat sich dabei offenbar an die deutsche Lehre zu den wesentlichen Bestandteilen eines Grundstücks oder Gebäudes angelehnt (vgl. STRESEMANN, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 6. Aufl. 2012, N. 32 zu § 94 BGB bei/in Anm. 127 mit Hinweis auf CHRISTOPH REYMANN, Fotovoltaikdienstbarkeiten bei Anlagen auf fremden Grundstücken, Deutsche Notar-Zeitschrift [DNotZ] 2010 Heft 2 S. 84 ff., 96).
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5. Die Auslegung der Grunddienstbarkeit "Überbaurecht lt. Plan" hat die Frage zu beantworten, ob die Beschwerdeführer eine bauliche Änderung an den überragenden Teilen des Daches zu dulden verpflichtet sind, die darin besteht, dass auf einer bestimmten Fläche die Dachziegel durch Solarmodule ersetzt werden (Indachmontage) oder dass an der Ziegeleindeckung mittels Dachsparrenankern Metallschienen und daran wiederum Solarmodule befestigt werden (Aufdachmontage).
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5.2 Die Beschwerdeführer pflichten der obergerichtlichen Auslegung insoweit bei, als für den Inhalt der Dienstbarkeit der Erwerbsgrund massgebend sei, d.h. die öffentliche Urkunde vom 4. Juni 1986. Deren Wortlaut sei klar und eindeutig. Gesprochen werde ausdrücklich nur vom "Dach", hingegen nicht von zukünftigen, von der Dachfunktion unabhängigen Dachaufbauten wie der Fotovoltaikanlage. Deren Anbringen verletze den Grundsatz der Identität und bedeute eine Änderung des ursprünglichen Zwecks der Dienstbarkeit, der allein darin bestanden habe, die einzelnen Wohneinheiten separat zu veräussern und somit das geplante Bauvorhaben zu realisieren. Weitere Bedürfnisse habe der damalige Grundeigentümer und Veräusserer der Wohneinheiten nicht gehabt, als er das Überbaurecht als Eigentümerdienstbarkeit errichtet habe. Das Obergericht habe denn auch verbindlich festgestellt, dass bei der Begründung der Dienstbarkeit nicht an Fotovoltaik gedacht worden sei. Auch nur ein entferntes Interesse an der Energiegewinnung mit einer auf dem Dach angebrachten Anlage habe im Zeitpunkt der Begründung der Dienstbarkeit nicht bestanden. Neue Technologien, die nicht konkret eine erweiterte Nutzung innerhalb des ursprünglichen Zwecks ermöglichten, müssten unbeachtet bleiben. Die Energiegewinnung durch eine Fotovoltaikanlage sei nicht ursprünglicher und objektiv erkennbarer Zweck der vorliegend streitigen Dienstbarkeit.
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5.3 Die Auslegung der als "Überbaurecht lt. Plan" im Grundbuch eingetragenen Grunddienstbarkeit hat nach den Regeln in Art. 738 ZGB zu erfolgen. Massgebend für den Inhalt der Dienstbarkeit ist der Eintrag, soweit sich Rechte und Pflichten daraus deutlich ergeben, und im Rahmen des Eintrages kann sich der Inhalt der Dienstbarkeit aus ihrem Erwerbsgrund oder aus der Art ergeben, wie sie während längerer Zeit unangefochten und in gutem Glauben ausgeübt worden ist (Art. 738 Abs. 1 und 2 ZGB). Der Eintrag "Überbaurecht lt. Plan" sagt nichts zur streitigen Erstellung einer Fotovoltaikanlage. Der Plan umreisst lediglich die Grenzen des Überbaus. Für den Inhalt ist deshalb auf den Erwerbsgrund abzustellen (vgl. BGE 128 III 169 E. 3a S. 172; BGE 137 III 444 E. 3 S. 448 f.). Erwerbsgrund ist die öffentliche Urkunde vom 4. Juni 1986, mit der der damalige Grundeigentümer und spätere Verkäufer das Überbaurecht als Eigentümergrunddienstbarkeit (sog. Eigengrenzüberbau) errichtet hat. Die heutigen Eigentümer der berechtigten und belasteten Grundstücke sind somit nicht die Begründungsparteien. In ihrem Verhältnis muss der Erwerbsgrund so ausgelegt werden, wie er nach seinem Wortlaut und Zusammenhang sowie namentlich aufgrund der Bedürfnisse des herrschenden Grundstücks und mit Rücksicht auf Sinn und Zweck der Dienstbarkeit verstanden werden durfte und musste (vgl. BGE 128 III 265 E. 3a S. 267; BGE 131 III 345 E. 1.2 S. 347). Der Zweck der Dienstbarkeit im Besonderen ist nach den gleichen Grundsätzen zu ermitteln. Soweit er sich nicht aus dem Eintrag im Grundbuch ergibt, gilt im Verhältnis zu Dritten der Zweck als massgebend, der aus dem Dienstbarkeitsvertrag selber hervorgeht oder objektiv erkennbar ist. Kann davon nicht ausgegangen werden, ist zur Bestimmung des Zwecks danach zu fragen, welche Interessen bei objektiver Betrachtung zur Zeit der Errichtung aufgrund der Bedürfnisse des herrschenden Grundstücks vernünftigerweise von Bedeutung sein konnten (vgl. BGE 130 III 554 E. 3.1 S. 557 und E. 3.2 S. 559; Urteil 5A_264/2009 vom 4. Juni 2009 E. 2.2, in: ZBGR 91/2010 S. 170).
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6.2 Die Beschwerdeführer verstehen unter dem "Dach" das Dach, das der Begründer der Dienstbarkeit hat erstellen lassen, d.h das Dach, wie es im Zeitpunkt der Bestellung der Dienstbarkeit geplant war bzw. bestanden hat. Aus dem Wort "Dach" kann indessen nicht geschlossen werden, jede bauliche Änderung, z.B. die Ersetzung der Dacheindeckung aus Ziegeln durch Eternit oder das Anbringen einer Isolierung, sei untersagt. Ein entsprechender Wille darf dem Begründer der Grunddienstbarkeit nicht unterstellt werden. Beweggrund war für ihn, wie die Beschwerdeführer wohl zutreffend hervorheben, durch die Begründung der Überbaurechte die Terrassenhäuser einzeln und je zu Alleineigentum verkaufen zu können (vgl. GERHARD EGGEN, Privatrechtliche Fragen des neuen Bauens und ihre Wirkungen auf das Grundbuch, ZBGR 53/1972 S. 207 ff., 217 f. Ziff. 10). Der Begründer war Unternehmer und hat bei der Errichtung der Dienstbarkeit im Zweifelsfall nicht mehr gewollt, als in der Urkunde niedergeschrieben worden ist. Die Dachgestaltung durch die Überbauberechtigten nach dem Verkauf hat für ihn offenkundig keine Rolle gespielt. Auch an eine Fotovoltaikanlage hat er gemäss den obergerichtlichen Feststellungen nicht gedacht. Ein gleichsam qualifiziertes Schweigen des Begründers, wonach jede Veränderung der ursprünglichen Gestaltung des Daches ausgeschlossen sein sollte, kann nicht angenommen werden. Die Beschwerdegegner als unbeteiligte Dritte müssten sich einen derartigen inneren Willen des Begründers mangels Erkennbarkeit nicht entgegenhalten lassen (vgl. BGE 130 III 554 E. 3.1 S. 557).
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6.4 Bei der vorliegenden affirmativen Dienstbarkeit mit einer weitgehend offenen Zweckumschreibung ist dem Dienstbarkeitsbelasteten diejenige Mehrbelastung grundsätzlich zumutbar, die auf eine objektive Veränderung der Verhältnisse, wie etwa die Entwicklung der Technik, zurückgeht und nicht auf willentlicher Änderung der bisherigen Zweckbestimmung beruht und die die zweckentsprechende Benützung des belasteten Grundstücks nicht behindert oder wesentlich mehr als bisher einschränkt (vgl. BGE 131 III 345 E. 4.3.2 S. 359; Urteil 5C.13/2007 vom 2. August 2007 E. 5.1, in: ZBGR 90/2009 S. 158). Der Einbau von Sonnenkollektoren gleichwie z.B. das Anbringen einer zusätzlichen Isolierung kann dabei zur Entwicklung der Technik gezählt werden, zumal - wie das Obergericht festgestellt hat - der Begründer der Dienstbarkeit im Jahre 1986 noch nicht an Fotovoltaik gedacht haben dürfte (vgl. zu gewandelten technischen oder ökologischen Anschauungen: BGE 117 II 466 E. 5b S. 475, betreffend Urheberrecht).
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6.6 Was die Fotovoltaikanlage betrifft, bereitet die Indachmontage keine Schwierigkeiten. Denn ob die Dacheindeckung aus Ziegeln oder aus Solarmodulen besteht, kann unter dem Blickwinkel des Überbaurechts für das Dach letztlich keine Rolle spielen und beinhaltet somit eine zulässige Gestaltung des Daches. Als heikel erscheint hingegen die Aufdachmontage, wie sie für die Fotovoltaikanlage hier offenbar durchgeführt worden ist, handelt es sich doch um eine zusätzliche bauliche Vorrichtung auf dem Dach, die zumindest funktionell nicht unmittelbar mit dem Dach zusammenhängt. Über ihre Zulässigkeit im Sinne blosser Dachgestaltung muss aufgrund der örtlichen Verhältnisse (z.B. Neigungswinkel, Abstand zwischen Solarmodul und Dacheindeckung usw.) entschieden werden, die die zuständigen kantonalen Gerichte besser kennen als das Bundesgericht. Den daherigen Ermessensentscheid überprüft das Bundesgericht zwar grundsätzlich frei. Es übt aber Zurückhaltung und schreitet nur ein, wenn die Vorinstanz grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgewichen ist, wenn sie Tatsachen berücksichtigt hat, die für den Entscheid im Einzelfall keine Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn sie umgekehrt Umstände ausser Betracht gelassen hat, die zwingend hätten beachtet werden müssen. Ausserdem greift das Bundesgericht in Ermessensentscheide ein, falls sich diese als offensichtlich unbillig, als in stossender Weise ungerecht erweisen (vgl. BGE 136 III 74 E. 2.2.1 S. 78; BGE 133 III 416 E. 6.3.3 S. 419; zum Beurteilungsspielraum in technischen Fragen: BGE 135 II 384 E. 2.2.2 S. 389 f.). Die Voraussetzungen für ein bundesgerichtliches Eingreifen sind hier nicht erfüllt. Gemäss den obergerichtlichen Feststellungen handelt es sich um flache Solarplatten, die auf dem Dach angebracht worden sind, die Charakteristik des Daches nicht wesentlich verändern und keinen beachtenswerten Nachteil für die Dienstbarkeitsbelasteten bedeuten. Es kann anhand der Akten ergänzt werden (Art. 105 Abs. 2 BGG), dass die Solarmodule dachparallel und in einem Abstand von wenigen Zentimetern von den Dachziegeln angebracht worden sind. Eine sich derart an das Dach anschmiegende Fotovoltaikanlage, die mit der Dacheindeckung gleichsam eine Einheit bildet und sich nicht merklich als zusätzliche Aufbaute vom Dach abhebt, durften die kantonalen Gerichte als zulässige Dachgestaltung anerkennen, die vom Überbaurecht umfasst wird und deshalb von den Beschwerdeführern als Dienstbarkeitsbelasteten zu dulden ist.
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