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69. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. und B. gegen C. und vice versa (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_647/2015 / 4A_649/2015 vom 11. August 2016 | |
Regeste |
Art. 259d OR; Mietzinsherabsetzung wegen Mangel. | |
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Erwägung 8.2 | |
8.2.1 In der Lehre wird eine breite Palette von Ansichten dazu vertreten: HIGI qualifiziert die Herabsetzung als Gestaltungsrecht, das durch Abgabe einer entsprechenden Erklärung ausgeübt wird. Ohne weitere Begründung ist er der Ansicht, diese Erklärung könne so lange abgegeben werden, wie der Herabsetzungsanspruch bestehe, womit er die Zeitspanne ab Kenntnis des Mangels durch den Vermieter bis zur Beseitigung des Mangels oder - falls dieser Zeitpunkt früher eintreten sollte - zur Vertragsbeendigung meint (HIGI, a.a.O., N. 22 i.V.m. N. 6 und 18 f. zu Art. 259d OR). BISANG UND ANDERE gehen ebenfalls von einem Gestaltungsrecht aus. Da weder Gesetz noch Gründe der Rechtssicherheit für eine andere Lösung sprächen, könne der Mieter die Erklärung auch noch nach der Mängelbehebung abgeben. Eine Rechtslage, die nicht mehr vorhanden sei, könne hingegen nicht mehr gestaltet werden, weshalb die Erklärung spätestens bis zur Beendigung des Mietverhältnisses abgegeben werden müsse (BISANG UND ANDERE, a.a.O., N. 8 i.V.m. N. 24 zu Art. 259d OR). ROHRER geht unter Hinweis auf das zitierte Urteil 4C.66/2001 davon aus, der Mieter müsse den "Anspruch" vor ![]() ![]() | 3 |
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8.3 Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Die Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätsordnung zu ![]() | 5 |
Nicht Aufgabe des Bundesgerichts ist es, abstrakte Rechtsfragen zu beantworten oder rechtstheoretische Streitigkeiten zu klären, die nicht entscheidrelevant sind (vgl. bezüglich des Eintretens BGE 124 IV 94 E. 1c S. 96; BGE 104 Ia 487 E. 2 S. 488). Die umstrittene Rechtsnatur der Herabsetzung vermag - entgegen verbreiteter Ansicht - den letztmöglichen Zeitpunkt der Erklärungsabgabe nicht vorwegzunehmen, weshalb die Rechtsnatur offenbleiben kann (in diesem Geiste schon BGE 130 III 504 E. 5.1 S. 509; dahingehend auch MAJA BLUMER, Gebrauchsüberlassungsverträge [Miete, Pacht], SPR Bd. VII/3, 2012, S. 223 Rz. 754; CAROLE AUBERT, in: Droit du bail à loyer, 2010, N. 3 zu Art. 259d OR): Würde es sich bei der Herabsetzung um ein Gestaltungsrecht handeln, bedürfte dieses zu seiner Ausübung zwar einer Willenserklärung. Wann diese Erklärung spätestens abgegeben werden müsste, wäre aber noch offen. Denn auch ein Vertragsverhältnis, bei dem den gegenseitigen Leistungspflichten nachgekommen wurde, erlischt dadurch nicht, sondern bleibt als historisches Faktum bestehen und bildet weiterhin den Rechtsgrund für die zur Vertragserfüllung vorgenommenen Rechtsübertragungen. Ein abgewickelter Vertrag ist infolgedessen einer (nachträglichen) Gestaltung nach wie vor zugänglich (GUILLAUME VIONNET, L'exercice des droits formateurs, 2008, S. 76 f. mit Hinweisen; EUGEN BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil [...], 2. Aufl. 1988, S. 389 f.; beide Autoren nennen als Beispiel hierfür die Geltendmachung von Mängelrechten bei einem erfüllten Kaufvertrag). Aus einer Qualifikation als Gestaltungsrecht ergäbe sich daher nicht, dass die Erklärung zwingend während Bestehen des Mangels oder des Mietverhältnisses abgegeben werden müsste und es danach zu spät wäre. Würde es sich bei der Herabsetzung hingegen um eine gesetzliche Verminderung des Mietzinses handeln, wäre damit noch nichts gewonnen hinsichtlich der Bedingungen, die für den Eintritt dieser Verminderung erfüllt sein müssten. Ohne Weiteres wäre es möglich, dass eine Voraussetzung hierfür eine bis zu einem bestimmten Zeitpunkt abgegebene Erklärung des Mieters wäre.
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Dem Wortlaut von Art. 259d OR ist weiter zu entnehmen, dass der Mieter die Herabsetzung verlangen muss; und zwar vom Vermieter (so ausdrücklich die deutsche und die französische Fassung, wohingegen aus der italienischen Version der Adressat nur implizit hervorgeht). Um etwas von jemandem zu verlangen, bedarf es einer entsprechenden Kommunikation. Aus der grammatikalischen Auslegung ergibt sich daher, dass für eine Herabsetzung nach Art. 259d OR eine Erklärung des Mieters an den Vermieter notwendig ist. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung muss diese Erklärung das Mass der Herabsetzung in sachlicher und zeitlicher Hinsicht nennen und einen konkreten Bezug zu den beanstandeten Mängeln angeben, andernfalls sie unwirksam ist (Urteil 4C.248/2002 vom 13. Dezember 2002 E. 4.2; vgl. auch BGE 130 III 504 E. 8.2 S. 514; Urteil 4A_7/2012 vom 3. April 2012 E. 2.3.2). Ob der Vermieter alsdann gestützt auf die Erklärung des Mieters etwas vorzukehren hat oder nicht, bleibt aufgrund der divergierenden Gesetzestexte unklar. In der deutschen Fassung kann der Mieter verlangen, "dass er [der Vermieter] den Mietzins [...] entsprechend herabsetzt". In den beiden anderen Sprachversionen ist es eine verhältnismässige Herabsetzung ("une réduction proportionnelle"; "una riduzione proporzionale"), die er verlangen kann. Während Erstes auf eine Aktivität des Vermieters hindeutet (dieser setzt herab), ist das bei Zweitem nicht der Fall (mit dem Verlangen einer Herabsetzung hat es sein ![]() | 9 |
Bis zu welchem Zeitpunkt der Mieter seine Erklärung gegenüber dem Vermieter spätestens abzugeben hat, hält Art. 259d OR nicht fest. Dem Gesetzeswortlaut ist insbesondere nicht zu entnehmen, dass die Erklärungsabgabe in zeitlicher Hinsicht mit der Dauer der Herabsetzung verknüpft wäre und entweder vor, während oder nach dieser abgegeben werden müsste. Der Wortlaut der Bestimmung sieht somit keine spezifische zeitliche Beschränkung für die Abgabe der Erklärung vor, womit die Erklärung den allgemeingültigen Regeln der Verwirkung untersteht und auf sie (resp. auf die durch sie hervorgebrachten Forderungen) die Verjährungsnormen Anwendung finden.
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8.3.2 Gemäss Botschaft des Bundesrats habe es im früheren Recht an einem Druckmittel gefehlt, das der Mieter einsetzen könne, um den Vermieter zur raschen Behebung eines Mangels zu zwingen. Behalte er den Mietzins zurück, gerate er mit seinen Zahlungen in Verzug und riskiere, ausgewiesen zu werden. Deshalb habe der Vorentwurf dem Mieter das Recht eingeräumt, den Mietzins von sich aus herabzusetzen (auszugsweise abgedruckt ist der Text des einschlägigen Art. 255 Abs. 1 VE-OR bei FABIAN WÄGER, Das Minderungsrecht infolge Vertragsverletzung, 2010, S. 34 Rz. 92 Fn. 64). Im Vernehmlassungsverfahren sei dieser Vorschlag jedoch heftig kritisiert worden. Daher sei eine Mittellösung gesucht worden, wonach der Mieter zwar den Mietzins bezahlen müsse, der Vermieter jedoch nicht in Besitz des Geldes gelange. Der Entwurf ermögliche hierfür dem Mieter, den Mietzins zu hinterlegen (Botschaft vom 27. März 1985 zur Revision des Miet- und Pachtrechts, BBl 1985 I 1415 Ziff. 412.1). Der die Herabsetzung regelnde Art. 259c E-OR (welcher, soweit hier interessierend, dem Gesetz gewordenen Art. 259d OR entspricht) mache deutlich, dass der Mieter die Herabsetzung auch direkt beim Vermieter geltend machen könne und er ![]() | 11 |
Auf den Zusammenhang mit dem Beseitigungsanspruch und dem Hinterlegungsrecht ist bei der systematischen Auslegung zurückzukommen (E. 8.3.3 hiernach), während auf den angeführten Zweck der Bestimmung bei der teleologischen Auslegung einzugehen ist (E. 8.3.4 hiernach). Im Übrigen bekräftigt die historische Auslegung die grammatikalische sowohl hinsichtlich der Dauer der Herabsetzung als auch darin, dass die Herabsetzung nicht nur durch ein gerichtliches Urteil eintritt, sondern vom Mieter direkt vom Vermieter beansprucht werden kann. Wie die uneinheitlichen Sprachfassungen zeichnen auch die Materialien ein etwas diffuses Bild vom Inhalt des Rechts. Zwar soll der Mieter die Herabsetzung nicht von allein herbeiführen können; ob und gegebenenfalls was hierfür zusätzlich erforderlich sein soll, wird allerdings nicht ausgeführt. Bestärkt wird die grammatikalische Auslegung schliesslich hinsichtlich des Fehlens einer spezifischen zeitlichen Beschränkung für die Abgabe der Herabsetzungserklärung. Aus den Materialien ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber eine solche Beschränkung gewollt oder auch nur diskutiert hätte.
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8.3.3 Die Herabsetzung ist eines von mehreren Rechten des Mieters, die ihm bei während der Mietdauer auftretenden Mängeln am Mietobjekt zustehen (vgl. die Marginalien von Art. 259 und 259a OR). Die anderen Rechte des Mieters bedürfen entweder keiner Erklärung (so etwa der Anspruch auf Beseitigung) oder der Zeitraum für die Abgabe der erforderlichen Erklärung ergibt sich bei ihnen direkt aus ihrem Inhalt (so etwa bei der für die Zukunft wirkenden Kündigung, die wesensgemäss nur während bestehendem Dauerschuldverhältnis ausgesprochen werden kann). Bei der Herabsetzung ist weder das eine noch das andere der Fall, weshalb sich hieraus keine Rückschlüsse auf den Zeitraum, in dem die Herabsetzungserklärung abzugeben ist, ziehen lassen. ![]() | 13 |
Ausser, dass es beide Male um Mängel geht, steht die Prüf- und Rügeobliegenheit des Vermieters bei Rückgabe der Sache (Art. 267a OR) in keinem systematischen Zusammenhang mit dem Recht des Mieters auf Herabsetzung bei Mängeln an der Sache während der Mietdauer. Im ersten Fall geht es um die Mängelrechte bei Rückgabe der Sache nach Beendigung des Mietverhältnisses, was vergleichbar ist mit der Situation, wie sie bei einem ![]() | 14 |
Die systematische Auslegung liefert demnach keine Anhaltspunkte für eine spezifische zeitliche Beschränkung der Abgabe einer Herabsetzungserklärung.
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Eine Behebung des Mangels resp. eine Auflösung des Vertragsverhältnisses hat zur Folge, dass das Ungleichgewicht in der Zukunft nicht mehr besteht. An der Vergangenheit und insbesondere der damals aufgrund des Mangels vorhandenen Unausgewogenheit der gegenseitigen Hauptpflichten ändert dies aber nichts. Um dieses Ungleichgewicht zu beseitigen, bedarf es einer rückwirkenden Herabsetzung der Mietzinsforderungen für die vergangenen Perioden, wie sie das Bundesgericht in BGE 130 III 504 anerkannte. Wenn die Herabsetzungserklärung nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt abgegeben werden kann, verunmöglicht dies eine spätere Nivellierung der unausgeglichenen Leistungen. Der Normzweck verlangt demnach nicht nach einer spezifischen zeitlichen Beschränkung für die Abgabe der Erklärung, sondern spricht im Gegenteil gegen eine solche. Freilich hat ein Vermieter ein berechtigtes Interesse daran, nicht während unbestimmter Zeit mit Ansprüchen konfrontiert werden zu können. Diesem Interesse wird hier - wie anderswo auch - durch die auf Art. 2 ZGB gestützte Rechtsverwirkung sowie die ![]() | 17 |
Gerade mit Blick auf den Dauerschuldcharakter des Mietverhältnisses gilt es wie ausgeführt noch weitere Interessen zu berücksichtigen. Objektiv betrachtet entsteht durch einen Mangel ein Ungleichgewicht zwischen den Hauptleistungspflichten der Parteien. Dass dies die Parteien subjektiv ebenso empfinden, steht damit aber noch nicht fest. Möglich ist, dass sie, und zwar insbesondere auch der Mieter, die gegenseitigen Pflichten nach wie vor als ausgewogen und stimmig erachten. Indem etwa ein zunächst als nicht störend empfundener Mangel dem Mieter mit der Zeit lästig fällt, kann sich dies auch ändern. Trotz Kenntnis eines Mangels (dem Beginn der Herabsetzungsdauer) steht für den Vermieter in diesem Moment deshalb nicht zwangsläufig fest, dass sich der Mieter an diesem Mangel stört und daher nicht nur objektiv ein Ungleichgewicht zwischen den Leistungen besteht, sondern dies auch subjektiv vom Vertragspartner, dem Mieter, so empfunden wird. Dies weiss der Vermieter nur, wenn der Mieter entweder eine Herabsetzung verlangt oder sonst wie ihm gegenüber deutlich macht, dass er den Mangel als belästigend empfindet, etwa indem er dessen Beseitigung fordert (was in der Praxis regelmässig der Fall sein dürfte). Ohne das eine oder das andere erscheint das Vertrauen des Vermieters berechtigt, der Mieter empfinde trotz des Mangels die gegenseitigen Pflichten als nach wie vor ausgewogen, weshalb er diesfalls davon ausgehen darf, die vom Mieter vorbehaltlos beglichenen Mietzinsen für vergangene Perioden würden nicht nachträglich reduziert. Der Schutz des berechtigten Vertrauens des Vermieters schliesst im entsprechenden Umfang eine nachträgliche Herabsetzung aus; und zwar unabhängig davon, ob der Mangel oder das Mietverhältnis noch besteht oder nicht. Auf die Herabsetzung künftiger Mietzinse wirkt sich dies nicht aus, da der Mieter seine Auffassung für die Zukunft ändern kann und diesbezüglich, vorbehältlich eines Anwendungsfalls von Art. 2 ZGB, kein schutzwürdiges Vertrauen des Vermieters auszumachen ist.
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8.4 Entgegen der Vorinstanz ist daher die nach Beendigung des Vertragsverhältnisses abgegebene Herabsetzungserklärung der Mieter ![]() | 20 |
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