![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
59. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Zentrale Paritätische Berufskommission Plattenleger gegen A. AG (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_233/2013 vom 24. Juni 2014 |
Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG; Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung; Effektivklausel in GAV. |
Art. 357b Abs. 1 OR; Aktivlegitimation einer paritätischen Berufskommission. |
Art. 356 Abs. 1 OR; begrenzte Effektivklausel; Effektivgarantieklausel; Abgrenzung und Zulässigkeit. | |
Sachverhalt | |
![]() ![]() | 1 |
B. Am 22. September 2011 klagte die Zentrale Paritätische Berufskommission Plattenleger beim Kantonsgericht Zug gegen die A. AG auf Zahlung einer Konventionalstrafe von Fr. 2'000.- und von Verfahrenskosten.
| 2 |
Mit Entscheid vom 30. April 2012 hiess die Einzelrichterin am Kantonsgericht die Klage teilweise gut. Sie reduzierte die Konventionalstrafe jedoch um Fr. 400.-, da die A. AG nur in vier statt in fünf Punkten den GAV verletzt habe. Sie habe zwar den Lohn zweier Angestellter nicht erhöht, obwohl im Anhang Nr. 1 des GAV per 1. Oktober 2006 eine Erhöhung nicht lediglich der bisherigen Mindestlöhne, sondern der bisherigen effektiv bezahlten Löhne vorgesehen gewesen sei. Diese Klausel stelle jedoch eine unzulässige Effektivgarantieklausel dar. Da die Löhne der zwei Angestellten nach wie vor über den im GAV vorgesehenen (neuen) Mindestlöhnen lägen, sei der GAV in diesem Punkt nicht verletzt worden.
| 3 |
Diesen Entscheid bestätigte das Obergericht des Kantons Zug mit Urteil vom 21. März 2013. Es ging ebenfalls von einer unzulässigen Effektivgarantieklausel aus.
| 4 |
C. Mit Beschwerde in Zivilsachen und subsidiärer Verfassungsbeschwerde beantragt die Zentrale Paritätische Berufskommission Plattenleger dem Bundesgericht die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und die Verurteilung der A. AG zur Zahlung einer Konventionalstrafe von Fr. 2'000.- und von Verfahrenskosten. Eventualiter sei die Sache zu neuer Beurteilung an das Obergericht zurückzuweisen.
| 5 |
Am 24. Juni 2014 führte das Bundesgericht eine öffentliche Urteilsberatung durch. Es tritt auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde nicht ein, heisst die Beschwerde in Zivilsachen teilweise gut und hebt das Urteil des Obergerichts des Kantons Zug vom 21. März 2013 auf. Die Sache wird zur Ergänzung des Sachverhalts und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
| 6 |
(Zusammenfassung)
| 7 |
![]() | |
8 | |
9 | |
Erreicht der Streitwert den massgebenden Betrag nicht, ist die Beschwerde in Zivilsachen u.a. dennoch zulässig, wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt (Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG). Dies ist der Fall, wenn ein allgemeines und dringendes Interesse besteht, dass eine umstrittene Frage höchstrichterlich geklärt wird, um eine einheitliche Anwendung und Auslegung des Bundesrechts herbeizuführen und damit eine erhebliche Rechtsunsicherheit auszuräumen (BGE 138 I 232 E. 2.3; BGE 135 III 1 E. 1.3 S. 4, BGE 135 III 397 E. 1.2; BGE 133 III 645 E. 2.4 S. 648 f.).
| 10 |
11 | |
1.3.2 Eine begrenzte Effektivklausel sieht vor, dass eine im GAV vorgesehene Lohnerhöhung auf den bisher effektiv bezahlten Löhnen zu gewähren ist. Im Umfang der Anhebung der Mindestlöhne soll der effektive Lohn angehoben werden (vgl. nur STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, Arbeitsvertrag, 7. Aufl. 2012, N. 7 zu Art. 357 OR). Die Vertragsparteien können den Arbeitsvertrag indessen wieder ändern und den Lohn bis auf den neuen Mindestlohn senken (PORTMANN/STÖCKLI, Schweizerisches Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2013, N. 1128; GEISER/MÜLLER, Arbeitsrecht in der Schweiz, 2. Aufl. 2012, N. 811; VISCHER/ ![]() | 12 |
13 | |
Auch die begrenzten Effektivklauseln sind umstritten (für Zulässigkeit PORTMANN/STÖCKLI, a.a.O., N. 1127 f.; STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, a.a.O., N. 7 zu Art. 357 OR; AUBERT, a.a.O., N. 6 zu Art. 357 OR; GEISER/MÜLLER, a.a.O., N. 811; VISCHER, a.a.O., S. 348; DEN OTTER, a.a.O., S. 115 ff.; für Ungültigkeit REHBINDER, a.a.O., N. 543; BÄNZIGER, a.a.O., S. 124 ff.; ARREGGER, a.a.O., S. 77 ff.; anders als in der Vorauflage auch VISCHER/ALBRECHT, a.a.O., N. 38 zu Art. 357 OR; für dispositive Wirkung STÖCKLI, a.a.O., N. 49 zu Art. 357 OR).
| 14 |
Unklar ist gemäss der Lehre die Haltung des Bundesgerichts (vgl. VISCHER/ALBRECHT, a.a.O., N. 38 und 41 zu Art. 357 OR; vgl. auch STÖCKLI, a.a.O., N. 49 f. zu Art. 357 OR).
| 15 |
1.3.4 Tatsächlich hat sich das Bundesgericht bis anhin nicht ausdrücklich zur Zulässigkeit der Effektivklauseln geäussert. In BGE 96 I 433 E. 5a S. 436, der in der Lehre hauptsächlich zitiert wird, hat das Bundesgericht einer Bestimmung eines GAV, wonach bei der Berechnung der Gehaltserhöhungen vom effektiven Lohn auszugehen sei, normative Wirkung zugestanden. Mit der Zulässigkeit einer solchen Klausel setzte es sich indessen nicht auseinander. In BGE 101 Ia 463 E. 2 S. 466, der in der Lehre ebenfalls zitiert wird, führte das ![]() | 16 |
17 | |
18 | |
19 | |
Ein GAV kann die Gründung von Vereinen vorsehen, denen die gemeinsame Durchführung nach Art. 357b OR übertragen wird (BGE 134 III 541 E. 4 S. 544 ff.). Das Bundesgericht hat der Ansicht, diesfalls seien trotzdem die Vertragsparteien und nicht die als Verein ![]() | 20 |
21 | |
2.3 Schuldrechtliche Bestimmungen, welche wie hier die Rechte und Pflichten der Tarifpartner unter sich regeln, sind gemäss den Grundsätzen über die Auslegung von Verträgen zu interpretieren (BGE 127 ![]() | 22 |
Die Vorinstanz hat keine Feststellungen zum tatsächlichen Willen der Vertragsparteien des GAV, die nicht Parteien des vorliegenden Verfahrens sind, getroffen. Da somit der tatsächliche übereinstimmende Wille der Vertragsparteien nicht festgestellt wurde, sind die Bestimmungen des GAV nach dem Vertrauensprinzip auszulegen. Die Beschwerdeführerin wurde sowohl mit der Fällung als auch mit dem Einzug von Konventionalstrafen betraut. Ein "Einzug" umfasst, sofern die Schuldnerin nicht bezahlt, auch die gerichtliche Geltendmachung der Konventionalstrafe. Auch eine "Überwälzung" von Verfahrenskosten darf in guten Treuen so verstanden werden, dass zu diesem Zweck gerichtliche Schritte möglich sind. Nach dem Wortlaut wurde die Beschwerdeführerin somit im GAV damit betraut, Gerichtsverfahren wie das vorliegende zu führen. Dieses Auslegungsergebnis wird bestätigt durch den Regelungszweck, wie er in guten Treuen verstanden werden muss. Die Parteien des GAV haben die Kompetenzen zum Einzug von Konventionalstrafen und zur Überwälzung der Verfahrenskosten der Beschwerdeführerin übertragen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie damit verbundene Gerichtsverfahren selbst führen wollten. Daraus ergibt sich insgesamt, dass die Aktivlegitimation der Beschwerdeführerin zu bejahen ist.
| 23 |
24 | |
25 | |
26 | |
27 | |
Dieses Resultat können die Parteien des Einzelarbeitsvertrags bei Vorliegen einer begrenzten Effektivklausel jederzeit einvernehmlich korrigieren. Soll der Lohn insgesamt unverändert bleiben, so können sie somit im Umfang der Erhöhung des Mindestlohns den übertariflichen Lohn herabsetzen. Möglich ist auch eine entsprechende einseitige Abänderung durch den Arbeitgeber mittels einer Änderungskündigung. Demgegenüber verbietet die Effektivgarantieklausel den Parteien, den übertariflichen Lohn zu senken. Dieses Verbot erfasst nicht nur die Senkung im Umfang der Lohnerhöhung bei deren Inkrafttreten, sondern jegliche Senkung des (im Zeitpunkt des Inkrafttretens bestehenden) übertariflichen Lohns während der gesamten Dauer des GAV.
| 28 |
![]() | 29 |
30 | |
Auch die vom Bundesrat vorgesehene Übergangsregelung macht die Klausel nicht zu einer Effektivgarantieklausel. Eine Herabsetzung übertariflicher Löhne, die vor dem 1. April 2006 vereinbart worden sind, wird dadurch in keiner Weise ausgeschlossen. Zudem ist diese Regelung nicht Teil der geänderten GAV-Bestimmungen im ![]() | 31 |
32 | |
33 | |
34 | |
35 | |
36 | |
4.1.3 Die begrenzte Effektivklausel führt theoretisch nur zu einer Erhöhung des Mindestlohns und greift gerade nicht in den ![]() | 37 |
Vorab ist zu berücksichtigen, dass es den Parteien des Einzelarbeitsvertrags unbenommen bleibt, im Einvernehmen den übertariflichen Lohn jederzeit zu senken oder ganz zu streichen (so auch DEN OTTER, a.a.O., S. 115). Damit können sie die durch die begrenzte Effektivklausel angeordnete allgemeine Lohnerhöhung kompensieren. Stimmen Arbeitnehmer und Arbeitgeber darin überein, dass weiterhin der bisherige Lohn gelten soll, so beschränkt sich der Eingriff in die Privatautonomie somit darauf, dass die Parteien eine Vereinbarung über die Herabsetzung des übertariflichen Lohns treffen müssen. Weitergehende Auswirkungen hat die begrenzte Effektivklausel dann, wenn der Arbeitnehmer mit einer Herabsetzung des übertariflichen Lohns nicht einverstanden ist. Diesfalls ist der Arbeitgeber auf den Weg über die Änderungskündigung verwiesen.
| 38 |
Zu berücksichtigen ist weiter, dass die begrenzte Effektivklausel einen Eingriff von ähnlicher Intensität darstellt wie etwa die unbestrittenermassen zulässigen GAV-Bestimmungen, die Arbeitnehmer hätten Anspruch auf einen 13. Monatslohn oder auf bezahlte Ferientage. Die Anordnung der Zahlung eines 13. Monatslohns oder weiterer bezahlter Ferientage geht sogar noch weiter. Während die begrenzte Effektivklausel unabhängig vom effektiven Lohn allen Arbeitnehmern eine Lohnerhöhung um einen bestimmten Betrag gewährt, ordnen die Tarifpartner mit der Einräumung eines Anspruchs auf einen 13. Monatslohn nicht nur eine 13. Zahlung des betragsmässig bestimmten Mindestlohns an, sondern sogar auch eine 13. Zahlung des übertariflichen Lohns, den die Tarifpartner nicht kennen. Dasselbe gilt für Ferientage, die nicht nur mit dem Mindestlohn, sondern auch mit dem vereinbarten Anteil des übertariflichen Lohns abgegolten werden müssen. Nach dem Vergleich mit diesen (zulässigen) Regelungen erscheint auch die Anordnung einer allgemeinen Lohnerhöhung nicht als unzulässiger Eingriff in die Privatautonomie (so auch GEISER/MÜLLER, a.a.O., N. 811; implizit auch STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, ![]() | 39 |
40 | |
41 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |