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32. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Kantonsgericht des Kantons Zug (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_248/2014 vom 27. März 2015 | |
Regeste |
Art. 166 Abs. 1 lit. c IPRG; Anerkennung eines ausländischen Konkursdekrets in der Schweiz, Gegenrecht. | |
Sachverhalt | |
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Mit Entscheid vom 18. Februar 2013 bestätigte das Kantonsgericht Zug den von der B. AG mit ihren Gläubigern abgeschlossenen Nachlassvertrag. Für den Fall, dass die angemeldete Forderung der C. AG im zu erstellenden Kollokationsplan zurückgewiesen würde, soweit sie von den Sachwaltern bestritten worden war, beabsichtigt A., diesen Entscheid mit Kollokationsklage anzufechten. Zu diesem Zweck möchte er das niederländische Konkursdekret über die Muttergesellschaft anerkennen lassen.
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B. Mit Eingabe vom 13. September 2013 beantragte A. beim Kantonsgericht Zug die Anerkennung des Beschlusses des Landgerichts Rotterdam über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die C. AG. Mit Entscheid vom 8. Oktober 2013 wies das Kantonsgericht das Gesuch ab.
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C. Gegen dieses Urteil hat A. eine Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Er verlangt dessen Aufhebung, die Anerkennung des Beschlusses des Landgerichts Rotterdam als ausländisches Konkursdekret und als Folge die Eröffnung eines Partikularkonkurses im Sinn von Art. 170 ff. IPRG über das in der Schweiz gelegene Vermögen der C. AG. (...)
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
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Die bundesgerichtliche Rechtsprechung legt diese Norm dahingehend aus, dass das Erfordernis in einem weiten Sinn zu verstehen und Gegenseitigkeit gegeben ist, wenn das Recht des betreffenden Staates die Wirkungen eines ausländischen Konkurses in ähnlicher - nicht in strikt identischer - Weise anerkennt; es ist mit anderen Worten nicht nötig, dass umgekehrt ein schweizerisches Konkurserkenntnis in jedem Fall anerkannt würde, sondern es reicht, wenn das ausländische Recht unter den gleichen Umständen ein schweizerisches Erkenntnis zu Bedingungen anerkennt, die nicht wesentlich schlechter sind als diejenigen, welche das schweizerische Recht für die Anerkennung eines ausländischen Erkenntnisses aufstellt (BGE 126 III 101 E. 2d S. 105 f.; BGE 137 III 517 E. 3.2 S. 519).
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Diese Formel ist vor dem Hintergrund zu lesen, dass die Normenvielfalt gross ist und es deshalb genügen muss, wenn der ausländische Staat bei schweizerischen Konkursen ein irgendwie geartetes Rechtshilfeverfahren zur Verfügung stellt, welches nicht von seiner formalen Ausgestaltung her, wohl aber in seiner materiellen Qualität in etwa dem Verfahren nach Art. 166 ff. IPRG entspricht (STAEHELIN, Die Anerkennung ausländischer Konkurse und Nachlassverträge in der Schweiz [Art. 166 ff. IPRG], 1989, S. 69). Der betreffendeAutor nennt als zentrale Elemente, dass die Anerkennung des schweizerischen Konkursdekretes ohne révision au fond erfolgt, wobei ![]() | 9 |
Die letztgenannte Forderung nach einer konkursmässigen Verwertung oder Auslieferung läuft darauf hinaus, dass der ausländische Staat das uneingeschränkte Universalitätsprinzip zulassen oder ein förmliches Sekundärverfahren zur Verfügung stellen müsste. Darum geht es bei der vorerwähnten bundesgerichtlichen Formel nicht. Vielmehr kann durchaus auch eine andersartige Konzeption der schweizerischen Lösung im Ergebnis ebenbürtig sein, etwa wenn dem ausländischen Konkursverwalter ohne formelle Anerkennung des Konkursdekrets die Legitimation zur Einleitung von Klagen und Zwangsvollstreckungsmassnahmen zugebilligt oder sogar ein direkter Zugang zu den inländischen Vermögenswerten des ausländischen Gemeinschuldners gegeben wird.
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Schliesslich ist auf die europaweite Tendenz zur Lockerung des Gegenrechtserfordernisses zu verweisen, welche auch in der schweizerischen Gesetzgebung Niederschlag gefunden hat. So kann die FINMA aufgrund einer per 1. September 2011 in Kraft getretenen Novelle ein ausländisches Konkurserkenntnis oder ausländische Insolvenzmassnahmen unter bestimmten Voraussetzungen ohne Eröffnung eines Partikularkonkurses (Art. 37g BankG [SR 952.0]; vgl. dazu Botschaft, BBl 2010 3993, und im Einzelnen die Verfügung der FINMA vom 28. August 2012, in: Bulletin FINMA 4/2013 S. 128 ff., insb. Rz. 30, 55 und 58 ff.) und unabhängig von der Gewährung des Gegenrechts anerkennen (Art. 10 Abs. 2 BIV-FINMA [SR 952. 05]). Auch wenn sich diese Normen auf den Bereich der Bankeninsolvenzen beschränken, vermögen sie doch eine dahingehende objektiv-geltungszeitliche Auslegung von Art. 166 Abs. 1 lit. c IPRG zu bekräftigen, dass an die Anerkennungsvoraussetzung der Gegenseitigkeit (jedenfalls in formaler Hinsicht) nicht allzu strenge Anforderungen gestellt werden sollten.
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5. Wie im angefochtenen Entscheid richtig zitiert wird, geht die Lehre, soweit eine Begründung der geäusserten Ansicht erfolgt, davon aus, dass die Niederlande kein Gegenrecht gewähren (STAEHELIN, a.a.O., S. 91 f.; HANISCH, Internationale Insolvenzrechte des ![]() | 12 |
Das niederländische Recht bezüglich Kooperation in internationalen Konkurssachen ist nicht kodifiziert; vielmehr beruht dieser Bereich auf Richterrecht, soweit nicht im EU-Binnenverhältnis eine Verdrängung durch die am 31. Mai 2002 in Kraft getretene Verordnung Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO; ABl. L 160 vom 30. Juni 2000 S. 1) erfolgt. Das Gegenrecht im Sinn von Art. 166 Abs. 1 lit. c IPRG kann nicht nur mit Gesetzen, sondern auch mit Gerichtspraxis nachgewiesen werden, wobei sich die bereits ergangenen Entscheide nicht auf die Schweiz beziehen müssen (BGE 137 III 517 E. 3.3 S. 520). Wie aufgrund der beiden zitierten Gutachten und der einschlägigen Rechtsprechung des Hoge Raad bereits das Obergericht Zug festgehalten hat, bildet das Territorialitätsprinzip die Grundlage des niederländischen internationalen Konkursrechtes. Dies allein kann indes nicht von Belang sein, wendet doch in Bezug auf den ausländischen Konkurs auch die Schweiz das Territorialitätsprinzip an (dazu statt vieler: AMONN/WALTHER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 9. Aufl. 2013, § 40 Rz. 9a ff.), und zwar in viel strikterer Weise, indem der ausländische Konkursverwalter einzig um Anerkennung des ausländischen Konkurserkenntnisses ersuchen, indes in der Schweiz keine eigenen Handlungen vornehmen kann (vgl. BGE 135 III 40 E. 2.5.1 S. 44; BGE 139 III 236 E. 4.2 S. 238 f.), während dem ausländischen Konkursverwalter in den Niederlanden weitgehende Rechte eingeräumt werden. So kann er selbst Klagen einreichen (vgl. IJI-Gutachten; TMC-Gutachten) und in Bezug auf die in den ![]() | 13 |
Mit Bezug auf die Frage des Gegenrechtes kann es auch nicht entscheidend sein, dass den Niederlanden die formelle Anerkennung eines ausländischen Konkursdekretes und die Gesamtverwertung des dortigen Vermögens in einem förmlichen Verfahren fremd sind. Solches zu fordern, würde wie gesagt darauf hinauslaufen, dass die Bejahung des Gegenrechtes im Sinn von Art. 166 Abs. 1 lit. c IPRG an die Eröffnung eines Sekundärverfahrens geknüpft wäre. Nach dem Erwähnten ist aber nicht erforderlich, dass der ausländische Staat das Gegenrecht in den gleichen Formen wie die Schweiz gewährt; entscheidend ist vielmehr die Qualität der Rechtshilfe. So wird in der schweizerischen Literatur beispielsweise mit Bezug auf Österreich festgehalten, dass seit der im Zusammenhang mit der EuInsVO erfolgten Novellierung des Insolvenzrechtes (Bundesgesetz über das Internationale Insolvenzrecht, BGBl. I Nr. 36/2003 vom 13. Juni 2003) nunmehr die Gewährung des Gegenrechtes zu bejahen sei (ZILTENER/SPÄTH, a.a.O., S. 78; GEHRI/KOSTKIEWICZ, a.a.O., S. 203 Fn. 41; BRACONI, in: Commentaire romand, Loi sur le droit international privé, 2011, N. 22 zu Art. 166 IPRG). Die Novelle sieht in Bezug auf Drittstaaten (d.h. nicht EU-Staaten zzgl. Dänemark) vor, dass gemäss § 240 Insolvenzordnung (IO) die Wirkungen eines in einem anderen Staat eröffneten Insolvenzverfahrens in Österreich grundsätzlich anerkannt werden, und zwar eo ipso, d.h. ohne dass es eines besonderen Verfahrens, z.B. eines Anerkennungsverfahrens bedürfte (MOHR, Insolvenzordnung, 11. Aufl., Wien 2012, Ziff. 1a zu § 240 IO; FEIL, Insolvenzordnung, 7. Aufl., Wien 2010, Ziff. 3 zu § 240 IO), und dass gemäss § 241 Abs. 1 IO der ausländische Insolvenzverwalter in Österreich grundsätzlich alle Befugnisse ausüben kann, die ihm im Staat, in welchem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, zustehen. Die soeben geschilderte Rechtslage, wie sie in Österreich besteht, ist jener in den Niederlanden nicht unähnlich.
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Dennoch haben die Zuger Gerichte die Frage, ob die Niederlande Gegenrecht im Sinn von Art. 166 Abs. 1 lit. c IPRG gewähren, verneint. Den wesentlichen Unterschied zum schweizerischen Recht sehen sie darin, dass die Niederlande dem ausländischen Konkursdekret nicht die Wirkungen eines allgemeinen Konkursbeschlages ![]() | 15 |
In der Tat führt ein ausländisches Konkurserkenntnis in den Niederlanden nicht zu einem formellen faillissementsbeslag, wie er offenbar für den inländischen Konkurs durchaus bekannt ist. Dies führt zwangsläufig dazu, dass die Einzelzwangsvollstreckungsrechte im Vordergrund stehen und insbesondere bereits begründete Beschlagsrechte anderer Gläubiger zu berücksichtigen sind. Dies allein bedeutet aber noch nicht, dass die Qualität der Rechtshilfe, welche das niederländische internationale Konkursrecht bietet, der schweizerischen qualitativ von vornherein nicht ebenbürtig wäre. Insbesondere muss es entgegen der Ansicht der Zuger Gerichte nicht eine Benachteiligung bedeuten, wenn dem ausländischen Konkursverwalter im Wesentlichen Einzelzwangsvollstreckungsrechte zustehen. Indem er in den Niederlanden direkten Zugang zu den Gerichten und eigene Zwangsvollstreckungsrechte hat, ja sogar direkt Hand auf die Vermögenswerte des ausländischen Konkursiten legen kann, gelangt seine Masse unter Umständen zu einem viel besseren Ergebnis als es nach der schweizerischen Konzeption der Fall wäre, bei welcher er zuerst ein förmliches Exequaturverfahren durchlaufen und alsdann alle Verfahrensschritte aus der Hand geben muss, indem ein Sekundärverfahren eröffnet wird, welches vom schweizerischen Konkursamt abgewickelt wird und bei welchem vorab die privilegierten Gläubiger mit schweizerischem Wohnsitz befriedigt werden, so dass dem ausländischen Verwalter einzig ein allfälliger Überschuss nach Anerkennung des ausländischen Kollokationsplanes herausgegeben wird (Art. 172 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 173 Abs. 1 und 2 IPRG).
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In Bezug auf die Frage des Gegenrechts ergibt sich somit, dass die Niederlande die ausländische Konkurseröffnung nicht einfach ignorieren, sondern rechtshilfeweise eine ganze Palette von Wirkungsmöglichkeiten für den ausländischen Konkursverwalter eröffnen. Angesichts der in Bezug auf die Handlungsmöglichkeiten des ausländischen Konkursverwalters äusserst restriktive und auch in materieller Hinsicht zurückhaltende schweizerische Lösung stellt sich die Frage, ob nicht die niederländische Konzeption im Ergebnis sogar viel grosszügiger ist. Jedenfalls aber dürfen die beiden Konzepte unter Berücksichtigung sämtlicher Faktoren als durchaus gleichwertig gelten.
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Zusammenfassend ergibt sich, dass zwar die schweizerische Konkurseröffnung in den Niederlanden nicht in einem förmlichen Verfahren anerkannt werden kann und keine formelle und umfassende Beschlagswirkung eintritt, so dass der ausländische Konkursverwalter, wie die Zuger Gerichte richtig bemerkt haben, insofern einem zeitlichen Wettbewerb mit anderen Gläubigern ausgesetzt ist, als deren bereits erlangte Beschlagsrechte zu respektieren sind. Im Gegenzug hat er eigene Klage- und Zwangsvollstreckungsrechte und kann er direkt auf die Vermögenswerte des Gemeinschuldners in den Niederlanden zugreifen, und zwar auch auf diejenigen, welche bereits von anderen Gläubigern mit Beschlag belegt sind, wobei diesfalls die betreffenden Gläubiger vorab zu befriedigen sind. Damit anerkennt das niederländische internationale Konkursrecht für den ausländischen Konkurs bis zu einem gewissen Grad das Universalitätsprinzip, was dem schweizerischen internationalen Konkursrecht nach wie vor fremd ist (dazu oben).
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