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65. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Versicherung B. AG (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_65/2014 vom 1. September 2014 | |
Regeste |
Art. 243 ff. und 233 ZPO, vereinfachtes Verfahren. | |
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Der Ablauf des Verfahrens hängt zunächst davon ab, ob die klagende Partei ihre Klageschrift, wenn sie ihre Klage dem Gericht nicht mündlich einreicht (vgl. Art. 244 Abs. 1 ZPO), mit einer Begründung versieht, die den Anforderungen an eine Klagebegründung nach Art. 221 ZPO genügt (vgl. MAZAN, a.a.O., N. 10 f. zu Art. 245 ZPO; GASSER/RICKLI, Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], 2. Aufl. 2014, N. 1 ff. zu Art. 245 ZPO). Enthält die Klage keine (solche) Begründung, so stellt das Gericht sie der beklagten Partei zu und lädt die Parteien zugleich zur Verhandlung vor (Art. 245 Abs. 1 ZPO). Enthält die Klage eine Begründung, so setzt das Gericht der beklagten Partei zunächst eine Frist zur schriftlichen ![]() | 3 |
Nach der unbestrittenen Beurteilung der Vorinstanz genügte die Eingabe des Beschwerdeführers vom 28. März 2013 den Anforderungen an eine Klagebegründung und setzte sie der Beschwerdegegnerin daher Frist zur Stellungnahme. Nach Eingang derselben wandte sie sich am 10. Juni 2013 mit folgendem Schreiben an den Beschwerdeführer (bzw. dessen Laienvertreter). Eine Kopie des Schreibens stellte sie der Beschwerdegegnerin zur Kenntnisnahme zu:
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"Sehr geehrter Herr J.
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In der oben erwähnten Streitsache hat die Beklagte durch ihren Rechtsvertreter (...) die Klageantwort eingereicht. Sie erhalten das Doppel samt Akten [Beilagen gem. Beweismittelverzeichnis] zur Kenntnisnahme. Ein Schriftenwechsel im Sinn von Art. 246 Abs. 2 ZPO ist aus jetziger Sicht nicht erforderlich. Damit wird die zuständige Gerichtsabteilung die anhängige Klage nun beurteilen. (...) Der begründete Entscheid wird Ihnen zu gegebener Zeit zugesandt."
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Der Beschwerdeführer reagierte nicht auf dieses Schreiben. Am 2. September 2013 reichte er ein ärztliches Zeugnis ein, das die - nicht weiterverfolgten - Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche beschlägt, und stellte den Antrag, das Gericht möge die Bearbeitung des Verfahrens bestmöglich vorziehen. Mit Schreiben vom 21. November 2013 wiederholte er diesen Antrag. Am 15. Januar 2014 fällte die Vorinstanz den angefochtenen Entscheid.
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Wird in einer im vereinfachten Verfahren zu beurteilenden Streitsache die Klage schriftlich und mit Begründung erhoben, setzt das Gericht der beklagten Partei nach Art. 245 Abs. 2 ZPO "zunächst" (fehlt im franz. Gesetzestext; s. dagegen auch im ital. Text: "dapprima") eine Frist zur schriftlichen Stellungnahme. Mit dem Wort "zunächst" bzw. "dapprima" bringt der Gesetzgeber klar zum Ausdruck, dass bei dieser Form des vereinfachten Verfahrens zunächst der erste Schriftenwechsel stattfindet und das Gericht dann entweder (sofern es die Verhältnisse erfordern [Art. 246 Abs. 2 ZPO])einen (weiteren) Schriftenwechsel anordnet oder zu einer Verhandlung vorlädt, d.h. dass das Verfahren bloss mit einem ![]() | 9 |
Dabei ergibt sich aus dem Zusammenhang der Absätze 1 und 2 von Art. 245 ZPO, dass die in Art. 245 Abs. 1 ZPO aufgestellte Regel, nach der grundsätzlich eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist, auch für den in Art. 245 Abs. 2 ZPO erfassten Fall gilt, dass eine schriftlich begründete Klage eingereicht wird. Ebenso wäre im Prozess nach der Durchführung des Schriftenwechsels schon nach den für das ordentliche Verfahren aufgestellten Bestimmungen von Art. 228 ff. ZPO, die auch für das vereinfachte Verfahren gelten (vgl. Art. 219 ZPO), grundsätzlich eine Hauptverhandlung durchzuführen (Botschaft ZPO, a.a.O., 7340 zu Art. 222 und 223 Entwurf; MICHAEL WIDMER, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Baker & McKenzie [Hrsg.], 2010, N. 1 zu Art. 233 ZPO; vgl. dagegen für das summarische Verfahren: Art. 256 Abs. 1 ZPO). Die Verhandlung ist grundsätzlich öffentlich (Art. 54 ZPO). Damit wird der grundrechtlichen Garantie auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung nachgelebt (vgl. NAEGELI/MAYHALL, in: ZPO, Oberhammer und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 7 zu Art. 233 ZPO; CHRISTOPH LEUENBERGER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2013, N. 1 zu Art. 233 ZPO; KILLIAS, a.a.O., N. 7 zu Art. 233 ZPO). Immerhin können die Parteien gemeinsam auf die Durchführung einer solchen verzichten (Art. 233 ZPO). Das Gericht darf indessen nicht von sich aus von der Abhaltung einer Hauptverhandlung absehen, weil es eine solche für unnötig erachtet (ERIC PAHUD, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Kommentar, Brunner und andere [Hrsg.], 2011, N. 9 zu Art. 233 ZPO; KILLIAS, a.a.O., N. 7 zu Art. 233 ZPO; NAEGELI/MAYHALL, a.a.O., N. 7 zu Art. 233 ZPO; LEUENBERGER, a.a.O., N. 1a zu Art. 233 ZPO). Einen verfahrensabschliessenden Endentscheid darf das Gericht erst fällen, wenn das Verfahren spruchreif ist (Art. 236 ZPO), was bedeutet, dass das Gericht über sämtliche Entscheidungsgrundlagen verfügt, um über die Begründetheit oder Unbegründetheit des geltend gemachten Anspruchs zu befinden oder einen Nichteintretensentscheid zu erlassen. Voraussetzung ist überdies, dass das vom Gesetz vorgeschriebene Verfahren ordnungsgemäss durchgeführt worden ist. Es ist grundsätzlich unzulässig, einen Sachentscheid ohne Durchführung einer Hauptverhandlung zu fällen, ohne dass die Parteien im Sinn von ![]() | 10 |
Ein Verzicht auf eine Hauptverhandlung setzt nach Art. 233 ZPO voraus, dass beide Parteien den Verzicht auf eine solche erklären. Eine bestimmte Form schreibt das Gesetz dafür nicht vor und die Erklärung kann auch mündlich abgegeben werden. Eine ausdrückliche Äusserung verlangt das Gesetz nicht (DANIEL WILLISEGGER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N. 5, 8 und 10 zu Art. 233 ZPO; TAPPY, a.a.O., N. 13 zu Art. 232 ZPO in Verbindung mit N. 9 zu Art. 233 ZPO). Auch ein konkludenter Verzicht auf eine Verhandlung ist nicht ausgeschlossen. Allerdings ist mit Rücksicht darauf, dass die Abhaltung einer Verhandlung der Wahrung von grundrechtlichen Ansprüchen (Anspruch auf rechtliches Gehör; Anspruch auf öffentliche mündliche Verhandlung) dient, nicht leichthin von einem solchen auszugehen; insbesondere bei juristischen Laien ist beispielsweise zu verlangen, dass das Gericht klar darauf hinweist, es werde aufgrund der Akten entscheiden, wenn nicht innerhalb einer bestimmten Frist eine mündliche Verhandlung verlangt werde, so dass das Schweigen des Adressaten unzweideutig auf einen Verzicht schliessen lässt (TAPPY, a.a.O., N. 9 zu Art. 233 ZPO).
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In einem vereinfachten Verfahren in einer Streitsache nach Art. 243 Abs. 2 ZPO, ist zu berücksichtigen, dass die soziale Untersuchungsmaxime gilt (Art. 247 Abs. 2 lit. a ZPO) und die mündliche Verhandlung besonders geeignet ist, diese zum Tragen zu bringen. Daher ist nicht leichthin von einem Verzicht auf eine mündliche Verhandlung auszugehen, soweit ein solcher überhaupt zulässig ist, was vorliegend offenbleiben kann (verneinend: KILLIAS, a.a.O., N. 3 zu Art. 233 ZPO; vgl. dagegen WILLISEGGER, a.a.O., N. 16 und 24 zu Art. 233 ZPO; TAPPY, a.a.O., N. 5 zu Art. 233). Im vorliegenden Fall kommt dazu, dass die Vorinstanz als einzige kantonale Instanz im Sinne von Art. 7 ZPO entschied. Damit ist angesichts der beschränkten Kognition des Bundesgerichts als einziger Rechtsmittelinstanz (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG) die Möglichkeit der Parteien, ihren Standpunkt in tatsächlicher Hinsicht an einer mündlichen Verhandlung zu verdeutlichen, besonders wichtig und kommt der richterlichen Hilfestellung bei der Feststellung des Sachverhalts besondere Relevanz zu.
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Dies führt ohne Weiteres zur Gutheissung der Beschwerde und zur Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur rechtskonformen Durchführung des Verfahrens und zu anschliessender neuer Entscheidung. Auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers gegen den angefochtenen Entscheid muss bei dieser Sachlage nicht eingegangen werden.
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