BGE 138 III 694 | |||
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105. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y. (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_210/2012 vom 29. Oktober 2012 | |
Regeste |
Sachliche Zuständigkeit der Handelsgerichte; Klägerwahlrecht nach Art. 6 Abs. 3 ZPO. | |
Sachverhalt | |
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Am 16. Oktober 2003 unterzeichneten die Parteien einen Vermögensverwaltungsvertrag, in dem die Klägerin den Beklagten mit der Verwaltung ihrer bei der A.-Bank deponierten Vermögenswerte betraute. Sie behauptet, der Beklagte habe ihr durch Kommissionsreiterei - sog. Churning - Schaden verursacht.
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Die Klägerin reichte in der Folge Klage beim Handelsgericht des Kantons Zürich ein. Die sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts leitete die Klägerin aus Art. 6 Abs. 3 ZPO ab, während der Beklagte die Zuständigkeit des Handelsgerichts für Konsumentenstreitigkeiten bestritt.
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Mit Beschluss vom 30. März 2012 wies das Handelsgericht die Unzuständigkeitseinrede des Beklagten ab und trat auf die Klage ein. Zwei Gerichtsmitglieder hielten in einem Minderheitsantrag gemäss § 124 des kantonalen Gerichtsorganisationsgesetzes dafür, auf die Klage sei nicht einzutreten.
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Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt der Beklagte dem Bundesgericht, es sei die Unzuständigkeitseinrede gutzuheissen und auf die Klage nicht einzutreten.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
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2.1 Nach Art. 6 Abs. 1 ZPO können die Kantone ein Fachgericht bezeichnen, welches als einzige kantonale Instanz für handelsrechtliche Streitigkeiten zuständig ist (Handelsgericht). Gemäss Art. 6 Abs. 2 ZPO gilt eine Streitigkeit als handelsrechtlich, wenn: die geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Partei betroffen ist (lit. a); gegen den Entscheid die Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht offen steht (lit. b); und die Parteien im schweizerischen Handelsregister oder in einem vergleichbaren ausländischen Register eingetragen sind (lit. c). Diese drei Voraussetzungen müssen nach dem Gesetzeswortlaut kumulativ gegeben sein, damit eine handelsrechtliche Streitigkeit i.S. von Art. 6 Abs. 1 ZPO vorliegt (vgl. auch Votum Wicki, AB 2007 S 504).
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"Ist nur die beklagte Partei im schweizerischen Handelsregister oder in einem vergleichbaren ausländischen Register eingetragen, sind aber die übrigen Voraussetzungen erfüllt, so hat die klagende Partei die Wahl zwischen dem Handelsgericht und dem ordentlichen Gericht."
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Dieses sog. Klägerwahlrecht der nicht im Handelsregister eingetragenen Partei wurde in der parlamentarischen Beratung auf Antrag der Rechtskommission des Ständerates in das Gesetz eingefügt (vgl. AB 2007 S 504 sowie 2008 N 641 ff.), während es im Entwurf des Bundesrates noch nicht vorgesehen war (vgl. Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, BBl 2006, 7221 ff., 7261 und 7415; zur Gesetzgebungsgeschichte eingehend auch SCHWALLER/NÄGELI, Die Zuständigkeit der Handelsgerichte gemäss Art. 6 Abs. 3 ZPO, Jusletter 14. November 2011 Rz. 36-44). Wie die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid unter Verweis auf die vertraulichen Kommissionsprotokolle zutreffend darlegt, sollte mit Art. 6 Abs. 3 ZPO die unter dem kantonalen Recht geltende Regelung der Zuständigkeit beibehalten werden.
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2.3 Das Klägerwahlrecht steht einer nicht im Handelsregister eingetragenen Partei nach Art. 6 Abs. 3 ZPO zu, wenn "die übrigen Voraussetzungen erfüllt" sind. Dieser Verweis auf die übrigen Voraussetzungen wird in der herrschenden Lehre auf Art. 6 Abs. 2 ZPO bezogen, wo die handelsrechtliche Streitigkeit durch den Eintrag der beklagten Partei im Handelsregister sowie den Zusammenhang mit deren geschäftlicher Tätigkeit (lit. a) und durch die Zulässigkeit der Beschwerde an das Bundesgericht (lit. b) definiert wird (DAVID RÜETSCHI, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2010, N. 29 zu Art. 6 ZPO; DOMINIK VOCK, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, N. 15 zu Art. 6 ZPO; HAAS/SCHLUMPF, in: ZPO, Kurzkommentar, Oberhammer [Hrsg.], 2010, N. 11 zu Art. 6 ZPO; SCHWALLER/NÄGELI, a.a.O., Rz. 47 f.; BERNHARD BERGER, Verfahren vor dem Handelsgericht: ausgewählte Fragen, praktische Hinweise, ZBJV 148/2012 S. 474). Dies bedeutet namentlich eine Ausdehnung der sachlichen Zuständigkeit von Handelsgerichten auf Konsumentenstreitigkeiten, beispielsweise die Klage eines Konsumenten gegen einen im Handelsregister eingetragenen Anbieter (ISAAK MEIER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 61), eines Unfallopfers gegen eine Versicherungsgesellschaft oder einer Bankkundin gegen die Bank, die ihr Vermögen verwaltet (LEUENBERGER/UFFER-TOBLER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2010, Rz. 2.137; TOYLAN SENEL, Das handelsgerichtliche Verfahren nach der neuen Schweizerischen Zivilprozessordnung, 2011, Rz. 281; ALEXANDER BRUNNER, Zur Auswahl der Handelsrichter nach ihrem Fachwissen, SJZ 105/2009 S. 322).
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Ein Autor vertritt freilich die Ansicht, die Zuständigkeit nach Art. 6 Abs. 3 ZPO setze voraus, dass es sich beim Streitgegenstand um eine "handelsrechtliche Streitigkeit" im materiellen Sinne handle, also um eine geschäftliche Streitigkeit unter Kaufleuten bzw. Unternehmen unter Ausschluss von Konsumenten-, Arbeits- oder Mietstreitigkeiten (ALEXANDER BRUNNER, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Kommentar [im Folgenden: Kommentar], Brunner und andere[Hrsg.], 2011, N. 28 ff. zu Art. 6 ZPO; ders., Was ist Handelsrecht?, AJP 2010 S. 1536 ff.; ders., Das Doppelinstanzprinzip und seine scheinbar unbegrenzten Umgehungsmöglichkeiten nach Art. 6 Abs. 3 ZPO, SJZ 108/2012 S. 27 f.; ders., Die Beschwerde [Art. 319-327 ZPO], insbesondere die Beschwerdegründe, in: Haftpflichtprozess2012, Fellmann/Weber [Hrsg.], 2012, S. 56 ff.; anders aber noch ders., Zur Auswahl der Handelsrichter nach ihrem Fachwissen, SJZ 105/2009 S. 322). Nach dieser Auffassung beschränkt sich der Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 3 ZPO auf Parteien, die zwar ein Unternehmen betreiben, aber nicht oder noch nicht im Handelsregister eingetragen sind, z.B. (nicht eintragungspflichtige) Einzelunternehmen ohne Registereintrag sowie Personengemeinschaften im Gründungsstadium von Handelsgesellschaften (BRUNNER, Kommentar, a.a.O., N. 32 ff. zu Art. 6 ZPO).
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Diese Lehrmeinung, der sich die Minderheit der Vorinstanz in ihrem begründeten Votum angeschlossen hat, hält dafür, dass der Bundesgesetzgeber mit Art. 6 Abs. 3 ZPO den Zuständigkeitsbereich der Handelsgerichte gegenüber dem früheren kantonalen Recht geändert habe. Sie legt Gewicht darauf, dass namentlich die Rechtsvermutung des früheren Zürcher Prozessrechts nicht übernommen worden sei, wonach jede Rechtsbeziehung im Rahmen der geschäftlichen Tätigkeit eines Unternehmens - insbesondere auch der Konsumentinnen und Konsumenten - als "handelsrechtlich" gelte.
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2.6 Der bundesrechtliche Begriff der handelsrechtlichen Streitigkeiten, für welche die Kantone nach Art. 6 Abs. 1 ZPO eine einzige kantonale Instanz zuständig erklären können, wird in Art. 6 Abs. 2 ZPO definiert (vgl. STEPHEN V. BERTI, Einführung in die Schweizerische Zivilprozessordnung, 2011, § 6 N. 160). Danach ist neben dem vorliegend nicht weiter wesentlichen Merkmal der Beschwerdefähigkeit des Entscheides (lit. b) erforderlich, dass die Streitigkeit die geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Partei betrifft und dass die Parteien im Handelsregister eingetragen sind. Wenn nun im unmittelbar anschliessenden Absatz 3 der Norm der Fall geregelt wird, dass nur die beklagte Partei im Register eingetragen ist, so spricht die Systematik der Regelung dafür, dass sich die Ausnahme auf Abs. 2 lit. c bezieht. Die übrigen Voraussetzungen, welche in Absatz 2 genannt werden, damit eine handelsgerichtliche Streitigkeit vorliegt, müssen danach erfüllt sein. Wenn die Streitigkeit die geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Partei - namentlich der im Handelsregister eingetragenen beklagten Partei - betrifft und die Beschwerde ans Bundesgericht offensteht, hat eine Partei nach der Systematik der Regelung in Art. 6 ZPO die Wahl zwischen dem ordentlichen Gericht oder dem Handelsgericht, wenn sie selbst nicht im Handelsregister eingetragen ist.
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2.8 Entgegen der im Minderheitsvotum der Vorinstanz geäusserten Ansicht lassen sich auch für eine einschränkende Auslegung der Ausnahmebestimmung auf nicht im Register eingetragene Kläger mit Unternehmereigenschaft keine überzeugenden Argumente anführen. Wenn Art. 6 Abs. 3 ZPO einzig eine Erweiterung der sachlichen Zuständigkeit des Handelsgerichts für ausnahmsweise nicht im Handelsregister eingetragene Unternehmen statuieren wollte, müsste der Wortlaut dahin gehend lauten, dass Klägern, welche nicht im Register eingetragen sind, aber ein nach kaufmännischen Grundsätzen geführtes Unternehmen betreiben, ebenfalls der Weg ans Handelsgericht offensteht. In Art. 6 Abs. 3 ZPO wird jedoch in ganz allgemeiner Weise dem nicht im Register eingetragenen Kläger ein Wahlrecht eingeräumt. Darin kann keine - allenfalls einschränkend zu interpretierende - Ausnahme von der sachlichen Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für weitere Handelsstreitigkeiten gesehen werden, sondern es handelt sich um eine eigentliche Wahlmöglichkeit, die der nicht im Handelsregister eingetragenen Partei neben der ordentlichen Gerichtsbarkeit eine zusätzliche Option bereitstellt.
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2.9 Schliesslich bestätigt die Entstehungsgeschichte von Art. 6 Abs. 3 ZPO, dass der Gesetzgeber mit der Wahlmöglichkeit der nicht im Handelsregister eingetragenen Klagpartei eine zusätzliche Option für Nicht-Kaufleute schaffen wollte. Die Vorinstanz weist im angefochtenen Urteil unter Beizug der vertraulichen Kommissionsprotokolle zutreffend darauf hin, dass es dem Gesetzgeber um eine Erweiterung der sachlichen Zuständigkeit der Handelsgerichte für klagende Nicht-Kaufleute ging, wie sie die früheren Prozessordnungen der Handelsgerichtskantone Aargau, Bern und Zürich in der einen oder anderen Variante kannten (dazu eingehend SCHWALLER/NÄGELI, a.a.O., Rz. 19-26). Für eine bestimmte zusätzliche Einschränkung wie etwa den Ausschluss mehr oder weniger klar definierter "Konsumenten"-Streitigkeiten bestehen keinerlei Hinweise und die Minderheit der Vorinstanz belegt denn auch ihre Ansicht nicht, dass die Wahlmöglichkeit nach Art. 6 Abs. 3 ZPO für Konsumenten, Arbeitnehmer und Mieter nach dem Willen des Gesetzgebers generell nicht zur Verfügung stehen sollte. Im Gegenteil spricht die diametrale Abkehr vom bundesrätlichen Entwurf, der das Wahlrecht von nicht im Handelsregister eingetragenen Klägern u.a. mit der Begründung nicht vorsah, dass "sonst Konsumentenstreitigkeiten bei einem Streitwert von über 30'000 Franken - z.B. aus Kauf eines privaten Personenwagens - plötzlich der Handelsgerichtsbarkeit unterstehen würde" (Botschaft a.a.O., BBl 2006 7261), gerade für die Ausdehnung auf solche Streitigkeiten (vgl. auch SCHWALLER/NÄGELI, a.a.O., Rz. 42).
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2.11 Wenn die Minderheit der Vorinstanz und der Beschwerdeführer als unerwünscht erachten, dass Rechtsfragen des Konsumrechts in die Zuständigkeit des Handelsgerichts fallen, so verkennen sie, dass die Option für Konsumentinnen und Konsumenten vom Gesetzgeber klar gewollt war und im zutreffend verstandenen Art. 6 Abs. 3 ZPO auch deutlich zum Ausdruck gelangt. Wenn die Streitigkeit die geschäftliche Tätigkeit der im Handelsregister eingetragenen Partei betrifft, so kann - sofern die Beschwerde ans Bundesgericht offensteht, also insbesondere der entsprechende Streitwert erreicht ist - auch ein Konsument oder eine Konsumentin die Streitigkeit vor das Handelsgericht tragen. Demgegenüber steht einer im Handelsregister eingetragenen Partei die Wahl des ordentlichen Gerichts mit doppeltem Instanzenzug in den Kantonen mit Handelsgericht nicht offen. Nur wenn die Streitigkeit die geschäftliche Tätigkeit der beklagten Partei nicht betrifft, sind die "übrigen Voraussetzungen" nach Art. 6 Abs. 2 ZPO insofern nicht erfüllt und steht der klagenden Partei die Wahlmöglichkeit nach Art. 6 Abs. 3 ZPO nicht offen.
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3. Die Beschwerdegegnerin ist nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz eine Privatperson, die eine Zivilforderung gegen den im Handelsregister eingetragenen Beschwerdeführer einklagt, die sie aus dessen geschäftlicher Tätigkeit als Vermögensverwalter herleitet. Sie kann sich somit auf das Wahlrecht stützten, das ihr Art. 6 Abs. 3 ZPO verleiht und ihre Forderung gegen den im Kanton Zürich domizilierten Beschwerdeführer vor dem Handelsgericht einklagen. Die Vorinstanz hat ihre sachliche Zuständigkeit zu Recht bejaht. Die dem Beschwerdeführer im angefochtenen Beschluss angesetzte Frist für die Klageantwort wird vom Handelsgericht neu festzusetzen sein, zumal der Beschwerde die aufschiebende Wirkung gewährt wurde.
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