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54. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. A.A.E (under liquidation) gegen Y. AG (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_29/2014 vom 17. Juni 2014 | |
Regeste |
Art. 6 Abs. 2 ZPO; Zuständigkeit des Handelsgerichts. | |
Sachverhalt | |
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B. Mit Klage vom 27. Februar 2012 an das Handelsgericht des Kantons Zürich verlangte die Beschwerdeführerin, das Betreibungs- und Pfändungsverfahren ohne Rücksicht auf die von der Beschwerdegegnerin beanspruchten Rechte weiterzuführen bzw. die von der Beschwerdegegnerin geltend gemachten Pfandansprüche gemäss Art. 108 Abs. 1 SchKG abzuerkennen.
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Die Beschwerdegegnerin ersuchte in ihrer Klageantwort vom 28. September 2012 um Abweisung der Klage. Das Handelsgericht ordnete einen zweiten Schriftenwechsel an. Die Beschwerdeführerin erstattete am 5. Dezember 2012 die Replik und die Beschwerdegegnerin am 1. März 2013 die Duplik. Mit Verfügung vom 26. Juni 2013 gab das Handelsgericht den Parteien Gelegenheit, sich zu seiner sachlichen Zuständigkeit zu äussern. Während die Beschwerdegegnerin daraufhin beantragte, auf die Klage nicht einzutreten, und eventualiter, sie abzuweisen, verlangte die Beschwerdeführerin, die sachliche Zuständigkeit zu bejahen und das Verfahren ohne formellen Zwischenentscheid weiterzuführen.
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Mit Beschluss vom 21. November 2013 (teilweise publ. in: ZR 112/2013 S. 286) trat das Handelsgericht auf die Klage nicht ein.
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C. Am 14. Januar 2014 hat die Beschwerdeführerin Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht erhoben. Sie verlangt die Aufhebung des Beschlusses vom 21. November 2013 und die Rückweisung der Sache an das Handelsgericht zur materiellen Beurteilung.
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Die Beschwerdegegnerin ersucht um Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
2. In der dem Handelsgericht vorgelegten Widerspruchsklage nach Art. 108 Abs. 1 SchKG stehen sich die Gläubigerin als Klägerin (Beschwerdeführerin des bundesgerichtlichen Verfahrens) und die Drittansprecherin als Beklagte (Beschwerdegegnerin des bundesgerichtlichen Verfahrens) gegenüber. Diese Widerspruchsklage ist eine ![]() | 9 |
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2.2 Gemäss § 24 lit. b GOG/ZH entscheidet das Einzelgericht (d.h. ein Einzelrichter am Bezirksgericht) über Klagen aus dem SchKG gemäss Art. 198 lit. e Ziff. 2-8 ZPO. In die Zuständigkeit des Einzelrichters sind damit insbesondere Widerspruchsklagen gemäss Art. 106-109 SchKG verwiesen (Art. 198 lit. e Ziff. 3 ZPO; HAUSER/SCHWERI/LIEBER, GOG, Kommentar zum zürcherischen Gesetz über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess vom 10. Mai 2010, 2012, N. 25 ff. zu § 24 GOG/ZH). § 24 lit. b GOG/ZH kommt allerdings für die Abgrenzung der sachlichen Zuständigkeit des Handelsgerichts von derjenigen der Bezirksgerichte keine eigenständige Bedeutung zu. Der Begriff der "handelsrechtlichen Streitigkeit" ist ein solcher des Bundesrechts: Richten die Kantone ein Handelsgericht ein, sind die Fälle gemäss Art. 6 Abs. 2 ZPO zwingend dem Handelsgericht zugewiesen, soweit dem nicht andere bundesrechtliche Vorschriften entgegenstehen (im Einzelnen BGE 140 III 155 E. 4; vgl. BGE 139 III 457 E. 3.2 S. 458; DAVID RÜETSCHI, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], ![]() | 11 |
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Mit dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 2 lit. a ZPO erscheint durchaus vereinbar, betreibungsrechtliche Klagen mit Reflexwirkung auf das materielle Recht wie die vorliegende Widerspruchsklage den Handelsgerichten zur Beurteilung zuzuweisen. Wie sich aus der Botschaft ergibt, wollte der Gesetzgeber die sachliche Zuständigkeit der Handelsgerichte weit fassen (Botschaft ZPO, a.a.O., 7261). Auch die ![]() | 14 |
Der Wortlaut ist nun zwar Ausgangspunkt der Auslegung. Vom daraus abgeleiteten Sinn ist jedoch abzuweichen, wenn triftige Gründe bestehen, dass der Gesetzgeber diesen nicht gewollt haben kann. Solche Gründe können sich insbesondere aus der Entstehungsgeschichte der Norm, aus ihrem Zweck oder aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften ergeben. Neben dem Wortlaut sind demnach bei der Auslegung auch das historische, das teleologische und das systematische Auslegungselement zu berücksichtigen (BGE 138 III 166 E. 3.2 S. 168; BGE 134 III 273 E. 4 S. 277).
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2.3.2 Anhaltspunkte für eine den Wortlaut einschränkende Interpretation von Art. 6 Abs. 2 lit. a ZPO ergeben sich zunächst aus der ![]() | 16 |
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Wie gesagt, orientiert sich gemäss der Botschaft die sachliche Zuständigkeit der Handelsgerichte an den früheren kantonalen Regeln (Botschaft ZPO, a.a.O., 7261). Wenn die Botschaft zugleich von einer weiten Umschreibung der handelsgerichtlichen Zuständigkeit ausgeht (a.a.O.), so dürfte dabei beispielsweise daran gedacht worden sein, dass Hilfs- und Nebengeschäfte der geschäftlichen Tätigkeit weiterhin der Handelsgerichtsbarkeit unterstehen sollen (vgl. Urteil 5A_592/2013 vom 29. Oktober 2013 E. 5.1). Es bestehen jedoch keine Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber bei der Zuordnung einzelner Streitigkeiten an das Handelsgericht wesentlich über dasjenige hinausgehen wollte, was die Handelsgerichtskantone zuvor bereits vorgesehen hatten. Wie gesehen, hat eine Mehrheit der Handelsgerichtskantone die betreibungsrechtlichen Klagen mit Reflexwirkung auf das materielle Recht vor Inkrafttreten der eidgenössischen ZPO (grundsätzlich) nicht den Handelsgerichten zugewiesen. Soll sich Art. 6 Abs. 2 lit. a ZPO an den früheren kantonalen Regeln und der entsprechenden Praxis orientieren, so spricht dies dafür, diese Klagen nicht der handelsgerichtlichen Zuständigkeit zu unterstellen. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist in diesem Zusammenhang einzig diese praktisch gehandhabte Zuteilung durch die Kantone massgebend und nicht die rein begriffliche Überlegung, ob die Streitigkeit in einzelnen Kantonen zwar als handelsrechtlich qualifiziert, aber dennoch nicht dem Handelsgericht zugewiesen worden war. Die Beschwerdeführerin verweist dazu insbesondere auf § 64 Abs. 1 GVG/ZH (Prorogationsmöglichkeit). Dass im Kanton Zürich die Prorogation des Handelsgerichts für betreibungsrechtliche Klagen mit Reflexwirkung auf das materielle Recht möglich war, tut dem gegenteiligen Grundsatz des früheren Zürcher Rechts keinen Abbruch. Es ist anzunehmen, dass sich der eidgenössische Gesetzgeber am Grundsatz, wie er dem Gesetz zu entnehmen war, und dem effektiv gelebten Rechtsalltag orientiert hat, und nicht an begrifflichen Überlegungen, wie sie die Beschwerdeführerin anstellt.
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Zunächst ist auf den Anknüpfungspunkt für die geschäftliche Tätigkeit einzugehen, auf den auch die Beschwerdeführerin hinweist (vgl. oben E. 2.3.1). Soweit sich die Literatur im Zusammenhang mit betreibungsrechtlichen Klagen mit Reflexwirkung damit befasst, wird vorgebracht, das Erfordernis der handelsrechtlichen Natur der Streitigkeit sei erfüllt, wenn die materiellrechtliche Vorfrage handelsrechtlich sei (VOCK/NATER, a.a.O., N. 9b zu Art. 6 ZPO). Damit ist zugleich gesagt, dass nach dieser Auffassung insbesondere nicht das Betreibungs- oder Konkursverfahren, das der fraglichen Klage zugrunde liegt, die Geschäftstätigkeit einer Partei betreffen muss, um die Zuständigkeit des Handelsgerichts zu begründen. Die Beschwerdeführerin macht in diesem Sinne geltend, dass der Schwerpunkt des Widerspruchsprozesses in der materiellrechtlichen Beurteilung der Pfandrechte der Beschwerdegegnerin liege und die pfandrechtliche Sicherung von gewährten Krediten zur Geschäftstätigkeit der Beschwerdegegnerin gehöre. Darauf abzustellen würde jedoch bedeuten, dass eine Vorfrage über die sachliche Zuständigkeit eines Gerichts entscheidet. Dies erschiene ungewöhnlich: In der Regel wirkt eine Vorfrage nicht zuständigkeitsbegründend (SVEN RÜETSCHI, Vorfragen im schweizerischen Zivilprozess, 2011, Rz. 178, 182 ff.). In der Tat würde damit in diesem Bereich die im Schweizer Recht grundlegende Unterscheidung zwischen betreibungsrechtlichen bzw. vollstreckungsrechtlichen Streitigkeiten einerseits und materiellrechtlichen Streitigkeiten andererseits verwischt bzw. aufgehoben (vgl. BGE 139 III 236 E. 5 S. 244 ff.). Auf die Bedeutung dieser Unterscheidung hat auch die Vorinstanz hingewiesen. Bei den betreibungsrechtlichen Streitigkeiten mit Reflexwirkung auf das materielle Recht ist in erster Linie eine Frage des Betreibungs- oder Konkursverfahrens zu klären, wobei vorfrageweise auf materielles Recht zurückgegriffen wird (AMONN/WALTHER, Grundriss des ![]() | 21 |
Die Anknüpfung an die materiellrechtliche Vorfrage zur Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit wäre in der vorliegenden Parteikonstellation auch unter einem anderen Aspekt ungewöhnlich: Während üblicherweise im Prozess vor Handelsgericht ein materiellrechtliches Verhältnis zu beurteilen ist, das (angeblich) zwischen den beiden Prozessparteien besteht (Art. 6 Abs. 2 lit. a ZPO), und beide Prozessparteien im Handelsregister eingetragen sein müssen (Art. 6 Abs. 2 lit. c ZPO; unter Vorbehalt von Art. 6 Abs. 3 ZPO), würden diese Kriterien vorliegend auseinanderfallen. Da die Schuldnerin im vorliegenden Widerspruchsprozess nicht Partei ist, ist nur eine Beteiligte des massgeblichen materiellrechtlichen Verhältnisses (die Beschwerdegegnerin) in den Prozess involviert. Zudem wäre irrelevant, ob die Schuldnerin im Handelsregister eingetragen ist oder nicht. Umgekehrt käme es auf den Handelsregistereintrag der Gläubigerin an, die aber am zu beurteilenden materiellrechtlichen Verhältnis nicht beteiligt ist. Ist sie nicht im Handelsregister eingetragen und fällt ihr die Klägerrolle zu, so würde ihr die Handelsgerichtsbarkeit offenstehen (Art. 6 Abs. 3 ZPO), obschon sie selber weder nach dem Kriterium von Art. 6 Abs. 2 lit. a ZPO noch nach demjenigen von Art. 6 Abs. 2 lit. c ZPO einen direkten Bezug zur Handelsgerichtsbarkeit aufzuweisen braucht. Ähnliche Situationen kann es bei der Widerspruchsklage nach Art. 107 SchKG geben, wenn der Dritte gegen den bestreitenden Gläubiger klagen muss: Es ist die Situation denkbar, dass das umstrittene, vorfrageweise relevante materielle Rechtsverhältnis zwar mit dem Geschäftsbetrieb des Dritten zusammenhängt, der Dritte gegen den Schuldner aber nicht vor Handelsgericht klagen könnte, da dieser nicht im Handelsregister ![]() | 22 |
Die Beschwerdeführerin schlägt hilfsweise zwei weitere Bezugspunkte zur geschäftlichen Tätigkeit vor, die vorliegend ebenfalls erfüllt seien: Einerseits weise ihre eigene Forderung gegen die Schuldnerin einen geschäftlichen Bezug auf und andererseits erfolge auch die Eintreibung der Forderung sowie die Widerspruchsklage im Zusammenhang mit ihrer geschäftlichen Tätigkeit. Unmittelbar auf ihre materiellrechtliche Forderung gegen die Schuldnerin abzustellen, verbietet sich jedoch, weil diese nicht zur Diskussion steht, und zwar nicht einmal vorfrageweise. Hingegen erscheint mit dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 2 lit. a ZPO vereinbar, auf den geschäftlichen Bezug des Vollstreckungsverfahrens abzustellen. Dass der Gesetzgeber die handelsrechtliche Zuständigkeit auch auf vollstreckungsrechtliche Angelegenheiten ausdehnen wollte, sofern nur irgendein Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit einer Partei besteht, ist allerdings nicht anzunehmen. Es müsste sonst beispielsweise in Betracht gezogen werden, bei gegebenem geschäftlichem Zusammenhang das Rechtsöffnungsverfahren oder andere gerichtliche Angelegenheiten des Betreibungs- und Konkursrechts gemäss Art. 251 ZPO dem Handelsgericht zu überantworten. Dies würde jedoch weit über die tradierte Zuständigkeit der Handelsgerichte hinausführen und wird - soweit ersichtlich - in der Literatur auch nicht vertreten (vgl. immerhin BERGER, a.a.O., N. 27 zu Art. 6 ZPO, der die Klage nach Art. 85 SchKG vor Handelsgericht für zulässig hält).
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Bei den betreibungsrechtlichen Klagen mit Reflexwirkung auf das materielle Recht erweist sich somit der geschäftliche Bezug als problematisches Anknüpfungskriterium für die sachliche Zuständigkeit der Handelsgerichte, und zwar unabhängig davon, worin dieser geschäftliche Bezug genau gesehen wird. Dies legt nahe, in diesem Bereich weiterhin auf die Rechtsnatur der betreffenden Streitigkeit abzustellen.
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Die Lehre bringt teilweise weitere Begründungen für die handelsgerichtliche Zuständigkeit vor, die jedoch nicht zu überzeugen ![]() | 25 |
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Dies trifft nicht zu. Die sachliche Zuständigkeit der Gerichte ist grundsätzlich der Parteidisposition entzogen (BGE 138 III 471 E. 3.1 S. 477). Was die Einlassung betrifft, so ergibt sich der gesetzgeberische Wille, diese auszuschliessen, unmittelbar aus den Materialien: Im Vorentwurf zur ZPO war die Möglichkeit der Einlassung noch enthalten (Art. 5 Abs. 1 lit. c Ziff. 3 des Vorentwurfs), wobei sie auch dort nur den fehlenden Eintrag der beklagten Partei im Handelsregister oder in einem vergleichbaren ausländischen Register hätte heilen können, nicht aber den fehlenden geschäftlichen Bezug. Wie sich aus der Botschaft ergibt, wurde diese Bestimmung bewusst gestrichen und sollte die Einlassung generell unzulässig sein (Botschaft ZPO, a.a.O., 7261). Demgemäss ist auch die Lehre praktisch einhellig der Ansicht, dass eine Einlassung vor dem sachlich ![]() | 28 |
Die Beschwerdeführerin stützt die Zulässigkeit der Einlassung auf § 126 Abs. 2 GOG/ZH. Nach dieser Norm muss die beklagte Partei die Einrede der fehlenden sachlichen Zuständigkeit spätestens mit der Klageantwort erheben. § 126 Abs. 2 GOG/ZH sieht demnach im Ergebnis eine Einlassung vor, indem die Norm den Zeitpunkt regelt, bis zu der sich die beklagte Partei auf die fehlende sachliche Zuständigkeit berufen kann. Nach Darstellung der Beschwerdeführerin, die von der Beschwerdegegnerin nicht bestritten wird, habe Letztere sich nicht rechtzeitig auf die fehlende sachliche Zuständigkeit berufen. Wie bereits gesagt, ergibt sich die sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts jedoch aus Bundesrecht, sofern ein Kanton ein Handelsgericht einrichtet (vgl. oben E. 2.2). Eine Ausdehnung dieser Zuständigkeit ist ebenfalls nur im Rahmen des Bundesrechts möglich (vgl. Art. 6 Abs. 4 ZPO). Eine Einlassung vor dem sachlich unzuständigen Handelsgericht ist von Bundesrechts wegen ausgeschlossen. Soweit § 126 Abs. 2 GOG/ZH Gegenteiliges vorsieht, erweist er sich als bundesrechtswidrig.
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Die Beschwerdeführerin verweist grundsätzlich zu Recht darauf, dass die Zuständigkeitsprüfung aus prozessökonomischen Gründen möglichst frühzeitig stattfinden sollte (BGE 130 III 66 E. 4.3 S. 75; vgl. auch Art. 92 BGG). Dass dies vorliegend nicht geschehen ist, kann jedoch weder eine gesetzlich nicht gegebene sachliche ![]() | 30 |
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