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61. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_450/2015 vom 11. März 2016 | |
Regeste |
Art. 301a Abs. 2 lit. a und Abs. 5 ZGB; Wegzug des Kindes ins Ausland. | |
Sachverhalt | |
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B. Mit Urteil vom 7. Juli 2014 schied das Kreisgericht St. Gallen die Ehe zwischen den Parteien. Es beliess den Eltern das gemeinsame Sorgerecht, teilte aber die Kinder insofern der Mutter zu, als es sie unter deren alleinige Obhut stellte und auch bestimmte, dass sie bei ihr wohnen. Dem Vater wurde ein Besuchsrecht für jedes zweite Wochenende von Samstag, 9.00 Uhr, bis Sonntag, 18.00 Uhr, sowie ein Ferienrecht von zwei Wochen pro Jahr eingeräumt. Im Weiteren erteilte das Gericht der Mutter die Erlaubnis, den Aufenthaltsort der Kinder nach Graz zu verlegen. Für die Zeit ab dem Umzug wurde dem Vater das Recht eingeräumt, die Kinder jedes erste Wochenende im Monat von Freitag, 8.00 Uhr, bis Sonntag, 18.00 Uhr, in Graz zu besuchen; die Mutter wurde verpflichtet, die Kinder alle drei Monate (Februar, Mai, August, November) jeweils am dritten Wochenende des Monats nach U. zu bringen, so dass der Vater mit den Kindern die Zeit von Freitag, 9.30 Uhr, bis Sonntag, 14.00 Uhr, verbringen könne. Das Ferienrecht wurde für die Zeit nach dem Umzug nach Graz unverändert auf zwei Wochen pro Jahr festgesetzt. Ferner ordnete das Kreisgericht eine Beistandschaft nach Art. 308 Abs. 1 und 2 ZGB an. Zudem regelte es den Unterhalt für die Ehefrau und die Kinder, und zwar separat für die Zeit in der Schweiz und für die Zeit ab dem Umzug nach Graz.
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Dagegen erhob A. Berufung. Mit Entscheid vom 29. April 2015 bestätigte das Kantonsgericht St. Gallen die erstinstanzliche Regelung, insbesondere die Kinderzuteilung und die Erlaubnis, den Wohnsitz der Kinder nach Graz zu verlegen.
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C. Gegen den kantonsgerichtlichen Entscheid hat A. am 1. Juni 2015 eine Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Er verlangt die Abweisung des Begehrens um Erlaubnis zur Verlegung des Aufenthaltsortes der Kinder und ein ausgedehnteres Besuchsrecht (jedes zweite Wochenende bereits ab Freitagabend statt Samstagmorgen sowie alternierend an Ostern, Auffahrt, Pfingsten und Weihnachten).
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Das Bundesgericht räumt dem Vater ein zusätzliches Besuchsrecht an alternierenden Feiertagen ein, weist die Beschwerde aber im Übrigen ab.
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(Zusammenfassung)
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2.2 Der Vater macht beschwerdeweise geltend, die Kinder hätten das Recht auf Betreuung durch beide Elternteile und der Kontakt dürfe nicht durch einen Umzug faktisch vereitelt werden. Die Mutter habe den Umzug nicht sorgfältig geplant und überlegt; insbesondere könne sie für Graz weder eine Arbeit noch eine Wohnung nachweisen. Es sei völlig willkürlich, wenn das Kantonsgericht festgehalten habe, sie könne dies aufgrund der eingelegten Rechtsmittel nicht. Es sei im Übrigen zynisch zu sagen, Graz biete gute Arbeits-, Sozial- und Wohnverhältnisse; das Kindeswohl stehe bereits dann in Frage, wenn die Arbeits-, Wohn- und Betreuungssituation am neuen Ort nicht vollständig klar sei, zumal die Mutter in U. ![]() | 9 |
Die Mutter bringt vernehmlassungsweise vor, der Umzug in ihre Heimat sei wohl überlegt. Sie könne aber keinen Arbeits- und Mietvertrag unterzeichnen oder die Kinder in der Schule anmelden, solange aufgrund der väterlicherseits eingereichten Rechtsmittel nicht feststehe, wann sie ausreisen könne. Der Vater verlange deshalb Beweise, welche objektiv nicht erbracht werden könnten. Es gehe nicht um ein entlegenes, exotisches oder gefährliches Land, weshalb die Befürchtungen des Vaters unbegründet seien; die Kinder wären in Graz ebenso gut versorgt, beschult und betreut. Im Übrigen seien für sie die Arbeitsbedingungen in Graz besser; sie verliere ihre Arbeitsstelle in der Schweiz und werde ab 2016 zur Sozialhilfebezügerin, soweit sie nichts Neues finde.
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2.3 Mit Bundesgesetz vom 21. Juni 2013, in Kraft getreten auf 1. Juli 2014 (AS 2014 357), wurde die elterliche Sorge und in diesem Zusammenhang auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht betreffend die Kinder einer Revision unterzogen. Das neue Recht statuiert als allgemeinen Grundsatz die gemeinsame elterliche Sorge, auch für geschiedene oder nicht miteinander verheiratete Eltern (zu den Ausnahmen vgl. BGE 141 III 472). Während unter altem Recht das Aufenthaltsbestimmungsrecht als Teil des Obhutsrechtes aufzufassen war (vgl. BGE 136 III 353), bestimmt die Gesetzesnovelle, dass die elterliche Sorge das Recht einschliesst, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen (Art. 301a Abs. 1 ZGB). Üben die Eltern die elterliche Sorge gemeinsam aus und will ein Elternteil den Aufenthaltsort des Kindes wechseln, so bedarf dies der Zustimmung des andern Elternteils oder der Entscheidung des Gerichts bzw. der Kindesschutzbehörde, wenn der neue Aufenthaltsort im Ausland ![]() | 11 |
Grundgedanke dieser Norm ist, dass die Beziehung zu den Elternteilen vom Aufenthaltsort des Kindes abhängt und deshalb keiner alleine diesen verlegen können soll, wenn dadurch die Ausübung der Elternrechte des andern erheblich betroffen werden (vgl. Botschaft vom 16. November 2011, BBl 2011 9107 f. zu Art. 301a). Für die transnationale Verlegung des Aufenthaltsortes war zudem die Überlegung wesentlich, dass damit ein Wechsel der Jurisdiktion in Bezug auf die Kinderbelange verbunden ist (vgl. Art. 5 des Haager Kindesschutzübereinkommens vom 19. Oktober 1996 [HKsÜ; SR 0.211.231.011] und Art. 5 Abs. 2 lit. a und c des Lugano-Übereinkommens vom 30. Oktober 2007 [LugÜ; SR 0.275.12]), weshalb unabhängig von der Distanz des neuen Aufenthaltsortes und dem konkreten Einfluss auf die Ausübung der elterlichen Sorge die Zustimmung des anderen Elternteils bzw. des Gerichtes oder der Kindesschutzbehörde erforderlich sein soll (Botschaft, BBl 2011 9108 zu Art. 301a).
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Die materielle Regelungszuständigkeit für die Fragen der elterlichen Sorge, der Obhut bzw. der Betreuung, des persönlichen Verkehrs und des Aufenthaltsbestimmungsrechtes obliegt bislang ausschliesslich dem nationalen Gesetzgeber. Zwar gibt es in diesem Sachbereich auf internationaler Ebene verschiedene Übereinkommen; diese betreffen aber einzig die Zuständigkeiten, das anwendbare Recht und die Urteilsanerkennung bzw. -vollstreckung. Sodann bestehen Rechtshilfeabkommen bei internationalen Kindesentführungen, namentlich das Haager Entführungsübereinkommen vom 25. Oktober 1980 (HKÜ; SR 0.211.230.02). Dieses regelt die Folgen der Verletzung einer dem anderen Elternteil ausschliesslich oder gemeinsam zustehenden Sorgerechtsposition (Art. 3 HKÜ) bzw. des Aufenthaltsbestimmungsrechtes über das Kind (Art. 5 HKÜ). Wem in materieller Hinsicht das Aufenthaltsbestimmungsrecht zusteht, so dass es zu einer widerrechtlichen Verletzung im Sinn von Art. 3 und 5 HKÜ und somit zu einer Entführung im Sinn des HKÜ kommen kann, ist jedoch zwangsläufig nicht im Übereinkommen normiert; vielmehr bemisst sich dies nach dem Recht, welches gemäss dem internationalen Privatrecht im Staat des gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes vor dem widerrechtlichen Verbringen Anwendung findet (vgl. Urteil 5A_764/2009 vom 11. Januar 2010 E. 3.1).
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Aus dem Gesagten ergibt sich, dass der nationale Gesetzgeber dazu aufgerufen, aber inhaltlich frei ist, das Aufenthaltsbestimmungsrecht in Bezug auf die Kinder, insbesondere im Zusammenhang mit der Frage des Wegzuges, zu regeln. Wie die mit der Gesetzesnovelle vom 21. Juni 2013 erfolgte Normierung aussieht, ist nachfolgend darzustellen.
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Dass der Umzug einer erwachsenen Person aufgrund der Tatsache eines gemeinsamen Kindes von der Zustimmung einer anderen Person abhängig sein sollte, stiess in der Vernehmlassung auf Kritik und führte in der parlamentarischen Beratung zu Kontroversen (vgl. die nationalrätliche Debatte, AB 2012 N 1652 ff., und die ständerätliche Debatte, AB 2013 S 12 ff.), weil damit eine Anzahl von verfassungsmässigen Rechten (insbesondere die Niederlassungsfreiheit, Art. 24 BV, aber auch die persönliche Freiheit und die Gewerbefreiheit, vgl. TUOR/SCHNYDER/JUNGO, Das schweizerische Zivilgesetzbuch, 14. Aufl. 2015, S. 514), beeinträchtigt worden wären.
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Diese gesetzgeberische Wertung ist nicht nur im Zusammenhang mit den verfassungsmässigen Rechten der Eltern (Niederlassungsfreiheit, persönliche Freiheit, Gewerbefreiheit), sondern ebenso im Kontext mit dem Grundsatz der Familienautonomie, welcher das Zivilgesetzbuch prägt, zu lesen. Es besteht ein allgemeiner gesellschaftlicher Konsens, dass der Staat grundsätzlich nicht in die Lebensplanung der Eltern eingreifen soll. Dies gilt auch für die Aufenthaltsfrage der Kinder. Familien können beliebig herumziehen oder auswandern; es bestehen keinerlei Genehmigungspflichten, und der Staat enthält sich selbst dann einer Intervention, wenn die damit einhergehende Relocation des Kindes seinem Wohl abträglich ist oder gegen dessen ausdrücklichen Willen geschieht. Die Respektierung der privatautonomen elterlichen Entscheidung durch den Staat beruht letztlich auf der Annahme, dass die Eltern ihre Verantwortung wahrnehmen und am besten dazu berufen sind, die ![]() | 20 |
Im Zusammenhang mit der Grundrechtsausübung ist schliesslich zu bemerken, dass es keineswegs nur um die Niederlassungsfreiheit, sondern ebenso sehr um die persönliche Freiheit bzw. die Freiheit der Lebensgestaltung an sich geht. Freilich können Betreuungspflichten zu einer Einschränkung dieser Rechte, aber insbesondere auch zu faktischen Schwierigkeiten bei der Ausübung dieser Freiheiten führen; dies ist bei zusammenlebenden Paaren nicht anders als bei alleinerziehenden Eltern. Die Tatsache, dass gemeinsame Kinder vorhanden sind, ist aber kein Grund, die Ausübung von Freiheitsrechten über das Konzept des Gesetzgebers hinaus zu beschneiden. Dies ergibt sich insbesondere auch aus einer Parallelwertung mit anderen familienrechtlichen Instituten, welche auf der Ausübung von Grundfreiheiten beruhen und die Lebensplanung betreffen. Beispielsweise hat der Gesetzgeber die Scheidungsfreiheit nicht beschränkt, nur weil aus der Ehe gemeinsame Kinder hervorgegangen sind; dem Scheidungsbegehren eines Elternteils ist selbst dann stattzugeben, wenn der andere Teil scheidungsunwillig ist oder es der grösste Wunsch der Kinder wäre, dass die Eltern zusammenbleiben. Es wird mit anderen Worten von der sich aus einseitiger Willensausübung ergebenden Scheidungstatsache ausgegangen und als Folge werden die Kinderbelange neu geregelt, wobei das Kindeswohl hierfür die Leitmaxime bildet (Art. 133 Abs. 2 ZGB). Ebenso wenig ist ein Elternteil daran gehindert, durch das Eingehen einer (neuen) Ehe von seiner Ehefreiheit Gebrauch zu machen, selbst wenn der frühere Partner damit nicht einverstanden ist oder sich die Kinder aus der früheren Beziehung dagegen auflehnen und eine Beeinträchtigung des Kindeswohls zur Debatte steht. Auch hier wird von der sich aus dem Heiratswillen des einen Elternteils ergebenden Tatsache der (Neu-)Verheiratung ausgegangen und sind ![]() | 21 |
Aus dem gleichen Wertungsgedanken heraus hat der Gesetzgeber, was die Niederlassungsfreiheit der Elternteile anbelangt, den gegenüber dem Gesetzesentwurf geäusserten Bedenken durch eine bewusste Modifikation von Art. 301a Abs. 2 ZGB Rechnung getragen und dafür gesorgt, dass die Schweiz nicht aufgrund einer "faktischen Residenzpflicht" (vgl. BGE 136 III 353 E. 3.3 S. 359) zu einem "Müttergefängnis" (vgl. Entscheid des Obergerichtes des Kantons Bern vom 26. Mai 2014, in: FamPra.ch 2015 S. 252) wird. Das bedeutet, dass die - ohnehin kaum justiziablen - Motive des wegziehenden Elternteils grundsätzlich nicht zur Debatte stehen können. Vielmehr ist von der Hypothese auszugehen, dass der eine Elternteil wegzieht (so auch COESTER-WALTJEN, a.a.O., S. 314), und es ist als Folge die Eltern-Kind-Beziehung soweit nötig anzupassen (Art. 301a Abs. 5 ZGB). Insofern entspricht die vom Gesetzgeber verabschiedete Gesetzesfassung dem, was der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) für die internationale Relocation durch richterliche Rechtsfindung festgehalten hat:
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In Deutschland finden sich im Gesetz keine die Wegzugsfrage direkt regelnde Normen. Anwendbar ist § 1631 Abs. 1 BGB, wonach die Personensorge das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind umfasst, in Verbindung mit § 1671 Abs. 1 BGB, wonach der getrennt lebende Elternteil beantragen kann, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge oder einen Teil davon allein überträgt. Im Sinne einer Leitentscheidung hat der BGH im Beschluss XII ZB 81/09 vom 28. April 2010 - betreffend einen Wegzug nach Mexiko - festgehalten, dass das Kindeswohl der Massstab sei (Rz. 17). Die verfassungsrechtlich in Art. 2 des Grundgesetzes garantierte allgemeine Handlungsfreiheit des auswanderungswilligen Elternteils bestimme die tatsächliche Ausgangslage, denn für die Beurteilung des Kindeswohls sei nicht davon auszugehen, dass der hauptsächlich betreuende Elternteil mit dem Kind im Inland verbleibe, selbst wenn dies mit dem Kindeswohl am besten zu vereinbaren wäre, sondern dass er seinen Auswanderungswunsch in die Tat umsetze (Rz. 22). Die Motive für den Auswanderungsentschluss stünden nicht zur Überprüfung durch das Gericht; insoweit komme es nicht darauf an, ob der Elternteil triftige Gründe anführen könne (Rz. 23). Die Befugnisse des Gerichtes hätten sich darauf zu konzentrieren, wie sich die Auswanderung auf das Kindeswohl auswirke; verfolge ![]() | 23 |
2.6 Ähnliche Überlegungen müssen, wie nachfolgend zu zeigen sein wird, für die Auslegung und Anwendung von Art. 301a ZGB gelten. Wie gesagt ist von der Prämisse auszugehen, dass der eine Elternteil in Ausübung seiner Freiheitsrechte wegziehen will. Es ist mithin nicht ein Vorzustand zu perpetuieren, sondern eine neue Situation zu regeln (vgl. FASSBIND, a.a.O., S. 697). Die hierbei aufkommende Frage, wo sich im Rahmen der neuen Begebenheiten der Aufenthaltsort des Kindes befinden soll, ist ausgerichtet am Kindeswohl zu beantworten (vgl. Art. 301a Abs. 5 ZGB; Botschaft, BBl 2011 9108 zu Art. 301a). Dieser Grundsatz geniesst Verfassungsrang (Art. 11 BV) und bildet für sämtliche Kindesbelange die oberste Richtschnur (BGE 129 III 250 E. 3.4.2 S. 255; BGE 141 III 312 E. 4.2.4 S. 319, BGE 141 III 328 E. 5.4 S. 340). Entsprechend liess sich die Rechtsprechung in Bezug auf die Relocation eines Kindes bereits unter dem alten Recht von der Maxime des Kindeswohls leiten (vgl. BGE 136 III 353 E. 3.3 S. 358 im Zusammenhang mit einem beabsichtigten Wegzug nach Tschechien). Sie bildet auch in den umliegenden Ländern die Richtschnur für die Ausgestaltung der Eltern-Kind-Beziehung und die Frage des Aufenthaltsortes, dessen Verlegung bei ![]() | 24 |
Die vom Gericht oder der Kindesschutzbehörde zu beantwortende Frage lautet folglich nicht, ob es für das Kind vorteilhafter wäre, wenn beide Elternteile im Inland verbleiben würden. Die entscheidende Fragestellung ist vielmehr, ob sein Wohl besser gewahrt ist, wenn es mit dem auswanderungswilligen Elternteil wegzieht oder wenn es sich beim zurückbleibenden Elternteil aufhält (vgl. COESTER-WALTJEN, a.a.O., S. 314), wobei diese Frage unter Berücksichtigung der auf Art. 301a Abs. 5 ZGB gestützten Anpassung der Kinderbelange (Betreuung, persönlicher Verkehr, Unterhalt) an die bevorstehende Situation zu beantworten ist. Zwischen der Anpassung der Kinderbelange und der unter dem Aspekt des Kindeswohls zu beantwortenden Frage, ob die Verlegung des Aufenthaltsortes zu bewilligen ist, besteht nämlich eine enge Interdependenz (dazu E. 2.8).
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Unter altem Recht hat das Bundesgericht diesbezüglich an die Rechtsprechung betreffend die Zuteilungskriterien im Trennungs- oder Scheidungsfall angeknüpft und - im Zusammenhang mit einem beabsichtigten Wegzug der Mutter auf die Philippinen und einem angekündigten Stellenantritt des Vaters in Singapur - erwogen, dass für die Neuregelung der Eltern-Kind-Verhältnisse die Interessen der Eltern in den Hintergrund zu treten hätten; abzustellen sei auf die persönlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, auf ihre erzieherischen Fähigkeiten und die Bereitschaft, die Kinder in eigener Obhut zu haben und sie weitgehend persönlich zu betreuen und zu pflegen, sowie auf das Bedürfnis der Kinder nach der für eine harmonische Entfaltung in körperlicher, seelischer und geistiger Hinsicht notwendigen Stabilität der Verhältnisse, welches bei gleicher Erziehungs- und Betreuungsfähigkeit besonderes Gewicht erhalte (Urteil 5A_375/2008 vom 11. August 2008 E. 2).
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Diese Kriterien können auf die Anwendung von Art. 301a ZGB übertragen werden. Weil es in der Regel um eine Anpassung der ![]() | 28 |
War hingegen der wegzugswillige Elternteil nach dem bisher tatsächlich gelebten Betreuungskonzept ganz oder überwiegend die Bezugsperson (namentlich beim klassischen Besuchsrechtsmodell), wird es tendenziell zum besseren Wohl der Kinder sein, wenn sie bei diesem verbleiben und folglich mit ihm wegziehen. Die für einen Verbleib der Kinder in der Schweiz notwendige Umteilung an den anderen Elternteil - welche ohnehin voraussetzt, dass dieser fähig und bereit ist, die Kinder bei sich aufzunehmen und für eine angemessene Betreuung zu sorgen - bedarf jedenfalls der sorgfältigen Prüfung, ob sie tatsächlich dem Kindeswohl entspricht.
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Dabei kommt es wiederum auf die Umstände des Einzelfalles an. Sind die Kinder noch klein und dementsprechend mehr personen- denn umgebungsbezogen, ist eine Umteilung an den zurückbleibenden Elternteil angesichts des Grundsatzes der Betreuungs- und Erziehungskontinuität nicht leichthin vorzunehmen. Hingegen werden bei älteren Kindern zunehmend die Wohn- und Schulumgebung sowie der sich ausbildende Freundeskreis wichtig und vielleicht haben sie schon eine Lehrstelle in Aussicht; hier könnte der Verbleib in der Schweiz, soweit eine Umplatzierung zum anderen Elternteil möglich ist, dem Kindeswohl unter Umständen besser dienen.
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Zu beachten sind auch alle weiteren Facetten der konkreten Situation. Beispielsweise ist es für ein Kind nicht dasselbe, ob es bereits bislang zweisprachig aufgewachsen ist oder ob es neu in einer ihm fremden Sprache beschult würde, und es ist mit Blick auf die Stabilität der Verhältnisse auch nicht dasselbe, ob beispielsweise der auswanderungswillige Elternteil in sein Heimatland bzw. in den angestammten Familienkreis (dem Kind bereits vertraute Grosseltern, Onkeln und Tanten etc.) zurückkehrt bzw. zu einem neuen Partner ![]() | 31 |
Zusammenfassend ergibt sich, dass für die Beurteilung des Kindeswohls immer die konkreten Umstände des Einzelfalles massgeblich sind, indes dem wegzugswilligen Elternteil, welcher die Kinder bislang überwiegend betreut hat und dies auch in Zukunft tun wird, die Verlegung des Aufenthaltsortes der Kinder ins Ausland in der Regel zu bewilligen sein wird, wovon übereinstimmend auch die Lehre ausgeht (vgl. BUCHER, Elterliche Sorge [...], in: Familien in Zeiten grenzüberschreitender Beziehungen, 2013, S. 63; CANTIENI/BIDERBOST, Reform der elterlichen Sorge aus Sicht der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde [KESB] - erste Erfahrungen und Klippen, FamPra.ch 2015 S. 792; BÜCHLER/MARANTA, Das neue Recht der elterlichen Sorge, Jusletter 11. August 2014 Rz. 84 f.; FASSBIND, a.a.O., S. 697; wohl gl.M. SCHWENZER/COTTIER, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I, 5. Aufl. 2014, N. 14 f. zu Art. 301a ZGB).
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In der Praxis wird der zurückbleibende Elternteil oft den Einwand erheben, dass der andere Teil mit dem Auswanderungswunsch das Ziel verfolge, ihm die Kinder zu entziehen und insofern ein rechtsmissbräuchliches Verhalten vorliege, welches nicht geschützt werden dürfe. Solche Fälle können vorkommen, sie dürften aber selten sein (vgl. BUCHER, a.a.O., S. 63 unten). Es ist nachvollziehbar, dass dies dem zurückbleibenden Elternteil subjektiv anders vorkommen mag, denn die Aufrechterhaltung des Kontaktes zum Kind wird schwieriger und oftmals ist der geplante Wegzug die Folge der elterlichen Trennung, welche ihrerseits die Folge von Spannungen und Schwierigkeiten auf der Elternebene ist. Indes entspricht es keiner verbreiteten Realität, dass ein Elternteil ins Nichts wegzieht. Vielmehr ist im Zielland in der Regel eine ökonomische Basis oder Aussicht vorhanden und gibt es handfeste Gründe für den Wegzug wie beispielsweise die Rückkehr ins Heimatland oder den eigenen Familienkreis, das Zusammenziehen mit einem neuen Partner oder ein karriereförderndes Stellenangebot.
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Was die konkrete Regelung der Kinderbetreuung und Ausgestaltung des persönlichen Verkehrs anbelangt, ist vorauszuschicken, dass ![]() | 36 |
In dieser Situation sind die Gerichte gehalten, eine der neuen Situation angepasste Betreuungs- und Kontaktregelung zu treffen, welche verbindlich und durchsetzbar ist und mit welcher der konventionsrechtlichen Vorgabe von Art. 9 Abs. 3 der UN-Kinderrechtskonvention vom 20. November 1989 (KRK, SR 0.107) nachgelebt wird. Diese sieht vor, dass ein jeder Vertragsstaat das Recht des von einem oder beiden Elternteilen getrennten Kindes achtet, regelmässige persönliche Beziehungen und unmittelbare Kontakte zu beiden Elternteilen zu pflegen. Es entspricht sodann kinderpsychologischer Erkenntnis, dass aufgrund des schicksalhaften Eltern-Kind-Verhältnisses die Beziehung des Kindes zu beiden Elternteilen wichtig ist und bei dessen Identitätsfindung eine entscheidende Rolle spielen kann (BGE 130 III 585 E. 2.2.2 S. 590; BGE 131 III 209 E. 4 S. 211 f.). Deshalb haben im Übrigen beide Elternteile mit Blick auf das Wohl des Kindes die Pflicht, eine gute Beziehung zum jeweils anderen Elternteil zu fördern; namentlich hat der hauptbetreuende Elternteil das Kind positiv auf Besuche, auf Skype-Kontakte etc. beim oder mit dem anderen Elternteil vorzubereiten (BGE 142 III 1 E. 3.4 S. 7; Urteil 5A_505/2013 vom 20. August 2013 E. 6.3).
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Weil der behördliche Entscheid über die Aufenthaltsverlegung und die Anpassung der Eltern-Kind-Beziehung eine Einheit bilden, ist auch klar, dass es nicht abstrakt um einen Wegzug aus der Schweiz, ![]() | 38 |
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Was die Frage des Kindeswohles anbelangt, kann das sinngemässe Vorbringen, dass den Kindern in Graz Gefahren drohen, nicht ernsthaft sein. Die Lebensqualität in Graz ist vergleichbar mit derjenigen in U., die Kinder werden in der gleichen Sprache beschult und sie sind in einem Alter, in welchem sie sich am neuen Ort umgehend einleben werden. Sie können in Graz ebenso glücklich aufwachsen wie in der Schweiz.
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Dass der persönliche Verkehr weniger häufig wird stattfinden können und für alle Beteiligten mit erhöhtem Aufwand verbunden ist, trifft zu. Dies ist aber für sich genommen kein Grund, den Wegzug der Kinder zu verbieten. Unzutreffend ist sodann die Behauptung, mit dem Wegzug werde das Kontaktrecht verunmöglicht und komme es zu einer sofortigen Entfremdung der Kinder, erlaubt doch die ![]() | 41 |
All diese Elemente sind vorliegend ohnehin wenig entscheidtragend insofern, als der Vater auch für die Zukunft ausdrücklich ausschliesst, die Kinder selbst zu betreuen, und er sich darauf beschränkt, ein umfangreicheres Besuchsrecht zu verlangen (dazu im Einzelnen nicht publ. E. 3). Damit ist die Sachverhaltsbehauptung, es sei völlig unbelegt, dass er die Erziehung und Alltagsbetreuung seit jeher der Mutter überlassen hätte, mit Blick auf den zutreffenden Entscheid ebenso unerheblich wie die Beanstandung in Bezug auf die Beweiswürdigung zum Vater-Kinder-Verhältnis. In rechtlicher Hinsicht ist der Entscheid, wo sich der gewöhnliche Aufenthalt der Kinder befinden soll, imperativ präjudiziert, wenn nur ein Elternteil bereit ist, die Betreuung der Kinder zu übernehmen, denn eine nähere Diskussion des Kindeswohls läuft bei dieser Ausgangslage letztlich ins Leere (vgl. E. 2.7).
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Angesichts der Tatsache, dass nur die Mutter bereit ist, die Kinder überwiegend zu betreuen, und im Übrigen die kantonalen Gerichte eine situationsadäquate Lösung in Bezug auf die Neugestaltung des persönlichen Verkehrs für die Zeit ab dem Wegzug nach Graz gefunden haben (dazu nicht publ. E. 3), ist die Erlaubnis, den Aufenthaltsort der Kinder dorthin zu verlegen, bundesrechtskonform. (...)
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