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44. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen burgerliche Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_268/2014 vom 19. Juni 2014 | |
Regeste |
Art. 445 ZGB; Erwachsenenschutz; vorsorgliche Massnahmen ohne vorgängige Anhörung der Verfahrensbeteiligten; Beschwerdeweg. | |
Sachverhalt | |
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
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Von diesem Erfordernis der Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzugs hat die Rechtsprechung wenige Ausnahmen zugelassen. Das Bundesgericht tritt auf Beschwerden gegen den Entscheid ein, mit dem das Gericht die superprovisorische Einstellung der Betreibung auf Konkurs nach Zustellung der Konkursandrohung verweigert (Art. 85a Abs. 2 Ziff. 2 SchKG). Denn ist der Konkurs eröffnet, ![]() | 5 |
Im Gegensatz dazu bewirken superprovisorische Massnahmen des Erwachsenenschutzes in der Regel weder den endgültigen Verlust von Rechten noch die Gegenstandslosigkeit des kontradiktorischen Verfahrens vor der Erwachsenenschutzbehörde, in dem das superprovisorisch Angeordnete nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten durch Erlass einer vorsorglichen Massnahme bestätigt, geändert oder aufgehoben und damit ersetzt wird. Es bleibt deshalb festzuhalten, dass superprovisorische Massnahmen gemäss Art. 445 Abs. 2 ZGB mangels Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzugs der Beschwerde an das Bundesgericht grundsätzlich nicht unterliegen. Zu beachten ist allerdings, dass die Erwachsenenschutzbehörde im kontradiktorischen Verfahren prüft, ob die Voraussetzungen für die Anordnung oder den Fortbestand von vorsorglichen Massnahmen erfüllt sind. Weder beheben noch beseitigen kann die Erwachsenenschutzbehörde somit den hier geltend gemachten rechtlichen Nachteil, dass das Obergericht auf die Beschwerde gegen die superprovisorischen Massnahmen nicht eingetreten ist und dadurch das Verbot der formellen Rechtsverweigerung verletzt hat. Für diese Rüge ist die Letztinstanzlichkeit zu bejahen (BGE 134 III 524 E. 1.3 S. 527 f.; vgl. BERNARD CORBOZ, in: Commentaire de la LTF, 2. Aufl. 2014, N. 10 zu Art. 75 BGG, und zum bisherigen Recht: WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Aufl. 1994, S. 332 ff.).
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(...)
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2. Die Auslegung von Art. 445 ZGB hat die Frage zu beantworten, ob gegen vorsorgliche Massnahmen der Erwachsenenschutzbehörde ![]() | 8 |
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Anders als Art. 265 ZPO verwendet Art. 445 ZGB den Begriff "Superprovisorische Massnahmen" nicht, sondern unterscheidet zwischen vorsorglichen Massnahmen (Abs. 1) und vorsorglichen Massnahmen ohne vorgängige Anhörung (Abs. 2) und lässt gegen Entscheide über vorsorgliche Massnahmen die Beschwerde zu (Abs. 3). Mit Blick auf die fehlende begriffliche Unterscheidung könnte ![]() | 11 |
Soweit sich die Lehre zum Gesetzestext äussert, wird die Zulässigkeit der Beschwerde gegen superprovisorische Massnahmen gestützt auf den klaren Wortlaut bejaht (so FRANÇOIS BOHNET, Autorités et procédure en matière de protection de l'adulte, in: Le nouveau droit de la protection de l'adulte, 2012, N. 157 S. 87) oder aus der Systematik von Art. 445 ZGB abgeleitet (so HAUSHEER/GEISER/AEBI-MÜLLER, Das Familienrecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, 5. Aufl. 2014, S. 460 Rz. 19.86).
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Laut Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht) ist die Beschwerdemöglichkeit im Bereich des Kindes- und Erwachsenenschutzes - anders als in der zu jener Zeit ![]() | 14 |
Aus den Materialien muss geschlossen werden, dass die Möglichkeit einer Beschwerde gegen superprovisorische Massnahmen zu Beginn abgelehnt, gemäss der Botschaft aber bestehen soll. Sie ist danach auf die Voraussetzungen der superprovisorischen Massnahmen beschränkt, was im Gesetzeswortlaut allerdings nicht zum Ausdruck gekommen ist. Das Schrifttum folgt überwiegend den Ausführungen in der Botschaft ohne eigenständige Stellungnahme oder Würdigung (vgl. etwa DANIEL STECK, in: Erwachsenenschutz, 2013, N. 19 f. zu Art. 445 ZGB, und MEIER/LUKIC, Introduction au nouveau droit de la protection de l'adulte, 2011, N. 107 S. 49; je mit Hinweisen).
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2.5 Gegen die selbstständige Anfechtbarkeit superprovisorischer Massnahmen wird angeführt, dass bei deren Eröffnung bzw. Vollzug ![]() | 17 |
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2.6.1 Nach dem gesetzgeberischen Konzept soll die Wirkung der superprovisorischen Massnahme von beschränkter Dauer sein. Gemäss Art. 445 Abs. 2 ZGB ist mit dem Erlass der superprovisorischen Massnahme den am Verfahren beteiligten Personen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und anschliessend neu zu entscheiden. Die Begriffe "gleichzeitig" ("En même temps"; "Nel contempo") und "anschliessend" ("ensuite"; "in seguito") sind bei schweren Eingriffen in Persönlichkeitsrechte mit dem Begriff "unverzüglich" ("sans délai"; "senza indugio") im Sinne von Art. 265 Abs. 2 ZPO gleichzusetzen. Gerade in den Fällen, die eine Beschwerdemöglichkeit sachlich rechtfertigen könnten, dürfte die richtige Anwendung von Art. 445 Abs. 2 ZGB somit dazu führen, dass es gar nicht zur Beurteilung einer Beschwerde kommen kann, weil - wie die Botschaft hervorhebt - das Rechtsschutzinteresse bereits im Zeitpunkt entfällt, in ![]() | 19 |
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2.6.3 Schliesslich ist zu beachten, dass auch die superprovisorische Massnahme die Notwendigkeit einer Massnahme des Erwachsenenschutzes voraussetzt, deren Anordnung zusätzlich eine besondere Dringlichkeit verlangt. Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Massnahme lassen sich praktisch nicht trennen, so dass eine auf die besonderen Voraussetzungen des Superprovisoriums beschränkte oder beschränkbare Beschwerdemöglichkeit eher als theoretisch erscheint. Die Zulassung einer Beschwerde bereits gegen die superprovisorische Massnahme führt im Ergebnis vielmehr dazu, dass im Rahmen dieser Beschwerde der Entscheid über die vorsorgliche Massnahme vorweggenommen und insoweit präjudiziert wird, was umso bedenklicher erscheint, als in verschiedenen Kantonen ein Einzelmitglied der Erwachsenenschutzbehörde zur Anordnung vorsorglicher ![]() | 21 |
2.7 Aus den dargelegten Gründen rechtfertigt es sich nicht, gegen superprovisorische Massnahmen des Erwachsenenschutzes die in Art. 445 Abs. 3 ZGB vorgesehene Beschwerde zuzulassen. Die von der superprovisorischen Massnahme betroffene Person braucht kein Rechtsmittel zu ergreifen, um ihren Standpunkt vorzutragen, sondern kann sich im Rahmen des ihr sofort zu gewährenden rechtlichen Gehörs unmittelbar an die verfügende Erwachsenenschutzbehörde wenden und deren neuen, unverzüglich zu treffenden Entscheid mit Beschwerde anfechten. Das Auslegungsergebnis entspricht der Schweizerischen Zivilprozessordnung, in der kein Rechtsmittel gegen kantonal erstinstanzliche Entscheide über superprovisorische Massnahmen vorgesehen ist (BGE 137 III 417 E. 1.3 S. 419).
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