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52. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A.X. und B.X. gegen Politische Gemeinde Y. (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_689/2012 vom 3. Juli 2013 | |
Regeste |
Art. 329 Abs. 3 ZGB; Verwandtenunterstützung, Verfahrensart. | |
Sachverhalt | |
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B. Am 15. Juni 2011 leitete die Politische Gemeinde Y. (Beschwerdegegnerin) beim Kreisgericht St. Gallen gegen die Beschwerdeführer ein Verfahren auf Bezahlung von Verwandtenunterstützungsbeiträgen ein. Sie verlangte für die Unterstützung von C. und deren Tochter D. für die Zeit vom 1. März 2010 bis 28. Februar 2011 einen Betrag von Fr. 23'037.90 und für die Zukunft monatlich Fr. 1'795.-. Die Beschwerdeführer beantragten die Abweisung der Klage, soweit auf sie einzutreten sei.
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An der Instruktionsverhandlung vom 28. September 2011 verlangten die Beschwerdeführer die Fällung eines Zwischenentscheides über die anzuwendende Verfahrensart. Mit Entscheid vom 7. November 2011 entschied die Einzelrichterin des Kreisgerichts, die Streitsache sei im vereinfachten Verfahren zu beurteilen.
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D. Die Beschwerdeführer haben am 14. September 2012 Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Sie beantragen die Aufhebung des Entscheids des Kantonsgerichts vom 3. August 2012 und die Feststellung, dass die Streitsache im ordentlichen Verfahren zu beurteilen sei.
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Die Beschwerdegegnerin hat sich nicht vernehmen lassen und das Kantonsgericht hat auf Stellungnahme verzichtet.
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Aus den Erwägungen: | |
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2.2 Gegenstand des vor dem Kreisgericht hängigen Verfahrens ist einzig der Anspruch von C. auf Verwandtenunterstützung. Dieser wird von der Beschwerdegegnerin geltend gemacht, da sie C. Sozialhilfeleistungen ausgerichtet hat (Art. 329 Abs. 3 i.V.m. Art. 289 Abs. 2 ZGB). C. (geb. 1990) ist volljährig und war dies bereits zu Beginn der Zeit, auf den die Beschwerdegegnerin ihre Forderung bezieht. Dass C. statt eines Anspruchs auf Verwandtenunterstützung einen Anspruch auf Volljährigenunterhalt im Sinne von Art. 277 Abs. 2 ZGB (vgl. Art. 328 Abs. 2 ZGB) haben könnte und die Beschwerdegegnerin nun diesen geltend machen würde, lässt sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen und wird vor Bundesgericht nicht behauptet. Entgegen dem durch die Klage erweckten Eindruck macht die Beschwerdegegnerin nicht zusätzlich den Anspruch von D. geltend. Wie sich den in den Akten liegenden Abrechnungen entnehmen lässt, wurde der Aufwand für D. nicht gesondert berechnet (einzig KVG- und VVG-Prämien lassen sich ihr zuordnen), sondern in denjenigen ihrer Mutter C. einbezogen. Somit geht es nachfolgend um die Frage, welches Verfahren für den Verwandtenunterstützungsanspruch einer volljährigen Person gilt, der zudem nicht ![]() | 9 |
Erwägung 3 | |
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Wer in günstigen Verhältnissen lebt, ist verpflichtet, Verwandte in auf- und absteigender Linie zu unterstützen, die ohne diesen Beistand in Not geraten würden (Art. 328 Abs. 1 ZGB). Art. 329 Abs. 3 ZGB sieht vor, dass die Bestimmungen über die Unterhaltsklage des Kindes und über den Übergang seines Unterhaltsanspruches auf das Gemeinwesen entsprechende Anwendung finden.
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Art. 329 Abs. 3 ZGB verweist demnach auf die Bestimmungen über die Unterhaltsklage des Kindes in Art. 279 ff. ZGB. Vor Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung am 1. Januar 2011 war das Verfahren der Unterhaltsklage in aArt. 280 ZGB (AS 1977 245) geregelt. Abs. 1 von aArt. 280 ZGB schrieb den Kantonen für Streitigkeiten über die Unterhaltspflicht ein einfaches und rasches Verfahren vor. Gemäss Abs. 2 dieser Bestimmung erforschte das Gericht den Sachverhalt von Amtes wegen (sog. unbeschränkter Untersuchungsgrundsatz) und würdigte die Beweise nach freier Überzeugung. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung galt zudem im Rahmen von aArt. 280 ZGB für den Kinderunterhalt grundsätzlich keine Bindung des Richters an Parteianträge (Offizialmaxime; BGE 118 II 93 E. 1a S. 94 ff.).
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Dass sich der Verweis in Art. 329 Abs. 3 ZGB auf das einfache und rasche Verfahren gemäss aArt. 280 Abs. 1 ZGB bezog, wurde - soweit ersichtlich - nie bezweifelt (vgl. ALBERT BANZER, Die Verwandtenunterstützungspflicht nach Art. 328/329 ZGB, 1979, S. 195; CYRIL HEGNAUER, Grundriss des Kindesrechts, 5. Aufl. 1999, Rz. 29.14 [nachfolgend: Grundriss]; TUOR/SCHNYDER/RUMO-JUNGO, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 13. Aufl. 2009, § 46 Rz. 4). Gemäss BGE 136 III 1 E. 5 S. 5 galt im Verfahren der Geltendmachung von Verwandtenunterstützungsbeiträgen gestützt auf Art. 329 Abs. 3 i.V.m. aArt. 280 Abs. 2 ZGB ausserdem die Untersuchungsmaxime. In der Lehre wurde allerdings auch die Ansicht vertreten, dass das Verfahren der Verwandtenunterstützung der Untersuchungs- und der Offizialmaxime nicht unterstehe (HAUSHEER/KOCHER, in: Handbuch des Unterhaltsrechts, 1997, N. 11.07, wo zwar nur von der Offizialmaxime gesprochen wird, aber offenbar beide Prozessgrundsätze gemeint sind; hingegen beziehen BANZER, a.a.O., S. 196; HEGNAUER, ![]() | 13 |
Mit Inkrafttreten der ZPO wurde Art. 280 ZGB aufgehoben. Art. 329 Abs. 3 ZGB blieb hingegen unverändert bestehen. Das Verfahren vor kantonalen Instanzen in streitigen Zivilsachen ist nunmehr in der ZPO geregelt (Art. 1 lit. a ZPO). Während Art. 219 ff. ZPO das ordentliche Verfahren als Verfahrensgrundtypus normieren, gilt gemäss Art. 243 ZPO das vereinfachte Verfahren für vermögensrechtliche Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von Fr. 30'000.- und ohne Rücksicht auf den Streitwert in gewissen, in Abs. 2 dieser Norm aufgezählten Streitigkeiten. Darüber hinaus ist für Kinderbelange in familienrechtlichen Angelegenheiten in Art. 295 ZPO für selbständige Klagen das vereinfachte Verfahren vorgesehen. Dabei gelten der uneingeschränkte Untersuchungsgrundsatz (Erforschung des Sachverhalts von Amtes wegen) und der Offizialgrundsatz (Art. 296 Abs. 1 und 3 ZPO). Im "normalen" vereinfachten Verfahren gemäss Art. 243 ff. ZPO gilt der beschränkte Untersuchungsgrundsatz (Feststellung des Sachverhalts von Amtes wegen) zwar in zahlreichen, aber nicht in allen Materien (Art. 247 Abs. 2 ZPO) und zum Offizialgrundsatz äussern sich Art. 243 ff. ZPO nicht ausdrücklich (vgl. auch Art. 58 ZPO).
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3.2 Massgebend für jede Auslegung ist in erster Linie der Wortlaut der fraglichen Bestimmung. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, so muss nach der wahren Tragweite der Bestimmung gesucht werden, wobei alle Auslegungselemente zu berücksichtigen sind (Methodenpluralismus). Dabei kommt es namentlich auf die Entstehungsgeschichte, auf den Zweck der Norm, auf die ihr zugrunde liegenden Wertungen und auf den Sinnzusammenhang an, in dem die Norm steht. Die Gesetzesmaterialien sind zwar nicht unmittelbar entscheidend, dienen aber als ![]() | 16 |
Erwägung 3.3 | |
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Der Gesetzgebungsgeschichte der ZPO lässt sich Folgendes entnehmen: Der Vorentwurf der Expertenkommission vom Juni 2003 (VE-ZPO) unterstellte Streitigkeiten aus Verwandtenunterstützung noch ausdrücklich dem vereinfachten Verfahren (Art. 237 lit. e VE-ZPO), ebenso im Übrigen selbständige Klagen aus der Unterhaltspflicht ![]() | 18 |
Art. 239 des Entwurfs zur Zivilprozessordnung (E-ZPO), der den Geltungsbereich des vereinfachten Verfahrens enthielt, nannte die Verwandtenunterstützung dann nicht mehr. Eine Änderung von Art. 329 Abs. 3 ZGB war im Entwurf nicht mehr vorgesehen. Auch die selbständigen Klagen aus der Unterhaltspflicht der Eltern für ihr Kind waren im Katalog von Art. 239 E-ZPO nicht mehr enthalten. Hingegen verwies der neue Art. 290 E-ZPO (der dem heutigen Art. 295 ZPO entspricht) selbständige Klagen in Kinderbelangen in das vereinfachte Verfahren. Wieso die Verwandtenunterstützung bei den Verfahrensarten nicht mehr ausdrücklich im E-ZPO genannt wurde, lässt sich der Botschaft nicht entnehmen. Allerdings verweist sie auf Art. 290 E-ZPO und führt aus, das vereinfachte Verfahren gelte auch für die selbständigen Klagen in Kinderbelangen. Insbesondere gelte das vereinfachte Verfahren also für eine Unterhaltsklage des Kindes gegen seine Eltern und für Klagen aus der ![]() | 19 |
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Sodann äussern sich die Materialien nicht zum vorliegend interessierenden Fall, dass der Anspruch einer volljährigen Person strittig ist. Falls er nach Ansicht des Gesetzgebers (über den Verweis in Art. 329 Abs. 3 ZGB) unter Art. 295 f. ZPO fallen sollte, so würde ![]() | 21 |
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Dabei ist Zurückhaltung geboten beim Schluss, dass Art. 329 Abs. 3 ZGB überhaupt einen Verweis auf die ZPO enthalten könnte. Eines der Ziele der ZPO war nämlich, das materielle Recht möglichst von prozessualen Vorschriften zu befreien und Letztere grundsätzlich in die ZPO zu überführen. Das Zivilprozessrecht sollte demnach soweit möglich in einem Erlass kodifiziert werden (Botschaft ZPO, BBl 2006 7237 Ziff. 2.2 und 7407 Ziff. 5.27). Diese Absicht des Gesetzgebers ist bei der Auslegung von Bestimmungen, die sich in materiellrechtlichen Erlassen finden, zu berücksichtigen. Soweit nichts anderes geboten ist, muss davon ausgegangen werden, dass die ZPO das Verfahrensrecht abschliessend regelt und Normen in materiellrechtlichen Erlassen keinen verfahrensrechtlichen Gehalt mehr aufweisen. Dass es nun - bei volljährigen Klägern - nicht geboten ist, in Art. 329 Abs. 3 ZGB einen Verweis auf Art. 295 f. ZPO zu sehen, wurde soeben ausgeführt. Allerdings wäre es denkbar, den Verweis in Art. 329 Abs. 3 ZGB für die Klage des Volljährigen zwar als Verweis auf Art. 295 ZPO zu verstehen, aber diejenigen prozessualen Besonderheiten von Art. 295 f. ZPO nicht anzuwenden, die auch im früheren Recht für die Klage des Volljährigen gemäss Rechtsprechung und Lehre nicht galten (vgl. STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND, Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2013, § 10 Rz. 32 f., die sich für die Weitergeltung der bisherigen Einschränkungen ![]() | 23 |
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Die mit dem vereinfachten Verfahren verbundenen Abweichungen vom ordentlichen Verfahren (z.B. hinsichtlich der Form der Klage [Art. 244 ZPO] oder der verstärkten Fragepflicht [Art. 247 Abs. 1 ZPO]) haben zunächst prozessökonomische Funktion (Entlastung von Parteien und Gerichten, Prozessbeschleunigung), dienen dem Schutz der schwächeren Partei (soziale Funktion) und sollen das Verfahren allgemein laienfreundlich gestalten (zum Ganzen Botschaft ZPO, BBl 2006 7345 Ziff. 5.16; LAURENT KILLIAS, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2012, N. 12 zu Art. 243 ZPO). Bei der Unterhaltsklage des Kindes werden im Interesse des Kindeswohls diese Schutzgedanken durch die Anordnung des unbeschränkten Untersuchungs- und des Offizialgrundsatzes (Art. 296 ZPO) noch verstärkt (vgl. Botschaft ZPO, BBl 2006 7366 Ziff. 5.21 zu Art. 290 und 291 E-ZPO), wobei die Unterschiede zum "normalen" vereinfachten Verfahren (gemäss Art. 243 ff. ZPO) oder sogar zum ordentlichen Verfahren (Art. 219 ff. ZPO) auch ![]() | 25 |
Dass der Volljährige, der Unterhalts- (oder eben Verwandten-) Unterstützungsbeiträge verlangt, keines derart ausgebauten prozessualen Schutzes bedarf, wurde in BGE 118 II 93 bereits dargelegt (vgl. GLOOR, a.a.O., Rz. 11.44 f.; HEGNAUER, BK, a.a.O., N. 112 zu Art. 279/280 ZPO; SPYCHER, a.a.O., N. 15 zu Art. 295 ZPO). Klagt der volljährige Unterstützungsbedürftige selber, so kann seiner finanziellen Schwäche und allfälligen prozessualen Unerfahrenheit durch Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands ein Stück weit abgeholfen werden. Sehr häufig klagt allerdings ohnehin nicht die unterstützungsberechtigte Person selber, sondern wie vorliegend eine Gemeinde, die in den entsprechenden Anspruch subrogiert ist (Art. 329 Abs. 3 i.V.m. Art. 289 Abs. 2 ZGB; BGE 133 III 507 E. 5.2 S. 510). In solchen Fällen gilt erst recht, dass die klagende Partei prozessual nicht schutzbedürftig ist. Es ist nicht Aufgabe des sozialen Zivilprozesses, öffentlichen Gemeinwesen zu ihrem Recht zu verhelfen (vgl. HEGNAUER, BK, a.a.O., N. 112 zu Art. 279/280 ZPO; SPYCHER, a.a.O., N. 15 zu Art. 295 ZPO). Es besteht in dieser Konstellation auch kein Bedarf nach einem besonders raschen Verfahren oder danach, die familiären Beziehungen möglichst wenig zu belasten, da auf Klägerseite gar kein Familienmitglied auftritt. Desgleichen sind die Beklagten nicht schutzbedürftig: Um Aussicht auf Erfolg zu haben, muss sich die Klage gegen eine Person richten, die in günstigen Verhältnissen lebt (Art. 328 Abs. 1 ZGB). Solche Personen bedürfen keines speziellen prozessualen Schutzes.
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