BGE 140 III 105 | |||
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19. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde KESB Thun (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_236/2014 vom 11. April 2014 | |
Regeste |
Art. 426 Abs. 1, Art. 431 und 450e Abs. 3 ZGB; fürsorgerische Unterbringung; Gutachten der sachverständigen Person. | |
Sachverhalt | |
A. Am 8. August 2013 ordnete die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Thun gestützt auf Art. 426 ZGB die fürsorgerische Unterbringung von X. in der Einrichtung D. an. Das in einem früheren Verfahren eingeholte Gutachten des Psychiatriezentrums C. (PZM) vom 12. Oktober 2012 hält fest, dass X. sowohl die Kriterien des gesetzlichen Schwächezustandes der Geistesschwäche als auch der Trunksucht erfülle.
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B. Mit Verfügung vom 6. Februar 2014 bestätigte die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Thun im Rahmen der periodischen Überprüfung die fürsorgerische Unterbringung. Dagegen beschwerte sich X. beim Obergericht des Kantons Bern, Zivilabteilung, Kindes- und Erwachsenenschutzgericht. Das Obergericht hörte die Betroffene an. Zudem stellten die zum Spruchkörper gehörenden Fachrichter Dr. med. F. sowie Fachrichterin G. der Beschwerdeführerin Fragen. In den Akten des Verfahrens befinden sich der Austrittsbericht von Dr. med. E. vom 3. Juli 2013, der Arztbericht von Dr. med. B. vom 21. Juni 2013 betreffend ein früheres Verfahren sowie der Bericht der Einrichtung D. vom 4. Februar 2014. Mit Entscheid vom 20. Februar 2014 wies die angerufene Instanz die Beschwerde ab.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
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2.4 Das gestützt auf Art. 450e Abs. 3 ZGB einzuholende Gutachten hat sich insbesondere über den Gesundheitszustand der betroffenen Person, aber auch darüber zu äussern, wie sich allfällige gesundheitliche Störungen hinsichtlich der Gefahr einer Selbst- bzw. Drittgefährdung oder einer Verwahrlosung auswirken können und ob sich daraus ein Handlungsbedarf ergibt (BGE 137 III 289 E. 4.5). In diesem Zusammenhang interessiert insbesondere, ob ein Bedarf an der Behandlung einer festgestellten psychischen Erkrankung bzw. an Betreuung der betroffenen Person besteht. Wird ein Behandlungs- bzw. Betreuungsbedarf bejaht, ist weiter wesentlich, mit welcher konkreten Gefahr für die Gesundheit oder das Leben der betroffenen Person bzw. von Dritten zu rechnen ist, wenn die Behandlung der gutachterlich festgestellten Krankheit bzw. die Betreuung unterbleibt (zum Erfordernis der konkreten Gefahr: Urteile 5A_312/2007 vom 10. Juli 2007 E. 2.3; 5A_288/2011 vom 19. Mai 2011 E. 5.3). Im Weiteren ist durch den Gutachter Antwort darauf zu geben, ob aufgrund des festgestellten Handlungsbedarfs eine stationäre Behandlung bzw. Betreuung unerlässlich ist. Dabei hat der Experte auch darüber Auskunft zu geben, ob die betroffene Person über glaubwürdige Krankheits- und Behandlungseinsicht verfügt. Schliesslich hat der Experte zu beantworten, ob eine Anstalt zur Verfügung steht und wenn ja, warum die vorgeschlagene Anstalt infrage kommt (siehe zum Ganzen: BGE 140 III 101 E. 6.2.2 unter Hinweis auf BGE 137 III 289 E. 4.5; BGE 112 II 486 E. 4c S. 490; BGE 114 II 213 E. 7 S. 218 zur Geeignetheit der Einrichtung).
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2.7 Der Verwendung von Gutachten früherer Verfahren sind allein schon deshalb enge Grenzen gesetzt, weil sich der Gutachter zu den Fragen des konkreten Verfahrens zu äussern hat. Ist wie hier die Fortführung einer früher angeordneten fürsorgerischen Unterbringung zu prüfen und darüber zu befinden, ob die betroffene Person weiter in der Einrichtung zurückbehalten werden darf, so hat sich das nach Art. 450e Abs. 3 ZGB erforderliche Gutachten darüber zu äussern, ob und inwiefern in den im früheren bzw. ursprünglichen Gutachten festgestellten tatsächlichen Parametern (vgl. dazu E. 2.4) eine Änderung eingetreten ist. Aufgrund einer anderen Fragestellung kann somit nicht einfach auf das in einem früheren Verfahren eingeholte Gutachten des PZM vom 12. Oktober 2012 abgestellt werden (dazu: Urteil 5A_63/2013 vom 7. Februar 2013 E. 5.2, aArt. 397e Ziff. 5 ZGB betreffend). Der Austrittsbericht von Dr. med. E. vom 3. Juli 2013, der Arztbericht von Dr. med. B. vom 21. Juni 2013 betreffend ein früheres Verfahren sowie der Bericht der Einrichtung D. vom 4. Februar 2014 vermögen die an ein Gutachten gestellten Anforderungen nicht zu erfüllen. Dass ein Fachrichter den Beizug eines unabhängigen Gutachters nicht zu ersetzen vermag, hat das Bundesgericht in BGE 137 III 289 E. 4.4 S. 292 bereits klargestellt. Insgesamt erweist sich der angefochtene Entscheid und das ihm zugrunde liegende Verfahren unter dem Blickwinkel von Art. 450e Abs. 3 ZGB als bundesrechtswidrig.
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2.8 Dies führt zur teilweisen Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Die Sache ist zur Einholung eines den Vorgaben der bundesgerichtlichen Rechtsprechung konformen Gutachtens an die Vorinstanz zurückzuweisen. Dieser wird eine Frist von 30 Tagen ab Zustellung des begründeten bundesgerichtlichen Urteils gesetzt, um die Ergänzung des Sachverhalts aufgrund der bundesgerichtlichen Vorgaben vorzunehmen und neu zu entscheiden. Wird nicht innert dieser Frist entschieden, fällt die fürsorgerische Unterbringung ohne Weiteres dahin (vgl. dazu Urteil 5A_879/2012 vom 12. Dezember 2012). Die Vorinstanz wird überdies die Anforderungen an die Begründung des Entscheids im Lichte von Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG zu beachten haben (dazu: BGE 140 III 101 E. 6.2.3 mit Hinweis auf Urteil 5A_189/2013 vom 11. April 2013 E. 2.3 [in deutscher Sprache]).
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