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57. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. und B. gegen C. AG (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_691/2015 vom 18. Mai 2016 | |
Regeste |
Art. 270 Abs. 1 OR; Anfechtung des Anfangsmietzinses. | |
Sachverhalt | |
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A.a Die C. AG (Vermieterin, Beklagte, Beschwerdegegnerin) erwarb am 6. Dezember 2001 die aneinander grenzenden Liegenschaften Strasse U. und Strasse V. in Zürich.
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A.b Am 20. März 2013 schlossen A. (Mieter 1, Kläger 1, Beschwerdeführer 1) und B. (Mieter 2, Kläger 2, Beschwerdeführer 2) mit der Vermieterin einen Vertrag über die Miete einer der 3 1/2-Zimmer-Maisonette-Wohnungen im Dachstock der Liegenschaft Strasse U. in Zürich. Der Mietzins wurde auf Fr. 3'900.- zuzüglich Fr. 300.- Nebenkosten à-conto pro Monat festgesetzt. Die Mieter verpflichteten sich überdies, eine Sicherheit von Fr. 12'600.- zu leisten. Als Mietbeginn wurde der 1. April 2013 festgelegt. Die Mieter arbeiteten ![]() | 3 |
B.
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B.a Mit Eingabe vom 23. April 2013 gelangten die Mieter an die Schlichtungsbehörde Zürich mit dem Antrag, es sei der Anfangsmietzins für missbräuchlich zu erklären und um Fr. 1'100.- herabzusetzen.
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Die Schlichtungsstelle stellte mangels Einigung am 26. August 2013 die Klagebewilligung aus.
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B.b Die Mieter gelangten noch am gleichen Tag an das Mietgericht und stellten mit den in der Folge modifizierten Rechtsbegehren schliesslich die Anträge, es sei der Anfangsmietzins für die 3 1/2-Zimmer-Maisonette-Wohnung als missbräuchlich zu erklären, soweit er monatlich netto Fr. 2'200.- übersteigt; die hinterlegte Mietzinsgarantie sei auf Fr. 6'600.- zu reduzieren.
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Mit Urteil vom 16. Juni 2015 wies das Mietgericht Zürich die Klage ab.
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B.c Das Obergericht des Kantons Zürich wies mit Urteil vom 9. November 2015 die Berufung der Mieter ab und bestätigte das erstinstanzliche Urteil.
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Zur Begründung führte das Obergericht aus, es genüge für die Anfechtung des Anfangszinses nach Art. 270 Abs. 1 lit. a OR nicht, wenn der Mieter eine Notlage oder eine Wohnungsnot nachweise; er müsse vielmehr beweisen, dass er sich aus diesem Grund in einer Zwangslage befunden habe, und er müsse nachweisen, dass ihm eine vernünftige Alternative gefehlt habe, wozu er Suchbemühungen nachzuweisen habe.
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C. Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 15. Dezember 2015 beantragen die Mieter dem Bundesgericht, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 8. November 2015 sei aufzuheben und das Verfahren sei zum Entscheid über die Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses an die Vorinstanz zurückzuweisen, eventualiter sei der Anfangsmietzins für missbräuchlich zu erklären, soweit er monatlich netto Fr. 2'200.- übersteigt, und die Mietkaution sei entsprechend zu reduzieren.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, hebt das angefochtene Urteil auf und weist die Sache zum Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
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"a. er sich wegen einer persönlichen oder familiären Notlage oder wegen der Verhältnisse auf dem örtlichen Markt für Wohnungen und Geschäftsräume zum Vertragsabschluss gezwungen sah; oder
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b. der Vermieter den Anfangsmietzins gegenüber dem früheren Mietzins für dieselbe Sache erheblich erhöht hat."
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In der französischen Fassung:
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"a. s'il a été contraint de conclure le bail par nécessité personnelle ou familiale ou en raison de la situation sur le marché local du logement et des locaux commerciaux; ou
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b. si le bailleur a sensiblement augmenté le loyer initial pour la même chose par rapport au précédent loyer."
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In der italienischen Fassung:
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"a. è stato costretto a concludere il contratto per necessità personale o familiare oppure a causa della situazione del mercato locale di abitazioni e di locali commerciali; o
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b. il locatore ha aumentato in modo rilevante la pigione iniziale rispetto a quello precedente per la stessa cosa."
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2.1 Die Anfechtung des Anfangsmietzinses war schon vor Inkrafttreten des am 15. Dezember 1989 geänderten 8. Titels des Obligationenrechts über die Miete (AS 1990 802) in Art. 17 des Bundesbeschlusses vom 30. Juni 1972 über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen (BMM) vorgesehen. Nach Art. 17 BMM war die Anfechtung des Mietzinses beim Abschluss eines Mietvertrages innert einer Frist von dreissig Tagen zunächst voraussetzungslos zulässig. Denn Art. 17 BMM in der ursprünglichen Fassung vom 30. Juni 1972 (AS 1972 1502 ff., 1507) sah vor: "Der Mieter einer Wohnung, die erstmals oder wieder vermietet wird, ist berechtigt, innert dreissig Tagen seit Abschluss des Mietvertrages den Mietzins als ![]() | 24 |
Diese Entwicklung wurde vom Bundesgericht im publizierten Urteil BGE 114 II 74 E. 3c S. 76 ff. dargestellt und es wurde aufgezeigt, dass der Bundesrat die ursprüngliche Norm beibehalten wollte, die Anfechtbarkeit jedoch von Vermieterseite heftig kritisiert worden war. Art. 17 BMM in der Fassung vom 9. Juni 1977 wurde vom Bundesgericht in diesem publizierten Urteil als Kompromiss verstanden und im Lichte der Entstehungsgeschichte so ausgelegt, dass der Mieter den Anfangsmietzins nicht nur anfechten könne in einer Situation der Wohnungsnot, sondern auch unabhängig von einer derartigen Situation, wenn er zum Abschluss der Miete aus anderen persönlichen Gründen gezwungen war (BGE 114 II 74 E. 3c S. 77). Ausdrücklich verworfen wurde in diesem Urteil die Auslegung von Art. 17 BMM durch die Vorinstanz, welche eine Notlage nur hatte bejahen wollen, wenn der Mieter nachweise, dass er dringend die Wohnung wechseln musste, sich finanziell keine teurere Wohnung leisten konnte und intensiv und lange gesucht hatte (BGE 114 II 74 E. 3d S. 78).
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Im Jahr 1985 schlug der Bundesrat dem Parlament schliesslich vor, den Bundesbeschluss über Missbräuche im Mietwesen durch ein Bundesgesetz über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen (BGMM) zu ersetzen (Entwurf, BBl 1985 1526 ff.). Art. 13 des entsprechenden Gesetzesentwurfs wollte dem Mieter das Recht einräumen, den Anfangsmietzins innert 30 Tagen nach Übergabe der Mietsache bei der Schlichtungsstelle als missbräuchlich anzufechten und die Herabsetzung zu verlangen. Ausweislich der Botschaft beabsichtigte der Bundesrat damit, das Recht zur Anfechtung eines missbräuchlichen Anfangsmietzinses wieder vom Nachweis einer Notlage zu befreien. Der Verzicht auf diese Voraussetzung war nach Auffassung des Bundesrats gerechtfertigt, weil der damals geltende Art. 17 BMM in der Praxis gerade deshalb toter Buchstabe geblieben sei, weil die Gerichte ihn restriktiv ausgelegt und höchst selten eine Notlage des Mieters angenommen hätten (Botschaft vom 27. März ![]() | 26 |
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2.2.1 Persönliche oder familiäre Umstände, die nach der ersten Alternative von Art. 270 Abs. 1 lit. a OR die Anfechtbarkeit des Anfangsmietzinses rechtfertigen können, wurden in der bundesgerichtlichen Praxis bejaht, als einer Familie mit drei Kindern die bisherige ![]() | 28 |
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2.2.3 Die allgemeinen Erwägungen in den Entscheiden des Bundesgerichts zur Auslegung von Art. 270 Abs. 1 lit. a OR sind nicht einheitlich; zuweilen werden - unter Zusammenfassung der beiden Alternativen in Art. 270 Abs. 1 lit. a OR - nur zwei alternative Voraussetzungen erwähnt (vgl. etwa Urteil 4A_576/2008 vom ![]() | 30 |
2.3 In der Literatur sind die Ansichten geteilt. Einerseits wird die Ansicht vertreten, die beiden in Art. 270 Abs. 1 lit. a OR aufgeführten Gründe für die Zulassung zur Anfechtung des Anfangsmietzinses setzten in jedem Fall auch den Nachweis voraus, dass der Mieter (aufgrund seiner persönlichen Situation) zum Abschluss des Mietvertrages gezwungen war, dass ihm somit keine zumutbare Alternative zur Verfügung gestanden habe (HIGI, Zürcher Kommentar, 4. Aufl. 1998, N. 36 ff., 41 zu Art. 270 OR; TERCIER/FAVRE, Les contrats spéciaux, 4. Aufl. 2009, N. 2657 [freilich unter Verweis aufeinen Entscheid der Genfer Cour de Justice vom 12. Februar 2001, deren Praxis im Urteil des Bundesgerichts 4C.367/2001 vom 12. März 2002 als bundesrechtswidrig erklärt worden ist];BISANG UND ANDERE, Das schweizerische Mietrecht, Kommentar, 3. Aufl. 2009, N. 12 ff. zu Art. 270 OR; MÜLLER, La contestation du loyer initial [...], CdB 1995 S. 6;JORNOD, La contestation du loyer initial, ZSR 2006 I S. 49); ein anderer Teil der Lehre vertritt die Ansicht, dass der Nachweis der Wohnungsnot zur Anfechtung des Anfangsmietzinses gemäss der zweiten Alternative von Art. 270 Abs. 1 lit. a OR genüge (LACHAT, Le bail à loyer, 2008, S. 390; derselbe, in: Commentaire romand, Code des obligations, 2. Aufl. 2012, N. 5 zu Art. 270 OR; WEBER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 6. Aufl. 2015, N. 4 zu Art. 270 OR; BOHNET/MONTINI, Droit du bail ![]() | 31 |
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3.1.1 Ausgangspunkt jeder Auslegung ist der Wortlaut. Gemäss dem Wortlaut von Art. 270 Abs. 1 lit. a OR ermöglichen zwei Alternativen die Anfechtung. In allen drei Sprachen werden als Grund für den Zwang zum Abschluss des Mietvertrages entweder eine persönliche bzw. familiäre Notlage oder die Verhältnisse auf dem örtlichen Markt für Wohnungen oder Geschäftsräume angeführt (oben E. 2.1). Es ist daher davon auszugehen, dass nach Art. 270 Abs. 1 OR drei Gründe für die Anfechtung des Anfangsmietzinses bestehen, nämlich nach der ersten Alternative in Art. 270 Abs. 1 lit. a OR eine persönliche oder familiäre Notlage, die den Mieter zum Abschluss des - angefochtenen - Vertrages gezwungen hat, nach der zweiten Alternative in Art. 270 Abs. 1 lit. a OR die Verhältnisse auf dem örtlichen Wohnungsmarkt, die den Mieter zum Abschluss dieses Vertrages gezwungen haben, und schliesslich der - hier nicht ![]() | 34 |
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3.1.3.1 In der Praxis zu Art. 17 BMM sind die beiden Gründe für die Anfechtung namentlich im amtlich publizierten BGE 114 II 74 als Voraussetzungen erwähnt, unter denen eine "Notlage" ![]() | 37 |
3.1.3.2 Im erwähnten Urteil hat das Bundesgericht im Ergebnis die Voraussetzung zur Anfechtung des Anfangsmietzinses bejaht und die Sache zur materiellen Beurteilung der Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses an die Vorinstanz zurückgewiesen. Es hat zwar ausdrücklich festgehalten, dass die drei von der Vorinstanz erwähnten Kriterien (Dringlichkeit des Wohnungswechsels, finanzielle Verhältnisse des Mieters, Anzahl und Dauer der Suchbemühungen) für die Anwendung von Art. 17 BMM nicht entscheidend sind (BGE 114 II 74 E. 3d S. 78). Es hat jedoch in diesem Urteil angenommen, es genüge für die Notlage, dass der Mieter gute Gründe für den Wohnungswechsel habe und dass von ihm nicht verlangt werden könne, auf eine Gelegenheit zum Abschluss eines Mietvertrages zu verzichten - sei es wegen der Marktsituation oder wegen seiner persönlichen Verhältnisse, wobei sämtliche Umstände zu berücksichtigen seien zur Beurteilung, ob eine Notlage im Sinne von Art. 17 BMM vorliege.
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3.1.4 Es ist auch teleologisch nicht einzusehen, weshalb für die Anfechtung des Anfangsmietzinses wegen einer nicht funktionierenden Marktlage der Nachweis einer persönlichen Not- bzw. Zwangslage erforderlich sein sollte. Der Grundsatz pacta sunt servanda gilt uneingeschränkt und gehört gar zum ordre public, wenn ![]() ![]() | 40 |
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3.1.6 Die Ansicht der Vorinstanz, wonach die Beschwerdeführer nicht nur die Knappheit des Mietangebots von Wohnungen in Zürich im massgebenden Zeitpunkt nachzuweisen hätten, sondern auch noch beweisen müssten, dass sie aufgrund ihrer persönlichen Situation keine zumutbare Alternative gehabt hätten, verkennt die Selbständigkeit der zweiten Voraussetzung zur Anfechtung des Anfangsmietzinses in Art. 270 Abs. 1 lit. a OR. Der Vorinstanz ist zwar zuzugestehen, dass die bundesgerichtliche Praxis nicht eindeutig ist, soweit zuweilen unkritisch allgemeine Formulierungen aus einem Urteil zum alten Recht bzw. aus der Literatur übernommen werden (vgl. etwa BGE 136 III 82 E. 2 S. 84 f. und Urteil 4C.169/2002 vom 16. Oktober 2002 E. 2.1). Wenn aus diesen allgemeinen Formulierungen geschlossen werden könnte, dass die altrechtliche "Notlage" neurechtlich mit der resultierenden "Zwangslage" weitergeführt worden sei, so ergibt sich aus den konkret entschiedenen Fällen das ![]() | 42 |
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Im vorliegenden Fall hat die Vorinstanz im Gegensatz zur ersten Instanz offengelassen, ob die Wohnungsnot belegt sei. Sie hat zwar verneint, dass die Mieter Suchbemühungen nachgewiesen hätten, hat sich aber zu den vom Mietgericht herangezogenen Statistiken nicht geäussert. Sie hat freilich festgestellt, dass nach den Feststellungen des Mietgerichts aufgrund der eingereichten Statistik in der Stadt Zürich am 1. Juli 2013 0,11 % der Wohnungen leer gewesen seien (im Vorjahr 0,1 %) und im ganzen Kanton Zürich die ![]() | 44 |
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