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50. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y. (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_352/2013 vom 22. August 2013 | |
Regeste |
Art. 106 Abs. 1 und Art. 107 Abs. 1 lit. c ZPO; Kostenverteilung im Scheidungsverfahren. | |
Sachverhalt | |
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Hinsichtlich der Kostenliquidation beantragte X. darauf hin, die Gerichtskosten Y. aufzuerlegen und ihn zu verurteilen, ihr eine Parteientschädigung von Fr. 8'000.- zu bezahlen. Y. beantragte, die Gerichtskosten zu halbieren und die Parteikosten wettzuschlagen.
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Mit Verfügung vom 7. Januar 2013 stellte der Gerichtspräsident des Regionalgerichts den Klagerückzug fest und schrieb das Verfahren als gegenstandslos ab. Die Gerichtskosten von Fr. 3'436.- ![]() | 3 |
B. Am 20. Januar 2013 erhob X. im Kostenpunkt Beschwerde an das Obergericht des Kantons Bern. Sie verlangte, die Gerichtskosten Y. aufzuerlegen und ihn zur Bezahlung einer Parteientschädigung von Fr. 8'000.- (inkl. MwSt) zu verpflichten.
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Mit Entscheid vom 8. April 2013 wies das Obergericht die Beschwerde kostenfällig ab.
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C. Am 13. Mai 2013 hat X. (Beschwerdeführerin) Beschwerde in Zivilsachen und eventuell subsidiäre Verfassungsbeschwerde an das Bundesgericht erhoben. Sie verlangt die Aufhebung des Entscheids des Obergerichts und beantragt, die erstinstanzlichen Gerichtskosten Y. (Beschwerdegegner) aufzuerlegen und ihn zur Bezahlung einer Parteientschädigung von Fr. 8'000.- (inkl. MwSt) zu verpflichten. Desgleichen verlangt sie, ihm die obergerichtlichen Gerichtskosten aufzuerlegen und ihn zur Bezahlung einer Parteientschädigung von Fr. 1'400.- (inkl. MwSt) zu verurteilen.
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Das Obergericht beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Der Beschwerdegegner ersucht um Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, auferlegt dem Beschwerdegegner die Gerichtskosten des kantonalen Verfahrens und verpflichtet ihn, die Beschwerdeführerin für das kantonale Verfahren zu entschädigen. Zur Bestimmung dieser Parteientschädigungen weist es die Sache an das Obergericht zurück.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
2. Nach Ansicht des Obergerichts sind die Kosten im Scheidungsverfahren stets nach Ermessen (Art. 107 Abs. 1 lit. c ZPO) zu verteilen, also auch dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - die klagende Partei die Klage zurückgezogen hat. Bereits die frühere Zivilprozessordnung des Kantons Bern (Gesetz vom 7. Juli 1918 über die Zivilprozessordnung) habe in Art. 58 eine Möglichkeit zur ermessensweisen Kostenverteilung enthalten. Die Verteilung abweichend vom Unterliegerprinzip (wie es in Art. 106 Abs. 1 ZPO zum Ausdruck komme) solle die Parteien veranlassen, ![]() | 10 |
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Unzulässig ist es jedenfalls, unter Berufung auf die Ermessensbestimmung von Art. 107 ZPO eine bisherige kantonale Regelung und Praxis einfach weiterzuführen. Die Rechtsanwendung muss vor der eidgenössischen ZPO standhalten und an diesem Massstab entscheidet sich, ob eine Anordnung, die im Ergebnis einer früheren kantonalen Regelung oder Praxis entspricht, zulässig ist oder nicht. Nach seinem klaren Wortlaut ist Art. 107 ZPO eine "Kann"-Bestimmung. Das Gericht verfügt im Anwendungsbereich dieser Norm nicht nur über Ermessen, wie es die Kosten verteilen will, sondern zunächst und insbesondere bei der Frage, ob es überhaupt von den allgemeinen Verteilungsgrundsätzen nach Art. 106 ZPO abweichen will. Im Zusammenhang mit Art. 107 Abs. 1 lit. c ZPO ist allerdings ![]() | 12 |
Auch den Materialien lässt sich dazu nichts Entscheidendes entnehmen: Art. 107 ZPO geht auf Art. 98 des Vorentwurfs der ZPO (VE-ZPO) zurück und der letztgenannte Artikel enthielt gemäss seinem deutschen und französischen Wortlaut die "Kann"-Formulierung noch nicht. Stattdessen sah er vor, dass das Gericht die Kosten in den aufgezählten Fällen nach Ermessen verteilt, d.h. also, dass das Gericht die Kosten in diesen Fällen immer nach Ermessen verteilen muss (vgl. dazu auch FANKHAUSER, a.a.O., S. 755 Fn. 7). Allerdings enthielt die italienische Fassung von Art. 98 VE-ZPO bereits die "Kann"-Formulierung. Die "familienrechtlichen Verfahren" waren allerdings noch nicht Gegenstand von Art. 98 VE-ZPO. Art. 105 des Entwurfs zur ZPO (E-ZPO) enthielt dann, wie der geltende Art. 107 ZPO, in allen Fassungen die "Kann"-Formulierung ![]() | 13 |
Die Vorinstanz hat angeführt, die generelle Unterstellung des Rückzugs der Scheidungsklage unter Art. 107 ZPO sei auch dadurch gerechtfertigt, dass sonst ein Anreiz für die klagende Person zur Einigung bzw. Versöhnung wegfallen würde. Dem kann nicht gefolgt werden: Die Vorinstanz weist zwar zu Recht darauf hin, dass das Scheidungsrecht und das entsprechende Verfahrensrecht die Einigung der Ehegatten über die Scheidung und ihre Folgen begünstigt. Dies hat aber nichts mit der Frage zu tun, wie die Kosten zu verteilen sind, wenn es nach Einreichung einer Scheidungsklage nicht zu einer solchen Einigung (und gegebenenfalls der Weiterführung des Scheidungsverfahrens als solchem auf gemeinsames Begehren) kommt, sondern zu einem Klagerückzug. Auch ein wesentlicher Zusammenhang mit den Aussichten auf eine Versöhnung (also dem ![]() | 14 |
Angesichts dessen, dass das Gesetz die Kostenverteilung bei Klagerückzug ausdrücklich in Art. 106 Abs. 1 ZPO regelt und dass es sich bei Art. 107 ZPO um eine blosse "Kann"-Bestimmung handelt, muss deshalb davon ausgegangen werden, dass die Kosten bei Rückzug der Scheidungsklage grundsätzlich der klagenden Partei aufzuerlegen sind. Die blosse Tatsache, dass es sich um ein familienrechtliches Verfahren handelt, vermag ein Abrücken von der klaren Regelung von Art. 106 Abs. 1 ZPO noch nicht zu rechtfertigen. Insbesondere ist die vorliegende Konstellation weder mit einem durch materielles Urteil abgeschlossenen Scheidungsverfahren vergleichbar, bei dem es allenfalls schwierig ist, von unterliegender und obsiegender Partei zu sprechen, noch lässt sie sich mit einer Scheidung auf gemeinsames Begehren vergleichen, wo die Einleitung des gerichtlichen Verfahrens von den Ehegatten gemeinsam veranlasst wird. Vorliegend hat vielmehr der Beschwerdegegner das Verfahren selber eingeleitet und danach auch wieder parteiautonom beendet. Dass der Beschwerdeführerin für den einen oder anderen Entscheid des Beschwerdegegners eine Mitverantwortung zuzuordnen wäre, die sich kostenmässig auswirken müsste, lässt sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen. Auch andere Gründe, die vorliegend für eine Abweichung von Art. 106 Abs. 1 ZPO sprechen könnten, nennt das Obergericht keine. Es muss deshalb bei der Grundregel bleiben, dass der Beschwerdegegner als unterliegend gilt und die Prozesskosten zu tragen hat. Er trägt demnach die erstinstanzlichen Gerichtskosten und hat der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung für das erstinstanzliche Verfahren zu entrichten. Da das Obergericht die Höhe der vollständigen Parteientschädigung an die Beschwerdeführerin für das erstinstanzliche Verfahren noch nicht bestimmt hat, ist die Angelegenheit zu diesem Zwecke an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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