BGE 141 III 580 | |||
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76. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Konkursamt Kriens gegen Konkursamt Aargau (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_80/2015 vom 19. Oktober 2015 | |
Regeste |
Art. 4, 17 und 229 Abs. 1 SchKG; Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG; Rechtshilfe; Beschwerdelegitimation der Konkursverwaltung; Präsenzpflicht des Schuldners im Konkursverfahren. |
Grundsätze der Rechtshilfepflicht der Betreibungs- und Konkursbehörden (E. 3.1). Die Präsenzpflicht des Schuldners gilt im Verhältnis zwischen der Behörde und dem Schuldner; sie ersetzt die Rechtshilfepflicht nicht (E. 3.2). Das requirierte Amt hat die gesetzliche Zulässigkeit der verlangten Amtshandlung nicht zu untersuchen (E. 3.3). | |
Sachverhalt | |
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A.a Über die A. AG mit Sitz in U./LU wurde mit Entscheid des Bezirksgerichts Kriens am 11. Dezember 2013 auf Antrag der B. GmbH der Konkurs eröffnet. Am 12. Dezember 2013 lud das Konkursamt Kriens C., einziges Mitglied des Verwaltungsrates der Schuldnerin und wohnhaft in V./AG, auf den 20. Dezember 2013 zur Einvernahme auf die Amtsstelle ein. Auf Ersuchen von C. wurde der Einvernahmetermin auf den 6. Januar 2014 verschoben, welchem sie unentschuldigt fernblieb, ebenso wie den weiteren Vorladungsterminen vom 10. Januar 2014 und 17. Januar 2014.
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A.b Mit Schreiben vom 17. Januar 2014 gelangte das Konkursamt Kriens an das Konkursamt Aargau, Amtsstelle Oberentfelden, und ersuchte, die Einvernahme von C. rechtshilfeweise durchzuführen, wenn nötig durch polizeiliche Zuführung. Das Konkursamt Aargau, Amtsstelle Oberentfelden, weigerte sich mit Antwort an das Konkursamt Kriens vom 20. Januar 2014, die Einvernahme von C. rechtshilfeweise durchzuführen.
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B. Gegen die Rückweisung des Rechtshilfeauftrages gelangte das Konkursamt Kriens an das Bezirksgericht (Gerichtspräsidium) Aarau als untere betreibungsrechtliche Aufsichtsbehörde und verlangte, das Konkursamt Aargau, Amtsstelle Oberentfelden, sei anzuweisen, die Einvernahme von C. gemäss Rechtshilfeauftrag vom 17. Januar 2014 durchzuführen. Mit Entscheid vom 27. März 2014 wurde die Beschwerde abgewiesen. Das Obergericht des Kantons Aargau, Schuldbetreibungs- und Konkurskommission als obere betreibungsrechtliche Aufsichtsbehörde, wies die vom Konkursamt Kriens erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 14. Januar 2015 ebenfalls ab.
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C. Das Konkursamt Kriens hat am 2. Februar 2015 beim Bundesgericht Beschwerde erhoben. Es beantragt die Aufhebung des Entscheides des Obergerichts des Kantons Aargau als oberer kantonaler Aufsichtsbehörde. In der Sache beantragt das Konkursamt Kriens, es sei das Konkursamt Aargau anzuweisen, die Einvernahme von C. gemäss Rechtshilfeauftrag vom 17. Januar 2014 durchzuführen. (...)
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 1 | |
1.2 Zur Beschwerde in Zivilsachen ist nur berechtigt, wer durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Abänderung hat (Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG). Ein solches Interesse ist gegeben, wenn die Beschwerdelegitimation ("schutzwürdiges Interesse") nach Art. 17 f. SchKG vorhanden ist (u.a. JEANDIN, La plainte et le recours [art. 17-22 et 36 LP], in: Sviluppi e orientamenti del diritto esecutivo federale, 2012, S. 36 f., mit Hinweis), was vorliegend zu prüfen ist.
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1.2.3 Würde die Aufsichtsbehörde des Konkursamtes die Vorladung zur Einvernahme des Schuldners anlässlich der Inventur (gemäss Art. 37 KOV [SR 281.32] i.V.m. Art. 221 und 229 Abs. 1 SchKG) und zur entsprechenden Mitwirkung im Konkursverfahren aufheben, wäre das Konkursamt legitimiert, den Entscheid anzufechten, um die Interessen der Gläubigergesamtheit wahrzunehmen. Das Gleiche gilt, wenn sich - wie hier - die Behörde eines anderen Amtskreises weigert, Rechtshilfe zur Einvernahme des Schuldners zu leisten. Es ist nicht erforderlich, dass das ersuchende Konkursamt Kriens die Gläubigerin (B. GmbH) benachrichtigt, damit sie Beschwerde erhebe, denn es ist selber - soweit es um das Interesse der Gläubigergesamtheit geht - an der verlangten Massnahme genügend interessiert. So wie die Vorinstanz dem Konkursamt Kriens im Konkurs der A. AG ohne weiteres ein schutzwürdiges Interesse zur Beschwerdeführung gemäss Art. 17 SchKG zu Recht zuerkannt hat, ist dem Konkursamt das schutzwürdige Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheides bzw. das Beschwerderecht zuzuerkennen (Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG).
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3.1 Gemäss Abs. 1 von Art. 4 SchKG ("Rechtshilfe") nehmen die Betreibungs- und Konkursämter auf Verlangen von Ämtern, ausseramtlichen Konkursverwaltungen, Sachwaltern und Liquidatoren eines anderen Kreises Amtshandlungen vor (vgl. BGE 83 III 129 S. 130; Botschaft vom 8. Mai 1991 über die Änderung des SchKG, BBl 1991 III 1, 24 Ziff. 201.12; GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite et la faillite, Bd. I, 1999, N. 9, 11 zu Art. 4 SchKG). Gegenstand der Rechtshilfe ist die behördliche Tätigkeit, zu deren Vornahme Amtsgewalt notwendig ist, aber ausserhalb des Amtskreises der ersuchenden Behörde vorzunehmen ist (vgl. u.a. DALLÈVES, in: Commentaire romand, Poursuite et faillite, 2005, N. 4 zu Art. 4 SchKG; BOVERI, Die Rechtshilfe im Schweizerischen Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, 1948, S. 14). Art. 4 SchKG kommt immer dann und nur dann zur Anwendung, wenn ein Amt ausserhalb seiner örtlichen Zuständigkeit, d.h. ausserhalb seines Kreises (Art. 1 SchKG) tätig werden muss, wo es keine Amtsgewalt hat (ROTH/WALTHER, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Aufl. 2010, N. 1 a.E. zu Art. 4 SchKG; MÖCKLI, in: Kurzkommentar SchKG, 2. Aufl. 2014, N. 1 f. zu Art. 4 SchKG). Umgekehrt kann das Amt für die Amtshandlung im eigenen Kreis nicht die Rechtshilfe eines anderen Amtes verlangen; auch die Zustellung von Betreibungsurkunden ausserhalb des Amtskreises durch die Post erfordert keine Rechtshilfe (Art. 4 Abs. 2 a.E. SchKG); anders als im internationalen Verhältnis können diese Amtshandlungen im ganzen Inland direkt vorgenommen werden (ROTH/WALTHER, a.a.O., N. 2 zu Art. 4 SchKG).
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3.2.1 Die Einvernahme des Schuldners durch das Konkursamt ist zweifelsfrei eine Amtshandlung, welche ausserhalb seines Amtskreises nicht direkt möglich ist. Zur Einvernahme des Schuldners ausserhalb seines Amtskreises muss daher das Konkursamt die Rechtshilfe beanspruchen. Die vom Konkursamt Kriens ausserhalb seines Amtskreises verlangte Einvernahme der Schuldnerin durch das betreffende Konkursamt ist taugliches Objekt der Rechtshilfe. Liegt aber ein solcher Gegenstand vor, sieht Art. 4 Abs. 1 SchKG auf entsprechendes Verlangen die Pflicht zur Rechtshilfe vor ("Requisition"). Die Rechtshilfe erstreckt sich auf alles, was ein Betreibungs- oder Konkursamt kraft Gesetz zu tun in der Lage ist: Das, was es selbst tun kann, kann es grundsätzlich auch durch ein anderes Amt requisitionsweise vornehmen lassen (BOVERI, a.a.O., S. 23). Der Sinn der allgemeinen Rechtshilfepflicht der Betreibungs- und Konkursbehörden untereinander liegt gerade darin, dass die Schweiz ein einheitliches Rechtsgebiet für die Schuldvollstreckung darstellt (vgl. bereits BGE 83 III 129 S. 130; 54 I 166 E. 4 S. 174). Das requirierte Amt ist daher zur verlangten Tätigkeit verpflichtet (u.a. BOVERI, a.a.O., S. 21; MÖCKLI, a.a.O., N. 6 zu Art. 4 SchKG). Dies verkennt das Konkursamt Aargau, wenn es zur Einvernahme des Schuldners u.a. ausführt, das Konkursamt am Konkursort habe "dem Schuldner in die Augen zu schauen". Der Rechtshilfeauftrag macht das requirierte Konkursamt zum zuständigen Amt und führt dazu, dass seine "Augen" zu denjenigen des requirierenden Amtes werden.
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3.3.1 Die Vorinstanz hat selber (zu Recht) angenommen, dass die Einvernahme des Schuldners zur Inventaraufnahme Gegenstand der Rechtshilfe sein kann. Allerdings hat sie Voraussetzungen aufgestellt, unter welchen die Rechtshilfe betreffend Einvernahme zu leisten ist. Damit hat sie übergangen, dass das requirierte Amt - aus der dargelegten Pflicht zur Rechtshilfe heraus (E. 3.2) - die gesetzliche Zulässigkeit der verlangten Amtshandlung allgemein und seit jeher nicht zu untersuchen hat (BGE 67 III 105 S. 106/107; vgl. 96 III 93 E. 1 S. 95; bereits Urteil B.233/1895 vom 25. Februar 1896, Archiv für Schuldbetreibung und Konkurs V/1896 Nr. 32 S. 84, 86; vgl. zuletzt Urteil 7B.251/2004 vom 24. Dezember 2004 E. 2.1), sondern die Berechtigten betreibungsrechtliche Beschwerde gegen die Anordnung der betreffenden Amtshandlung im Kanton der requirierenden Behörde erheben können (vgl. DALLÈVES, a.a.O., N. 8 zu Art. 4 SchKG, mit Hinweis; MÖCKLI, a.a.O., N. 11 zu Art. 4 SchKG).
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3.3.3 Aus der von der Vorinstanz zitierten Literaturstelle von LUSTENBERGER (a.a.O., N. 1 letzter Satz zu Art. 229 SchKG) lässt sich nichts entnehmen, was dem requirierten Amt das Recht geben würde, den Rechtshilfeauftrag zurückzuweisen. Aus dem Kontext bzw. vorangehenden Satz, der sich auf Art. 229 Abs. 3 SchKG bzw. die Wohnung des Konkursschuldners bezieht, geht hervor, dass es der Konkursverwaltung am Konkursort obliegt zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen der Schuldner und seine Familie in ihrer der Konkursmasse zugehörigen bisherigen Wohnung verbleiben ("... jedoch nicht das zur Inventarisierung einer auswärtigen Liegenschaft beigezogene Konkursamt"); über die rechtshilfeweise Einvernahme des Schuldners anlässlich der Inventaraufnahme und die Rechtshilfepflicht ist damit nichts gesagt.
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