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31. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. Ltd gegen OAO B. (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_203/2014 vom 9. April 2015 | |
Regeste |
Art. 27 Abs. 2 lit. b IPRG; Art. 2 ZGB; Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen; Verletzung wesentlicher Grundsätze des schweizerischen Verfahrensrechts; Rechtsmissbrauch bei der Geltendmachung von Anerkennungsverweigerungsgründen. | |
Sachverhalt | |
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Am 25. Dezember 2008 schloss die OAO B. mit der staatlichen russischen Energiegesellschaft C. (Versicherungsnehmerin) einen Vertrag betreffend die Versicherung diverser Wasserkraftwerke und anderer Gebäude der Versicherungsnehmerin ab. Kurz zuvor war sie mit verschiedenen Rückversicherungsgesellschaften, darunter der A. Ltd mit einem Anteil von 17,2 %, separate Rückversicherungsverträge über eine Summe von insgesamt 200 Mio. USD eingegangen. Der Rückversicherungsvertrag mit der A. Ltd enthielt eine Gerichtsstandsklausel zugunsten der russischen Gerichte.
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Am 17. August 2009 ereignete sich im versicherten Wasserkraftwerk D. ein folgenschwerer Unfall. Trotz des Widerstands der Rückversicherer zahlte die OAO B. der C. bis Ende Juli 2010 die volle Versicherungssumme gemäss dem Erstversicherungsvertrag aus. Die Rückversicherer stellten sich zunächst auf den Standpunkt, dass infolge grober Pflichtverletzungen seitens der Versicherungsnehmerin kein Versicherungsfall vorliege. Schliesslich leisteten sie ihre jeweiligen Anteile an der Versicherungssumme - mit Ausnahme der A. Ltd, die bloss rund 11,5 Mio. USD überwies.
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Am 30. Dezember 2010 machte die OAO B. beim Arbitragegericht der Stadt Moskau, einem staatlichen Handelsgericht, eine ![]() | 4 |
B. Mit Eingabe vom 28. Januar 2013 gelangte die OAO B. an das Bezirksgericht Zürich. Sie beantragte, die Entscheidung des Arbitragegerichts der Stadt Moskau vom 22. Juli 2011 " in Verbindung mit" der Verordnung des Neunten Arbitrage- und Appellationsgerichts vom 30. November 2011, der Verordnung des Föderalen Arbitragegerichts der Moskauer Region vom 16. Mai 2012 und dem Beschluss des Obersten Arbitragegerichts der Russischen Föderation vom 11. Dezember 2012 gegen die A. Ltd anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären. Die A. Ltd widersetzte sich diesem Begehren unter Berufung auf Art. 27 Abs. 2 lit. b IPRG. Sie machte geltend, die OAO B. habe die russischen Richter bestochen, womit die Entscheidung unter Verletzung wesentlicher Grundsätze des schweizerischen Verfahrensrechts zustande gekommen sei und ihre Anerkennung gegen den sogenannten formellen Ordre public verstossen würde.
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Das Bezirksgericht gelangte zum Schluss, die A. Ltd scheitere mit dem Beweis, dass die russischen Gerichte bestochen worden seien. Demzufolge gab es dem Begehren um Vollstreckbarerklärung der Entscheidung mit Urteil vom 14. Oktober 2013 statt.
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Die von der A. Ltd dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 26. Februar 2014 ab. Dabei liess es die A. Ltd mit dem Einwand der Bestechung gar nicht erst zu. Es räumte zwar ein, wenn in einem ausländischen Verfahren nachweislich bestochen worden sei, so wäre einer in diesem Verfahren ergangenen Entscheidung in der Schweiz die Anerkennung ![]() | 7 |
C. Das Bundesgericht weist die Beschwerde in Zivilsachen der A. Ltd gegen das Urteil des Obergerichts ab, soweit es darauf eintritt.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 4 | |
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Insofern unterscheidet sich die Ausgangslage von anderen Anerkennungsvoraussetzungen, zu deren Geltendmachung im ausländischen Entscheidverfahren sich das Gesetz explizit äussert:
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So kann sich gemäss Art. 27 Abs. 2 lit. a IPRG die nicht gehörig geladene Partei der Anerkennung der Entscheidung nicht widersetzen, wenn sie sich vorbehaltlos auf das Verfahren eingelassen hat. Entsprechendes gilt für die Zuständigkeit der ausländischen Behörde. Gemäss Art. 26 lit. c IPRG ist diese begründet, wenn sich der Beklagte in einer vermögensrechtlichen Streitigkeit vorbehaltlos auf den Rechtsstreit eingelassen hat. Eine vorbehaltlose Einlassung auf den Rechtsstreit kann allerdings nicht schon darin erblickt werden, dass auf den Weiterzug des ausländischen Urteils an eine höhere Instanz verzichtet wird, nachdem das Gericht die Einrede der Unzuständigkeit verworfen hat (siehe BGE 111 II 175 E. 1; vgl. auch BGE 98 Ia 314 E. 3 mit Hinweisen; BUCHER, in: Commentaire romand, Loi sur le droit international privé - Convention de Lugano, ![]() | 12 |
Weiter geht in dieser Hinsicht das - vorliegend nicht anwendbare - Übereinkommen vom 30. Oktober 2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Lugano-Übereinkommen, LugÜ; SR 0.275.12). In dessen Geltungsbereich kann die Zuständigkeit der Gerichte des Ursprungsstaates im Rahmen der Anerkennung grundsätzlich überhaupt nicht mehr überprüft werden (vgl. Art. 35 Abs. 3 LugÜ), womit der Beklagte im Ergebnis darauf verwiesen ist, sich im Ausland auf dem Rechtsmittelweg gegen die Zuständigkeit des urteilenden Gerichts zur Wehr zu setzen (vgl. SCHULER, in: Basler Kommentar, Lugano-Übereinkommen, 2011, N. 8 zu Art. 35 LugÜ, mit Hinweisen). Sodann steht das Anerkennungshindernis der mangelhaften oder fehlenden Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks gemäss Art. 34 Nr. 2 LugÜ unter dem einschränkenden Vorbehalt, dass der Beklagte, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, "gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt" hat, "obwohl er die Möglichkeit dazu hatte". Zu beachten ist allerdings, dass die Schweiz entsprechend dem Vorbehalt gemäss Artikel III Absatz 1 des Protokolls Nr. 1 über bestimmte Zuständigkeits-, Verfahrens- und Vollstreckungsfragen erklärt hat, dass sie den besagten Teil der Bestimmung nicht anwenden wird (siehe Art. 1 Abs. 3 des Bundesbeschlusses vom 11. Dezember 2009 über die Genehmigung und die Umsetzung des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen[Lugano-Übereinkommen] [AS 2010 5601]). Demgegenüber enthält Art. 34 Nr. 1 LugÜ, der den Anerkennungsverweigerungsgrund des offensichtlichen Widerspruchs zur öffentlichen Ordnung (ordre public) statuiert, - wie Art. 27 Abs. 2 lit. b IPRG - keine entsprechende Regelung.
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4.2 Die Vorinstanz folgte im angefochtenen Urteil einer zu Art. 34 Nr. 1 des Lugano-Übereinkommens (respektive der Verordnung [EG] Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen [EuGVVO]) publizierten Lehrmeinung. Gemäss dieser kann auch ein krasser Verfahrensverstoss die Anerkennung im Allgemeinen nicht hindern, "wenn im ![]() | 14 |
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Sodann wies die Vorinstanz zu Recht auch auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung aus der Zeit vor dem Lugano-Übereinkommen hin, so namentlich auf BGE 85 I 39 : In diesem - das Abkommen vom 2. November 1929 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reich über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen (SR 0.276.191.361) betreffenden - Urteil hatte das Bundesgericht noch in allgemeiner Form festgehalten, die in der Schweiz wohnhafte Partei, der gegenüber im Ausland ein gegen den schweizerischen Ordre public verstossendes Urteil ergehe, dürfe "dessen Vollstreckung in der Schweiz abwarten und den Mangel dann geltend machen" (E. 4c S. 51).
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Gegen die Lösung der Vorinstanz könnte schliesslich auch der Umstand angeführt werden, dass KROPHOLLER/VON HEIN selber bei der ![]() | 17 |
Erwägung 5 | |
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Das Gebot von Treu und Glauben und das Rechtsmissbrauchsverbot gelten auch in grenzüberschreitenden Verhältnissen (siehe BGE 128 III 201 E. 1c mit Hinweisen; Urteil 4A_292/2012 vom 16. Oktober 2012 E. 2.6, nicht publ. in: BGE 138 III 750). Sie haben auch im Rahmen der internationalen Anerkennung von Gerichtsentscheiden und Schiedssprüchen Bedeutung:
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Namentlich sind sie bei der Geltendmachung von verfahrensrechtlichen Verweigerungsgründen nach dem Übereinkommen vom 10. Juni 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer ![]() | 21 |
In einem weiteren Urteil (4A_305/2009 vom 5. Oktober 2009) äusserte sich das Bundesgericht zur analogen Fragestellung im Zusammenhang mit der Anerkennung ausländischer Gerichtsentscheide. In diesem Fall war über die Vollstreckbarerklärung eines Urteils des Landesgerichts Bonn zu befinden. Die Vollstreckungsgegnerin hatte als Verstoss gegen den formellen Ordre public im Sinne von Art. 27 Abs. 1 LugÜ gerügt, dass am Oberlandesgericht Köln, welches ihre Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil abgewiesen hatte, eine befangene Richterin mitgewirkt habe. Das Bundesgericht hielt unter Bezugnahme auf seine publizierte Rechtsprechung zur Geltendmachung von Ausstandsgründen fest, treuwidrig und rechtsmissbräuchlich handle die Partei, die Ablehnungsgründe gleichsam in "Reserve" halte, "um diese bei ungünstigem Prozessverlauf und voraussehbarem Prozessverlust nachzuschieben". Die Vollstreckungsgegnerin müsse sich entgegenhalten lassen, dass sie die (zur Begründung des Ordre-public-Verstosses) angerufenen Umstände ohne weiteres hätte zur Kenntnis nehmen können, um einen allfälligen Ablehnungsgrund rechtzeitig im hängigen Verfahren vor Oberlandesgericht geltend zu machen. Indem sie damit bis nach dessen Abschluss zugewartet habe, habe sie die Möglichkeit zur Ablehnung der betroffenen Oberlandesrichterin verwirkt (E. 4.2).
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5.3.1 Gemäss der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz begründete die Beschwerdeführerin ihren Bestechungsvorwurf im kantonalen Verfahren (unter anderem) wie folgt: Am 15. Juli 2011 habe die mündliche Verhandlung vor dem erstinstanzlichen ![]() | 24 |
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So gehen die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Anhaltspunkte auf Korruption nicht über vage Indizien hinaus. Das gilt für den als freundschaftlich wahrgenommenen Umgang eines Richters mit Parteivertretern ebenso wie für die als kurz und unsubstanziiert empfundene Verhandlung und die von der Beschwerdegegnerin angeblich getätigte Rückstellung. All diese Elemente könnten zwar theoretisch mit einer Bestechungszahlung im Zusammenhang stehen, müssen aber gewiss nicht einen solchen kriminellen Hintergrund haben. Jedenfalls fügen sie sich bloss dann in das von der ![]() | 26 |
Die Beschwerdeführerin erhob im russischen Verfahren zwar einerseits Widerklage auf Rückerstattung ihrer Versicherungsleistungen, verzichtete andererseits aber darauf, ihren Korruptionsverdacht zum Ausdruck zu bringen und sich gegen die mögliche Bestechung zur Wehr zu setzen, sei es mittels eines formellen Ausstandsbegehrens, sei es durch blosse Anbringung eines Vorbehalts. Hierzu hätte sie indessen nach ihrer eigenen Darstellung genügenden Anlass gehabt: So machte die Beschwerdeführerin vor dem Bezirksgericht geltend, sie sei bereits nach dem erstinstanzlichen russischen Erkenntnisverfahren überzeugt davon gewesen, dass das gegen sie eingeleitete Verfahren nicht in rechtsstaatlichen Bahnen ablaufe. Im zweitinstanzlichen Verfahren hätten sich die entsprechenden Gerüchte und Indizien langsam zu verdichten begonnen. Dass sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Lage gewesen wäre, entsprechende prozessuale Schritte zu unternehmen, weil ihr bestimmte erhebliche Tatsachen oder Beweismittel noch nicht vorlagen, tut sie nicht dar.
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Im Gegenteil machte die Beschwerdeführerin selber geltend, sie habe erwogen, im zweitinstanzlichen Verfahren entsprechende Einwände zur Bestechung des erstinstanzlichen Richters zu erheben. ![]() | 28 |
Diese Ausführungen stehen zunächst in Widerspruch zur verbindlichen Feststellung der Vorinstanz, wonach die Bestechungsvorwürfe im russischen Erkenntnisverfahren mit einem Rechtsmittel hätten vorgebracht werden können und es der Beschwerdeführerin nicht gelungen sei, glaubhaft zu machen, dass die Rüge der Bestechlichkeit im russischen Rechtsmittelverfahren offensichtlich aussichtslos gewesen wäre (dazu nicht publ. E. 5.4.2). Dass nicht feststeht, ob eine entsprechende Rüge erfolgreich gewesen wäre, liegt in der Natur der Sache. Die Beschwerdeführerin hat sich jedenfalls selber zuzuschreiben, wenn sie gar keinen Einwand erhob und die (nun im Anerkennungsverfahren erhobenen) Korruptionsvorwürfe deshalb im Entscheidverfahren unbeurteilt blieben. Unter der - beschwerdeseits aufgestellten - Prämisse, dass ohnehin sämtliche Richter im gesamten russischen Instanzenzug von der Beschwerdegegnerin bestochen wurden, ist aber bereits nicht nachvollziehbar, weshalb die Beschwerdeführerin überhaupt den Rechtsmittelweg beschritt, hätte ihr dies (nach ihrer eigenen Sachdarstellung) doch von vornherein als aussichtslos erscheinen müssen. Wenn die Beschwerdeführerin (angeblich) ohnehin mit ihrem vollständigen Unterliegen im Rechtsmittelverfahren rechnen musste, ist schliesslich auch nicht erkennbar, was sie durch einen entsprechenden Einwand im Prozess hätte verlieren können. Es gelingt der Beschwerdeführerin somit nicht, ![]() | 29 |
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(...)
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Bei dieser Sachlage kann der erhobene Korruptionsvorwurf auch im bundesgerichtlichen Verfahren inhaltlich unbeurteilt bleiben. Es braucht nicht auf die weiteren Ausführungen zum Ordre-public-Einwand gemäss Art. 27 Abs. 2 lit. b IPRG eingegangen zu werden, mit denen die Beschwerdeführerin ihren materiellen Antrag auf Abweisung des Begehrens der Beschwerdegegnerin um Anerkennung und Vollstreckbarerklärung der russischen Entscheidung begründet.
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